"Ich beichte alle 15 Tage. Und der Beichtvater hört die Dinge, die ich ihm sage. Er rät mir und er vergibt mir, denn wir alle brauchen diese Vergebung",
so Papst Franziskus bei einer Generalaudienz im letzten November. Die Beichte, so fügte er hinzu, sei eine Gabe Gottes und Gott werde nicht müde, zu vergeben. Eine Aussage, die für gläubige Katholiken seit vielen Jahrhunderten Gewissheit ist. Denn dass man anderen seine Sünden in der Hoffnung bekennt, Vergebung zu erlangen, ist so alt wie das Christentum selbst. So war die Beichte für Generationen von Gläubigen ganz sicher eine Befreiung, ein Versuch, die Seele zu reinigen, Schuld und Verfehlungen zu tilgen.
"Die Absolution durch die Beichte fiel wie sanfter Regen auf sein bebendes, brennendes Herz",
schrieb etwa der irische Schriftsteller James Joyce über einen seiner Protagonisten. Und doch ist das Beichten heute aus der Mode gekommen. Während viele Katholiken früher – noch vor 30, 40 Jahren – regelmäßig beichteten, bleiben die Beichtstühle inzwischen leer. Selbst die in den großen Kathedralen, vor denen früher oft lange Warteschlangen standen. Bündig formuliert sieht die Situation inzwischen so aus: Gesündigt wird immer. Gebeichtet immer weniger.
Kein Wunder, sagt der britische Religionswissenschaftler und Autor John Cornwell, Fellow am Jesus College Cambridge, denn die Beichte sei als zentrales kirchliches Macht- und Unterdrückungsinstrument in Misskredit geraten. In seinem neuen Buch "Die Beichte – eine dunkle Geschichte" vertritt er die These, die Krise der Beichte sei längst mehr als nur die Krise eines Sakraments; stattdessen spiegele sich in ihr eine viel tiefer liegende Krise der Kirche:
"Denn die Geschichte der Beichte ist auch von ihrem Missbrauch als Instrument der Angst und Kontrolle geprägt; von der Drohung ewiger Bestrafung in der Hölle... Die Beichte förderte eher die Angst als die Liebe zu Gott."
Die Erfindung des Beichtstuhls
Anschaulich und kenntnisreich blättert Cornwell die Geschichte der Beichte von ihren Anfängen bis heute auf, erzählt etwa, dass der Heilige Karl Borromäus als Erfinder des damals "neuartigen Kirchenmöbels", des Beichtstuhls gilt:
"Im Jahr 1576 blickten die Gläubigen, die in den Mailänder Dom traten, überrascht auf mehrere Holzkabinen, von denen sie erfuhren, dass sie der Beichte dienen sollten."
In diesem "dunklen Kasten" – so der Titel des englischen Originals – erforschten die Pönitenten ihr Gewissen, ihre innersten Gedanken und Geheimnisse, die nur sie und Gott kannten und teilten sie einem Priester mit. Und doch sollte sich gerade die Intimität des Beichtstuhls als Problem erweisen, nahmen doch, so der Autor, nach Einführung von Borromäus' Erfindung die Verführung von Frauen und sexuelle Übergriffe im Beichtstuhl zu:
"Zu einer Zeit, da Priester zu strenger Disziplin in der Keuschheit und im Zölibat ermahnt wurden, sahen sich viele von ihnen durch das neue Beichtmöbel offenbar zur Unkeuschheit herausgefordert..."
Die Beichte für Kinder als "Sündenfall" der Kirche
Doch die zentrale Rolle in Cornwells Buch spielt ein Mann der Neuzeit: Papst Pius X., der von 1903 bis 1914 auf dem Stuhl Petri saß. In ihm sieht der Autor eine Art "Sündenfall" der Kirche Pius X. nämlich legte fest, dass Kinder fortan an bereits mit sieben Jahren erstmals beichten sollten und nicht mehr wie bis dahin üblich erst mit 13 Jahren. Für Cornwell eine Versündigung an der kindlichen Psyche. Er prangert die völlige Überforderung der Kinder und die so gezüchtete Angst vor Sünden, vor Hölle und Fegefeuer an:
"Minderjährige, die fast noch im Kleinkindalter waren, wurden in die Lehre von der 'Todsünde' eingeführt, die angeblich die Seele tötete und in ewiger Verdammnis endete. Viel zu intensiv wurden die Gedanken der Kinder auf 'Reinheit' von sexuellen Verfehlungen geprüft. Viel zu früh haben Priester ohne Ausbildung in Pädagogik oder Kinderpsychologie unkontrollierten Zugang zu Kindern bekommen. Zahllose Kinder hat die Kirche mit einem Bild vom grausamen Gott traumatisiert. Beichtvätern, die sich sexuell an Kindern vergangen haben, hat jedes Unrechtsbewusstsein gefehlt, weil ihnen die Institution Kirche die moralische Autonomie des Gewissens geraubt hat..."
"Fixierung auf Erotik und Sexualität"
Scharf kritisiert Cornwell die Macht der Priester über ihre Beichtkinder ebenso wie die schon fast zwanghafte Koppelung von Erotik und Sexualität an den Begriff der Schuld. Warum, so fragt der Autor, stellte die Kirche statt des sexuellen nicht das soziale Verhalten in den Mittelpunkt ihres Interesses und ihrer Kritik? Erscheint diese Fixierung auf Erotik und Sexualität nicht gerade in Zeiten, in denen Betrug, Erpressung, Ausbeutung, Gewalt und Raubbau an der Natur um sich greifen, besonders fehlgeleitet? John Cornwell hat – sicher auch aus eigener Betroffenheit, wie er berichtet – ein provozierendes und kompromissloses Buch geschrieben. Ärgerlich allerdings ist die äußerst dürftige Qualität der Übersetzung aus dem Englischen. Der Autor verschweigt und beschönigt nichts, aber er verteufelt auch nicht. Er brandmarkt dort, wo die Fakten ihm, wie er meint, keine andere Wahl lassen. Und weiß dennoch auch um die guten Seiten der Beichte, ihre befreiende Gewissheit, Vergebung für Verfehlungen erlangt zu haben:
"Mozarts 'Nozze di Figaro' endet mit einer der schönsten Arien der Opernwelt, in der sich alle Probleme durch Beichte, Verzeihung und Vergebung lösen. Mit der Arie 'Contessa perdono' tauchen alle in eine erhabene Atmosphäre aus Harmonie und Aussöhnung ein."
John Cornwell, Die Beichte - Eine dunkle Geschichte, Berlin-Verlag, € 16,99.