Kirchen, Synagogen und Moscheen sind dicht. Gebete und Gottesdienste fallen aus oder werden ins Internet verlegt. Was weltweit vielerorts galt oder gilt, ist auch in vielen Bundesstaaten der USA nicht anders.
"Hier in New York habe ich dann Bilder gemacht von St. Patrick's, aber auch von einigen großen Synagogen in Midtown, und die sind alle verrammelt und verschlossen. Also das hat schon noch mal eins draufgesetzt, wenn Sie so wollen, dass quasi solche Orte, die Gemeinschaft stiften, verrammelt waren."
Der deutsche Publizist und katholische Theologe Alexander Görlach lebt derzeit in New York. Er ist Mitglied einer Denkfabrik, genauer: Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs. Derzeit gibt es aber auch für ihn natürlich nur ein Thema: die Corona-Krise. Sie brachte die Weltstadt quasi zum Stillstand. Und was machen die New Yorker, wenn sie nicht in Kirchen, Tempel und Co dürfen, weil die "verrammelt" sind? Sie suchen sich spirituelle Alternativen für zu Hause, beobachtet Görlach. Stichwort: Meditation.
"Das Wort Meditation, das habe ich so oft noch nie gehört wie am Beginn dieser Pandemie. Weil einigen Menschen - man weiß jetzt nicht, wie viele, aber den Menschen klar ist, dass sie so eine Situation des Eingesperrt-Seins oder auch eine Situation der materiellen Not, oder gar, dass jemand in ihrer Verwandtschaft oder sie selber erkranken - da brauchen sie schon einen gewissen Unter- oder Überbau, der ihnen dabei hilft, das zu verarbeiten. Und ich denke, in so einem Zusammenhang ist Religion oder Meditation für viele Menschen hier auch ein Haltepunkt."
Die Armen trifft es am härtesten
Während Alexander Görlach seine Wohnung seit Wochen kaum noch verlässt, muss eine andere deutsche Theologin weiterhin in der Stadt unterwegs sein, wenn auch weniger als sonst: Miriam Groß. Sie ist Pastorin einer deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in New York.
"Unserer Gemeinde geht es erfreulicherweise sehr gut. Wir haben keine diagnostizierten Covid-Fälle. Da sind wir sehr sehr gesegnet und wissen auch um diesen Segen."
Die Kirche bleibt trotzdem geschlossen. Doch ausgerüstet mit Mundschutz, Handschuhen und Desinfektionsmittel fährt Miriam Groß zum Beispiel zur New Yorker Polizei. Denn dort engagiert sich die Pastorin als Seelsorgerin:
"Die Erkrankungsrate der Polizisten ist durchaus signifikant hoch, da sie sehr viel Kontakt mit anderen haben, und daher ist die Belastung auch sehr groß."
Am stärksten von der Corona-Krise betroffen seien aber die Armen, sagt Miriam Groß. Ihre Gemeinde arbeitet seit zwei Jahren mit einer Tafel zusammen. Diese Essensausgabe wird betrieben von einer liberalen jüdischen Gemeinde. Und die deutsche Pastorin hilft regelmäßig mit. Die Nachfrage sei jetzt in der Krise enorm angestiegen. Miriam Groß spricht sogar von einer Hungersnot:
"Die Hungrigen zu speisen, das ist nicht nur ein Gebot, das Jesus Christus hervorgehoben hat, sondern das im Kontext der jüdischen Traditionen auch stattfindet. Und daher vereint uns dies und macht uns zu Partnern, die versuchen, diese Hungersnot auch zu bekämpfen."
In den USA gibt es keine Kirchensteuer
Die Pastorin sorgt sich aber nicht nur um die Armen und die Hungrigen. Sondern auch um ihre eigene Kirchengemeinde und deren Finanzen.
"Die Auswirkungen der Pandemie sind ja in den USA aufgrund des reinen Kapitalismus sehr stark und teilweise sehr existentiell. Und das betrifft teilweise auch uns Kirchengemeinden. Also meine Kirchengemeinde eingeschlossen."
In den USA gibt es keine Kirchensteuer. Die Religionsgemeinschaften finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden oder Einnahmen aus Veranstaltungen oder ähnlichem. Doch jetzt, wo Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben, erhalten die Gemeinden auch weniger Spenden, weil die Mitglieder selbst nicht genug Geld haben.
"Es wird die religiöse Landschaft nachhaltig verändern. Ich gehe davon aus, dass eine ganze Reihe von Gemeinden mit dieser Pandemie mindestens ihre Existenzform verändern oder sogar schließen müssen. Und das, natürlich als Pastorin einer Gemeinde, die seit 1841 beständig ist, treibt mich das natürlich in Sorge um."
Die deutsche Gemeinde in New York erhält zwar auch ein wenig Unterstützung von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Aber sie ist auch angewiesen auf Einnahmen aus der Vermietung ihrer Kirche an externe Veranstalter. Und das fällt derzeit komplett weg.
"Das zerrt an uns und bereitet mir durchaus etwas Sorge, wie es mit unserer Gemeinde weitergeht. Aber wissen Sie, wenn ich als Pastorin meiner Gemeinde den Mut sinken lasse und existentiell die Weiterführung unserer Gemeinde in Frage stelle, dann glaube ich, wäre ich an diesem Ort nicht richtig."
"Jetzt brauche ich auch nicht mehr zu gehen"
Die evangelische Pastorin versucht also, positiv zu bleiben – trotz der Krise und der vielen Probleme. Derzeit vermutet ja auch so mancher, dass die Menschen sich durch die Krise wieder stärker der Religion zuwenden werden – dass die Gemeinden also nicht um ihre Existenz fürchten müssen. Der katholische Theologe Alexander Görlach allerdings ist da skeptischer:
"Ich kann mir auch vorstellen, dass es den einen oder anderen gibt, der dann sagt: Na ja, jetzt bin ich sechs Wochen nicht zur Kirche gegangen, jetzt brauche ich auch gar nicht mehr zu gehen. Also das heißt, es kann auch einen umgekehrten Effekt stiften. Und die Kirchen oder die Personen, die in den Religionsgemeinschaften arbeiten, die wissen ja auch nicht mehr als die anderen Bürger. Das heißt also: Das Troststiften ist auch gar nicht so einfach."
Auch wenn die Corona-Krise sich in New York inzwischen wieder etwas abschwächt: Die Unsicherheit bleibt, auch für viele Religionsgemeinschaften.