"Grâce à Dieu", "Gelobt sei Gott" oder auch "Gott sei Dank" – unter diesem frommen Titel beschäftigt sich der französische Regisseur Francois Ozon mit dem ultimativem Versagen einer religiösen Institution: mit dem sexualisierten Missbrauch von Amtsträgern an Kindern, im Falle seines Filmes mit einem realen Fall, der das Erzbistum Lyon immer noch erschüttert. Die Erzdiözese tat, was man in der katholischen Kirche eben immer tat: wenn die Beschwerden zu laut wurden, versetzte man den Priester. Und schwieg.
Betroffene erobern sprachliche Deutungshoheit
"Um Finanzierung aus Lyon oder der Region haben wir uns gar nicht erst bemüht, zu eng sind im katholischen Lyon alle relevanten Stellen mit der Kirche verwoben. Ich aber wollte frei arbeiten können."
Sagt Regisseur François Ozon. Er bleibt konsequent bei den Betroffenen, zeigt, wie sie zumindest die sprachliche Deutungshoheit zurückerobern. Das macht den Film ein bisschen sperrig, aber verleiht ihm auch Wucht.
"Ich habe sehr schnell begriffen, dass ich keinen politischen Film mache, da gäbe es Lösungen, wir machen einen Bürgerfilm, einen zivilen Film, und der Film endet mit einer Frage."
Diese Frage ist allgemein genug, um sie nennen zu dürfen: Glaubst du eigentlich noch an Gott? Denn das ist das Erstaunliche: Auch da bleibt der Regisseur nah an den Schilderungen der Betroffenen: Mit dem Glauben, auch mit der Kirche haben nicht alle gebrochen, trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen. Die Opfer sind ehrlich in ihrer Gebrochenheit, die Institution versteckt sich hinter Phrasen. Regisseur Ozon konnte unter anderem auf den Briefwechsel eines Betroffenen mit dem Erzbistum zurückgreifen.
Die Frau, die nach dem Kruzifix sprang
Die Regisseurin eines anderen Films hat zu ihrem Projekt sogar selbst Post von höchster kirchlicher Stelle bekommen: die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska bat die Kirchenleitung der orthodoxen Kirche in Mazedonien um Unterstützung bei ihrem Film.
Im Antwortbrief stand: wir wollen nichts mit Ihrem Film zu tun haben. Gott existiert, und er ist ein Mann, erzählt die Regisseurin. Ihr Filmtitel ist die direkte Antwort auf den Kirchenbrief: "God exists, her name is Petrunya". Gott existiert – ihr Name ist Petrunya.
Petrunya ist eine kluge, gebildete junge Frau – das hilft ihr nicht dabei, in der traditionsorientierten mazedonischen Gesellschaft ihren Platz im Leben zu finden. Am Dreikönigstag kommt Petrunya mehr zufällig gerade dann am Fluss vorbei, als der örtliche Pope ein Kruzifix ins Wasser wirft. Ein weitverbreiteter Ritus in Mazedonien ist das: Wer das Kreuz aus dem Wasser fischt, hat ein glückliches Jahr vor sich. Unausgesprochen, aber allen klar: damit sind nur Männer gemeint. Petrunya aber springt ins Wasser, schnappt sich das Kreuz – und gibt es nicht mehr her. Auch als der Pope sie anschreit, auch als alle Männer sich zusammenrotten. Es gab vor ein paar Jahren tatsächlich eine solche Frau, sagt Regisseurin Teona Strugar Mitevska:
"She said: listen, I caught the cross, because I was a better swimmer then the rest of the men. I don’t understand why I cannot keep it? And then she said: Don’t I also have the right to be happy for the next year?"
In Mazedonien sei die die orthodoxe Kirche eine unheilige Allianz mit Staat und Kirche eingegangen, die gelte es zu brechen. Die Regisseurin setzt dabei auf mutige Frauen. Aber auch hier gilt, wie im Film "Grâce à Dieu": Über den Glauben der Einzelnen sagt dieser Kampf gegen die Institution noch nichts aus. Zum Herrn am Kreuz hat Petrunya ein durchaus inniges Verhältnis.
Trost in einer Sekte?
Subtiler wird die Frage danach, ob Religion hilfreich oder einengend ist, wenn es keine scheinbar übermächtige Institution gibt. So wie im chinesischen Film "A Dog barking at the moon". Ja, eine wohlhabende bürgerliche Ehefrau ist hier in die Fänge einer buddhistisch angehauchten Sekte geraten. Güldene Buddhas zieren die Wohnung, für innige Meditationssitzungen spendet sie viel Geld. Aber hat sie nicht auch viele Probleme? Der Mann homosexuell, die Ehe eine Farce, für die sie ihre große Liebe geopfert hat, die Tochter entfremdet. Wäre es da nicht anmaßend, den einzigen Trost zu verurteilen, nur weil das religiöse Personal dabei reich wird?
Auch eine von außen betrachtet toxische Religiosität kann doch die Einzelnen trösten. Es kann sie dabei allerdings auch zerstören. Genau diesem Thema widmet sich der guatemaltekische Film "Temblores", Erschütterungen. Regisseur Jayro Bustamante hat seinen Film im Milieu einer evangelikal-charismatischen Gemeinde angesiedelt.
Hauptfigur Pablo möchte diesem Milieu eigentlich entkommen. Er hat Frau und Familie verlassen und ist zu seinem Freund gezogen. Aber wenn er homosexuell lebt, wird er seine Kinder verlieren und überhaupt den Platz im Leben, den er für sich als Mann immer als selbstverständlich angesehen hat. "Hast du schon was unternommen, um geheilt zu werden?", fragt Pablos Frau. Und Pablos Mutter bittet im Gemeindegebet um Kraft für ihren offenkundig irgendwie beschädigten Sohn. Deswegen lässt Pablo sich auf eine sogenannte Heilung ein, auch wenn die ihn zerstören wird. Religion ist in einer so religiösen Gesellschaft wie der Guatemalas eingebunden in ein Netz aus Erwartungen, aus dem der einzelne kaum entkommen kann, sagt Regisseur Jayro Bustamante.
"Ich wollte über das Thema nicht wegen des Tabus sprechen, sondern weil es die Freiheit einschränkt. Und deswegen geht es in "Temblores" nicht nur um Homosexualität, sondern auch um Machismo, Unterdrückung und Frauenfeindlichkeit."
Sex, Glaube und staatliche Überwachung
Noch subtiler geht der brasilianische Regisseur Gabriel Mascaro vor. Auch er siedelt seinen Film im evangelikalen Milieu an. "Divino Amor" spielt in einem leicht futuristischen Brasilien. Der vorherrschende Glaube ist eng verknüpft mit einem Staat, der Fruchtbarkeit im Rahmen der heterosexuellen Kleinfamilie als oberste Doktrin verfolgt. Hauptfigur Joana wehrt sich aber nicht etwa gegen religiöse Vereinnahmung, sie will mehr: zum Beispiel Paare kurz vor der Scheidung durch rituellen Sex wieder zusammenbringen.
"Dieser Film hat eine Hauptfigur, die sogar noch mehr Religion in die Welt bringen möchte", sagt Regisseur Mascaro. "Sie wartet auf ein Zeichen von Gott, aber als ihr schließlich das Wunder geschieht, bekommt sie viel mehr, als sie erwartet hatte."
Das Wunder ist die langersehnte Schwangerschaft. Erst dann merkt Joanna, was ihr geschieht. Ihren Glauben verliert sie nicht – aber den Glauben an die Überwachung zum eigenen Guten durch Staat wie Religion.
"Entweder-oder: Islam oder nichts"
Ist Religion also immer eher Fessel, höchstens ganz im Inneren auch befreiend? Der deutsche Film "Oray" schlägt eine andere Deutung vor. Der titelgebende Oray ist ein junger Mann aus Hagen, der sein Leben nicht in den Griff bekommt: Er war kleinkriminell, Geld ist immer knapp, und von seiner viel lebenspraktischeren Frau trennt er sich quasi aus Versehen, weil er ihr im Streit eine islamische Scheidungsformel an den Kopf wirft. Den einzigen Halt findet Oray im Glauben.
"Ich hatte in Hagen einen Bewährungshelfer, der wollte nicht verstehen, dass ich ohne Islam immer noch kriminell wäre, bis heute. Wollte zum Verrecken nicht verstehen, dass für Leute wie uns, Brüder, nur Entweder-oder gibt: entweder Islam oder nichts. Entweder Paradies oder Hölle. Gibt es was dazwischen?"
"Ja, ich glaube, die größte Anziehung auf diese, sagen wir mal: Lost Boys oder jungen Männer mit Migrationshintergrund, ist gerade dieser exklusive Männerbund mit seinen Werten wie Freundschaft, Brüderlichkeit, Teilen – und ein Schaffen von Außen: Das sind die, die uns beneiden, und die, die uns angreifen. Und dagegen wir, die eigentlich wahren Gläubigen."
So einen wie Oray kenne er selbst, sagt Regisseur Mehmet Büyükatalay. Wie überhaupt sein ganzer Film gefüllt ist mit fein gezeichneten Porträts deutscher Muslime, die alle ihren eigenen Weg suchen. Die aber auch alle deutlich spüren: Für eine Verbindung von muslimischer und westlicher Kultur gibt es noch keine Rollenvorbilder, die müssen sie erst schaffen.