Das Kino liebt die Extreme. Religion sucht das Transzendente. Das sind zwei Suchbewegungen, die sich treffen können, aber nicht unbedingt treffen müssen. Kommt vor allem auf die Religion an: im Programm der Berlinale ist in diesem Jahr sehr deutlich zu sehen, von welcher Religion sich die Filmemacher Extreme erwarten.
Islam: Paradies mit Weingenuss ohne Kopfschmerzen
Normalerweise ist für so etwas zurzeit der Islam zuständig. Und so gibt es auch bei der Berlinale eine kluge Dokumentation über das Paradies und welche Bilder die Gläubigen davon haben. Männer erzählen von Trauben, Granatäpfeln und Weingenuss ohne Kopfschmerz am nächsten Tag. In diesem Film wird der Islam einmal ausdrücklich Thema.
Darüber hinaus zeigen die Berlinale-Filme lieber den Alltag von Muslimen. Flucht spielt gelegentlich eine Rolle, der Krieg in Syrien auch. Aber in diesem Jahr ist vor allem das unaufgeregt nichtreligiöse Leben in islamisch geprägten Kulturen das Aufregende - zumindest für den Blick von außen.
Christentum: In Polen lässt sich noch was holen
Ähnlich der Blick aufs Christentum: Da hat die Berlinale in den vergangenen Jahren auch zugegebenermaßen wahrscheinlich alles abgehakt, womit sich im müden christlichen Abendland Filme füllen lassen. Exorzismus mit tödlichem Ausgang, Christusnachfolge mit tödlichem Ausgang, vor einem Jahr eine sehr kluge Meditation über den Spätabbruch einer Schwangerschaft, mit christlicher Ethik nur als Nebengedanke. In diesem Jahr gibt’s nichts Christliches mehr unter der Sonne, aus dem sich ein Filmstoff machen lässt. Außer in Polen.
In Polen lässt sich für Filmemacher noch was holen, denn in Polen ist die katholische Kirche nach wie vor eine Institution, gegen die sich aufrechte Helden auflehnen können. Oder, wie im polnischen Wettbewerbsfilm "Pokot", eine Heldin, die mit freundlichem Schamanismus gegen eine unheilige Allianz aus Kirche und Jägern antritt.
Judentum: Mitten unter den Frömmsten
Ähnliches wie für Islam und Christentum gilt auf der Berlinale auch fürs Judentum: Die Protagonisten haben meist andere Probleme als die Religion - und doch: Es gibt diesen einen Film, der mitten unter den Frömmsten spielt. In dem Fall: "Menashe", der den gleichnamigen Helden beim Versuch zeigt, unter Ultraorthodoxen in New York zu leben und trotzdem seine Individualität zu wahren.
Religionen der Rituale: Im Urwald klingelt das Handy
Wenn die monotheistisch Gläubigen mit Sinnfragen ringen, dann tun sie das oft still. Und doch gibt es die Religionen der Rituale, mit den satten Farben und rauen Gesängen. Die Berlinale liebt es, sich auf die Spuren derer zu setzen, für die religiöse Praxis in Bahnen der Vorfahren verläuft. Religion wird dann gleichgesetzt mit Bewahrung des Ursprünglichen, sei es im Dschungel des Amazonas oder in den eisigen Weiten der Arktis. Doch neben der ethnographischen Freude am religiösen Ritual zeigen die interessanteren Filme die Moderne auch in den scheinbar heilen Welten.
Im neuseeländischen Film "One thousand ropes" lebt ein Maori-Heiler ganz selbstverständlich mit einem Geist zusammen, den er selbst exorziert hat. In einem Film Noir aus Bhutan löst sich ein Betrugsfall mit Hilfe buddhistischer Geisterlegenden. Doch die Moderne ist auch hier schon angekommen: Auch in Neuseeland möchte der Heiler sich von der traditionellen Männergewalt lieber abwenden, auch im Urwald von Bhutan klingelt inzwischen das Handy. Menschenfreundlicher ist das allzumal, selbst wenn damit auf Dauer kameraträchtige Religions-Klischees verschwinden sollten.