Stephanie Gebert: Viel Streit also an verschiedenen Unis zum Raum der Stille – nur ein Beispiel für die kontroversen Debatten über religiöses Leben und religiöse Symbolik an Schulen und Universitäten. Ein zweites Beispiel ist der Streit um Lehrerinnen mit Kopftuch, der inzwischen seit 20 Jahren in Deutschland geführt wird, oft begründet mit der Neutralität des Staates.
Welchen Platz räumen wir Religion überhaupt noch ein in unseren Bildungseinrichtungen, und verschiebt sich da gerade etwas grundsätzlich? Darüber sprechen wir hier in "Campus und Karriere" mit Professor Hans Michael Heinig vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen. Schönen guten Tag!
Hans Michael Heinig: Guten Tag!
Gebert: Nehmen wir mal den Lernort Uni. Ihre Beobachtung ist, der wird immer mehr zur religionsfreien Zone. Woran machen Sie das fest?
Heinig: Es gibt verschiedene Berichte, sowohl aus Studierendengemeinden, als auch von freiwilligen Initiativen, dass sie sagen, sie stellen zunehmend fest, dass religiöse Aktivitäten im Hochschulraum eine geringere Akzeptanz finden.
Gebert: Und wie drückt sich das dann aus?
Heinig: Etwa, dass eine Studierendengemeinde keinen Zugang mehr bekommt zu Räumen oder ihre Veranstaltungen nicht mehr hochschulöffentlich ankündigen darf oder selbst das Auslegen von Zetteln in der Mensa verboten wird.
Gebert: Trifft diese Zurückdrängung auf die unterschiedlichen Religionen unterschiedlich stark zu? Wie ist Ihre Beobachtung?
Heinig: Ich beobachte, dass es jedenfalls eine Unsicherheit gibt, wie man mit diesem Phänomen umgeht. Das hat zum einen mit einer allgemeinen Säkularisierung zu tun, dass Menschen eben weniger Erfahrung mit Religion haben, das zunehmend als etwas Bedrohliches erleben. Und es hat auch mit einem teils ängstlichen, teils sehr verkrampften Umgang mit den verschiedenen Facetten des Islam zu tun. Und dann sagen manche, dann lieber die Religion aus der Hochschule ganz draußen halten.
"Die Hochschule ist Spiegel der Gesellschaft"
Gebert: Sie haben jetzt gerade die allgemeine Säkularisierung angesprochen. Kirchen in Deutschland verlieren deutlich Mitglieder, an Schulen wollen Eltern lieber, dass ihre Kinder Ethikunterricht bekommen. Ist diese Entwicklung an den Hochschulen damit nicht auch die logische Konsequenz?
Heinig: Ja, die Hochschule ist Spiegel der Gesellschaft und die jetzigen Konflikte und Unsicherheiten, die uns im universitären Raum begegnen, können niemanden überraschen.
"Religion ist ein Ambivalenzphänomen"
Gebert: Und gehen wir noch einmal einen Schritt weiter. Um all diesen Streit, etwa um den Raum der Stille, über den wir ja gerade gehört haben, zu verhindern, könnten wir Religion doch komplett zur Privatsache erklären – weg mit Religionsunterricht an den Schulen, gebetet wird in Kirchen oder anderen Gotteshäusern. Und damit wären wir fein raus, an der Hochschule zumindest.
Heinig: Das könnte man so sehen, nur ergeben doch relativ viele Untersuchungen, dass man mit einem ganz streng laizistischen Ansatz nicht notwendigerweise einen sozial produktiveren Umgang an den Tag legt. Also die Konflikte bleiben dann im Rücken, sie sind unbewältigt, öffentliche Kontrolle fehlt. Religion ist ja ein Ambivalenzphänomen, es hat positive und negative Seiten. Religion einfach nur zur Privatsache zu erklären und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, scheint mir für diese Stimulierung der positiven Seiten nicht sonderlich geeignet, und auch für die Abwehr von Religion ausgehender Gefahren gibt es intelligentere Ansätze, als nur zu sagen, das ist privat.
"Auch in Frankreich gibt es nicht Schwarz und Weiß, sondern viel Grau"
Gebert: Wie ist denn dann die weltanschauliche Neutralität des Staates zu interpretieren? Die ist ja anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat gibt.
Heinig: Ja, auch in Frankreich gibt es nicht Schwarz und Weiß, sondern viel Grau, wenn man genauer hinschaut. Aber gelabelt ist es als striktes Modell der Trennung, und bei uns haben wir eher eine kooperative Tradition, das stimmt. Die religiös-weltanschauliche Neutralität betrifft den Staat, nicht die Bürgerinnen und Bürger. Das heißt eben, in dem deutschen Modell, dass die Studentinnen und Studenten schon ihre religiösen Interessen auch in die Hochschule reintragen können, das ist kein Verstoß gegen die Neutralität.
Ich als Universitätsprofessor muss neutral sein und darf niemanden diskriminieren wegen seiner Religion, aber der einzelne Student, die einzelne Studentin muss in der Hochschule nicht den Glauben ablegen. Die Hochschule dient natürlich der Wissensvermittlung und Wissensgenerierung, es geht um Forschung und Lehre primär – aber die Universität ist auch immer ein Lebensort gewesen. Wir haben Sportaktivitäten, musikalische Aktivitäten – und wenn wir wollen, dass die Uni mehr ist, als nur ein Ort der Wissenschaft, sondern auch ein Lebensort, dann gehört für viele Menschen Religion dazu, und dann muss das auch einen Ort an der Universität haben.
"Forschung und Lehre darf nicht gestört werden"
Gebert: Dann kommen wir mal ganz konkret zurück zum Raum der Stille. Welchen Umgang mit diesem Streit darum wäre denn aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg für die Hochschulen. Ein Meditationsraum, wie wir ihn an der TU Dortmund haben?
Heinig: Wir brauchen schon einen Umgang mit Religion, der zur Kenntnis nimmt, dass für manche das eher ein kulturelles Phänomen ist und für andere eine sehr ernsthafte Sache, wir Menschen sind da etwas verschieden im Umgang. Die Geschäftsgrundlage muss eine der wechselseitigen Rücksicht und Fairness sein, und der Hauptzweck der Universität, nämlich Forschung und Lehre, darf nicht gestört werden. Das muss, glaube ich, die Geschäftsgrundlage sein.
Die Universität Hamburg hat eine Charta erarbeitet, in der einige Verhaltensregeln festgehalten werden und einige Hausregeln, wie man in fairer Weise mit Religion an der Universität umgeht, und das scheint mir eigentlich ein ganz guter Weg zu sein. Zum Beispiel kann es nicht angehen, dass einfach Räume verändert werden selbstständig von Studierenden oder dass beschlossen wird, hier dürfen nur Männer jetzt rein. Das sind so Erscheinungen gewesen, die natürlich auch verstörend sind, und wo man mit rechtlichen und pädagogischen Mitteln gegenhalten muss.
Es scheint mir aber die bessere Lösung zu sein, als zu sagen, wir verbieten und verdrängen es vollständig, oder reduzieren es auf irgendeine Meditationspraxis, was ja manchen religiösen Bedürfnissen, insbesondere von muslimischen Studierenden jetzt nicht wirklich gerecht wird.
Gebert: Welchen Platz haben Religionen noch an unseren Hochschulen, darüber haben wir gesprochen mit dem Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig von der Universität Göttingen. Vielen Dank für das Gespräch!
Heinig: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.