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Religion im Wahlkampf, Teil 3: kulturelle Identität
Von Burka bis Schächten

Religiöse Riten, Symbole und Traditionen sind immer wieder Gegenstand der politischen und rechtlichen Auseinandersetzung. Die Debatten rund um die Burka oder den Sonntagsschutz bewegen viele Deutsche. Aber wie reagieren Religionspolitiker und Parteiprogramme auf religiöse Alltagskonflikte?

Von Burkhard Schäfers |
    Eine Frau in einer Burka geht am Freitag (25.07.2008) über den Odeonsplatz in München (Oberbayern).
    "Die religionspolitische Lage ist kompliziert, es brechen viele schwer zu entscheidende normative Fragen auf." - ein ausblutendes Schaf bei einer Schächtung (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
    Ein ganzes Kapitel ihres Wahlprogramms widmet die AfD dem Islam. Auf zwei Seiten werden Begriffe aneinandergereiht wie Scharia, Parallelgesellschaften, Polygamie, Minarett und Muezzin-Ruf, Burka und Niqab. Die übrigen Parteien bringe das in eine komplizierte Lage, analysiert Ulrich Willems, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster. Deshalb würden sie die Religion aus dem Wahlkampf eher heraushalten.
    "Da ist mein Eindruck, dass dieses Thema eine deutlich geringere Rolle gespielt hat als ich erwartet hätte. Das hat damit zu tun, dass die anderen Parteien wissen, dass je stärker dieses Thema des Islams auf die Wahlkampf-Agenda gerät, dass tendenziell am ehesten davon die AfD profitiert."
    Ein sachlicher Diskurs ist vonnöten
    Dass die Parteien Fragen des religiösen Alltags, von Kultur und Identität umgehen, hält Willems für die falsche Strategie. Denn dabei gehe es nicht allein um den Islam, sondern insgesamt um das Zusammenleben von Kirchenmitgliedern, Konfessionslosen und religiösen Minderheiten in einer zunehmend pluralen Gesellschaft. Wo unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinanderprallen, seien Konflikte programmiert. Deshalb plädiert der Politologe für einen grundlegenden, sachlichen Diskurs über strittige Themen.
    "Das Wichtigste wäre, dass wir überhaupt eine öffentliche Debatte über diese Fragen haben. Denn das Problem der zurückliegenden Debatten - denken Sie etwa an die Debatte über die Beschneidung - war, dass dann darüber diskutiert wurde, als es einen Konfliktfall gab. Das sind keine guten Voraussetzungen, um über die Abwägungen dieser schwierigen normativen Prinzipien zu beraten."
    Burka, Niqab und Kopftuch
    Ein Beispiel: die Burka. AfD und CSU fordern ein Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit. Der stellvertretende CSU-Generalsekretär Markus Blume sagt:
    "Die Burka ist die Ikone einer geschlossenen Gesellschaft. Sie ist die Ikone der Unterdrückung der Frau und nicht der Gleichberechtigung der Frau. All das sind Gründe, warum wir deutlich machen, dass die Burka nicht zu diesem Land gehört. Und dass wir alles tun werden, um im öffentlichen Raum, soweit dies möglich ist, Burka, Niqab und dergleichen zu verbieten."
    SPD, Grüne und Linkspartei hingegen wollen keine neuen Gesetze zur Burka - auch die FDP nicht, sagt deren Religionspolitiker Stefan Ruppert.
    "Ich glaube, ein Staat, der sich in Bekleidungsvorschriften einmischt, begibt sich aufs Glatteis. Bei der Burka wäre ich dafür, dass man sie nicht tragen kann etwa beim Autofahren, im Gericht oder auf der Behörde. Ein Staat, der darüber hinaus im Alltag Bekleidungsvorschriften macht, der verzettelt sich und wird auch schwächer, als er gegenüber einem religiösen Fanatismus sein müsste."
    Nach wie vor umstritten ist auch die Frage, ob muslimische Lehrerinnen und Richterinnen bei der Arbeit ein Kopftuch tragen dürfen. Gegensätzliche Auffassungen vertreten AfD und Linkspartei.
    Anette Schultner sagt: "Das ist in der Tat problematisch an einer öffentlichen Schule, weil dieses muslimische Kopftuch schon ein Zeichen und ein sehr wichtiges Symbol der Unterdrückung der Frau ist."
    Christine Buchholz sagt: "Das bedeutet erst mal, konkrete Initiativen zu starten, dass die Kopftuchverbote, wie sie jetzt zum Teil noch bestehen, dass die aufgehoben werden. Dass es eine gesellschaftliche Akzeptanz gibt für das Tragen des Kopftuchs."
    Schächtverbot: "Das ist keine Intoleranz"
    AfD-Politikerin Anette Schultner und Christine Buchholz von der Linken sind nicht nur in der Kopftuchfrage entzweit. Während die AfD ihre ablehnende Haltung zum Islam hervorhebt, versucht die Linkspartei, zugleich Konfessionslose und religiöse Menschen zu überzeugen. Jeder solle sich nach Belieben religiös kleiden können. Erstmals fordert die Linke die staatliche Anerkennung jüdischer und muslimischer Feiertage. Außerdem sagt Religionspolitikerin Buchholz:
    "Wir stehen dafür, dass Sakralbauten aller Religionen hier gebaut werden dürfen, dass Moscheen gebaut werden dürfen. Das Eintreten für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung - abstrakt sagt das ja jeder. Aber man muss auch die Frage beantworten, wo gehen wir in eine gesellschaftliche Auseinandersetzung rein und verteidigen das Recht von religiösen Minderheiten."
    Anders als bei allen anderen Parteien findet sich im Programm der AfD ein umstrittener Passus, in dem sie das Schächten verbieten will. Die Praxis des rituellen Schlachtens und Ausblutens von Tieren hat für Muslime und für Juden einen hohen Stellenwert. Anette Schultner rechtfertigt die Forderung:
    "Das ist keine Intoleranz. Schächten, es tut mir leid, ist schon häufig recht grausam. Ich kann verstehen, dass Juden bei diesem Thema sehr, sehr empfindlich sind. Man muss da versuchen, einen Kompromiss zu finden. Ich hoffe, das geht in Richtung einer Lösung des Schächtens unter Betäubung."
    "Die Parteien sind daran interessiert, solche Fragen zu vermeiden"
    Insgesamt nutzen die kleineren Parteien das Thema Religion und Kultur, um sich zu profilieren. FDP und Grünen ist die Religionskritik wichtig. Sie wollen den sogenannten Blasphemie-Paragrafen 166 streichen, der Gotteslästerung und die Beschimpfung von Bekenntnissen unter Strafe stellt. Die FDP betont die Religionsfreiheit des Einzelnen - auch gegen die Traditionen der Mehrheit. Die Grünen plädieren, mit Blick auf die wachsende Säkularisierung und religiöse Vielfalt, für Veränderungen in der Wohlfahrt sowie in der öffentlichen Gedenk- und Trauerkultur. Damit vertreten sie ein Anliegen von Organisationen, in denen sich Konfessionsfreie zusammengeschlossen haben. Und während die FDP dafür ist, dass Geschäfte künftig auch sonntags öffnen dürfen, unterstützt die Linke, so wörtlich, "den Kampf der Gewerkschaften und Kirchen für den erwerbsarbeitsfreien Sonntag".
    Diese und andere religiöse Alltagsfragen würden von Union und SPD nahezu ausgeblendet, sagt der Politikwissenschaftler Ulrich Willems.
    "Ich denke schon, dass man von Depolitisierung reden kann. Es handelt sich um kein Thema, mit dem man wirklich gewinnen kann. Die religionspolitische Lage ist sehr kompliziert geworden, es brechen viele schwierig zu entscheidende normative Fragen auf. Und es hat sich auch zu vielen dieser Fragen noch kein Konsens rausgebildet. Die Parteien sind tendenziell daran interessiert, solche schwierigen Fragen eher zu vermeiden, weil man am Ende nicht genau weiß, ob man tatsächlich die Debatte dann auch noch kontrollieren kann."