Heilsbringer, die auch Unheil bringen können - von denen hat das 20. Jahrhrundert einige zu bieten. Michael Stausberg porträtiert in "Die Heilsbringer" über 60 Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die die Religionsgeschichte maßgeblich beeinflusst haben. Es sind nicht nur Menschen darunter, die man erwarten würde, wenn es um Religion im 20. Jahrhundert geht: wie Papst Johannes Paul II. oder der Dalai Lama - sondern auch Steven Spielberg oder Mao Zedong. Deutsche sind kaum vertreten in dieser Auswahl der wichtigsten "Religionsmacher" von 1900 bis 2000. Nur zwei gebürtige Deutsche sind dabei: der Theologe Paul Tillich und der Missionar Reinhard Bonnke. Dazu kommen einige Österreicher und Schweizer wie Karl Barth, C.G. Jung, Theodor Herzl oder Rudolf Steiner. Das Buch entwirft so ein sehr weites Religions-Panorama. Der Autor, Michael Stausberg, ist Professor für Religionswissenschaft im norwegischen Bergen.
Christian Röther: Herr Stausberg, wem haben diese ganz unterschiedlichen Menschen Heil gebracht?
Michael Stausberg: Ja, das ist natürlich immer auch eine Begrenzung der deutschen Sprache. Man hätte vielleicht auch sagen können: die "Heilsversprecher", die eben mit Heilsversprechungen aufwarten und dafür in größerem oder geringerem Maße Anhänger dafür gewinnen konnten. Aber dieses Wort haben wir nicht auf Deutsch, deshalb wurden es die Heilsbringer – als ob es ein Faktum wäre, dass Heil gebracht wurde.
Hitler und die Religionsgeschichte
Röther: Also vor allem ein Heilsversprechen. Ich stelle Ihnen trotzdem die nächste Frage, die ich geplant hatte, nämlich: Wem hat Hitler Heil gebracht?
Stausberg: Also, Hitler hat vor allen Dingen Unheil gebracht für viele Millionen Menschen. Hitler sah sich aber selbst durchaus in einer Mission, in einer weltgeschichtlichen Position, die von der Forschung zum Teil in religiösen Begriffen beschrieben wurde, die von Zeitgenossen religiös wahrgenommen wurde, die er selbst auch mithilfe eines religiösen Vokabulars beschrieb. Für ihn hatten eben "Völker", "Rassen", eine göttliche Stellung, waren göttliche Gegebenheiten mit einem bestimmten Auftrag. Er selbst hatte schon den Anspruch, durch seine Taten – oder Untaten – eben der "arischen Rasse" oder dem "deutschen Volk" das ihm zustehende Heil wieder verfügbar zu machen.
Röther: In Ihrem Buch werden über 60 porträtiert, darunter aber kaum Deutsche. Wenn ich das richtig recherchiert habe nur zwei gebürtige Deutsche, darunter einige Menschen aus Österreich oder aus der Schweiz. Hat Adolf Hitler den größten deutschen Beitrag zur Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet?
Stausberg: Das ist eine Frage, die mir etwas Kopfzerbrechen bereitet. Zunächst mal müsste ich natürlich die Gegenfrage stellen: Wie würde man einen Beitrag zur Religionsgeschichte messen wollen? Und: Was bedeutet es, von dem "größten Beitrag" zu sprechen? Ist das eine positive Wertung? Dann würden sich natürlich alle Nackenhaare hier sträuben.
Aber ich denke schon, dass die Geschichte des Religionsverständnisses oder auch der Religion ohne Adolf Hitler im 20. Jahrhundert anders verlaufen wäre. Durch das von ihm maßgeblich Ausgelöste ist zum Beispiel die Vorstellung, dass das Göttliche auch das Gute sei, dass Gott nicht nur allmächtig, sondern auch allgut ist, mit ganz schweren, schwarzen Fragezeichen versehen worden. Und solche Vorstellungen waren durchaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch sehr verbreitet, etwa bei Tolstoi, wie ich das in einem Kapitel aufzeige. Und dieses Verständnis ist eben durch die Shoa, durch den Holocaust gründlich in Trümmer gegangen.
Dichotomien bergen Unheil
Röther: Um das noch meinerseits klarzustellen: Ich meinte "größte" natürlich nicht als Wertung sondern als Ausmaß, als Einfluss. Aber Sie haben vorhin schon den Begriff des Unheils eingeführt, der gut sich anschließt. Bringen Heilsbringer auch immer Unheil mit sich?
Stausberg: Gut, Heilsbringer – oder Heilsversprechungen – können natürlich dramatische Folgen haben für Menschen, die in die Negativrolle katapultiert werden, also wie etwa im Falle Hitlers die Juden.
Andere religiöse Diskurse zeichnen sich eben oft durch Dichotomien, durch Dualismen aus, wo ja die "Guten" von den "Bösen" unterschieden werden und wo es dann eben auch legitimiert werden kann, dass man den als "böse" oder als "Heilsminderer" Klassifizierten durchaus auch Gewalt oder Unheil angedeihen lässt. Von daher liegt diese Doppelheit, die Sie in Ihrer Frage andeuten, durchaus auch in diesen Prozessen drin.
Auch Laien haben Einfluss auf die Religion
Röther: Gab es denn im 20. Jahrhundert eine Religionspersönlichkeit, die man aus heutiger Sicht uneingeschränkt positiv bewerten könnte?
Stausberg: Na, gibt es überhaupt einen Menschen, eine Person, die man uneingeschränkt als positiv würde bewerten können? Wer bewertet das, wer maßt sich das an? Ich muss allerdings schon zugeben, dass ich in der Beschäftigung mit den Personen, über die ich geschrieben habe, auf Leute gestoßen bin, die mich schon beeindruckt haben. Etwa der indische Dalit-Führer Dr. Ambedkar, den man auch – und das ist so ein bisschen die Pointe meines Buches – den man auch nur beschränkt in einem traditionellen Sinne als eine religiöse Persönlichkeit würde beschreiben können.
Meine sogenannten Heilsbringer, das ist eine Personengalerie, die einerseits sozusagen Religions-Profis umfasst, also Leute, die primär durch ihr religiöses Wirken identifiziert werden, eben zum Beispiel der von Ihnen angesprochene Papst, aber auch Personen, die für das Verständnis, für den Diskurs über Religion relevant waren – eben als Negativbeispiel Hitler, die aber selbst keine Karriere in einer religiösen Institution hatten, wie Dr. Ambedkar, der Jurist war, Aktivist, Politiker, sich dann gegen Ende seines Lebens zum Buddhismus bekehrt hat, wobei eben dann Hunderttausende seiner Anhänger gefolgt sind.
Dabei gilt es darauf zu achten, nicht das Register zu aktivieren, dass der Buddhismus eine "gute Religion" ist und andere "schlechte Religionen", aber ich wollte das jetzt hier mal an einer Person konkret festmachen.
"Vielleicht gehört Scheitern zum Status eines Heilsbringers"
Röther: Im allgemeinen Diskurs würden einem vielleicht andere Menschen einfallen, über die Sie auch schreiben, die so eine Aura des Positiven, des fast schon Heiligen, also auch für nichtreligiöse Menschen Heiligen haben, Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Mutter Theresa würden einem da einfallen. Aber auch die muss man differenziert betrachten.
Stausberg: Ja, auf jeden Fall. Bei den Genannten wurden in der Forschung durchaus auch Schattenseiten beobachtet. Vielleicht gehört das Scheitern zum Status eines Heilsbringers dazu. Indem man Heil verspricht, also etwas, das eigentlich immer ein "mehr" ist, etwas, das die normalen Grenzen überschreitet, stößt man auch diese Grenzen immer wieder auf.
Religion als das "Überschreitende"
Röther: Sie haben eben in der Antwort davor schon angesprochen oder angedeutet, dass Sie einen recht weiten Religionsbegriff für diese Religions-Profis, wie Sie das genannt haben, zugrunde legen für die Heilsbringer. Da schließt sich eine Frage an, die mir der Redakteur dieser Sendung mit auf den Weg gegeben hat. Als ich das Interview mit ihm vorher so ein bisschen durchgesprochen habe, hat er gesagt: Es muss aber irgendwann mal klar werden, was Sie denn eigentlich unter Religion verstehen, welchen Religionsbegriff Sie zugrunde legen, denn er meinte nämlich auch – und den Eindruck hatten ja auch schon andere Rezensentinnen, Rezensenten:
Sie schreiben über die Beatles, über Schriftsteller, über Regisseure – was haben die mit Religion zu tun? Ich habe dann erst mal dem Redakteur aus Ihrem Fazit vorgelesen folgenden Satz: "Unter Religion kann man organisierte Strategien verstehen, das Unkontrollierbare durch Wort und Tat beherrschbar zu machen, das Unberechenbare planbar, das Unverfügbare steuerbar, das Absolute nahbar, das Unerreichbare greifbar."
Jetzt würde ich Sie aber doch noch mal bitten, Ihr Religionsverständnis, das diesem Buch zugrunde liegt, noch mal ein bisschen zu erläutern.
Stausberg: Ja, das Religionsverständnis ist doppelbödig. Es gibt einmal die Ebene expliziter Inanspruchnahme des Religionsbegriffs, expliziter Bezugnahme. Also, fast alle der von mir Porträtierten hatten Vorstellungen darüber, was Religion sein sollte. Das deckte sich nicht immer mit dem, was sie an Religion vorfanden. Da gab es immer eine gewisse Differenz. Viele der Personen grenzen sich von etwas ab, das sie als ein gängiges Religionsverständnis verstanden. Von daher ist das sozusagen eine Diskursebene einer Verhandlung des Religionsbegriffs.
Umgekehrt lege ich dann noch in einer zweiten Perspektive einen Begriff von Religion drüber, den ich eben bezeichnen würde als das "mehr", als das, was hinausgeht, das Überschreitende. Also Religion könnte man dann in Anschlag bringen oder riechen, wahrnehmen, wenn ein Mensch eben Engel sein kann oder Dämon, Heiliger oder Sünder, wenn eine Gefolgschaft sich zum ungefragten Gehorsam oder zur grenzenlosen Bewunderung ausformt, wenn eine Autorität gegründet ist in etwas, das nicht mehr verhandelbar ist, wenn ein Staat mehr sein will als ein temporäres politisches Gefüge, sondern eine Art Heilsrelevanz bekommt, wenn er einen paradiesischen Zustand generieren will, wenn Musik nicht nur Unterhaltung oder Wohlklang oder Gemeinsamkeit sein will, sondern wenn Musik zur Befreiung des Menschen aus bestimmten Fesseln, aus dem, was man etwa bei Bob Marley "Babylon" nennen würde, führen würde. Also Religion in diesem zweiten Sinne ist dann jeweils das "mehr", das Überschreiten, das Umdeuten von Gegebenheiten im Horizont eines Größeren.
"Der Religionsbegriff überschreitet seine eigenen Grenzen"
Röther: Droht da nicht eventuell eine Entgrenzung des Religionsbegriffs? Oder wo ziehen Sie die Grenze?
Stausberg: Das ist in der Tat eine Herausforderung, das liegt aber wiederum meines Erachtens in diesem Religionsbegriff, den ich skizziert habe. In dem Moment, wo der Religionsbegriff immer auf das Überschreiten von Grenzen abzielt, überschreitet er natürlich auch seine eigenen Grenzen. Und da sind wir dann wieder bei der ersten Dimension, die ich eben ansprach, dann sind wir immer wieder bei der Kritik auch eines Religionsverständnisses, die wir bei allen möglichen Akteuren finden.
Also: Religion darf nicht nur etwas Privates sein, Religion darf nicht nur Glauben sein, Religion darf nicht nur Offenbarung sein, Religion darf nicht nur Heil sein, sondern Religion muss auch wieder erfahrbar sein, muss wieder etwas Materielles sein, Heil muss immer auch Heilung sein.
Der Religionsbegriff kann sozusagen in beide Richtungen immer wieder überschritten werden. Das ist auch immer wieder passiert. Er kann sozusagen transzendentalisiert werden; und er kann immanentisiert werden.
"Das Jahrhundert der Religionen"
Röther: Sie sprechen vom 20. Jahrhundert als dem "Jahrhundert der Religionen". Aus der Geschichtsforschung kennt man das schon, dass ein Jahrhundert nicht immer auch hundert Jahre haben muss, da gibt es "das lange 19. Jahrhundert" von der französischen Revolution 1789 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914, das sind stolze 125 Jahre. Ihr 20. Jahrhundert der Religionen bringt es immerhin auf 108 Jahre. Warum beginnt für Sie dieses Jahrhundert 1893 in Chicago mit dem Weltparlament der Religionen?
Stausberg: Diese Jahrhunderte, die haben so ihre eigene arbiträre Logik. Ich nenne das 20. Jahrhundert das "Jahrhundert der Religionen", weil es für uns nun im Laufe des 20. Jahrhunderts völlig selbstverständlich geworden ist, dass der Globus sozusagen eingeteilt werden kann in Sphären verschiedener Religionen – das war durchaus nicht immer so. Wir haben die Weltreligionen, die indigenen Religionen, die Volksreligionen und so weiter. Wir haben also eine Art selbstverständliche Kartografie der Welt und der Menschheit entwickelt, die jeweils auch durch Religionen indiziert wird. Das ist also der eine Bestandteil.
Und der andere ist der, dass wir im Zuge dessen sehen, dass Menschen auch die Freiheit haben sollten, Religion zu haben oder eventuell nicht zu haben oder auch zu wechseln, also das Menschenrecht auf Religionsfreiheit. Und hier habe ich genau drei Ereignisse, die sozusagen diese Achse im Religionsverständnis zum Ausdruck bringen im 20. Jahrhundert: 1893 mit dem Weltparlament der Religionen erstmals eine Veranstaltung, die dezidiert geplant wurde, um alle wichtigen Religionen der Menschheit in einen Raum zu bringen, zusammen zu bringen - unter dem Grundverständnis, dass Religion etwas Gutes ist.
Der Gegenpol dazu ist dann 2001, mein Schlusspunkt, wo wir mit dem 11. September plötzlich das Szenario eines Religionskriegs haben, dass Religion zum Angriff übergeht, dass dieser religiöse Einheitskosmos zerbricht. Ich möchte das nicht als Entwicklung verstanden wissen, dass sozusagen das "gute" 1893 dann zum "schlechten" 2001 führt. Wir finden im Prinzip beide Ebenen durch das ganze Jahrhundert durch. Auch 1893 etwa schon gab es Gewalttaten im Namen von Religion.
Aber diese beiden symbolträchtigen Ereignisse, 1893, 2001, zeigen einerseits diese Idee einer Religionsökumene, einer Religionszusammengehörigkeit und einer Spaltung im Namen von Religion, zeigen Religion als Quelle des Guten und Religion als Quelle von Gewalt, von Konflikt, von Krieg.
Dazwischen, eigentlich ziemlich genau in der Mitte, haben wir die Proklamation der Menschenrechte, wo die Religionsfreiheit zu ihrem Recht kam – beziehungsweise wo Religion nicht nur als historische Tatsache anerkannt wurde, sondern als eine anthropologische Grundkonstante, also Religion sozusagen fundamental anthropologisch begründet wurde. Und auch von daher sind wir jetzt im Jahrhundert der Religionen angekommen.
"Mich interessiert, was Menschen aus und mit Religion machen"
Röther: Kurz bevor dieses Jahrhundert begann, stellte Friedrich Nietzsche fest, dass Gott tot ist. Und er wollte damit sagen, dass die Religion an Einfluss verliert. Spätestens seit 2001 sprechen jetzt viele von der "Rückkehr der Religion". Wenn man Ihr Buch aber liest, muss man eigentlich sagen: Die Religion war ja im 20. Jahrhundert nie weg?
Stausberg: Genau. Ich versuche, dieses Buch eben nicht quantitativ anzusetzen: Gibt es jetzt mehr Leute als früher, die dies oder jenes glauben oder dies oder jenes tun? Sondern mich interessiert, was Menschen aus und mit Religion machen. Das überschreitet wiederum diese abgegrenzte Sphäre von Religion als, was weiß ich, kirchlichen Institutionen und geht über in den Bereich eben von Musik, von Film, von Politik, von Kultur im breiteren Sinne, von Ökologie. Und da ist oft Religion signifikant zur Stelle.
Nämlich immer dann, wenn es um die Kommunikation besonderer Dringlichkeiten, besonderer Wahrheiten oder einer besonderen Wahrhaftigkeit geht, wenn das eigene Anliegen als besonders gravierend, als besonders wichtig dargestellt wird und die Umsetzung von Zielen nicht nur durch das interesselose Diskutieren im öffentlichen Raum gewährleistet werden kann.
"Religion ist auch nicht mehr das, was sie einmal war"
Röther: Das Schlusskapitel in Ihrem Buch haben Sie mit dem folgenden Satz überschrieben: "Religion ist auch nicht mehr, was sie einmal war." Wie unterscheidet sich denn Religion heute, im Jahr 2020, von Religion, sagen wir vor 150 Jahren, im Jahr 1870 - also bevor dieses Jahrhundert der Religionen begann?
Stausberg: Ja, das unterscheidet sich auf verschiedenen Ebenen. Einerseits zum Beispiel durch die Anerkennung der Pluralität von Religionen, durch die Anerkennung der Idee, dass Gott tot sei, was aber eben nicht heißt, dass auch Religion tot ist, sondern dass Religionen oder religiöse Diskurse sich mit dieser Ideentatsache irgendwie auseinandersetzen müssen.
Es unterscheidet sich dadurch, dass wir ganz andere mediale Möglichkeiten haben, die es 1870 noch nicht gab. Da gab es noch kein Kino, es gab noch nicht die Übertragbarkeit von Botschaften, von Musik. Wir haben ganz andere Kommunikationsmöglichkeiten, die auch für Religion ganz entscheidend sind. Also es ist immer auch ein Zusammenspiel zwischen dem, was man vielleicht als "religiöse Inhalte" bezeichnen könnte, und Kommunikationsformen und Infrastrukturen, etwa auch ökonomischer, politischer Art, die jeweils Religionen ganz unterschiedlich sich entfalten lassen.
Das Mensch-Natur-Verhältnis rückt in den Fokus
Röther: Das gilt für das 20. Jahrhundert in Ihrer Analyse. Jetzt ist das 20. Jahrhundert schon 20 Jahre her, beziehungsweise 19, wenn man es 2001 enden lässt: Leben wir religiös denn immer noch im 20. Jahrhundert? Oder gibt es heute schon wieder etwas Neues, neue Entwicklungen, neue Tendenzen, die sich vom 20. Jahrhundert unterscheiden?
Stausberg: Ich hätte intuitiv gesagt: Fragen Sie mich das in fünf Jahren noch mal, wenn ich mehr Abstand habe. Ich denke allerdings schon, dass die Ende des 20. Jahrhunderts begonnene Digitalisierung ganz entscheidend noch einmal den Bereich von Religion verändern wird. Damit im Zusammenhang stehen natürlich auch andere Formen des Wirtschaftens. Es ist auch die ökologische Situation, die Klimakrise, die in ganz anderer Art uns auf den Leib gerückt ist als es vor 20 Jahren noch der Fall war, als man vielleicht sehr viel stärker noch den Eindruck hatte, das wieder beherrschen zu können – obwohl es auch am Ende des 20. Jahrhunderts, wie ich in meinem letzten Kapitel zeige, durchaus auch schon stärkere ökologische Tendenzen gab – oder Tendenzen dafür, dass das Mensch-Natur-Verhältnis ganz entscheidend im religiösen Diskurs thematisiert wird.
Michael Stausberg: "Die Heilsbringer. Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert"
C.H.Beck, 800 Seiten, 34 Euro
C.H.Beck, 800 Seiten, 34 Euro
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