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Religionsgemeinschaft
Flüchtlingssituation spaltet jüdische Gemeinden

Viele Synagogengänger engagieren sich für syrische Kriegsopfer. Andere Juden haben allerdings Angst vor den muslimischen Zuwanderern, weil sie Antisemitismus importieren könnten. Vor allem bei den russischsprachigen Juden in Deutschland gibt es Furcht vor Flüchtlingen. Manche sympathisieren sogar mit AfD und Pegida.

Von Jens Rosbach |
    Blick in eine Flüchtlingsunterkunft im Rahmen des Mitzvah Day am 15.11.2015 in der Wichertstraße in Berlin
    Jüdische Gemeinden in Deutschland helfen Flüchtlingen wie hier auf dem Mitzvah Day in Berlin, andere Mitglieder sehen in der Flüchtlingssituation eine Gefahr. (picture alliance /dpa - Jörg Carstensen)
    Die kleinen Mädchen und Jungen sind begeistert. Sie fahren - auf einem sonnigen Rasenstück – Bobbycar, sie bemalen sich ihre Gesichter und sie lassen Seifenblasen in die Luft steigen. Sonntagvormittag in Berlin-Spandau: Kinderbetreuung in einer Asylunterkunft – einem Lager für Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die freiwilligen Helfer, acht zumeist junge Erwachsene, sind jedoch keine Muslime – sondern Juden.
    "Juden in Deutschland – wir sind auch eine Minderheit. Und so von einer Minderheit zur anderen Minderheit wir können einander helfen."
    "Wenn man jemand kennt, hat man weniger Angst. Wenn man niemand kennt, hat er mehr Angst vor diesen Dingen, die heißen Flüchtlinge oder Muslime oder Juden."
    Filip und Jael gehören zu einer jüdischen Initiative, die einmal pro Monat etwas Abwechslung bringt in den tristen Lager-Alltag. Filip ist 25 Jahre alt, Student und kommt aus Polen. Jael ist 32; sie stammt aus Israel und arbeitet in Deutschland für eine zionistische Organisation. Ihre Großeltern, Schoah-Überlebende aus Osteuropa, waren einst selbst Flüchtlinge. Sie haben in einem Lager für vertriebene Juden geheiratet und dort Jaels Vater zur Welt gebracht. Heute möchte die Enkelin der NS-Verfolgten anderen Flüchtlingen Mut machen.
    "Ich bin eine junge Frau und ich bin kein Opfer. Und es ist wichtig für mich, diese Idee weiter zu geben. Das Leben geht weiter und es gibt superschöne Zukunft für Euch!"
    Mit Händen und Füßen versuchen die Freiwilligen mit den Kleinen ins Gespräch zu kommen – und auch mit deren muslimischen Müttern, die Kopftücher tragen. Sie reden über die eigenen Religionen - und auch über gegenseitige Klischees.
    "Kinder sind die Zukunft. Und wenn diese Kinder in Deutschland bleiben, sie sollen anderes Bild von Juden haben – ja ganz anderes Bild wie von antisemitischem Fernsehen oder Zeitung oder Karikaturen in den Heimatländern."
    Jüdische Flüchtlingshelfer in Berlin-Mitte
    Das Engagement der jüdischen Flüchtlingshelfer stößt allerdings auch auf Kritik in ihrer Synagoge in Berlin-Mitte, Oranienburger Straße. Filip musste sich schon allerhand Vorurteile anhören von seinen Glaubensbrüdern und Schwestern.
    "Alle Muslime hassen Juden, das ist natürlich Bullshit, das ist natürlich nicht richtig. Und dass wir vielleicht nicht helfen sollen, weil sie uns nicht helfen würden. Aber das ist nicht Wahrheit. Weil ich bin total sicher, wenn es gibt eine andere Situation, die Leute würden uns helfen – ein Mensch zu einem anderen Menschen."
    Ortswechsel, Niedersachsen – in der orthodox orientierten Jüdischen Gemeinde Hannover, Haeckelstraße. 90 Prozent der rund 4.000 Mitglieder sind aus der ehemaligen Sowjetunion. Unter ihnen herrscht Skepsis gegenüber den neuen Flüchtlingen. Denn die vielen Syrer und Afghanen erhielten außerordentlich viel Aufmerksamkeit und Integrationshilfe – glauben die russischsprachigen Zuwanderer.
    "Es wurde mir gesagt: Naja, so viele Angebote auf einmal, so viele Willkommensgrüße, sage ich mal so, haben wir damals nicht gekriegt. Man vergleicht und man denkt so: Wir haben das viel schwieriger gehabt."
    Alina Fejgin leitet das Sozialreferat des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und stammt selbst aus Sankt Petersburg. Sie kennt ihre vorwiegend - älteren - Landsleute genau, die zumeist schlecht Deutsch sprechen und ihre politischen Meinungen häufig nur im privaten Kreis austauschen. Die Expertin erinnert daran, dass die ersten russischsprachigen Juden Anfang der 1990er-Jahre hierher kamen - als sogenannte Kontingentflüchtlinge. In einer Zeit, als die Sowjetunion zusammenbrach, die Wirtschaft kollabierte und es dort jede Menge Kriminalität gab.
    "Die Leute hatten Angst. Dass man zum Beispiel abends nicht rausgehen konnte. Weil man Angst hatte, beraubt zu werden. Oder getötet zu werden. Elemente von Antisemitismus waren auch deutlich. Die sind wirklich aus ängstlichen Zuständen nach Deutschland gekommen und das war ein Land der Ruhe."
    Kein Wunder, so die Sozialpädagogin, dass nun mit der großen Flüchtlingswelle Unruhe aufgekommen sei unter den russischsprachigen Juden.
    "Das ist doch klar, dass die überwiegende Mehrheit von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern gekommen waren. Und ob sie Freunde oder Feinde von Juden sind, das war abzuwarten und das ist immer noch abzuwarten."
    Nach Fejgins Angaben ist die anfängliche Skepsis teilweise in Ablehnung umgeschlagen – vor allem nach den sexuellen Übergriffen von Migranten in Köln. Seit den jüngsten, islamistischen Terroranschlägen seien Juden noch stärker beunruhigt.
    "Kurz nach 22 Uhr herrscht in Ansbach plötzlich Ausnahmezustand. Besucher eines Musikfestivals melden eine Explosion." – "Ein 17-Jähriger – bislang völlig unbescholten – attackiert mit einer Axt in einem Regionalzug bei Würzburg wahllos Menschen und verletzt diese zum Teil lebensgefährlich" – "Die Terrormiliz ISIS hat ein Bekennervideo des mutmaßlichen Axtattentäters."
    "Sicherheit ist das Thema!"
    Gemeinschaft ist hin- und hergerissen
    Auf der einen Seite: skeptische, zumeist ältere Juden aus den GUS-Ländern. Auf der anderen Seite: Jüngere, die sich in ihrer Freizeit für Flüchtlinge engagieren. Die Gemeinschaft ist hin- und hergerissen. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, spricht von zwei Herzen in seiner eigenen Brust.
    "Zwei Herzen in meiner Brust: Einerseits das Gefühl nachvollziehen zu können aus der eigenen Familiengeschichte oder gar aus dem eigenen Erleben, was es bedeutet, fliehen zu müssen. Und auf der anderen Seite eben auch zu wissen, dass Menschen zu uns kommen, die über Jahrzehnte mit juden- und israelfeindlichen Ressentiments aufgewachsen sind. Dass beide Gefühle innerhalb der jüdischen Gemeinschaft vorhanden sind, ist unbestreitbar."
    Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, verteilt im Rahmen des Mitzvah Day am 15.11.2015 in einer Flüchtlingsunterkunft Essen an die Bewohner
    Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, verteilt im Rahmen des Mitzvah Day am 15.11.2015 in einer Flüchtlingsunterkunft Essen an die Bewohner (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Schuster hat sich viel Kritik eingefangen, weil er vor rund einem Jahr – im Gespräch mit der Tageszeitung "Die Welt" – geäußert hat, man werde in der Flüchtlingsfrage, Zitat, "um Obergrenzen nicht herum kommen". Obergrenze – ein Reizwort, das eigentlich eher in CSU-Kreisen verwendet wird. Kurz nach Schusters Äußerung protestierten am Berliner Zentralratssitz rund 70 Juden gegen die Worte ihres Spitzenvertreters. Die wohl heftigste Kritik kam von Armin Langer, einem Studenten der jüdischen Theologie. Langer polemisierte vor allem dagegen, dass der Zentralratschef einen möglichen Antisemitismus der Flüchtlinge ethnisch begründet hatte.
    "Dann habe ich in einem 'taz'-Kommentar den Zentralrat der Juden als Zentralrat der rassistischen Juden bezeichnet. Dies bereue ich nachträglich, das halte ich heute für einen Fehler."
    Der angehende Rabbiner löste mit seiner Polemik einen Eklat in jüdischen Kreisen aus. Warum wählte er diese scharfen Worte?
    "Meine Großeltern waren in KZs, ihre Eltern wurden da auch umgebracht. Und ich bin als schwuler Jude in Ungarn aufgewachsen in einer Kleinstadt. Ich glaube, man kann schon denken, was ich damit meine, wenn ich sage, dass meine Familie eine Verfolgungsgeschichte hat. Und ich denke, dass besonders wir europäische Juden uns gesellschaftlich einsetzen sollten für diejenigen, die an Rassismus, an Hetze ausgesetzt sind."
    Der 26-Jährige wurde inzwischen vorübergehend von seiner Ausbildungsstätte, dem Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg, suspendiert, weil er mit seinem Rassismus-Vorwurf den "Ruf der gesamten jüdischen Gemeinschaft in diesem Land" verletzt habe. Dennoch warnt der Student und Buchautor weiterhin davor, dass sich immer mehr Juden gegen Flüchtlinge wenden könnten.
    "Ich sehe einen klaren Rechtsruck in dem jüdischen Establishment."
    Tatsächlich wird in den Gemeinden über eine mögliche Begrenzung des Flüchtlingsstromes diskutiert. Allerdings erklärt Zentralratschef Schuster inzwischen, er habe das im vergangenen Herbst etwas anders gemeint.
    "Es handelte sich mit der Aussage, dass wir früher oder später an Obergrenzen nicht vorbei kommen werden, um Überlegungen, eine Prognose – in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt um eine Forderung des Zentralrats oder meiner Person."
    Eine Prognose, keine Forderung? Waren die Worte des Zentralratschefs unglücklich gewählt? Die Medien verbreiteten jedenfalls die Nachricht: "Schuster fordert Obergrenze."
    "Ich denke, dass ich hier fehlinterpretiert wurde, ja."
    Juden aus der Ex-Sowjetunion
    Wie auch immer seine Worte gemeint waren – an der Basis verstand man sie zumeist als eine Warnung vor unbegrenzter Zuwanderung.
    "Russischsprachige Juden haben auch gesagt: Man muss zuerst die Welle verkraften, die schon da in Deutschland ist."
    Jüdische Kontingentflüchtlinge würden eine Obergrenze begrüßen - weiß Alina Fejgin vom niedersächsischen Landesverband der Jüdischen Gemeinden. Nach Angaben der Sozialpädagogin beobachten die Gemeindemitglieder mit Sorge, dass es zum Beispiel in Hannover immer weniger Mietwohnungen gibt – angeblich wegen der vielen Flüchtlinge.
    "Man soll zuerst die neuen Wohnungen schaffen, bevor die Leute aufgenommen werden. Weil die Leute monatelang in Unterkünften da sind und wir wissen nicht, welche Salafisten da sind und was für eine Propaganda gemacht wird. Deswegen haben sich die Leute mit Herrn Schuster solidarisiert."
    Alina Fejgin bilanziert: Juden aus der Ex-Sowjetunion hatten einst selbst jede Menge Integrationsprobleme - beim Deutschlernen, bei der Arbeitssuche, bei der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse. Viele leben heute von Hartz IV bzw. von der Grundsicherung im Alter. Kein Wunder, dass es etwa in der orthodox geprägten Hannoverschen Gemeinde keine Initiative gebe für syrische Kriegsflüchtlinge.
    "Die Leute denken zuerst an ihre eigene Gruppe und erst danach an andere Gruppen."
    Während die Hannoveranerin Verständnis zeigt für die Sorgen und Nöte der eigenen Gemeinschaft, gehen andere hart ins Gericht mit den eigenen Landsleuten. So erklärt die jüdische Ethnologin Alina Gromova, dass viele Migranten Vorurteile aus der Sowjet-Ära mitgebracht hätten.
    "Also Russland hat ja versucht, den Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Und dazu hat man andere Völker dämonisiert und Republiken der Sowjetunion. Und vor allem Völker im Kaukasus, Nordkaukasus waren nicht zivilisiert genug. Man hat die ganzen Attribute verwendet wie barbarisch, rückständig, bildungsfremd, gewalttätig. Also im Prinzip alle diese Etiketten, die wir heute im Zusammenhang mit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland auch kennen."
    Noch deutlicher wird die Jüdin Olga Grjasnowa. Die Autorin - bekannt durch ihren Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" – kam vor 20 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. Sie wirft ihrer eigenen Einwandergruppe Überheblichkeit gegenüber den neuen Flüchtlingen vor.
    Die in Aserbaidschan geborene Schriftstellerin Olga Grjasnowa
    Die in Aserbaidschan geborene Schriftstellerin Olga Grjasnowa (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    "Es ist auch sehr viel, was passiert, dass man sich plötzlich als weiß begreift. Als weiße Hautfarbe in der politischen Kategorie. Dass man sich plötzlich nicht mehr ganz unten auf der gesellschaftlichen Stufe befindet, sondern ein bisschen oben drüber – und endlich hat man jemanden, auf den man runterschauen kann. Davor sind auch die Juden nicht befreit. Und Rassismus ist halt etwas Menschliches leider. Und das gibt’s auch sehr viel unter Juden."
    Neben der Ethnologin Gromova und der Literatin Grjasnowa übt auch die Ex-Politikerin Marina Weisband Kritik an der Einstellung russischsprachiger Juden zu den Flüchtlingen.
    "Aus meiner Familie, aus dem Bekanntenkreis meiner Familie, die sagen: Pegida hat im Prinzip recht. Und die, die jetzt kommen, die werden unsere Gesellschaft zerstören!"
    Weisband ist 29 Jahre alt, Jüdin und stammt aus der Ukraine. Die ehemalige Piraten-Aktivistin und Bildungsexpertin hält einen Schulterschluss mit den Rechtspopulisten für gefährlich; genauso wie die Obergrenzen-Debatte.
    Marina Weisband liegt im Streit mit dem "Spiegel"
    Marina Weisban in einer Aufnahme von 2012. (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    "Dass dieses Thema hochgeschaukelt wird, dass jetzt lauter Antisemiten ins Land kommen und dass es kein Leben mehr für uns Juden hier gibt – das ist ein Ausspielen der einen Minderheit gegen die andere. Wenn jetzt jüdische Menschen mit Pegida mitmarschieren und glauben dadurch jetzt gute deutsche Bürger zu sein, die ihre eigene Sicherheit gewährleisten, sehen sie nicht, dass morgen die Pegida gegen sie marschieren wird."
    Zentralrat der Juden in Deutschland sieht Gefahr von Antisemitismus, aber mahnte auch
    Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ist alarmiert. Das Spitzengremium sieht zwar die Gefahr, dass es durch die Flüchtlinge mehr Antisemitismus geben könnte. Gleichzeitig warnt der Zentralrat aber auch vor einem Zusammengehen jüdischer Kreise mit Pegida und AfD. So mahnte der Dachverband bereits im Februar in einem Rundschreiben an die Gemeinden davor, Zitat, "sich von einer antimuslimischen, hetzerischen Rhetorik der AfD umgarnen zu lassen." Der Ratspräsident Josef Schuster sieht dafür gute Gründe.
    "Wir haben erlebt, dass seitens rechtspopulistischer Strukturen – auch der AfD – versucht wurde, auf Stimmenfang zu gehen innerhalb der jüdischen Gemeinde. Insbesondere bei denen, die in den letzten Jahren, Jahrzehnten, aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind. Und hier war es uns ein Anliegen klarzumachen, wie wir, der Zentralrat, die AfD sieht."
    "Die AfD sieht sich als Familienpartei. Wir wollen kostenfreie Kindergartenplätze, um unser Land kinderfreundlicher zu machen. Wir müssen endlich unsere Polizei stärken und nicht weiter abbauen wie in den letzten Jahren. Und: Wir müssen in Berlin unbedingt darauf drängen, dass die unkontrollierte Massenzuwanderung auch angesichts des islamistischen Terrors endlich ein Ende hat."
    Der Populismus der AfD, wie in dieser Wahlwerbung, beunruhigt den Zentralrat der Juden. Sein Hauptproblem ist die AfD in Baden-Württemberg. Denn dort kandidierten bei der Landtagswahl im März auch zwei Juden für die islamfeindliche Partei, allerdings vergeblich. Einer von ihnen ist Wolfgang Fuhl, Sprecher der AfD in Lörrach. Fuhl versucht, mit der Angst vor muslimischen Flüchtlingen zu punkten. Der 56-jährige Rechtspopulist erinnert im Interview an den Gaza-Krieg vor zwei Jahren.
    "Als wir große Demonstrationen hatten - große Demonstrationen in Deutschland - von Muslimen, wo gerufen wurde: Juden ins Gas! Und wir haben hier tatsächlich ein Problem eines importierten Antisemitismus. Und das wird sich natürlich mit dieser Flüchtlingswelle und dieser Zusammensetzung der Flüchtlinge weiter verschärfen."
    Wolfgang Fuhl hat bis vor vier Jahren die Israelitische Kultusgemeinde Lörrach sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden mitgeleitet. Zeitweise saß er sogar im Direktorium des Zentralrats der Juden. Wie wurde er AfD-Politiker? Fuhl, einst Drucker und heute Abteilungsleiter in einem Textilunternehmen, war ursprünglich bei den Jusos aktiv und in der Gewerkschaft. Er erzählt, dass er mit den Jahren immer konservativer geworden sei – weil er Kinder bekommen habe und schließlich Ärger mit Behörden und Schulen.
    "Man sieht, wie sich die Zusammensetzung von Schulklassen ändert, man sieht, dass die eigenen Kinder von anderen Kindern angegangen wurden, dass Sie heute in der Schule im Prinzip wieder das Schimpfwort haben "Du Jude!" – das sind viele viele kleine Sachen."
    Für seine Parteiarbeit erntet er heute - nach eigener Aussage – mitunter Kopfschütteln in jüdischen Kreisen. Aber die russischsprachige Mehrheit, behauptet er, lobe ihn.
    "Ich treffe ja die Gemeindemitglieder auf der Straße, die drücken mich herzlich und die positiven Meldungen und Meinungen zu meinem Engagement überwiegen."
    Die Leitung der jüdischen Gemeinde in Lörrach ist hingegen irritiert von Fuhls Lagerwechsel und fürchtet um ihr Ansehen. Der AfD-Funktionär beteuert jedoch, er selbst habe noch nie Antisemitismus erfahren in seiner Partei. Und öffentliche antijüdische Entgleisungen von AfD-Politikern seien nur Einzelfälle. Der Lörracher glaubt nicht, dass die Rechtspopulisten ihn als jüdisches Aushängeschild benutzen könnten.
    "Mhhh – machen Sie sich keine Sorgen, ich lasse mich nicht missbrauchen."
    Bei der niedersächsischen Kommunalwahl im vergangenen Monat hat die AfD 7,8 Prozent erhalten. In der Jüdischen Gemeinde Hannover kann man sich allerdings nicht vorstellen, dass die eigenen Mitglieder für die AfD gestimmt haben könnten – trotz der Skepsis vieler Juden gegenüber den Flüchtlingen. Alina Fejgin vom Landesverband der jüdischen Gemeinden sind bislang zwar Sympathiebekundungen für AfD-Positionen zu Ohren gekommen – aber nur einzelne.
    "Von einigen Menschen habe ich gehört: Ja, es gibt einige Punkte, aber! Wenn die nicht antisemitisch wären. Auf jeden Fall haben die Leute einen Eindruck gekriegt, dass das eine antisemitische Bewegung ist. Und das ist für mich ein Zeichen, dass diese Parteien von russischsprachigen Juden nicht unterstützt werden können."
    Wie stark die Sympathien der älteren jüdischen Zuwanderer für die Rechtspopulisten auch immer sein mögen – ihre Kinder und Enkel denken offenbar anders. Für Fejgin ist die Spaltung der jüdischen Gemeinden wegen der Flüchtlingskrise daher weniger eine Frage der Herkunft als eine der Generation.
    "Das ist auch ganz normal. Wie in der Mehrheitsgesellschaft: Je älter man wird, desto konservativer wird man. Und die Jüngeren sind weniger konservativ. Die Jüngeren haben mehr Erfahrungen in Kommunikation mit den Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Sie haben weniger Angst und deswegen haben sie viel offenere Vorstellung zum Beispiel von Flüchtlingsgruppen."
    Zurück im Flüchtlingslager Berlin-Spandau. Der jüdische Aktivist Filip und seine Mitstreiter sind seit fast einem Jahr im Einsatz, pausenlos. Immer wieder melden sich bei ihnen neue jüdische Helfer. Die Kritik an ihrem Engagement für notleidende Muslime habe abgenommen, bilanziert er. Sein ehrenamtliches Team habe sich Respekt erarbeitet bei den Skeptikern in den Synagogen.
    "Und sie sehen, wir sind nicht tot. Ich sage den Leuten immer: Okay, wenn Du Angst hast, wenn Du Sorgen hast, komm mit uns! Sieh mal selber, wie Leute in den Flüchtlingsheimen sind. Das ist nicht negativ, das ist richtig positiv!"