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Religion in Vietnam
Cao Dai als letzte Offenbarung

Zurzeit berät das vietnamesische Parlament ein neues Religionsgesetz. Die Religionsgemeinschaften im Land fürchten, ihre Freiheiten könnten weiter eingeschränkt werden. Seit 1975 haben die Behörden etwas mehr als 250 Cao Dai-Tempel beschlagnahmt oder zerstört. Cao Dai ist neben Buddhismus und Katholizismus die am weitesten verbreitete Religion des Landes.

Von Horst Blümel |
    Innenansicht des farbenprächtigen Tempels der Cao Dai-Religion in Ben Luc nahe Saigon in Vietnam. Nach Buddhismus und Katholizismus ist der Caodaismus die drittgrößte Religion des Landes. Sie enthält Elemente aus asiatischem und christlichem Glauben, seine Anhänger betrachten Armut, Nächstenliebe und Selbstlosigkeit als moralische Pflicht.
    Ein Tempel der Cao Dai-Religion in Ben Luc nahe Saigon in Vietnam: Die Anhänger des Caodaismus betrachten Armut, Nächstenliebe und Selbstlosigkeit als moralische Pflicht. (picture alliance / dpa / Christine Kokot )
    "Caodai ist eine Religion, die 1926 in Vietnam entstanden ist. Zu einer Zeit, als das Land unter französischer Kolonialherrschaft stand und die Vietnamesen dadurch eine schwere Identitätskrise erlebten. Die Menschen fragten sich, was aus der eigenen Kultur werden würde und wie man die eigene Identität bewahren konnte? Und zu dieser Zeit versprach Caodai eine große Veränderung und dass wieder Frieden im Land einkehren würde. Dies war etwas, das sich viele Vietnamesen sehnlichst wünschten."
    Sagt der Religionswissenschaftler Christopher Hartney von der University of Sydney. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Religionsgemeinschaft der Caodai. Mittlerweile gehören ihr etwa sechs Millionen Mitglieder an. Caodai-Gemeinden gibt es zum Beispiel in Amerika, Australien, Kanada und in Deutschland, jedoch leben die meisten Caodai-Anhänger in Vietnam.
    "Caodai ist hinter dem Buddhismus und dem Katholizismus die drittgrößte Glaubensgemeinschaft in Vietnam und unter den einheimischen Religionen die wichtigste. Caodai hat den Vietnamesen dazu verholfen, dem französischen Kolonialismus etwas entgegenzusetzen. Außerdem ist Tay Ninh, der Hauptsitz der Religionsgemeinschaft, nicht weit entfernt vom ehemaligen Saigon. Und das war damals eine Oase des Friedens. Caodai wirkte also wie eine Religion, die Leben rettete! Diejenigen, die sich der Religion anschlossen, konnten Zuflucht in Tay Ninh suchen und in dieser autarken Gemeinschaft leben. Dort waren sie vor den Unbilden der damaligen Zeit sicher."
    DerCaodaismus teilt die Geschichte in drei Zeiträume göttlicher Offenbarung auf. In den beiden ersten Perioden überbrachten etwa Buddha, Jesus und Mohammed die göttliche Kunde. Die Caodai sind der Überzeugung: All diese Botschaften sind verfälscht – auf Grund der menschlichen Schwäche ihrer Überbringer. Auch hält man sie für Offenbarungen von befristeter Dauer. Der Caodaismus sieht sich als das Ergebnis der letzten Offenbarung. Die Botschaften wurden und werden den Caodai nicht nur allein von Gott, sondern auch von göttlichen Wesen mitgeteilt.
    "Ein Ozean des Leidens überflutet diese Welt.
    Doch in großer Dankbarkeit wissen wir Lao Tse mit uns,
    der uns leitet bei unserer Aufgabe, den Menschen zu dienen.
    Gemäß den drei großen Lehren, die uns dazu anhalten,
    gütig und wohltätig zu sein:
    Da Konfuzius uns den Weg der Ethik und Moral gewiesen hat,
    da Buddha uns das Mitgefühl gelehrt hat,
    da die Unsterblichen uns die innere Einkehr nahelegen.
    Aus einem Stamm entspringen drei Wurzeln, die einander ergänzen und ineinander übergehen.
    Wer dies verinnerlicht hat,
    ist rein und kann in Kontakt zum Höchsten Wesen treten."
    Im Caodaismus fließen alle im Vietnam des zwanzigsten Jahrhunderts bekannten religiösen Systeme zusammen. Die Religion enthält Elemente aus dem Konfuzianismus, dem Buddhismus und dem Taoismus. Ziel des Caodai ist es, alle Religionen zu vereinen und ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu erreichen.
    Die Caodai glauben an einen Gott. Das höchste Ziel eines Caodai-Anhängers besteht darin, dem Zyklus der Wiedergeburt zu entfliehen und so die Einheit mit Gott zu erreichen. Auf dem Weg dorthin müssen die Gläubigen sich an bestimmte Gebote halten. So soll ein Caodai weder lügen noch stehlen und möglichst dem luxuriösen Leben wie der Sinnlichkeit entsagen. Auch die Verehrung der Ahnen wird als sehr wichtig erachtet. Die Priester der Glaubensgemeinschaft leben vegetarisch. Die Laien des Caodai sollen an wenigstens zehn Tagen pro Monat kein Fleisch essen.
    Wie andere Religionsgemeinschaften auch wurden die Caodai an der freien Religionsausübung gehindert, seit die Kommunisten in Vietnam die Macht übernahmen. Der Caodai-Priester Nguyen Chanh-Giao:
    "1975 begann die vietnamesische Regierung mit ihren Bestrebungen, sich unseres geistlichen Oberhauptes zu entledigen. 1979 schließlich hatte man ihn abgesetzt. Von 1995 an schleuste man regierungstreue Leute ein, die seitdem alle wichtigen Positionen innehaben."
    Mehr als zweihundertfünfzig Tempel der Caodai sind seit 1975 von der kommunistischen Regierung beschlagnahmt oder abgerissen worden. Im Moment berät die Regierung über ein neues Religionsgesetz. Die Caodai und andere Religionsgemeinschaften sehen im dem neuen Gesetz eine weitere willkürliche Einschränkung ihrer Religionsfreiheit. Künftig können religiöse Feste untersagt werden, wenn sie die öffentliche und gesellschaftliche Ordnung verletzen. Außerdem sollen Religionsgemeinschaften in Zukunft verboten werden, wenn ihnen gesetzeswidriges Verhalten vorgeworfen wird.