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Religion und spirituelle Dimension

Professor Michael von Brück zählt unter evangelischen Theologen zu den Pionieren des buddhistisch-christlichen Dialogs. Er grenzt ausdrücklich die seriösen Formen fernöstlicher Meditation gegen die modischen Varianten im Bereich von Wellness und Esoterik ab.

Von Corinna Mühlstedt | 14.08.2013
    "Die Meditationsformen im Buddhismus sind nicht zu trennen von den grundsätzlichen kulturellen und philosophischen Ausprägungen des Buddhismus. Und man tut gut daran, sich deutlich zu machen, dass wir zunächst einmal drei Grundströmungen des Buddhismus haben, die sich historisch zu verschiedenen Zeiten entwickelt haben und die auch geografisch verschieden verteilt sind. Das eine bezeichnen wir als 'Theravada', das ist der Buddhismus, der vor allem in Südasien, in Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Kambodscha, Vietnam zu Hause ist. Dann haben wir den 'Mahayana', der sich einige Jahrhunderte nach der Lebenszeit des Buddha entwickelt hat, der in ganz Zentral- und vor allem Ost-Asien zu Hause ist, und dann den 'Vajrayana', der ein Spezifikum der Himalaya-Länder, Tibets und der Mongolei ist und Sibiriens."

    Alle drei Strömungen haben im Lauf der Jahrhunderte spezielle Formen der Meditation entwickelt, die ein hohes Maß an Konzentration und Disziplin erfordern. Einige von ihnen konnte Michael von Brück bei Studienaufenthalten in buddhistischen Klöstern Asiens vor Ort praktizieren.

    Im tibetischen Buddhismus, erläutert der Münchner Religionswissenschaftler, spielten Sinneswahrnehmungen bei der Meditation eine besondere Rolle: Eine Fülle von Klängen, Farben und Formen sollen dem Übenden helfen, in sich positive Kräfte zu aktivieren.

    "Also der Buddha wird nicht nur mit klassischen buddhistischen Bildern meditiert, sondern in seinen geistigen Ausstrahlungen: Das heißt also Klugheit, Güte, liebende Hinwendung zu allen Wesen. Und dies meditiert nun der Schüler, um sich damit zu identifizieren. Meine Erfahrung damit ist: Es ist sehr wirkungsvoll. Ich kenne viele Europäer oder auch Amerikaner, die das mit großer Hingabe und gutem Erfolg tun. Aber es setzt voraus, dass man sich davon prägen lässt und in dieser Welt lebt. Sonst ist es nur oberflächlich und führt nicht in die Tiefe, die diese Kultur herstellen will."

    Leichter zugänglich seien für Europäer manche Meditationsformen, die in südostasiatischen Ländern entstanden sind. Sie basieren weitgehend auf der ältesten buddhistischen Tradition, dem Theravada.

    "Theravada ist sehr stark monastisch geprägt: Meditation im Sinne einer gezielten Versenkung außerhalb eines Tempel-Rituals wird dort eigentlich nur von Mönchen und Frauenordensangehörigen geübt. Es ist erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, dass dort Reformbewegungen sind, die das Meditieren für Laien zugänglich gemacht haben."

    Besonderer Beliebtheit erfreut sich in westlichen Ländern derzeit die aus dem Theravada-Buddhismus hervor gegangene Vipassana- bzw. Achtsamkeitsmeditation. Ihre therapeutische, Stress reduzierende Wirkung setzt man sogar im medizinischen Bereich ein.

    "Vipassana ist eine Weiterentwicklung im 19. Jahrhundert, ausgehend von Birma, Myanmar und dann auch Thailand, die viele Elemente dieser alten Tradition aufgreift, einige ganz bewusst ausblendet. Da geht es darum, Achtsamkeit zunächst in der Körperwahrnehmung zu üben, also in einzelnen Körperbereichen, vor allem auf den Atem gestützt, und dann Achtsamkeit bei jeder Tätigkeit, bei jeder Bewegung einzuüben. Vipassana ist eine sehr strikte Form der Übung, die auch einhergeht mit einem klösterlichen Leben, mit den entsprechenden Askese-Praktiken in Bezug auf die Ernährung, die Sexualität, den Schlaf."

    Seinen eigenen spirituellen Weg fand Michael von Brück mithilfe der aus dem Mahayana-Buddhismus hervorgegangene Zen-Schule. Sie entwickelte sich vor über 1500 Jahren als buddhistische Reformbewegung in China und breitete sich bald auch in Korea und Japan aus. Ihre Anhänger suchten einen unmittelbaren Kontakt zu der absoluten Wahrheit, die in allem Seienden wirkt.

    "Zen will den ganzen Traditionsbestand von Logik, von Philosophie, von Schriften überwinden. Man will direkt zurück zur ursprünglichen Erfahrung des Buddha und tut das auf zwei Weisen: eine Konzentration des Atems und der Aufmerksamkeit – eine völlig klare und ungebrochene Sitzhaltung, bei der keinerlei körperliche Verspannungen entstehen, sondern der Körper total in sich selbst ruht."

    Michael von Brück ist ein Schüler des deutschen Jesuit- und Japan-Missionars Hugo Enomiya Lassalle, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasziniert war von der Zen-Meditation. Als einer der ersten Europäer unterzog Lassalle sich in Japan einem ausführlichen Zen-Training und erhielt eine Lehrerlaubnis. Bis zu seinem Tod 1990 setzte er alles daran, Brücken zwischen den Kulturen zu bauen und Europäern die Weisheit fernöstlicher Meditation zu erschließen. Mit seiner Hilfe erhielt Michael von Brück in einem japanischen Kloster der Rinzai-Zen-Schule eine Ausbildung.

    "Man sitzt, man atmet, man fokussiert das Bewusstsein – diese drei Ebenen. Eins geht ins andere über. Das Entscheidende ist der Alltag. Die Übung bewährt sich im Alltag in der Konzentration. Dieses völlige Im-Hier-und-Jetzt-sein, mit dem gesamten mentalen Apparat des Menschen, das ist die Übung des Zen. Und dies führt dann zu tieferen Erfahrungen des Bewusstseins, die eine Gesamt-Schau der Wirklichkeit ergeben, jenseits von unseren normalen zeitlichen und räumlichen Vorstellungen, die so etwas wie eine Erleuchtungs-Erfahrung ist."

    Heute gibt der Münchner Religionswissenschaftler sein Wissen als autorisierter Lehrer in Zen-Sessions an zahllose Schüler in und außerhalb Deutschlands weiter. Seine Kurse sind stets ausgebucht:

    "Ich habe viele Menschen in meinen Zen-Kursen, die von der Kirche enttäuscht sind, die sich von der Religion abgewandt haben, aber auch solche, die in der Kirche sind und jetzt eine individuelle Form der Spiritualität entwickeln möchten. Auf der einen Seite suchen Menschen ja nach einer tieferen Gottes-Erfahrung, nach einer inneren Gewissheit, durch eigene Erfahrung und nicht dadurch, dass sie von irgendjemand was gesagt bekommen. Auf der anderen Seite suchen die Menschen in diesen Kursen aber auch Gemeinschaft."

    Leider beobachte er innerhalb der evangelischen Kirche immer wieder Berührungsängste gegenüber der fernöstlichen Meditation, bedauert von Brück. Die Vorbehalte seien hier weitaus größer als in der katholischen Theologie mit ihrer ausgeprägten mystischen Tradition:

    "Das hat, glaube ich, zwei Gründe. Erstens den Grund, dass die evangelische Tradition sehr stark von der Gnadenlehre des Paulus, Augustinus und Luther geprägt ist. Und alles, was nicht direkt als von Gott kommend empfunden wird, als Selbsterlösung disqualifiziert wird. Und alle Mystik und Meditationsbemühungen werden oft in diese Rubrik gesteckt.
    Der zweite Grund ist, dass die evangelische Tradition ihre eigenen Wurzeln in der mittelalterlichen Mystik verdrängt und vergessen hat. Luthers großer Lehrer war unter anderem Tauler, und Tauler war Schüler von Eckhard. Und das ist heute vielen evangelischen Christen nicht klar."

    Als evangelischer Theologe weiß von Brück nur zu genau, wie einseitig seine Kirche oft auf die intellektuelle Dimension des Glaubens ausgerichtet ist, auf Wort und Predigt. Es sei höchste Zeit, hier umzudenken und die Kraft der Meditation für die evangelische Spiritualität intensiver zu erschließen.

    "Das eine vertieft das andere. Es ist wie zwei Sprachen. Man kann beide Sprachen lernen. Und wenn man mehr Sprachen als eine kennt, dann versteht man mehr. Ich glaube, dass ich durch diese Praxis tiefer in das eindringen kann, tiefer das verstehen kann, was eigentlich im christlichen Mysterium gemeint ist."