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Religionskritik - wie geht das richtig?
"Es gibt zu viel Selbstbeweihräucherung von Religionen"

Religionskritik habe zu wenig Raum in öffentlichen Debatten, sagte Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland, im DLF. Sie müsse jedoch "genau und von Respekt getragen" sein. Gefährlich werde es dagegen, wenn Religionskritik als "Mittel zur Abschottung" diene, betonte der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel.

Frieder Otto Wolf und Gert Pickel im Gespräch mit Andreas Main |
    Frieder Otto Wolf, Politikwissenschaftler und Philosoph, Honorarprofessor für Philosophie an der Freien Universität Berlin; Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland und der Humanistischen Akademie Deutschland
    Frieder Otto Wolf ist Präsident des Humanistischen Verbands Deutschland (Humanistischer Verband Deutschland / Arik Platzek)
    Frieder Otto Wolf ist Philosoph, Politikwissenschaftler, Politiker und Humanist. Er arbeitet als Honorarprofessor für Philosophie an der Freien Universität Berlin.
    Gert Pickel ist ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er ist Professor für Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.
    Andreas Main: Fast alles ist erlaubt, aber ist jede Islamkritik, jede Kirchenkritik, jede Kritik an Juden sinnvoll? Diese Frage geht an einen Konfessionslosen und an einen Religionssoziologen, auch in der Hoffnung, dass die beiden vielleicht ein wenig bündeln und bilanzieren und ein Antwort auf unsere Frage finden – "wie geht Religionskritik richtig?"
    Der eine, Frieder Otto Wolf, ist Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland, sozusagen ein organisierter Religionskritiker. Gert Pickel ist Professor für Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Guten Morgen, Herr Pickel.
    Gert Pickel: Guten Morgen, Herr Main.
    Main: Und guten Morgen, Herr Wolf.
    Frieder Otto Wolf: Guten Morgen.
    Main: Frieder Otto Wolf, auch ein Religionskritiker ist hoffentlich selbstkritisch. Lassen Sie uns beginnen mit der Kritik an der Religionskritik. Was geht gar nicht?
    Wolf: Ja, ich denke, da ist es erst mal wichtig zu unterscheiden. Ich würde nicht sagen, dass ich ein organisierter Religionskritiker bin, sondern ich bin ein organisierter Religionsfreier. Und Religionsfreiheit ist nicht religionskritisch, sondern so, wie jemand, der so mit seinen Neurosen klarkommt, ohne eine Psychoanalyse zu machen, der guckt auch nicht auf die herab, die eine Psychoanalyse brauchen. Das ist ein tollkühnes Bild, aber die Religiösen sind irgendwie mit einer höheren Bindung in ihrem Leben versehen, glauben sich versehen - und wir Religionsfreien sind das nicht. Das werfen wir ihnen nicht vor. Das ist keine Kritik. Religionskritik ist was anderes.
    "Beleidigung und Diffamierung geht nicht"
    Main: Gut, dann können Sie die Frage letzten Endes gar nicht beantworten - nach Ihrer Definition. Dann geht sie an Gert Pickel. Ja, was geht gar nicht in Sachen Religionskritik? Gibt es Phänomene, wo Religionsgemeinschaften in einer Form kritisiert werden, dass es Sie gruselt?
    Pickel: Ja, das gibt es schon. Also man hat natürlich häufig auch den Grundgedanken der Beleidigung und der Diffamierung manchmal dahinter. Das ist nicht die Regel, aber das kommt vor. Und das geht nicht. Was natürlich geht, ist eine konstruktive Kritik, indem man Missstände anspricht. Und das ist ja auch so, dass … Wir reden von Religionen, die groß sind, die sehr viele Mitglieder haben. Und die haben auch sehr unterschiedliche Positionen und die müssen sich sogar wechselseitig kritisieren. Nur der Umgang sollte natürlich auf einem Boden sein, der noch vernünftig ist.

    Wolf: Ja.
    Gert Pickel ist Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.
    Gert Pickel ist Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. (imago / CommonLens)
    Main: Zu einer kritischen Auseinandersetzung gehöre es, sagte gestern aus jüdisch-agnostischer Sicht Viola Roggenkamp, dass es nicht zu vermeiden sei, dass man verletzt wird. Das gehöre einfach dazu in diesen Debatten. Es gehe darum, etwas aushalten zu müssen. Wie lernen wir das?
    Wolf: Ja, ich denke, wir lernen das dadurch, dass wir immer auch sehen, dass es auch um unsere eigene Verletzlichkeit geht. Das heißt, auch wir als Nichtreligiöse, Religionsfreie haben unsere merkwürdigen Überzeugungen, und wenn die angegriffen werden, sind wir auch verletzt. Also das gestehen wir natürlich auch den Religiösen zu. Wir denken, wir sind Autonome, aber selbstverständlich mischen wir uns auch nicht ein in die interne Religionskritik. Die Religiösen – und die Unterschiede sind ja groß.
    Ja, also zwischen den abrahamitischen Religionen und anderen gibt es ja riesige Unterschiede – sie kritisieren sich selbst intern und sie kritisieren sich gegenseitig. Das ist nicht unser Ding. Wir kritisieren sie, wenn sie in ihrer Praxis etwas tun, was wir für inakzeptabel halten. Beispiele – Burka, Beispiele – Kopftuch. Und auch da machen wir natürlich einen Unterschied zwischen der Freiheit der Frau, sich diesem zu unterwerfen und der zu kritisierenden Community, die die Frau dahin bringt, diesen Akt zu vollziehen.
    "Religionsgemeinschaften gewinnen durch Kritik ein Maß an Reflexion"
    Main: Herr Pickel, was gewinnen Religionsgemeinschaften, wenn sie selbst Kritik aushalten?
    Pickel: Ja, sie gewinnen dadurch eigentlich auch ein Maß an Reflexion. Man weiß das ja, Organisationen und Institutionen – und von denen reden wir ja eigentlich in unserem Zusammenhang – sind meistens ein wenig betriebsblind. Und Anregungen können nur über Kritik erfolgen, dass man selber nachdenkt, dass man sich anpasst, dass man überlegt, ob das, was man macht, richtig ist, und auch, dass man sich natürlich verändert.
    Wir bewegen uns in einer Welt, die sich relativ schnell verändert, gerade in den letzten 100 Jahren. Und da sind Religionen und vor allem die institutionalisierten Vertreter, wie auch Personen, die religiös sind, nicht ausgenommen. Sie müssen sich in dieser Welt bewegen. Und Kritik hilft natürlich in der Hinsicht deutlich weiter, sich genauer und richtiger anzupassen.
    "Religionskritik ist fast verschwunden aus dem Diskurs"
    Main: Sie hören im Deutschlandfunk die Sendung "Tag für Tag". In unseren Informationen aus Religion und Gesellschaft versuchen wir immer wieder, auch Positionen von Atheisten, von Konfessionsfreien zu Wort kommen zu lassen. Und doch: Viele Hörer schreiben uns, das komme zu kurz. Mal losgelöst von dieser Sendung – hat Religionskritik zu wenig Raum in öffentlichen Debatten? An Sie beide diese Frage.
    Wolf: Also ich würde schon sagen: Ja. Es gibt zu viel – sagen wir mal – Selbstbeweihräucherung von Religionen. Ich meine, ich erinnere nur an unseren unsäglichen Bischof Huber, der sagt: "Ethik ohne Gott gibt es nicht." Also ich meine, das ist natürlich eine Beleidigung der großen Mehrheit der Bevölkerung, die Gott nicht hat. Menschen können tatsächlich sich über die Grundlagen ihres Zusammenlebens verständigen und auch Böses als Solches erkennen, bekämpfen und ausgrenzen. Das können sie auch ohne eine solche transzendente Instanz.
    Pickel: Also, ich würde eigentlich auch sagen, Religionskritik hat ein bisschen wenig Raum eingenommen mittlerweile oder ist fast verschwunden ein wenig aus dem Diskurs. Das hat aber natürlich vor allem auch damit zu tun, dass gerade im Europäischen, im Westeuropäischen Religion eben nicht mehr die Bedeutung wie früher hat.
    Wir bekommen eigentlich nicht mehr Debatten, die um Religion häufig gehen, weil für viele – gerade Säkulare – ist es ja nicht so, dass die Religionskritik betreiben oder daran interessiert sind. Die interessiert Religion schlicht und einfach nicht. Und die interessiert dann die Religionskritik häufig auch nicht. Und das ist für die Kirchen eigentlich fast viel schlimmer, als wenn man kritisch diskutieren würde, wenn man gar nicht mehr drüber redet, wenn man sich dann einfach abwendet.
    "Man muss ungemein differenzieren"
    Main: Mir sagen Gesprächspartner aus Religionswissenschaft und Theologie immer wieder: "Wenn ich Kritik an bestimmten Formen von Religion äußere, dann werde ich sofort in eine Ecke gestellt." Das war im Übrigen auch der Ausgangspunkt für diese Gesprächsreihe – weil bestimmte Zeitgenossen in diesem Land Religionskritik mit Hass verbinden, unterbleibt Religionskritik zunehmend. Was halten Sie von dieser Ausgangsthese?
    Wolf: Also ich halte die für ganz falsch. Kritik bedeutet immer Unterscheidung. Und Hass unterscheidet eben nicht, sondern Hass grenzt aus, greift an, versucht zu vernichten. Das ist etwas ganz anderes als Kritik.
    Main: Ja, aber Islamkritik wird auch von bestimmten Parteien in Anspruch genommen. Und dann wird nicht mehr unterschieden, zum Beispiel die eine Islamkritik von der anderen.
    Wolf: Das ist aber antiislamische Hetze und keine Islamkritik.
    Main: Herr Pickel.
    Pickel: Ja. Das ist also in der Tat ein Hauptproblem. Das kam, glaube ich, auch diese Woche ja in den verschiedenen Gesprächen rüber. Man muss ungemein differenzieren. Es ist sehr differenziert zu betrachten. Es gibt natürlich ohne Frage eine berechtigte Islamkritik. Es gibt eine berechtigte Kritik an der katholischen Kirche oder an der evangelischen Kirche oder auch an der Religion vielleicht sogar selbst in ihrer Form.
    "Wenn Hass oder Ablehnung drin sind, wird es gefährlich"
    Aber es gibt natürlich auch etwas, was einfach nur auf Abgrenzung ausgerichtet ist. Und wir dürfen halt nicht vergessen: Religion – wir betrachten das jetzt so allgemein. Wir haben religiöse Akteure. Wir haben eben Mitglieder von Religionen. Wir haben Gemeinschaften. Wir haben ganz verschiedene Adressaten an dieser Stelle. Und für viele ist es natürlich gerade interessant, solche Abschottungen besonders stark hervorzuheben. Und die nutzen Religionskritik eigentlich nicht als Kritik, nicht als konstruktive Kritik, sondern als Mittel zur Abschottung. Und dann wird es natürlich problematisch.
    Und das ist, was Herr Wolf ja auch richtig gesagt, dann, wenn Hass oder Ablehnung nur drin sind – es geht gar nicht um die Kritik, also ums Konstruktive – dann wird es natürlich auch gefährlich.
    Wolf: Ja, da würde ich schon noch etwas einwenden. Also konstruktiv in dem Sinne, dass man genau unterscheidet, ja. Aber konstruktiv in dem Sinne, dass man am Aufbau von Religion dann beteiligt sein muss, das, nein, das muss nicht sein.
    Pickel: Das ist vollkommen richtig. Also Kritik kann ja ganz unterschiedlicher Art sein. Man hat interne Kritik natürlich. Die hatte man schon jahrhundertelang. Aber es ist auch ganz klar, es müssen sich moderne Religionen auch mit externer Kritik auseinandersetzen, die sagen, diese Vorrechte zum Beispiel, die müsst ihr schon begründen, warum ihr die habt. Und dann muss man natürlich auch begründen.
    "Übergang von einer berechtigten Kritik und einer unberechtigten ist häufig sehr fließend"
    Main: Dann vielleicht mal weniger allgemein, sondern vielleicht ein bisschen konkreter. Welche Regeln müssten wir uns alle hinter die Ohren schreiben – egal, ob wir Kirchen oder Muslime oder Juden kritisieren oder umgekehrt, was ja auch oft geschieht, wenn Islamkritiker oder Kirchenkritiker zum Teil scharf und unter der Gürtellinie kritisiert werden? Welche Regeln braucht es?
    Wolf: Ja, ich denke, das ist ganz einfach. Es muss das gleiche Recht für gleiche Kritik mit Argumenten gelten. Und das muss für alle gelten. Und es muss die gleiche Freiheit geben, Religion auszuüben oder nicht auszuüben. Das sind die beiden sozusagen elementaren Regeln. Wenn die wirklich gelten würden, ohne Diskriminierung und ohne Privilegierung, dann hätten wir ein modernes Weltanschauungsverfassungsrecht. Aber das haben wir leider noch nicht. Da ist noch einiger Weg zu gehen.
    Main: Herr Pickel.
    Pickel: Dem kann man gut zustimmen. Natürlich, gerade, wenn wir den Gedanken der Religionsfreiheit – der ja auch gerade heute noch debattiert wird im Bundestag – betrachten, dann setzt das voraus, dass für alle gleiche Rechte, gleiche Möglichkeiten und natürlich auch gleiche Pflichten vorherrschen. Es ist allerdings natürlich auch so – die Differenzierung ist hier gar nicht so einfach. Der Übergang zwischen einer – sagen wir mal – berechtigten Kritik und einer unberechtigten Kritik wird erstens von den Personen, die betroffen sind, sehr unterschiedlich gesehen und ist zweitens natürlich auch häufig sehr fließend.
    Was man wirklich vermeiden sollte, ist, dass es halt ins Persönliche geht, dass man etwas angreift oder sozusagen in einer solchen scharfen Form angreift, dass sie eben nicht mehr verhandelbar ist. Also, wenn ich jemandem unterwerfe, er ist einfach dumm, weil er dann glaubt, dann habe ich natürlich nichts gewonnen damit. Ich muss mit ihm darüber reden, warum er glaubt und sagen, das sehe ich nicht so. Und das muss ich auch sagen dürfen natürlich. Aber der andere muss auch sagen können, ich glaube aus anderen Gründen so. In dem Moment, wo ich aber sozusagen diffamiere, Dummheit, Hinterwäldlichkeit oder sonst was vorwerfe, werde ich auch keinen Erfolg haben mit Kritik. Das muss man sich auch klar sein.
    Wolf: Ja, es gibt natürlich auch dumme Religionsfreie. Das ist überhaupt keine Frage. Es gibt sogar diskriminierende, herrschaftsaffirmative und sonst wie hassenswerte Religionsfreie. Das ist auch keine Frage.
    Goebbels als Prototyp für "dumme Religionsfreie"
    Main: Jetzt nennen Sie mal ein Beispiel für "dumme Religionsfreiheit", also für solche Positionen.
    Wolf: Na ja, da fällt mir natürlich Goebbels ein.
    Main: Ja.
    Pickel: Das kann man relativ gut so sehen. Ich glaube, man muss sich klarmachen, in dem Moment, wo es also zu Identitätsabgrenzung kommt … und das sollten wir vielleicht vor Augen halten, wenn wir Religionskritik betrachten. Wir haben die intellektuelle Religionskritik. Das ist da, wo wir sagen, okay, damit können wir umgehen. Das ist, glaube ich, auf der Ebene, wo wir uns jetzt hier auch dann bewegen.
    Aber wir haben ja häufig dann auch Positionen, wo man sagt: Das darf der Islam nicht! Das darf die Kirche nicht! Das dürfen die Konfessionslosen nicht, das dürfen die Humanisten nicht! Und es wird nicht begründet. Dann haben wir es natürlich mit Problemen zu tun, die auf der identitären Ebene sind, wo man sagt, diese Gruppe, die ist nicht so wie wir und wir denken, wir sind besser. Und dann haben wir natürlich genau dieses Problem. Und das kann sich mit denselben Argumenten teilweise sogar widerspiegeln und das macht die Sache ja so schwierig.
    Wolf: Ja, da ist eine wirkliche Schwierigkeit, aber ich denke, man sollte deswegen nicht aufgeben – sozusagen den Streit um die Wahrheit. Natürlich ist man tolerant gegenüber dem Wahrheitsanspruch der anderen. Aber man ist doch von der eigenen Wahrheit überzeugt. Und das ist auch gut so.
    Medien über den Islam: "80 Prozent Negativberichterstattung"
    Main: Wenn man sich anschaut, wie beinhart zum Beispiel innerhalb der katholischen Kirche bestimmte Kreise aufeinander einprügeln oder auch wie einer unserer Gesprächspartner in dieser Woche – ein "Islamkritiker", in Anführungsstrichen – persönlich angegriffen wird, was sind die Gründe für diese Emotionalisierung aller Religionsdebatten?
    Wolf: Ich denke, das liegt daran, dass das eben Identitätsfragen sind, die da dann verunsichert werden. Und ich glaube, wenn wir dahin kommen, zu akzeptieren, dass es eben unterschiedliche religiöse, nichtreligiöse, religionsfreie Identitäten gibt, und dass die auch – sagen wir mal – unterschiedlich strukturiert sind und man unterschiedlich mit denen umgehen kann und das auch wechselseitig anerkennen kann, dann wären wir wirklich weiter.
    Main: Hat das auch etwas mit unserer Medienlandschaft zu tun aus soziologischer Sicht, Herr Pickel?
    Pickel: Ja, das ist … Es hat sicherlich zwei Begründbarkeiten. Also man muss auf der einen Seite sagen, Menschen haben natürlich irgendwie ein Gefühl von Sicherheit, das sie haben möchten bzw. suchen dieses. Und Religionen - und Zugehörigkeit zu Kollektiven überhaupt - sind etwas, was ihnen dabei weiterhilft. Und Religionen sind natürlich eins der wenigen Großkollektive, wo man relativ gut zugehörig sein kann. Und medial bedeutet das natürlich auch, dass Debatten ganz häufig vor dem Hintergrund von Kollektiväußerungen dann dargestellt werden.
    Also, wenn wir zum Beispiel Betrachtungen haben, wie über den Islam, so haben wir auch festgestellt, Medien – das muss man jetzt mal leider so sagen – haben so einen Hang zu Negativberichterstattung und beim Islam ist das sehr deutlich zu merken. Und da haben wir sozusagen 80 Prozent Negativberichterstattung – auch wenn man das vielleicht gar nicht so will – gehabt in den letzten Jahren. Das zeigen verschiedene Studien.
    Und die zeichnen natürlich ein Bild von einer Religion – dem Islam, den es in seiner Differenzierung ja gar nicht gibt. Was dazu führt, dass man natürlich Abgrenzungsstrukturen hat, die sich dann auch niederschlagen. Das sind ja die politischen Debatten, die wir auch gerade haben. Und da wird es natürlich dann auch schwierig.
    Dann wird auch gerade wiederum umgekehrt auch die berechtigte Kritik schwierig, weil man sofort eben zugeschlagen wird zu dem Bereich: "Na, das ist jetzt wieder ein Islamophober!" Und das macht die Sache ganz besonders schwierig.
    "Sich die differenzierte Realität der Varianten des Islams vor Augen führen"
    Wolf: Ich denke, man sollte da aber auch wirklich dran arbeiten. Also es gibt ja auch den Euro-Islam. Ich nenne nur den Namen "Ibn Rushd" und modernere Vertreter. Es gibt den indisch-pakistanischen, indonesischen Islam, der hier in Europa weniger bekannt ist, in Großbritannien ein bisschen mehr. Also diese Differenzierung ist ja ganz real. Und ich glaube, die Mühe, sich diese differenzierte Realität der schiitischen, sunnitischen und anderen Varianten des Islams vor Augen zu führen, ist ein erster Schritt, um zu beginnen, zu verstehen und auch dialogfähig zu sein.
    Pickel: Dem kann ich nur zustimmen an der Stelle.
    Main: Wir hatten das Spiel schon mal in dieser Sendung und es ist ein bisschen gemein, Sie damit zu überraschen. Aber bitte versuchen Sie einmal, einen Satz zu vervollständigen. Herr Wolf – "Religionskritik ist dann gut und verpufft nicht, wenn sie …"
    Wolf: … genau ist und von dem Respekt an dem Bedürfnis der Religiösen, Religion zu haben, getragen ist.
    Main: Und dann Sie, Herr Pickel, abgewandelt - "Als Muslim, als Jude oder Christ, wenn ich kritisiert werde, dann reagiere ich am besten so, dass ich …"
    Pickel: … erst nachdenke, dann antworte und dann mich mit demjenigen zusammensetze.
    Main: Religionskritik – wie geht das richtig? Zum Abschluss dieser Reihe waren das im Gespräch: Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland, danke Ihnen nach Berlin.
    Wolf: Danke.
    Main: Und der Religionssoziologe Gert Pickel, danke Ihnen nach Leipzig.
    Pickel: Danke sehr, auch Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.