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Religion im US-Wahlkampf
Katholiken zählen

Joe Biden will auch bei religiösen Wählern punkten. Vor allem weiße Katholiken in Swing-States könnten wahlentscheidend sein. Der demokratische Präsidentschaftskandidat setzt verstärkt auf sein Faith-Outreach-Team um den evangelikalen Ex-Republikaner Joshua Dickson.

Von Sinje Stadtlich |
Joe Biden mit seiner Frau Jill bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kenosha
Joe Biden, selbst katholisch, setzt alles daran, möglichst viele Wähler, denen Religion wichtig ist, davon zu überzeugen, dass er das genauso sieht. (picture alliance / AP Images / Caroyln Kaster)
Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, ist Katholik – und in den vergangenen Wochen versucht er verstärkt, das den amerikanischen Wählern auch bewusst zu machen. In einem Werbe-Video spricht er über seine Erziehung durch katholische Ordensschwestern, und in einem anderen zitiert er Papst Johannes Paul II.:
"Donald Trump ist entschlossen, Amerika Furcht einzuflößen. Er facht jedes Feuer an. Aber so sind wir nicht. Ich glaube, die Worte von Papst Johannes Paul II. können uns leiten, Worte aus der Bibel: Fürchtet Euch nicht!"
David Gibson leitet das "Center on Religion and Culture" an der Jesuiten-Universität Fordham in New York City. Er ist überzeugt, dass Joe Bidens Katholizismus ihm in diesem Wahlkampf helfen kann.
"Joe Biden verkörpert den idealtypischen amerikanischen Katholiken: Er besucht regelmäßig die Messe, er kennt seine Gebete, er ist aus Scranton im Bundesstaat Pennsylvania, ein Arbeiterkind. Er war der erste in seiner Familie, der studiert hat. Er ist der Inbegriff der amerikanisch-katholischen Story. Viele Katholiken, besonders auch Weiße, werden sich mit ihm identifizieren können. Und wichtig dabei ist, dass diese weißen Katholiken in den kritischen, wahlentscheidenden Swing States im Mittleren Westen leben: Pennsylvania, Wisconsin, Illinois. Die muss Biden gewinnen."
Überzeugt Biden auch Evangelikale?
Aber um die Wahl zu gewinnen, braucht Biden nicht nur die Stimmen der Katholiken, sondern möglichst viele auch aus anderen religiösen Gruppen. Deswegen hat er in seinem Wahlkampfteam einen sogenannten "faith outreach engagement director": Joshua Dickson, ein streng religiös erzogener Evangelikaler. Als junger Mann war Dickson Republikaner, doch nach Erfahrungen als Lehrer mit benachteiligten Schülern in Chicago wechselte er die Partei, erzählt er im Fernsehsender CBN News:
"Als ich nochmal meine Werte überdacht und überprüft habe, in welche unserer Parteien diese Werte am ehesten verkörpert, da bin ich dann zu den Demokraten gegangen."
"Die Katholiken sind eine der interessantesten Wählergruppen"
Würde Joe Biden zum Präsidenten gewählt, wäre er nach John F. Kennedy der zweite Katholik in diesem Amt. Es sei kein Nachteil mehr für einen Bewerber, der katholischen Minderheit anzugehören, sagt der Religionssoziologe Philip Gorski.
Einst hat er bereits für Barack Obama gearbeitet hat, jetzt ist Dickson Chef der Gruppe "Believers for Biden" und organisiert regelmäßige Video-Konferenzen mit Gebeten und Gesprächen zu religiösen Themen. Er sorgt dafür, dass sein Team sich mit Kirchenvertretern trifft, zuhört und gezielt Wähler in den umkämpften Staaten anspricht: Mormonen in Arizona, Evangelikale in North Carolina oder Juden in Florida.
Bei seinen wenigen Wahlkampfauftritten hat Joe Biden auch verschiedene Kirchen besucht, darunter eine afro-amerikanische Gemeinde, in der er seine Unterstützung für die Black-Lives-Matter-Bewegung zum Ausdruck brachte. Auch da dürfte Joshua Dickson seine Finger im Spiel gehabt haben. Auf CBN News sagte er, die Arbeit des Faith-outreach-Teams habe verschiedene Ziele:
"Das eine ist, den gläubigen Wählern zu versichern, dass unser Team sie respektiert und wertschätzt. Und das andere ist, ihnen klarzumachen, dass wir sie um ihre Stimme bitten. Auch, wenn sie in der Vergangenheit nicht die Demokraten gewählt haben."
"Besser als Clinton 2016"
David Gibson von der Fordham University bescheinigt Dickson und seinen Mitarbeitern bis dato eine gute Arbeit.
"Ich denke, das Biden-Team macht das auf jeden Fall besser, als die Demokraten es 2016 gemacht haben. Ich kenne sehr viele Mitarbeiter, die extrem enttäuscht waren, dass Hillary Clinton sich so gar nicht um die religiösen Wähler gekümmert hat, ganz anders als Obama 2008 und 2012. Clinton hat deren Unterstützung einfach für selbstverständlich gehalten. Und die Biden-Leute sind ganz anders. Die überlegen sich genau, wie sie es machen und kämpfen um jede einzelne Stimme. Sehr gezielt und effektiv. Und das könnte am Ende den entscheidenden Unterschied machen."
Rassismus und Polizeigewalt
Nicht alle Evangelikale sind Trump-Fans. Aber wer nicht begeistert ist, kritisiert seine Politik nicht öffentlich. Brenda Salter McNeil, eine bekannte Pastorin, mahnt: Wir können nicht mehr über Jesus reden, ohne Ungerechtigkeit und Rassismus anzuprangern.
Doch auch wenn Joe Biden bekennender Katholik ist, vertritt er einige Positionen, mit denen er bei religiösen Wählern auf Ablehnung stößt. So hat er sich in der für Evangelikale und auch für Katholiken wichtigen Abtreibungsdebatte auf Seiten der Befürworter gestellt. Die Republikaner werfen ihm regelmäßig vor, er würde religiöse Freiheiten einschränken wollen. David Gibson hält das vor allem für Wahlkampfrhetorik.
"In den Umfragen zeigt sich, dass für die Wähler, sogar für die Wähler der Republikaner, Abtreibung und religiöse Freiheiten gar nicht die Prioritäten sind. Ihnen geht es um die Wirtschaft, ihre Krankenversicherung, all diese Alltagsprobleme sind wichtiger als zum Beispiel Abtreibung. Aber indem die Republikaner immer wieder penetrant auf diese Streitpunkte hinweisen, versuchen sie, Joe Biden als nicht religiös genug hinzustellen."
Evangelikale Christen, die eine Wiederwahl Trumps verhindern wollen
Anders als David Gibson, der Katholik und Journalist, der an der Jesuitenhochschule unterrichtet, ist Doug Pagitt evangelikal und Pastor. Aber er versteht sich als progressiver evangelikaler Pastor. Er leitet "Vote Common Good", eine politisch-religiöse Aktivistengruppe. Momentan tourt er mit einem Bus durch die Swing States und versucht mit Auftritten in verschiedenen Kirchengemeinden, eine Wiederwahl Donald Trumps zu verhindern. Wahlkampf zu machen, sei nicht nur die Aufgabe von Joe Bidens Team, sagt er.
"Aus unserer Sicht ist Donald Trump eine Gefahr für das Wohlergehen dieses Planeten und der Menschen, die auf ihm leben. Sowohl als Bürger als auch als gläubige Christen müssen wir uns für diejenigen einsetzen, die darunter zu leiden haben."
Pagitts Organisation hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der Evangelikale und Katholiken in fünf Swing States zur ihrer Wahlabsicht befragt wurden. Das Ergebnis: Biden kommt bei diesen religiösen Wählern auf 11% mehr Unterstützung als Hillary Clinton 2016. Besonders stark ist der Effekt bei Katholiken.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Eine Frage der Moral
"Die Umfrage hat ergeben, dass religiöse Wähler – sogar die Trump-Unterstützer – glauben, dass Trump ein Mensch ist, der weniger moralisch und gut ist als Biden. Manche Trump-Wähler sagen dann: ‚Gut, dann wähle ich halt den unmoralischeren Kandidaten; ich habe meine Gründe.‘ Aber es steigt der Prozentsatz derjenigen, die sagen, Trumps Lebensstil ist nicht vereinbar mit meinen Werten, ich kann ihn nicht wählen. "
Eine Person trägt auf dem Ärmel ihres Shirts das Logo von QAnon.
US-Wahl: Welchen Einfluss hat QAnon?
QAnon wurde von einem Sammelbecken für Verschwörungsideologen zu einer Bewegung. In den USA scheint ihr Einfluss auf das politische Geschehen zuzunehmen. US-Präsident Donald Trump gilt bei QAnon als Heilsbringer.
Am Ende wird es also nicht nur um politische Inhalte gehen, sondern auch darum, wie die Kandidaten als Person wahrgenommen werden. Joe Biden kann auf eine breite Unterstützung der jüdischen Wähler zählen oder auch der schwarzen Evangelikalen, die traditionell Demokraten wählen. Die Mehrheit der weißen Evangelikalen wird er nicht gewinnen können, bei den Katholiken wird es knapp – aber schon einige Prozentpunkte bei diesen Bevölkerungs-Gruppen in den entscheidenden Staaten könnten ihm enorm helfen, sagt David Gibson von der Fordham University.
"Die Stimmen der religiösen Wähler sind sehr wichtig. Sie könnten die gesamte Wahl entscheiden. Das funktioniert auf zwei Ebenen: Die eine: spezielle Wählergruppen gezielt anzusprechen, seien es weiße Evangelikale oder katholische Latinos. Die andere: zu signalisieren, dass Demokraten dem Glauben positiv gegenüberstehen und auch religiöse Menschen sind. Joe Biden muss als religiöse Person wahrgenommen werden. Wenn er es schafft, das zu kommunizieren, kann er die Wahl gewinnen."