Für die orthodoxen Christen in der Türkei war der 15. August ein ganz besonderer Tag. Da nämlich konnten sie erstmals seit 88 Jahren das Fest "Mariä Himmelfahrt" wieder im einst griechischen Kloster Sümela südlich von Trabzon an der Schwarzmeerküste feiern. Das Kloster wurde vor 1600 Jahren in einem 1100 Meter hohen Felsen errichtet und war bis ins 20. Jahrhundert hinein der Aufbewahrungsort einer Marienikone, die der Legende nach vom Evangelisten Lukas gemalt wurde. Nach der Gründung der Republik Türkei wurde es geschlossen und verkam zu einem großen Teil. Um so größer war das Erstaunen, als der türkische Kulturminister Ertugrul Günay einer Bitte des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios entsprach, dort einen Gottesdienst zu feiern. Das in Istanbul residierende griechisch-stämmige Oberhaupt der orthodoxen Christenheit zelebrierte höchstpersönlich die Heilige Messe und unterstrich dabei die wichtige Rolle der Heiligen Maria sowohl für die christlichen Griechen als auch für die muslimischen Türken:
"Auch der Koran ehrt sie als Prophetin und widmet ihr mehrere Seiten über ihr Leben mit großem Lob. Lasst die Heilige Maria Garantin besserer Tage sein für beide Völker. Möge diese Pilgerreise eine weitere Brücke der Kommunikation und des Vertrauens werden."
Früher – das heißt: vor der Gründung des Staates Türkei – lebten hier am Schwarzen Meer über 300.000 Pontos-Griechen, die aber durch den Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland, den der Vertrag von Lausanne 1922 besiegelte, das Land verlassen mussten. Kein Wunder, dass die Resonanz auf die Erlaubnis, nach so vielen Jahren im Klöster Sümela wieder eine Heilige Messe feiern zu dürfen, ausgesprochen groß war. An die 2000 orthodoxe Christen aus Russland, Georgien und vor allem aus Griechenland hatten sich auf den Weg an die Schwarzmeerküste gemacht und zeigten sich sehr bewegt:
"Endlich, nach mehreren Jahrzehnten und nach der Katastrophe von 1922 wird wieder die Heilige Messe ertönen im historischen Kloster von Sümela nahe Trabzon. Es ist ein historischer Moment."
"Wir gehen für das, was wir Generationen schulden. Wir pilgern zum Kloster Sümela. Diese feierliche Messe ist ein historischer Moment für beide Nationen, für die Griechen und Türken."
Die Zahl der einheimischen Christen in der Türkei ist in den vergangenen Jahrzehnten eklatant zurückgegangen. Immer wieder waren sie Repressionen ausgesetzt wie beispielsweise bei den Pogromen im September 1955, als Häuser von Griechen und Armeniern verwüstet wurden, weil Christen angeblich einen Anschlag auf das Geburtshaus von Staatsgründer Atatürk in Thessaloniki verübt hatten. So lebten vor 90 Jahren, als die Türkei gegründet wurde, noch allein rund 120.000 Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul. Heute ist die Gesamtzahl der Christen nicht einmal so hoch - wie dieses Mitglied der syrisch-orthodoxen Kirche sagt:
"Soweit ich weiß ungefähr 2000 Familien Griechen, 60.000 bis 70.000 Armenier und 8000 bis 9000 Syrianis, also Assyrer, und vielleicht noch 1000 andere Christen sicherlich. Und vielmehr gibt es heute nicht. Und die Auswanderungen sind jetzt zurzeit gestoppt worden, das heißt, die Leute wandern nicht mehr aus, das ist ein Kern geworden hier, die hier bleiben, zu dem sie sich entschieden haben, und man muss eben mit diese Anzahl hier weiterleben."
Auffällig und für manchen Europäer vielleicht widersprüchlich ist, dass sich die Situation der christlichen Minderheiten am Bosporus zu verbessern scheint, seitdem in der Türkei eine Partei regiert, die ihre Wurzeln im politischen Islam hat. Denn unter Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist ihr Spielraum größer geworden. Dies zeigt nicht nur die orthodoxe Feier zu "Mariä Himmelfahrt" im ehemals griechischen Kloster Sümela, dies belegt auch die große symbolische Bedeutung eines Gottesdienstes in der Osttürkei. Am 19. September nämlich durften die armenischen Christen zum ersten Mal seit 95 Jahren eine Heilige Messe in der fast 1000-jährigen Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Aghtamar im Van-See feiern. Das Eiland galt über Jahrhunderte hin als Sitz des Katholikos der armenisch-apostolischen Kirche.
An die 4000 Besucher aus der Türkei, Armenien, den USA und zahlreichen europäischen Ländern kamen, um dem Gottesdienst beizuwohnen - unter ihnen auch der deutsche Botschafter in Ankara. Interessant ist übrigens, dass zwei Wochen, nachdem der Gottesdienst stattfand, auf die Kuppel des Gebäudes, das nach staatsoffiziellem türkischen Verständnis ein Museum ist, ein neu angefertigtes zwei Meter hohes, schmiedeeisernes Kreuz gesetzt wurde, das zuvor ein Priester des armenisch-apostolischen Patriarchats in Istanbul eigens segnete.
Ein Novum für die Türkei. Hat also die jetzige islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan eine gewisse Öffnung gegenüber der christlichen Minderheit in der Türkei eingeleitet? Holger Nollmann, der Pfarrer der deutschen evangelischen Kreuz-Gemeinde in Istanbul, meint: "ja":
"Soweit ich das erkennen kann, gab es ähnliche Öffnungen nicht in Vorgängerregierungen. Von daher würde ich das politisch ganz klar bei der jetzigen Regierungspartei verorten. Was ich in den letzten Monaten feststelle, ist, dass diejenigen, die sich in der Türkei schon immer darum gekümmert haben, dass es hier eine kulturelle, ethnische, religiöse Vielfalt gibt, einen Aufschwung spüren. Dass sie hoffentlich berechtigte Aussichten darauf haben, dass ihr Einsatz auch politisch und staatlich gefördert wird. In den ersten Jahren war es so, dass, wenn ich Einrichtungen besucht habe, wo man sich um diese kulturelle Vielfalt kümmert, es eher in Hinterhöfen und Hinterzimmern stattfand, dass sie jetzt die Hoffnung haben, dass es auch anerkannt wird."
Dass sich in der Türkei etwa verändert hat im Umgang mit den christlichen Minderheiten, unterstreicht auch Franz Kangler. Er ist seit über 30 Jahren Priester der österreichischen katholischen Sankt-Georgs-Gemeinde in Istanbul. Er weist daraufhin:
"Dass früher viele der Probleme einfach von den Minderheiten nicht angesprochen worden sind, sondern man hat sich ruhig verhalten und man hat darüber nicht gesprochen. Während man jetzt den Mut hat, über solche Fragen zu sprechen. Es wird also zum Beispiel ein Ereignis in der türkischen Öffentlichkeit relativ frei besprochen: Das waren die Ereignisse von 1955 Anfang September, die man wirklich jetzt in der türkischen Presse von türkischer Seite ganz klar darstellt. Bei anderen ist es noch ein bisschen schwieriger. Aber dass diese Dinge begonnen haben, dass hier eine türkische Zivilgesellschaft, und zwar Türken, laizistische Türken, muslimische Türken, diese Themen aufgreifen, das ist schon eine Entwicklung."
Beachtenswert in diesem Zusammenhang sind übrigens auch die Äußerungen des Vorsitzenden des Amtes für religöse Angelegenheiten der Türkei, Ali Bardakoglu. Dieser nämlich forderte jüngst, dass die alte Kirche in Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus, wieder von einem Museum in ein christliches Gotteshaus umgewandelt werden solle. Zudem sorgte er für eine Überraschung, als er sagte, er habe nichts dagegen, wenn Christen künftig auch wieder vereinzelt Heilige Messen in der Hagia Sophia feiern würden, jener einst orthodoxen Kirche, die über Jahrhunderte hin als das größte Gotteshaus auf Erden galt, bevor es dann zur Moschee wurde und heute ein Museum ist.
Wenige Wochen zuvor hatte die türkische Regierung mit einer weiteren interessanten Offerte für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie betraf das Problem der Nachfolge des Ökumenischen Patriarchen. Dieser nämlich muss laut Verfassung türkischer Staatsbürger sein, was allerdings bei der immer kleiner werdenden Zahl der griechisch-orthodoxen Christen am Bosporus ein Problem ist, wie der Sprecher des Patriarchen, Dositheos Anagnostopoulos sagt:
"Türkische Bischöfe sind zurzeit mit dem Patriarchen zusammen 14 oder 15 und viele davon sind sehr alt. Einen jüngeren Menschen zu finden, der türkischer Staatsbürger ist, der Metropolit ist und in der Türkei lebt, wird sehr sehr schwierig sein."
Angesichts dieser prekären Situation bot die türkische Regierung nun 12 orthodoxen Bischöfen im Ausland die türkische Staatsbürgerschaft an. Damit wäre zwar nicht der Exodus der Christen gestoppt, wohl aber die Frage der Nachfolger des orthodoxen Kirchenoberhauptes entschärft. Trotz dieser leichten Entspannung allerdings gibt es nach wie vor Probleme. So wartet das Ökumenische Patriarchat nach wie vor auf die Öffnung seines 1971 geschlossenen Priesterseminars auf der Istanbul vorgelagerten Marmarameerinsel Heybeli Ada. Diese Ausbildungsstätte ist letztlich, so heißt es, eine der Hauptquellen, durch die die große christlich-orthodoxe Tradition am Bosporus gespeist wird. Zudem ist die syrisch-orthodoxe Kirche in einen dubiosen Rechtsstreit verwickelt, bei dem zu befürchten steht, dass sie gezwungen wird, einen Teil der Ländereien ihres bereits im Jahr 396 gegründeten Klosters Mor Gabriel in der südostanatolischen Provinz Mardin abzutreten. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass in den vergangenen Jahren wiederholt Christen in der Türkei umgebracht wurden. So wurde 2006 in Trabzon der katholische Priester Andrea Santoro erstochen, ein halbes Jahr später der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink in Istanbul erschossen und im Frühjahr 2008 drei Mitarbeiter eines protestantischen Verlages in Malatya ermordet. Diese Toten sind übrigens nicht – wie oft angenommen - die Folgen eines islamistischen Christenhasses, sondern die Folge des in der Türkei vielfach überzüchteten Nationalismus, wie Patriarchatssprecher Dositheos Anagnostopoulos unterstreicht:
"Mit dem Islam gibt es kein Problem. Mit dem Islam gibt es auch keine Terrorismus-Aktionen gegen uns. Gar keine. Alles, was in der Türkei terroristisch gegen die Christen geschah, und es geschah einiges, Sie wissen es, das ist eigentlich ein maskierter Ultranationalismus."
Gerade diese Aussage scheint wichtig zu sein. Denn vielfach werden aus mitteleuropäischer Sicht die Schwierigkeiten der Christen in der Türkei irrtümlich einem militanten Islam angelastet, den es so im Land gar nicht gibt. Gleichwohl sind die angesprochenen Probleme weiterhin vorhanden. Denn Christen werden am Bosporus vielfach noch immer als Bürger zweiter Klasse angesehen und entsprechend behandelt. Es sind weder Christen in hohen wirtschaftlichen und politischen Positionen zu finden noch im Parlament – was um so eklatanter ist, da beispielsweise in der benachbarten Islamischen Republik Iran die Christen nicht nur laut Verfassung einen offiziellen Minderheitenstatus haben, sondern auch drei Vertreter ins Abgeordnetenhaus schicken. Hinzu kommt der nach wie vor schwierige Rechtsstatus der Christen in der Türkei.
Kein Wunder, dass Holger Nollmann, Pfarrer der deutschen Gemeinde in Istanbul, bei der Frage nach seinem größten Wunsch, gar nicht lange überlegt:
"Wir wollen juristische Person sein, also zum Beispiel können wir kein Konto eröffnen, weil um ein Konto zu eröffnen muss man juristische Person sein. Das sind wir nicht. Wir existieren nicht. Wir haben hier ein großes Gebäude, ein großes Gelände, haben das seit über 150 Jahren. Die Gemeinde existiert seit 1843. Aber im Grundbuch der Stadt Istanbul ist dieses Gebäude und Gelände natürlich eingetragen, aber in der Spalte der Eigentümer, da steht nichts. Weil es diese evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei eben juristisch gar nicht gibt."
Es bleibt also eine eigentümliche Diskrepanz: In der Türkei – so scheint es - wird zwar niemand daran gehindert, seinen persönlichen Glauben leben zu können. Gleichzeitig aber wird eine volle Religionsfreiheit nicht gewährleistet. Für Ankara beibt also auf dem Weg zur angestrebten Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union noch einiges zu tun. Entsprechend forderte jüngst Bundesinnenminister Thomas De Maiziere bei seinem Türkeibesuch:
"Eine vollständig diskriminierungsfreie Betätigung jeder Form von Religionsausübung. Dazu gehört nicht nur die individuelle Religionsausübung, sondern dazu gehört auch die institutionelle Religionsausübung: Die Gründung von Kirchen, der Bau von Kirchen, Religionsunterricht, interreligiöser Dialog, Eigentümer sein zu dürfen von Liegen-schaften, all das muss selbstverständlich sein für Staaten, die zur europäischen Familie gehören wollen."
Dennoch räumte auch der Bundesinnenminister ein, dass sich in der Türkei für die Christen zu Zeit etwas bewegt und zwar zum Positiven:
"Nun, alle Gesprächspartner haben gesagt, dass es Fortschritte gibt. Allerdings wünschen wir uns, dass dann auch Taten folgen, etwa ist die Öffnung des Priesterseminars, genau genommen, die Wiederöffnung des Priesterseminars – etwas, was sehr lange auf dem Weg einer Entscheidung ist. Und ich würde mich freuen, wenn es jetzt auch bald zu einer positiven Entscheidung dann auch tatsächlich kommt. Also Fortschritte ja, aber es könnten weitere Fortschritte kommen."
Es mag das Bestreben des Ministers gewesen sein, der immer kleiner werdenden griechisch-orthodoxen Minderheit am Bosporus den Rücken zu stärken, indem er den Fall des seit fast 40 Jahren geschlossen Priesterseminars noch einmal dezidiert erwähnte. Denn das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel – wie es offiziell heißt – hat bis jetzt in der Tat lange vergeblich für eine Wiedereröffnung gekämpft. Jetzt aber scheint selbst in diese nicht ganz unkomplizierte Materie Bewegung zu kommen. So haben mittlerweile nicht nur zahlreiche Zeitungen davon geschrieben, dass eine Wiedereröffnung bevorstehen könnte. Auch Patriarchatssprecher Dositheos Anagnostopoulos hebt hervor:
"Bis jetzt hat man immer wieder ganz theoretisch, unkonkret gesagt, 'es wird geöffnet, es wird geöffnet'. Diesmal sucht man eine Form, wie diese Schule wieder in Betrieb genommen werden kann. Das heißt also: Das erste Mal macht man sich ernsthaft Gedanken darüber."
Anagnostopoulos weiß sogar einen Gewährsmann zu zitieren, sodass die Hoffnung auf eine Wiedereröffnung berechtigt zu sein scheint:
"Neulich hat der Obermufti der Stadt Istanbul gesagt: In meiner Aufgabe als Hauptpriester des Islams und Professor der Theologie sage ich Ihnen, dass ich bin dafür, dass diese Schule wieder eröffnet wird. Das hat also eine berühmte Persönlichkeit des Islams gesagt, und ich bin sehr dankbar."
Dennoch bleibt für den Beobachter aus Mitteleuropa etwas, das ihm schwerfällt zu verstehen – nämlich, dass es gerade die dezidiert islamisch geprägte Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist, unter der die christlichen Kirchen wieder mehr Spielraum bekommen. Denn bislang ging man stets davon aus, dass dies eher ein Anliegen von Laizisten war. Dennoch ist das scheinbar paradoxe Bild durchaus erklärbar, sagt Franz Kangler, der Priester der österreichischen katholischen Gemeinde von Istanbul:
"Ich glaube, man muss sehen, dass die Situation der christlichen Minderheiten einfach eingebettet ist in die Frage, welche Rolle die Religion grundsätzlich im laizistischen türkischen Staat spielt. Und das ist ja eigentlich das Anlegen der Regierung Erdogan, dass sie hier einen größeren Spielraum eröffnen möchte und von daher kommend, glaube ich, sind auch Ansätze da, dass man dann gerade im Kontext mit christlichen Gruppen Möglichkeiten erschließt, die vorher eigentlich undenkbar gewesen sind."
Unter dem Strich jedenfalls gilt es festzuhalten, dass sich die Situation der Christen am Bosporus zum Besseren wendet – zumal am jetzigen Donnerstag der Bundespräsident bei seinem Türkeibesuch sogar in der Stadt Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus, einen Gottesdienst hält und zwar nicht nur mit deutschen Katholiken und Protestanten, sondern auch mit einheimischen Vertretern der christlichen Griechen, Armenier und Syrer. Entsprechend zieht Pfarrer Holger Nollmann, der die Andacht in der alten Paulus-Kirche gestalten wird, folgendes Resümee.
"Wir haben ja seit Antritt der AKP-Regierung vor inzwischen acht Jahren eine Reihe von Reformvorhaben erleben können, die darauf gerichtet waren, die Situation der christlichen Minderheiten zu verbessern. Nach denn ersten Jahren, in denen es sehr schnell geschehen ist, ist das ein wenig in den Hintergrund geraten, und es hängt ein wenig durch, und die Frage ist: Sind diese Reformbestrebungen weiterhin ernst gemeint, oder ist es doch nicht wirklich so gemeint gewesen wie gesagt? Die politische Analyse ist schwierig. Aber ich finde die Öffnung jetzt im Blick auf Sümela, auf Aghdamar und auch auf Tarsus zeigt, dass diese Regierung wirklich voran kommen will, die Situation der Minderheiten wirklich verbessern will. Und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entwicklung unter einer anderen Regierung als der AKP Regierung völlig undenkbar wäre."
"Auch der Koran ehrt sie als Prophetin und widmet ihr mehrere Seiten über ihr Leben mit großem Lob. Lasst die Heilige Maria Garantin besserer Tage sein für beide Völker. Möge diese Pilgerreise eine weitere Brücke der Kommunikation und des Vertrauens werden."
Früher – das heißt: vor der Gründung des Staates Türkei – lebten hier am Schwarzen Meer über 300.000 Pontos-Griechen, die aber durch den Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland, den der Vertrag von Lausanne 1922 besiegelte, das Land verlassen mussten. Kein Wunder, dass die Resonanz auf die Erlaubnis, nach so vielen Jahren im Klöster Sümela wieder eine Heilige Messe feiern zu dürfen, ausgesprochen groß war. An die 2000 orthodoxe Christen aus Russland, Georgien und vor allem aus Griechenland hatten sich auf den Weg an die Schwarzmeerküste gemacht und zeigten sich sehr bewegt:
"Endlich, nach mehreren Jahrzehnten und nach der Katastrophe von 1922 wird wieder die Heilige Messe ertönen im historischen Kloster von Sümela nahe Trabzon. Es ist ein historischer Moment."
"Wir gehen für das, was wir Generationen schulden. Wir pilgern zum Kloster Sümela. Diese feierliche Messe ist ein historischer Moment für beide Nationen, für die Griechen und Türken."
Die Zahl der einheimischen Christen in der Türkei ist in den vergangenen Jahrzehnten eklatant zurückgegangen. Immer wieder waren sie Repressionen ausgesetzt wie beispielsweise bei den Pogromen im September 1955, als Häuser von Griechen und Armeniern verwüstet wurden, weil Christen angeblich einen Anschlag auf das Geburtshaus von Staatsgründer Atatürk in Thessaloniki verübt hatten. So lebten vor 90 Jahren, als die Türkei gegründet wurde, noch allein rund 120.000 Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul. Heute ist die Gesamtzahl der Christen nicht einmal so hoch - wie dieses Mitglied der syrisch-orthodoxen Kirche sagt:
"Soweit ich weiß ungefähr 2000 Familien Griechen, 60.000 bis 70.000 Armenier und 8000 bis 9000 Syrianis, also Assyrer, und vielleicht noch 1000 andere Christen sicherlich. Und vielmehr gibt es heute nicht. Und die Auswanderungen sind jetzt zurzeit gestoppt worden, das heißt, die Leute wandern nicht mehr aus, das ist ein Kern geworden hier, die hier bleiben, zu dem sie sich entschieden haben, und man muss eben mit diese Anzahl hier weiterleben."
Auffällig und für manchen Europäer vielleicht widersprüchlich ist, dass sich die Situation der christlichen Minderheiten am Bosporus zu verbessern scheint, seitdem in der Türkei eine Partei regiert, die ihre Wurzeln im politischen Islam hat. Denn unter Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist ihr Spielraum größer geworden. Dies zeigt nicht nur die orthodoxe Feier zu "Mariä Himmelfahrt" im ehemals griechischen Kloster Sümela, dies belegt auch die große symbolische Bedeutung eines Gottesdienstes in der Osttürkei. Am 19. September nämlich durften die armenischen Christen zum ersten Mal seit 95 Jahren eine Heilige Messe in der fast 1000-jährigen Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Aghtamar im Van-See feiern. Das Eiland galt über Jahrhunderte hin als Sitz des Katholikos der armenisch-apostolischen Kirche.
An die 4000 Besucher aus der Türkei, Armenien, den USA und zahlreichen europäischen Ländern kamen, um dem Gottesdienst beizuwohnen - unter ihnen auch der deutsche Botschafter in Ankara. Interessant ist übrigens, dass zwei Wochen, nachdem der Gottesdienst stattfand, auf die Kuppel des Gebäudes, das nach staatsoffiziellem türkischen Verständnis ein Museum ist, ein neu angefertigtes zwei Meter hohes, schmiedeeisernes Kreuz gesetzt wurde, das zuvor ein Priester des armenisch-apostolischen Patriarchats in Istanbul eigens segnete.
Ein Novum für die Türkei. Hat also die jetzige islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan eine gewisse Öffnung gegenüber der christlichen Minderheit in der Türkei eingeleitet? Holger Nollmann, der Pfarrer der deutschen evangelischen Kreuz-Gemeinde in Istanbul, meint: "ja":
"Soweit ich das erkennen kann, gab es ähnliche Öffnungen nicht in Vorgängerregierungen. Von daher würde ich das politisch ganz klar bei der jetzigen Regierungspartei verorten. Was ich in den letzten Monaten feststelle, ist, dass diejenigen, die sich in der Türkei schon immer darum gekümmert haben, dass es hier eine kulturelle, ethnische, religiöse Vielfalt gibt, einen Aufschwung spüren. Dass sie hoffentlich berechtigte Aussichten darauf haben, dass ihr Einsatz auch politisch und staatlich gefördert wird. In den ersten Jahren war es so, dass, wenn ich Einrichtungen besucht habe, wo man sich um diese kulturelle Vielfalt kümmert, es eher in Hinterhöfen und Hinterzimmern stattfand, dass sie jetzt die Hoffnung haben, dass es auch anerkannt wird."
Dass sich in der Türkei etwa verändert hat im Umgang mit den christlichen Minderheiten, unterstreicht auch Franz Kangler. Er ist seit über 30 Jahren Priester der österreichischen katholischen Sankt-Georgs-Gemeinde in Istanbul. Er weist daraufhin:
"Dass früher viele der Probleme einfach von den Minderheiten nicht angesprochen worden sind, sondern man hat sich ruhig verhalten und man hat darüber nicht gesprochen. Während man jetzt den Mut hat, über solche Fragen zu sprechen. Es wird also zum Beispiel ein Ereignis in der türkischen Öffentlichkeit relativ frei besprochen: Das waren die Ereignisse von 1955 Anfang September, die man wirklich jetzt in der türkischen Presse von türkischer Seite ganz klar darstellt. Bei anderen ist es noch ein bisschen schwieriger. Aber dass diese Dinge begonnen haben, dass hier eine türkische Zivilgesellschaft, und zwar Türken, laizistische Türken, muslimische Türken, diese Themen aufgreifen, das ist schon eine Entwicklung."
Beachtenswert in diesem Zusammenhang sind übrigens auch die Äußerungen des Vorsitzenden des Amtes für religöse Angelegenheiten der Türkei, Ali Bardakoglu. Dieser nämlich forderte jüngst, dass die alte Kirche in Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus, wieder von einem Museum in ein christliches Gotteshaus umgewandelt werden solle. Zudem sorgte er für eine Überraschung, als er sagte, er habe nichts dagegen, wenn Christen künftig auch wieder vereinzelt Heilige Messen in der Hagia Sophia feiern würden, jener einst orthodoxen Kirche, die über Jahrhunderte hin als das größte Gotteshaus auf Erden galt, bevor es dann zur Moschee wurde und heute ein Museum ist.
Wenige Wochen zuvor hatte die türkische Regierung mit einer weiteren interessanten Offerte für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie betraf das Problem der Nachfolge des Ökumenischen Patriarchen. Dieser nämlich muss laut Verfassung türkischer Staatsbürger sein, was allerdings bei der immer kleiner werdenden Zahl der griechisch-orthodoxen Christen am Bosporus ein Problem ist, wie der Sprecher des Patriarchen, Dositheos Anagnostopoulos sagt:
"Türkische Bischöfe sind zurzeit mit dem Patriarchen zusammen 14 oder 15 und viele davon sind sehr alt. Einen jüngeren Menschen zu finden, der türkischer Staatsbürger ist, der Metropolit ist und in der Türkei lebt, wird sehr sehr schwierig sein."
Angesichts dieser prekären Situation bot die türkische Regierung nun 12 orthodoxen Bischöfen im Ausland die türkische Staatsbürgerschaft an. Damit wäre zwar nicht der Exodus der Christen gestoppt, wohl aber die Frage der Nachfolger des orthodoxen Kirchenoberhauptes entschärft. Trotz dieser leichten Entspannung allerdings gibt es nach wie vor Probleme. So wartet das Ökumenische Patriarchat nach wie vor auf die Öffnung seines 1971 geschlossenen Priesterseminars auf der Istanbul vorgelagerten Marmarameerinsel Heybeli Ada. Diese Ausbildungsstätte ist letztlich, so heißt es, eine der Hauptquellen, durch die die große christlich-orthodoxe Tradition am Bosporus gespeist wird. Zudem ist die syrisch-orthodoxe Kirche in einen dubiosen Rechtsstreit verwickelt, bei dem zu befürchten steht, dass sie gezwungen wird, einen Teil der Ländereien ihres bereits im Jahr 396 gegründeten Klosters Mor Gabriel in der südostanatolischen Provinz Mardin abzutreten. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass in den vergangenen Jahren wiederholt Christen in der Türkei umgebracht wurden. So wurde 2006 in Trabzon der katholische Priester Andrea Santoro erstochen, ein halbes Jahr später der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink in Istanbul erschossen und im Frühjahr 2008 drei Mitarbeiter eines protestantischen Verlages in Malatya ermordet. Diese Toten sind übrigens nicht – wie oft angenommen - die Folgen eines islamistischen Christenhasses, sondern die Folge des in der Türkei vielfach überzüchteten Nationalismus, wie Patriarchatssprecher Dositheos Anagnostopoulos unterstreicht:
"Mit dem Islam gibt es kein Problem. Mit dem Islam gibt es auch keine Terrorismus-Aktionen gegen uns. Gar keine. Alles, was in der Türkei terroristisch gegen die Christen geschah, und es geschah einiges, Sie wissen es, das ist eigentlich ein maskierter Ultranationalismus."
Gerade diese Aussage scheint wichtig zu sein. Denn vielfach werden aus mitteleuropäischer Sicht die Schwierigkeiten der Christen in der Türkei irrtümlich einem militanten Islam angelastet, den es so im Land gar nicht gibt. Gleichwohl sind die angesprochenen Probleme weiterhin vorhanden. Denn Christen werden am Bosporus vielfach noch immer als Bürger zweiter Klasse angesehen und entsprechend behandelt. Es sind weder Christen in hohen wirtschaftlichen und politischen Positionen zu finden noch im Parlament – was um so eklatanter ist, da beispielsweise in der benachbarten Islamischen Republik Iran die Christen nicht nur laut Verfassung einen offiziellen Minderheitenstatus haben, sondern auch drei Vertreter ins Abgeordnetenhaus schicken. Hinzu kommt der nach wie vor schwierige Rechtsstatus der Christen in der Türkei.
Kein Wunder, dass Holger Nollmann, Pfarrer der deutschen Gemeinde in Istanbul, bei der Frage nach seinem größten Wunsch, gar nicht lange überlegt:
"Wir wollen juristische Person sein, also zum Beispiel können wir kein Konto eröffnen, weil um ein Konto zu eröffnen muss man juristische Person sein. Das sind wir nicht. Wir existieren nicht. Wir haben hier ein großes Gebäude, ein großes Gelände, haben das seit über 150 Jahren. Die Gemeinde existiert seit 1843. Aber im Grundbuch der Stadt Istanbul ist dieses Gebäude und Gelände natürlich eingetragen, aber in der Spalte der Eigentümer, da steht nichts. Weil es diese evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei eben juristisch gar nicht gibt."
Es bleibt also eine eigentümliche Diskrepanz: In der Türkei – so scheint es - wird zwar niemand daran gehindert, seinen persönlichen Glauben leben zu können. Gleichzeitig aber wird eine volle Religionsfreiheit nicht gewährleistet. Für Ankara beibt also auf dem Weg zur angestrebten Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union noch einiges zu tun. Entsprechend forderte jüngst Bundesinnenminister Thomas De Maiziere bei seinem Türkeibesuch:
"Eine vollständig diskriminierungsfreie Betätigung jeder Form von Religionsausübung. Dazu gehört nicht nur die individuelle Religionsausübung, sondern dazu gehört auch die institutionelle Religionsausübung: Die Gründung von Kirchen, der Bau von Kirchen, Religionsunterricht, interreligiöser Dialog, Eigentümer sein zu dürfen von Liegen-schaften, all das muss selbstverständlich sein für Staaten, die zur europäischen Familie gehören wollen."
Dennoch räumte auch der Bundesinnenminister ein, dass sich in der Türkei für die Christen zu Zeit etwas bewegt und zwar zum Positiven:
"Nun, alle Gesprächspartner haben gesagt, dass es Fortschritte gibt. Allerdings wünschen wir uns, dass dann auch Taten folgen, etwa ist die Öffnung des Priesterseminars, genau genommen, die Wiederöffnung des Priesterseminars – etwas, was sehr lange auf dem Weg einer Entscheidung ist. Und ich würde mich freuen, wenn es jetzt auch bald zu einer positiven Entscheidung dann auch tatsächlich kommt. Also Fortschritte ja, aber es könnten weitere Fortschritte kommen."
Es mag das Bestreben des Ministers gewesen sein, der immer kleiner werdenden griechisch-orthodoxen Minderheit am Bosporus den Rücken zu stärken, indem er den Fall des seit fast 40 Jahren geschlossen Priesterseminars noch einmal dezidiert erwähnte. Denn das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel – wie es offiziell heißt – hat bis jetzt in der Tat lange vergeblich für eine Wiedereröffnung gekämpft. Jetzt aber scheint selbst in diese nicht ganz unkomplizierte Materie Bewegung zu kommen. So haben mittlerweile nicht nur zahlreiche Zeitungen davon geschrieben, dass eine Wiedereröffnung bevorstehen könnte. Auch Patriarchatssprecher Dositheos Anagnostopoulos hebt hervor:
"Bis jetzt hat man immer wieder ganz theoretisch, unkonkret gesagt, 'es wird geöffnet, es wird geöffnet'. Diesmal sucht man eine Form, wie diese Schule wieder in Betrieb genommen werden kann. Das heißt also: Das erste Mal macht man sich ernsthaft Gedanken darüber."
Anagnostopoulos weiß sogar einen Gewährsmann zu zitieren, sodass die Hoffnung auf eine Wiedereröffnung berechtigt zu sein scheint:
"Neulich hat der Obermufti der Stadt Istanbul gesagt: In meiner Aufgabe als Hauptpriester des Islams und Professor der Theologie sage ich Ihnen, dass ich bin dafür, dass diese Schule wieder eröffnet wird. Das hat also eine berühmte Persönlichkeit des Islams gesagt, und ich bin sehr dankbar."
Dennoch bleibt für den Beobachter aus Mitteleuropa etwas, das ihm schwerfällt zu verstehen – nämlich, dass es gerade die dezidiert islamisch geprägte Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist, unter der die christlichen Kirchen wieder mehr Spielraum bekommen. Denn bislang ging man stets davon aus, dass dies eher ein Anliegen von Laizisten war. Dennoch ist das scheinbar paradoxe Bild durchaus erklärbar, sagt Franz Kangler, der Priester der österreichischen katholischen Gemeinde von Istanbul:
"Ich glaube, man muss sehen, dass die Situation der christlichen Minderheiten einfach eingebettet ist in die Frage, welche Rolle die Religion grundsätzlich im laizistischen türkischen Staat spielt. Und das ist ja eigentlich das Anlegen der Regierung Erdogan, dass sie hier einen größeren Spielraum eröffnen möchte und von daher kommend, glaube ich, sind auch Ansätze da, dass man dann gerade im Kontext mit christlichen Gruppen Möglichkeiten erschließt, die vorher eigentlich undenkbar gewesen sind."
Unter dem Strich jedenfalls gilt es festzuhalten, dass sich die Situation der Christen am Bosporus zum Besseren wendet – zumal am jetzigen Donnerstag der Bundespräsident bei seinem Türkeibesuch sogar in der Stadt Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus, einen Gottesdienst hält und zwar nicht nur mit deutschen Katholiken und Protestanten, sondern auch mit einheimischen Vertretern der christlichen Griechen, Armenier und Syrer. Entsprechend zieht Pfarrer Holger Nollmann, der die Andacht in der alten Paulus-Kirche gestalten wird, folgendes Resümee.
"Wir haben ja seit Antritt der AKP-Regierung vor inzwischen acht Jahren eine Reihe von Reformvorhaben erleben können, die darauf gerichtet waren, die Situation der christlichen Minderheiten zu verbessern. Nach denn ersten Jahren, in denen es sehr schnell geschehen ist, ist das ein wenig in den Hintergrund geraten, und es hängt ein wenig durch, und die Frage ist: Sind diese Reformbestrebungen weiterhin ernst gemeint, oder ist es doch nicht wirklich so gemeint gewesen wie gesagt? Die politische Analyse ist schwierig. Aber ich finde die Öffnung jetzt im Blick auf Sümela, auf Aghdamar und auch auf Tarsus zeigt, dass diese Regierung wirklich voran kommen will, die Situation der Minderheiten wirklich verbessern will. Und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entwicklung unter einer anderen Regierung als der AKP Regierung völlig undenkbar wäre."