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Religionsgeschichte der Pyramiden

Der Leibniz-Preis gilt als die höchste Auszeichnung in der deutschen Wissenschaft. In diesem Jahr ist nur ein einziger Geisteswissenschaftler mit diesem Preis ausgezeichnet worden: Prof. Joachim Friedrich Quack, mit 44 Jahren bereits Direktor am renommierten ägyptologischen Institut der Universität Heidelberg.

Von Matthias Hennies |
    "Das hier ist ein Beispiel, wie man arbeiten kann. Hier eben ein Foto des Originals, da sieht man den antiken Text so, wie er vom antiken Schreiber geschrieben worden ist. Das ist hier im konkreten Fall früh-demotisch, demotisch ist eine spezielle Schrift des Ägyptischen."

    Das Foto zeigt ein halb zerfetztes Papyrus-Fragment, die Schriftzeichen darauf erinnern vage ans Arabische. Sie haben aber nichts damit zu tun, erklärt Joachim Quack. Er hält einen Bogen Transparent-Papier daneben: Die Umrisse des Papyrus sind präzise darauf durchgepaust, aber der Text ist nun in ägyptischen Hieroglyphen geschrieben.

    "Das ist jetzt von mir handschriftlich und positionsgerecht eingezeichnet die Umsetzung dieses Textes in Hieroglyphen, so dass das für einen heutigen wissenschaftlichen Leser leichter erschließbar ist."

    Nicht nur Hierogplyphen, sondern drei verschiedene Schriften des Ägyptischen muss man beherrschen, wenn man Spezialist für die Philologie des Alten Ägypten werden will. Und man braucht die Geduld für Puzzle mit weit über tausend Teilen. Joachim Friedrich Quack, Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg, verfügt über beides. Er rekonstruiert Texte aus Bruchstücken Jahrtausende alter, halb zerfallener Papyri und übersetzt sie. Einen geradezu sensationellen Erfolg hatte er mit dem "Buch vom Tempel": Einem zuvor unbekannten, grundlegenden Text über den Betrieb von Tempeln, der Jahrtausende lang in Gebrauch war, eine Anleitung für Baumeister, Priester und Lehrer im Reich der Pharaonen.

    Quack ist dafür um die Welt gereist. Das "Buch vom Tempel" ist zwar in der Antike vielfach abgeschrieben worden, aber keine Abschrift ist komplett erhalten - und Bruchstücke der zahlreichen Handschriften liegen verstreut in den Bibliotheken aller Herren Länder. Den entscheidenden Schritt schaffte Quack vor 15 Jahren in der Universitätsbibliothek Kopenhagen.

    "In Kopenhagen sind die Papyri damals noch alle lose in Blechkisten aufbewahrt gewesen, innerhalb der Blechkisten so'n bisschen Watte, damit's nicht anstößt und innen drin dann viele viele umgeschlagene Bögen mit säurefreiem Papier, zwischen denen dann die Fragmente lagen."

    Um zu erkennen, welche Fragmente zusammen gehörten, hat er Sprache und Inhalt, die Handschrift des Schreibers und manchmal auch die Faserstruktur des Papyrus verglichen. Musste er wirklich jedes einzelne Bruchstück selbst in die Hand nehmen?

    "Auch wenn Sie meinen, es sei nicht zu bewältigen, ich habe genau das gemacht. Als ich begonnen habe, war eigentlich Computer-mäßig noch gar nicht davon zu träumen."

    Und auch heute scheinen die Aussichten gering, dass Computer diese Arbeiten übernehmen können. An der Universität Heidelberg wollte Quack kürzlich ein Programm entwickeln lassen, das zumindest die Faserstruktur eines Papyrus automatisch erkennt, doch der Versuch scheiterte.

    Das "Buch vom Tempel" umfasst jetzt in der modernen Übersetzung rund 100 Druckseiten und hat immer noch Lücken. Einst wurde es wohl geschrieben, um die Riten im ganzen Reich des Pharao, vom oberen Nil bis zur Mittelmeerküste, zu vereinheitlichen. Heute eröffnet es detaillierte Einblicke in den religiösen Alltag des Alten Ägypten: Es beschreibt zum Beispiel, wie die Söhne der Priester auszubilden waren, die nach der Tradition einmal das Amt ihrer Väter übernehmen sollten.

    "Die Dienstanweisung für die Oberlehrer, die ist praktisch vollständig jetzt zusammengesetzt worden, der hat natürlich Unterrichtsverpflichtungen und auch eine Art von Noten-Gebung und zwar Notengebung mit Folgen. In dem Sinne nämlich, dass sich der Oberlehrer die Kinder der Priester vornehmen soll, die werden erzogen und was die dann so schreiben als Hausaufgabe oder Tests, schaut er sich an und beurteilt danach auch, wer hat es verdient, die Position seines Vaters zu bekommen."

    Zum Unterrichtsstoff zählten die religiösen Bräuche der verschiedenen Regionen Ägyptens, medizinische Texte und Zukunftsprognosen, die am Stand von Sonne und Mond abzulesen waren.

    Ein anderer Abschnitt des Buches listet Regeln für den Tempelbau auf. Das ist heute doppelt nützlich: Archäologen können mithilfe des Textes besser einordnen, was sie ausgraben - und umgekehrt hilft Philologen der Vergleich mit realen Tempeln, Unklarheiten im Text zu verstehen.

    "Die großen ägyptischen Tempel wie Edfu oder Dendera sind gar keine so schlechte Umsetzung dessen, was da beschrieben wird, helfen einem auch, den Text zu verstehen, das heißt, die Leute damals haben das einigermaßen ernst genommen. Es gibt aber auch Bereiche, die nicht so gut passen."

    Etwa wenn das Buch verlangt, dass vor einem Tempel vier offene Höfe liegen sollen, jeweils durch mächtige, viele Meter hohe Pylone unterteilt. Doch gerade in neueren Tempeln wie Edfu oder Dendera wurden nie so viele Höfe angelegt - nahm man den Text doch nicht so ernst?

    Unklar ist noch, aus welcher Zeit das "Buch vom Tempel" stammt - das Projekt ist längst nicht abgeschlossen. Weder lässt sich der Text zuverlässig datieren, noch ist er vollständig. Erst im vergangenen Sommer hat Joachim Quack zugehörige Papyrus-Fragmente in Oxford aus vergessenen Kisten geklaubt.

    Er widmet sich daneben auch anderen philologischen Problemen der Ägyptologie. Im Heidelberger Exzellenzcluster "Asien und Europa im globalen Kontext" hat er jetzt ein Projekt zur Rekonstruktion jüngerer, medizinischer Texte begonnen. In der Wissenschaft sind vor allem Texte aus der Spätzeit Ägyptens wenig erforscht worden, sagt er, als das Land bereits Teil des römischen Reiches war. Und in der Öffentlichkeit werden zwar die Funde der Archäologen bewundert, die goldenen Grabbeigaben, die Pyramiden und Tempel, aber wer weiß schon, dass zur Ägyptologie auch das endlose Puzzlen mit zerfetzten Papyrus-Fragmenten gehört?

    "Die Funde, vor allem wenn es spektakuläre Kunstobjekte sind, machen sich gut, da ist unsere Kultur inzwischen auch so weit, dass man diese Kunst lesen und verstehen kann. Mit Texten ist es erheblich schwieriger: Könnten Sie sich im Ernst vorstellen, dass man eine ganze Ausstellung mit lauter solchen Fragmenten macht und es kommt wirklich ein Besucher, der auch viel davon hat?"