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Religion und Wirtschaftsethik
Gier ist nicht angeboren

Läuft der globalisierte Kapitalismus aus dem Ruder? Diese Frage beschäftigt auch die Religionsgemeinschaften. Viel beachtet waren die Aufrufe von Papst Franziskus, etwa seine Umweltenzyklika. Welche Impulse können Religionsgemeinschaften zu einer ethisch gedachten Wirtschaft liefern? Fragen an Karl-Heinz Brodbeck, Professor für Volkswirtschaftslehre und Vertreter einer buddhistischen Wirtschaftsethik.

Karl-Heinz Brodbeck im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Die Lehrschrift als gedrucktes Buch.
    Die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus - welche Impulse kann Glaube zu einer ethisch gedachten Wirtschaft liefern? (AFP / Vincenzo Pinto)
    Benedikt Schulz: Ebenso wie das Gebot ‚Du sollst nicht töten' eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen sagen. Diese Wirtschaft tötet." Mit diesen Worten aus seinem ersten Apostolischen Schreiben seiner Amtszeit löste Papst Franziskus einen kleinen Paukenschlag aus. Nicht nur die katholischen Kirche, auch andere Kirchen, andere Glaubensgemeinschaften haben zuletzt eine sehr viel kritischere Haltung zur Globalisierung und zum Wachstumskapitalismus der Gegenwart eingenommen – vielleicht auch deswegen, weil die Weltwirtschaft mit ihren selbst von Hochleistungsrechnern kaum zu durchschauenden Verzweigungen und Auswirkungen von immer weniger Menschen verstanden, aber von immer mehr als ungerecht empfunden wird – gerade dann erwarten viele Menschen klare Kante von ihrer Kirche. Ökonomie wird schließlich ja schon in der Bibel verhandelt – das vielleicht bekannteste Beispiel: das Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Der Herr belohnt den Knecht, der aus seinem ihm anvertrauten Vermögen den meisten Gewinn erzielt, und er bestraft denjenigen, der das Geld verbuddelt – aus heutiger Sicht würde man wohl sagen – ohne Rendite zinsfrei anlegt. Wie steht die Religion zur Wirtschaft und welche Impulse kann Glaube zu einer ethisch gedachten Wirtschaft liefern? Das möchte ich besprechen mit dem Wirtschaftsethiker Karl Heinz Brodbeck - ich grüße Sie!
    Karl-Heinz Brodbeck: Guten Tag.
    Schulz: Ich habe gerade das Gleichnis von den anvertrauten Talenten genannt. Wünscht sich Gott eine möglichst hohe Rendite?
    Brodbeck: Ich weiß nicht, was sich Gott wünscht. Da müssen wir erst einmal theologisch drüber diskutieren. Aber wenn wir das Beispiel als Beispiel nehmen, dann steckt doch da eine ganze Menge drin, die oft übersehen wird. Erstens gibt es eine Trennung von Herr und Knecht, was in einer demokratischen Gesellschaft gar nicht so selbstverständlich sein sollte. Immerhin wird ausgedrückt, dass der Herr offensichtlich sehr viel Geld hat und der Knecht wenig und vom Herrn dann das überlassen bekommt. Das erinnert uns an gewisse Phänomene der Gegenwart. Und dann, Sie haben es bereits erwähnt, muss sich – das ist die heimliche Norm darin – die Anlage verzinsen. Wir haben inzwischen gelernt, dass vielleicht noch ein ganz anderes Ideal, das der Nachhaltigkeit, also nicht des endlosen Wachstums, viel angemessener wäre. Das wurde aber gerade in diesem Gleichnis als verfehlte Haltung bestraft. Ich glaube in einer Variante sogar mit der ewigen Verdammnis. Das scheint mir doch ein falscher Impuls zu sein, der hier aus der Religion kommt.
    Schulz: Aber was sagt das denn aus über das Verhältnis von Christentum und Marktwirtschaft – eine solche Geschichte?
    Brodbeck: Ja, die ist sehr ambivalent, denn Religion ist ja nicht nur das, was in einigen ihrer überlieferten heiligen Texte steht, die sie sich untereinander auch durchaus mal widersprechen. Wenn wir die christliche Tradition betrachten, so war über viele, viele Jahrhunderte, Jahrtausende das Zinsverbot, die Verallgemeinerung des Zinsverbots aus dem Judentum, das ja nur für Juden selbst galt, von anderen durfte man Zinsen nehmen, heißt es im Alten Testament. Das hat dann die christliche Kirche generalisiert und es galt wirklich über lange Zeit als ethische Norm. Und die ist verschwunden. Da hat sich auch offensichtlich aus der theologischen Haltung her einiges getan in der katholischen Kirche, in der evangelischen Kirche etwas früher unter Calvin, so dass wir sagen können, eine eindeutige Antwort bekommen wir nicht. Was jetzt der Papst gesagt hat, was Sie zitiert haben, deutet eine Entwicklung in eine ganz andere Richtung an. Und wir haben ja auch noch das Beispiel, dass Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat. Was man so deuten könnte, in einer Gemeinschaft, die von ethischen Grundsätzen geprägt wird, also im Vorhof des Tempels sozusagen, haben Wucherer nichts verloren. Also Sie sehen, da gibt es viele Varianten der Interpretation.
    Schulz: Und wenn es so viele Varianten gibt, sollte man die Bibel für wirtschaftsethisches Verhalten überhaupt zu Rate ziehen - oder ist das ist eher sogar gefährlich?
    Brodbeck: Nun, wenn man es als Normenkatalog nimmt, dann halte ich so etwas tatsächlich für gefährlich, egal aus welcher Religion kommend. Wenn man es nimmt als Anregungen und sagt, ich hole mir einige Werthaltungen heraus, das ist meine ethische Norm, die übersetzte ich aktuell, dann ist nach meiner Auffassung überhaupt nichts dagegen zu sagen. Nur wenn man die Religion als Morallehre missversteht, dann wird die Sache schwierig. Das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein, der selten verstanden wird, dass die Ethik eigentlich etwas ist, das nicht aus einer höheren Sphäre kommen sollte, sondern dass das etwas ist, was die Menschen untereinander und ihr Verhalten regelt. Und deshalb sollten sie da auch ein Wörtchen mitreden können.
    Schulz: Wie steht es denn um andere Schriftreligionen? Was ist denn zum Beispiel mit Islam und Judentum? Gibt es da Traditionen und wie haben die sich gewandelt?
    Brodbeck: Also, im Judentum ist es ein bisschen schwierig, weil eine eigentlich jüdische Wirtschaftsethik kenne ich nicht, und wenn dann nur im Sinne der Verleumdung. Es gibt natürlich Imperative, die dort hergenommen werden aus der Thora. Da ist die Interpretation ein bisschen anders als im Christentum, aber ich sehe keine wesentliche Differenz. Ein Unterschied zum Islam: Im Islam gibt es viel stärker noch die alte Tradition des Zinsverbots, die auch praktiziert wird. Und das wird auch umgesetzt im Islamic Banking. Das ist allerdings auch – wie soll ich sagen – eher der Hochglanzprospekt. Wenn man genauer nachsieht, dann entdeckt man, dass es viele Wege gibt, das Zinsverbot da auch zu umgehen – durch Scheingeschäfte. Aber es ist zumindest als Norm noch da, oder als Idee. Im Christentum ist das völlig verschwunden - im Katholizismus etwa in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, im Bereich des Protestantismus schon sehr viel früher unter Calvin im 16., 17. Jahrhundert.
    Schulz: Es gibt ja im Christentum eben den Katholizismus und den Protestantismus – und auch da gibt es ja dieses alte Vorurteil, Protestanten sind die sparsamen, effektiven Händler, Wirtschafter und die Katholiken könnten nicht rechnen. Das ist ein Vorurteil, das diesen Sommer noch mal aus irgendwelchen Untiefen heraus gebuddelt wurde, um die wirtschaftliche Lage in Europa zu beschreiben. Was halten Sie denn davon?
    Brodbeck: Das halte ich für eine glatte Fehlinterpretation, oder eine Projektion – sagen wir mal so. Wir finden tatsächlich in der protestantischen Tradition auch eine sozial sehr engagierte Richtung, die man sonst eher dem Katholizismus zuschreibt, wo man eher sagt: Nein, da wird das Individuum, der individuelle Erfolg im Sinne der Talente, die eingangs genannt wurden, nicht so hoch geschätzt. Die Erfahrung habe ich so nicht gemacht. Ich habe mal mit dem Bischof von Klagenfurt eine längere Podiumsdiskussion geführt, und da hat er genau an diesem Beispiel das sehr verteidigt und hat gesagt, Marktwirtschaft folge unmittelbar aus der Bibel und da müsse man sich dran halten und das Beispiel der Talente bringe das gerade zum Vorschein. Und das war ein Katholik, wie gesagt.
    Schulz: Sie selbst vertreten eine buddhistische Wirtschaftsethik. Für mich - jetzt mal naiv gesagt – klingt Wirtschaft und Buddhismus paradox oder irgendwie widersprüchlich. Oder?
    Brodbeck: Ja, was heißt widersprüchlich? Der Buddhismus ist in einem Bereich entstanden – anders als die abrahamitischen Religionen, der ja nicht so stark schon in Handelstraditionen eingebunden ist. Das gab es auch. Der ganz frühe Buddhismus wurde tatsächlich auch in Händlerkreisen vertreten. Aber die Fragestellung, die aus dem Handel hervorgeht, also zum Beispiel das Zinsverbot, das hat im Buddhismus eigentlich nie eine große Rolle gespielt. Sie werden in den klassischen Schriften – im Pali-Kanon – darüber auch kaum etwas finden. Also das war nicht mein Impuls. Mir ging es vor allem um die Philosophie. Der Buddhismus ist weniger eine Religion. Es gibt ja keinen Gott im Buddhismus. Es gibt im Buddhismus nur die Vorstellung, dass wir für unsere eigenen Handlungen die moralischen Konsequenzen auch zu tragen haben. Und diese Vorstellung wird systematisch entfaltet und wird auch individuell praktiziert. Und daraus kann man auch Schlussfolgerungen für die gesamte Gesellschaft ziehen. Wenn ich das vielleicht in zwei Sätzen erläutern darf.
    Schulz: Gerne. Ich wollte gerade nach den Schlussfolgerungen fragen.
    Brodbeck: Also im Buddhismus ist eine zentrale Aussage, dass unser Handeln – ja, nennen wir es mal so – vergiftet ist durch drei Gifte, nennt man das. Das sind Geistesgifte. Das sind Unwissenheit, Gier und Hass. Normal wird das individualistisch interpretiert. Man sagt: Ja, wir müssen möglichst darauf achten, dass wir nicht dumpf und unbewusst und blind dahin leben, dass wir keine Gier entfalten, keine Hass gegen andere, sondern das Gegenteil praktizieren und üben. Dafür gibt es Meditation. Aber, was ich hinzufüge, das hat eine soziale Dimension. Die Unwissenheit, das heißt das Nicht-Wissen, dass wir alle gegenseitig abhängig sind, dass wir von der Natur abhängig sind, das verstecken wir unter dem Schein des Geldes. Und das ist eine Unwissenheit, die wir alltäglich praktizieren. Wir streben individuell nach Gewinn und bemerken gar nicht, dass dieses Streben nach Geld und das Rechnen in Geld unsere Gesellschaft überhaupt erst über Märkte zusammenhält. Aus dieser Blindheit entsteht dann das Streben nach immer mehr Geld – also die berühmte Geldgier – und natürlich die Abgrenzung von unserem Ich-Territorium. Da macht man eine Eigentumsgrenze drum herum, und dann konkurrieren wir wie wild gegeneinander. Das sind die drei Schlussfolgerungen, die ich aus den Geistesgiften ziehen würde, dass man sagt: Die Blindheit, die aus dem Geldverkehr erwächst, die Geldgier und die Ellbogenmentalität, das Wettbewerbsstreben – das ist etwas, das man wirklich sehr gut aus der buddhistischen Philosophie erklären kann. Und dann kann man auch sehen, das sind eigentlich geistige Haltungen. Das ist nicht etwas, was uns angeboren ist, das ist nicht etwas, was genetisch bedingt ist, sondern das kann man ändern. Darin liegt eine große Hoffnung für die Wirtschaftsethik. Wir müssen also unsere Denkformen verändern und nicht einfach Institutionen oder auf irgendetwas hoffen, das von außen kommt.
    Schulz: Also im zukünftigen BWL- oder VWL-Studium sollte es noch mindesten einen Grundkurs Philosophie geben?
    Brodbeck: Philosophie wäre wunderbar. Das halte ich für völlig utopisch. Es gibt natürlich wirtschaftsphilosophische Lehrstühle – ich habe selber schon mit unterrichtet. Aber das ist wirklich die Ausnahme. Was man aber regelmäßig reinbringen kann, ist Wirtschaftsethik als ein Pflichtfach auch für Betriebswirte zu machen. Und dafür wächst das Verständnis.
    Schulz: Lassen Sie uns noch einmal kurz den Bogen zum Anfang schlagen. Wenn jetzt ein Papst eine Schrift veröffentlicht, die ganz klar wirtschaftskritisch ist, könnte er sich das dann gleich ganz sparen? Oder ist das ein wichtiger Impuls?
    Brodbeck: Ja – es ist ein wichtiger Impuls, also aus meiner Warte auf jeden Fall, denn so wie Wirtschaft funktioniert, funktioniert sie zunächst einmal in unseren Köpfen. Sie geht aus geistigen Haltungen hervor. Wirtschaft ist nicht etwas objektiv Unveränderbares. Wie der bekannte Ökonom Friedrich August von Hayek gesagt hat, dass die Wirtschaft – die arbeite zwar auf unserem Bewusstsein, aber wie sie das macht, das sei völlig unbewusst, und wir müssen einfach den Preisen gehorchen. Das halte ich für eine vollkommen irrige Haltung. Man kann sehr wohl Wirtschaft aus dem Bewusstsein gestalten, aus dem Diskurs gestalten. Insofern würde ich dem Papst da durchaus Recht geben, dass wir durch eine Veränderung unserer geistigen Haltung auch die ganze Wirtschaft verändern können.
    Schulz: Über Religion und die Wirtschaft und wie Wirtschaft von Religion, Philosophie und Geisteshaltung profitieren kann, darüber habe ich gesprochen mit dem Wirtschaftsethiker Karl-Heinz Brodbeck. Ganz herzlichen Dank.
    Brodbeck: Vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.