Archiv

Religionen in China
Kirche und Kommunismus

Nach dem Tod des kommunistischen Diktators Mao Zedong 1976 begann für Kirchen und Religionsgemeinschaften in China eine Zeit der Entspannung. Doch noch immer werden sie von der Kommunistischen Partei strengstens überwacht. Das erleben auch die Experten am China-Zentrum in Sankt Augustin.

Von Thomas Klatt |
Katholische Kirche in Peking, China.
In China werden Teile der Kirche vom Staat kontrolliert (imago / Kyodo News)
Martin Welling ist Ordensmann – und er ist Direktor des China-Zentrums im rheinischen St. Augustin. Mit annähernd 100.000 Bänden in der Bibliothek ermöglicht das Zentrum ein intensives Studium der chinesischen Kultur. Und Welling führt durch das kleine Museum der Steyler Missionare. Wir stehen vor einem opulenten Hausaltar:
"In China haben sehr viele Familien einen Hausaltar. Hier kommen die Seelentafeln der Verstorbenen drauf. Die Seele gehört zu der Tafel und nicht so sehr zum Körper auf dem Friedhof, der sowieso nur einmal im Jahr besucht wird. Und auf dem viereckigen Tisch darunter werden dann die Opfergaben gestellt. Und das ist der traditionelle chinesische Hausaltar."
Im China von heute wird diese Tradition, wird Religion generell, schnell zum politischen Akt, sagt Martin Welling. Je nachdem, welche Bilder etwa am Hausaltar hängen.
"Dass man in der Mitte ein größeres Bild hat zum Beispiel von der Heiligen Familie, und links und rechts sind chinesische Sprüche. Wo man jetzt in China die Leute zwingt, den Jesus runter zu nehmen. Dafür kommt das Bild von Xi Jinping dahin. Dass die Bilder von Mao und Xi Jinping neben dem Kreuz aufgehängt werden sollten. Was sie vergessen haben, es heißt ja in der Bibel: Und er wurde zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt. Das haben die dann vergessen."
Zwischen Partei und Vatikan
Die Partei weiß vielleicht nicht alles, aber sie sehe und überwache alles. Ein Katz-und-Maus-Spiel, sagt Welling. Etwa, wenn ein Bischof seinen Fahrer mit eingeschaltetem Mobiltelefon durch die Stadt fahren lässt, um so den Verdacht abzulenken und andernorts ungestört Gespräche führen zu können. Wobei es in China zwei Arten von Bischöfen gibt: die, die von der Partei anerkannt sind und die, die die Diözesen der sogenannten Untergrundkirchen leiten.
"Es geht darum, dass in China selbst die meisten Priester, eigentlich fast alle, dem Papst treu sein wollen. Es gibt einige, die dazu in die Patriotische Vereinigung eintreten, sowohl Bischöfe als auch Priester, und damit der Kommunistischen Partei unterstehen und von ihr kontrolliert werden. Und weil diese Patriotische Vereinigung als ein Ziel hat, die Autonomie, Unabhängigkeit der katholischen Kirche in China, deshalb sagen viele Priester, nein, dann können wir dem Papst nicht treu sein. Also treten wir dort nicht ein. Und viele dieser Priester und Bischöfe der Untergrundkirche sind auch ziemlich verfolgt worden. Und dann ist im Vatikan eine Angst davor, gibt es ein Schisma in der Kirche."
Oder ist das Schisma, also die Trennung, längst eingetreten? Oder gibt es in China doch nur eine katholische Kirche, wenn auch in zweierlei Gestalt? Der Vatikan selbst unterhält seit Jahrzehnten keine offiziellen Beziehungen zu Peking. 2018 aber wurde ein vorläufiges Abkommen über die Weihe von Bischöfen getroffen, das jetzt im Oktober 2020 verlängert wurde. Der genaue Wortlaut ist geheim. Nur so viel ist klar: Sieben offizielle, vom Staat ernannte Bischöfe wurden vom Vatikan anerkannt. Dagegen stehen 30 Diözesen, denen Untergrund-Bischöfe vorstehen.
Punktsystem für staatstragendes Verhalten
In vielen Diözesen gibt es Parallelstrukturen: hier die Untergrund-Kirchen, dort die staatlich anerkannten Kirchen. 30 bis 40 Bischofssitze sind vakant. Dort droht die Zwangsbesetzung durch die kommunistische Partei. Die Weihe würde dann auf kirchenrechtlich nicht legitime Weise vollzogen. Und es ist völlig unklar, ob der Papst ein Veto hat:
"Und das regelt wie Bischöfe auserwählt, bestimmt und dann später geweiht werden. Sehr stark nach den Vorschriften der chinesischen Behörden. Manche sagen, der Vatikan habe ein Vetorecht und China hat dem nie öffentlich zugestimmt."
Religionen in China - Angst vor Gott?
Eigentlich herrscht in China Religionsfreiheit. Aber die Volksrepublik geht systematisch gegen Religionen vor. Vor allem Muslime und Christen bekommen das zu spüren. Ihr Eindruck: Es wird immer schlimmer.
Dabei lobt die Partei durchaus die Arbeit der Kirchen, wenn es etwa darum geht, die Pandemie zu bekämpfen oder sich gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen. Oder wenn Christen sonst etwas Gutes tun. Da unterliege jeder Bürger einem rigiden Punktesystem:
"Wer sich gut um seine Eltern kümmert. Wer die oft genug besucht. Wer sich ansonsten um Arme kümmert, der kriegt Extra-Punkte dazu, ja. Man tut was für die Bildung oder man tut was fürs Vaterland. Also da ist dann kein Unterschied zwischen Christ oder Nicht-Christ."
Bürgern aber, die sich nicht auf der Linie der Partei bewegen, droht Punktabzug. Etwa den nicht-registrierten Christen. Und manchmal noch mehr.
"Wenn sogenannte Untergrund-Katholiken, die an einer Heiligen Messe in einer nicht registrierten Kirche teilnehmen würden. Dann droht denen Punkteabzug. Dann droht denen eine Geldstrafe. Wenn ein Priester, der nicht angemeldet ist, nicht registriert ist, sind das so etwa 1000 Euro. Der nicht registrierte Raum, wenn das in Hotels und so weitergeht, kann das bis zu 300.000 gehen. Das wird noch nicht so oft angewandt, eher dass man die Räume versiegelt."
"Jesuiten waren Meister der chinesischen Sprache"
Das China-Zentrum St. Augustin bietet tiefe Einblicke nicht nur zur aktuellen Lage, sondern auch in die ambivalente Geschichte zwischen Europa und dem einstigen Kaiserreich. Denn das Misstrauen der Partei gegen das Christentum und gegen jede Einmischung von außen ist keine Erfindung Maos, sondern Ergebnis einer jahrhundertealten Erfahrung.
Ein Stich aus dem 19. Jahrhundert zeigt den Jesuiten Matteo Ricci mit Paul Ly, einem konvertierten Chinesen
Die Jesuiten spielten bei der Mission in China eine bedeutende Rolle (imago stock&people)
Vor rund 300 Jahren begrüßte der Kaiser die Mission. Er holte sich sogar Jesuiten als astronomische Berater an den Hof, sagt Katharina Feith, die seit über 30 Jahren im China-Zentrum arbeitet:
"Es war tatsächlich so, dass sich die Jesuiten sehr stark versuchten zu inkulturieren. Sie waren Meister in der chinesischen Sprache. Und es kam dann eben zu diesem Ritenstreit, ob man die Ahnenverehrung übernehmen dürfte als chinesischer Katholik. Da waren die Jesuiten sehr dafür; und die Dominikaner und andere haben sich dagegengestellt. Rom hat es dann verboten, und dann hat der chinesische Kaiser gesagt: Nein, dann können wir Euch nicht länger halten als Missionare."
"Das ist doch nicht Jesus"
Die Jesuiten tolerierten den chinesischen Ahnenkult, der Vatikan nicht. Der Kaiser bat darüber jahrelang um Austausch mit dem Papst. Doch der mochte dem chinesischen Heiden nicht zuhören, geschweige denn seine Eingaben und Manifeste zur Kenntnis nehmen. Mehr als nur ein Affront. Die christliche Mission wurde daraufhin vom Kaiser verboten. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts nahm sie wieder einen Aufschwung. Wieder versuchten Missionare, sich der Kultur der Chinesen anzupassen. Mit einer eigenen Ikonographie, der "Ars Sacra Pekinensis":
"Ich habe hier eine Darstellung der Mutter Gottes ganz in chinesischer Tradition, mit chinesischer Kopfbedeckung und die Mutter Gottes in einem Mandarin-Gewand in Gelb, der Farbe des Kaisers. Das ist eine Darstellung, die die Chinesen nicht mögen. Das ist doch nicht Jesus, der ist doch viel zu chinesisch."
Der kirchliche Versuch in den 1940er-Jahren, Jesus und Maria als Chinesen darzustellen, wurde nie populär. Die heutige Forderung der Partei, die Kirchen und die Religionsgemeinschaften zu sinisieren, wird letztlich von der katholischen Basis selbst abgelehnt.
Der Ordensmann Martin Welling: "Die haben eben von klein auf diese Beziehung: eine Madonna sieht so aus wie die in Fatima. Alles andere ist keine richtige Madonna."
"Zentrale Begriffe sind unterschiedlich"
Religion und China, das ist immer auch ein Übersetzungsproblem. Die Partei erkennt offiziell fünf Religionen beziehungsweise Konfessionen an: den Daoismus, Buddhismus, Islam sowie die evangelische und die katholische Kirche. Nicht etwa das Christentum. Evangelische und Katholische als je eigene Religion. Das liegt auch an der unterschiedlichen Sprache. Etwa beim Wort "Gott".
"Ganz zentrale Begriffe sind unterschiedlich. Also die katholische Übersetzung ist Tianzhu, Herr des Himmels. Und es gibt zwei evangelische Übersetzungen. Shangdi, der Erhabene, Oberste. Und Shen, das ist so ein allgemeiner chinesischer Gottesbegriff. Und dann hat man sich auf Tschang Tschou, der Herr dort oben, geeinigt."
Exil-Uiguren in Berlin - Partei statt Gott
Der Chinese Kuerban Haiyuer gehört der muslimischen Minderheit der Uiguren an. Vor zwölf Jahren floh er aus seiner Heimat, er lebt jetzt in Berlin. Er spürt, wie sehr seine Familie in China unter Druck gesetzt wird.
Weiß Katharina Wenzel-Teuber, Sinologin und Redakteurin der hauseigenen Fachzeitschrift "China heute". Wegen der großen Unterschiede fehlt es bis heute an einer gemeinsamen Bibelübersetzung:
"Aber wo man sich nicht einigen konnte, ist der Heilige Geist, da gehen die Begriffe so weit auseinander. Da hat man jetzt beide Begriffe einfach stehen lassen, also katholisch Shengsheng, was im evangelischen Kontext für Gott benutzt wird. Deswegen passt es im evangelischen Kontext nicht. Da wird eher Sheng Ling, so eine seelische Kraft benutzt."
Die lüsterne Seite der Taube
In christlichen Kirchen Europas wiederum wird der Heilige Geist, evangelisch wie katholisch, als Taube dargestellt. Das aber sei in China heikel, sagt Martin Welling von den Steyler Missionaren:
"Da hat der Bruder von Arnold Janssen, unserem Stifter, der hat damals versucht, das durchzubekommen im Vatikan, dass man den Heiligen Geist als jungen Mann darstellen konnte. Warum? Weil die Taube das Symbol der Geilheit ist. Wenn dann auch noch gesagt wird, unter der Kraft des Heiligen Geistes hat Maria Jesus empfangen und dann im chinesischen Bereich ist die Taube, das Symbol der Geilheit, irgendwo passt das dann nicht."
Das China-Zentrum Sankt Augustin. Bei Fragen zu Geschichte und Gegenwart, Sprache und Bildern der Religionen in Fernost - fast schon ein Muss.