"So wollen wir an die Arbeit gehen, ruft Ebert den Abgeordneten zu, unser großes Ziel fest vor Augen, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern".
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zitiert bei einem Festakt zu 100 Jahren Weimarer Reichsverfassung den Sozialdemokraten und Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Demokratie macht Arbeit, damals wie heute.
Als am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung beschlossen wurde, war - zumindest auf dem Papier - ein besonders anspruchsvolles Arbeitsziel erreicht: das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen wurde neu geregelt. Nach Jahrhunderten blutiger Religionskriege in Europa. Nach eineinhalb Jahrtausenden, in denen weltliche und geistliche Macht miteinander verflochten waren.
Die Verbindung von Thron und Altar hat eine lange Tradition. 380 n. Chr. wurde das Christentum Staatsreligion. Diese Verbindung blieb das gesamte Mittelalter hindurch bestehen, bis in die Neuzeit, bis ins 20. Jahrhundert. 1918 endete die Monarchie, Kaiser Wilhelm II. ging ins Exil. Damit dankte nicht nur ein weltliche Herrscher ab, sondern auch ein religiöses Oberhaupt, denn Wilhelm II. war zugleich oberster Bischof der evangelischen Kirche Preußens.
Einflussbereich begrenzen
Erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang der Monarchie setzt sich der Gedanke durch, Kirche und Staat voneinander zu trennen und den Einflussbereich der Religion zu begrenzen.
Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung: "Es besteht keine Staatskirche. Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig. Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen."
Das klingt für uns heute wenig spektakulär, doch damals ist es bahnbrechend. Nach Jahrhunderten der Bevormundung sind die Menschen nun frei, sich für oder gegen eine Konfession zu entscheiden oder ob sie überhaupt einer Religionsgemeinschaft angehören wollten.
"Freundliche" Trennung
Der Text der Weimarer Reichsverfassung ist das Ergebnis harter Auseinandersetzungen extrem unterschiedlicher Positionen. Nach dem Untergang der Monarchie hätten die Revolutionäre von 1918, wäre es allein nach ihnen gegangen, die Kirche gern mitentsorgt, galt sie doch als Unterstützer der Monarchie.
Religionsfreundliche Kräfte hingegen, allen voran die katholische Zentrumspartei, waren bestrebt, die Macht der Kirchen zu erhalten. Dazu Peter Unruh, Präsident des Landeskirchenamtes der Nordkirche:
"Und dieses Aufeinanderprallen mehr oder weniger radikaler Kräfte in der Revolutionszeit hat dazu geführt, dass die Weimarer Verfassung im sogenannten Kulturkompromiss das bestimmte religionsverfassungsrechtliche System ausgeformt hat, von dem wir heute noch guthaben."
Das Ergebnis: die sogenannte "freundliche" Trennung von Staat und Kirche, das heißt kirchliche Institutionen verschwinden nicht, sondern bekommen einen neuen Platz zugewiesen.
Ein Bespiel ist der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen. Der soll fortan von den Religionsgemeinschaften verantwortet werden, aber unter staatlicher Aufsicht stehen.
Artikel 149 der Weimarer Reichsverfassung: "Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt."
Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht wird in der Weimarer Verfassung angelegt und 1949 ins Grundgesetz übernommen.
Das Konzept sei in die Jahre gekommen, kritisiert Johann Albrecht Haupt, der sich für die Humanistische Union engagiert.
"Mir wäre es wichtig, dass nicht ein missionarisch-glaubensvermittelnder Unterricht in der Schule stattfindet, sondern ein Informationsunterricht für alle Schüler über Fragen der Religion insgesamt, sozusagen ein lebenskundlicher Unterricht, an dem alle Schüler teilnehmen und dass die Christen, wenn sie das denn wollen, zusätzlich an ihrem Glaubensunterricht teilnehmen, so wie es in der Verfassung vorgesehen ist."
"Heidenhüten"
Dass Schüler wählen müssten zwischen bekenntnisorientiertem Religionsunterricht und dem Fach Ethik, spalte die Schülerschaft.
Statt gemeinsam Werte zu lernen, würden die Gräben vertieft – zwischen den Konfessionen, aber auch zwischen den Religionen.
Aber da nun einmal bekenntnisorientierter Religionsunterricht in der Schule verfassungsrechtlich garantiert sei, sollte das Fach zusätzlich angeboten werden, nicht als Wahlmöglichkeit, meint der Jurist:
"Womit wir nicht leben müssen, ist dieses Heidenhüten, wie ich es mal genannt habe, der Nicht-Christen in einem Ethik-Unterricht, oder wie es in Niedersachsen heißt Werte- und Normenunterricht."
Der Präsident des Landeskirchenamtes der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland Peter Unruh sieht das naturgemäß anders:
"Der Religionsunterricht stellt die Frage – und versucht, konfessionsgebundene Antworten darauf zu finden –, woher der Mensch kommt, wohin er geht und wozu er da ist. Und das jeweils aus einer transzendenten, glaubenszentrierten Perspektive. Das ist wichtig für die Menschen, das kann der Staat so nicht leisten."
Staatsleistungen fliessen weiter
Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung: Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
Johann Albrecht Haupt war als Verwaltungsbeamter im niedersächsischen Kultusministerium für die Auszahlung der Staatsleistungen an die Kirchen zuständig.
Staatsleistungen meint Entschädigungsleistungen, die der Staat an die Kirchen zahlt. Die sollten, wie Artikel 138 der WRV festlegt, eigentlich abgelöst sein, also nicht mehr gezahlt werden müssen. Doch sie fließen weiter, auch 100 Jahre später.
Während Peter Unruh keiner Ablösung ohne Entschädigung zustimmt, sieht Johann Albrecht Haupt das ganz anders:
"Die Organisationen, in denen ich tätig bin, also die Humanistische Union etwa oder das Bündnis altrechtliche Staatsleistungen ablösen, abgekürzt Basta, die sind dafür, dass entschädigungsfrei abgelöst wird, und zwar deswegen, weil wir sagen: Es wird seit 100 Jahren gezahlt und ständig, jedes Jahr wird mehr gezahlt, obwohl seit 100 Jahren diese Ablösung Verfassungspflicht gewesen wäre, wenn man das rechtzeitig gemacht hätte, zur Weimarer Zeit oder spätestens zum Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Dann wären gar keine weiteren Zahlungen erfolgt. Da aber diese Zahlungen erfolgt sind, ist jetzt schon viel mehr geleistet worden als die Kirchen möglicherweise jemals verloren haben."
Haupt kritisiert auch, dass der Staat im Auftrag der Kirchen die Kirchensteuer eintreibt, denn damit werde zwangsläufig die Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte vermerkt.
"All das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil da eine solche Befugnis nicht im Grundgesetz verankert ist und die Trennung von Staat und Kirche ja damit eklatant durchbrochen wird."
Staat erkennt Religion als positives Phänomen an
"Also ich möchte nur noch mal betonen, dass der Staat mit seinem Religionsverfassungsrecht die Religion nicht nur deshalb anerkennt, weil er halt nicht anders kann, weil er nicht umhin kann, dass es dieses Phänomen gibt, sondern weil aus seiner Perspektive die Religion und die Religionsgemeinschaften Gutes tun und eben einen positiven Effekt eben auch haben, das merkt man eben an dem Phänomen Gemeinwohlorientierung, Krankenhausbetreibung, Kitabetreibung und Ähnliches. Also der Staat anerkennt die Religion als positives Phänomen als solche und nicht nur notgedrungen."
Und Johann Albrecht Haupt von der Humanistischen Union kommt trotz aller Kritik auch zu einem überraschend positiven Ergebnis:
"Also ich halte das deutsche Religionsverfassungsrecht eigentlich für gelungen. Das Religionsverfassungsrecht hat, so wie wir es in Deutschland haben, zu einem friedlichen Beieinander der Religionen in Deutschland geführt."
Ein Weimarer Religionsfrieden also. Der deutsche Glaubenskrieg wurde nicht nur, aber auch durch die Verfassung von Weimarer beigelegt.
Welcher Glaube der rechte ist und wie es der Staat mit der Religion halten soll, entfacht heute keine blutigen Konflikte mehr. Sondern allenfalls Debatten.