"Dass die Geschehnisse aufgeklärt werden. Und dass Konsequenzen gezogen werden auf allen Ebenen."
Rund 50 Menschen haben sich an einem regnerischen Abend im Dezember zu einer Mahnwache vor der Schorndorfer Stadtkirche getroffen. Das Gedenken gilt den Mordopfern der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle. Diese Neonazi-Gruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennt, soll zwischen 2000 und 2007 neun Einwanderer aus der Türkei und Griechenland sowie eine deutsche Polizistin mit Kopfschüssen ermordet haben.
Die Mahnwache, organisiert von dem "Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus", soll auch ein Zeichen sein, ein Zeichen für alle Migranten im Remstal: Wir stehen hinter Euch. Eine Solidaritätsbekundung aus gutem Grund: Schon seit Langem gilt das idyllische Tal östlich von Stuttgart als Hochburg von Rechtsextremen und Rechtsradikalen. Rechte Parteien wie NPD und die sogenannten Republikaner sind hier politisch besonders aktiv.
Vor der Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts beginnt morgen ein Prozess gegen zwei 21 und 22 Jahre alte Männer. Im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf ein Gartenhaus im vergangenen April wird ihnen versuchter Mord in fünf Fällen sowie schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die Tat hat einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Die mutmaßlichen Täter werden der rechten Szene zugeordnet. Unter dem Eindruck der Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle wird der Prozess in Stuttgart mit Spannung erwartet. Denn es ist in dieser Form der erste Prozess bei dem sich, nachdem das Ausmaß des rechten Terrors immer deutlicher wird, zwei mögliche Täter aus einer rechten Gruppierung vor Gericht verantworten müssen.
Es ist eine von vielen Mahnwachen, wie sie seit Jahren an verschiedenen Orten im schwäbischen Remstal stattfinden. Schweigend stehen einige junge Leute und viele Ältere – teils mit Kerzen in der Hand – vor der Kirche im Regen.
"Und wir erwarten, dass sich Zivilorganisationen, die sich gegen rechts stellen, anerkannt werden und nicht in die linke Ecke geschoben werden."
Links. Rechts. Ausländer. Wer ist was? Duran Tecer sitzt im Schorndorfer Nachbarort Winterbach auf seinem Sofa. Wütend stellt der Mann, der schon als Kind aus der Türkei nach Deutschland kam, ein Teeglas auf den Wohnzimmertisch:
"Ich fühle mich nicht so, aber es ist so. Da wird mir der Stempel auf die Stirn gedrückt. Verstehen Sie?"
Im Wohnzimmer von Familie Tecer herrscht betretenes Schweigen. Tecers' Frau und sein jüngster Sohn Ali blicken auf den Boden. Die 14-jährige Tochter geht aus dem Zimmer. Alle wissen, was jetzt kommt:
"Weil, ich mache mir jetzt Vorwürfe. Wenn ich gewusst hätte, dass die Nazis dort oben feiern, ich hätte meine Jungs, oder alle, die dort oben waren, alle runtergeholt, sofort."
An einem warmen Wochenende im April des vergangenen Jahres geben Duran Tecers drei Söhne, alle im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, eine Grillparty auf dem Gartengrundstück des Vaters. Das Grundstück liegt auf einem Berghang, von hier oben überblickt man das Remstal; eine idyllische Gegend mit einer langen Weinanbautradition. Auf dem Nachbargrundstück findet am gleichen Abend noch ein Fest statt. Wer die Nachbarn sind, bemerkt die Clique erst, als rechtsradikale Lieder zu hören sind. Thomas Schöllhammer, Chef der Kriminalpolizei Waiblingen:
"Das ging über mehrere Stunden, lief das ab ohne Probleme, bis es dann auf einem Feldweg zu einer Konfrontation kam, zwischen Personen der rechten Szene, die mit dem PKW unterwegs waren, und einigen Personen mit Migrationshintergrund. Da kam es zu einer Gefährdungssituation, da wurden Personen in der Form gefährdet, dass sie zur Seite springen mussten, um nicht überfahren zu werden. Das hat die ganze Geschichte dann ausgelöst, das war die Initialisierung des Ganzen.""
Die Rechten beschimpfen die jungen Männer und drohen ihnen Schläge an. Die Clique der Migranten flüchtet. Einige rennen die Wiesen hinab, vier retten sich in das Gartenhaus auf dem Grundstück von Tecer. Ali, 21 Jahre alt, Tecers jüngster Sohn, schafft es zunächst nicht wegzurennen und wird geschlagen. Verletzt schleppt er sich dann auch in das Gartenhaus.
"Manche haben gemeint, in diesem Gartenhaus Schutz zu finden, indem sich da drin verbarrikadieren. Und wollten eigentlich abwarten, was dann passiert. Haben dann aber bereits, als sie in dieser Hütte drin waren, über Notruf bei der Polizei diese Information mitgeteilt."
Dann prasselt Flüssigkeit von außen auf das Gartenhaus. Die jungen Männer glauben zunächst, die Rechtsextremen pinkeln an die Hauswand. Doch kurz darauf geht die Gartenhütte in Flammen auf.
"Wir haben dann auch über Notruf wieder diese Mitteilung bekommen, dass diese Personen eingeschlossen sind in dieser Hütte, die dann brennt. Und mussten die mehr oder weniger auffordern, die Hütte zu verlassen. Die wären also freiwillig zunächst nicht rausgegangen, weil die Angst hatten, dann wieder in die Arme der Rechten zu laufen."
Die jungen Männer verlassen das brennende Gartenhaus. Einige rennen los. Die Polizei ist in Richtung Winterbach unterwegs und auch Vater Duran Tecer, ebenfalls von den Söhnen per Handy alarmiert, fährt los:
"Und habe die unterwegs auf der Straße aufgeklaubt, ein paar Jungs. Drei, vier Jungs sind völlig durcheinander gewesen, die waren in Geradstetten vor Panik. Die waren alle ins Gebüsch gefallen, verkratzt, viele haben sogar in die Hosen gemacht."
Thomas Schöllhammer: "Wir hatten die Personen der rechten Szene zunächst alle festgenommen, um deren Personalien festzustellen. Die wurden dann aber im Laufe der Nacht dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt."
Die Polizei Waiblingen bildet eine Sonderkommission und stellt fest: Viele der Rechtsradikalen stammen nicht aus dem Rems-Murr-Kreis. Sie sind zum Teil aus dem Saarland nach Winterbach gereist. Bei einigen der Rechten finden in Folge der Tat Hausdurchsuchungen statt. Dabei werden Gegenstände beschlagnahmt, allerdings keine Waffen.
Thomas Schöllhammer: "Wir hatten mit der Staatsanwaltschaft besprochen, wie die weiteren Ermittlungsschritte von sich gehen sollten. Die Staatsanwaltschaft hat dann festgelegt, wer dann Beschuldigtenstatus dieser Personen hat. Und bei denen wurden dann auch Durchsuchungen in der Wohnung, insbesondere auch PC, Foto, Handys, dass wir entsprechendes Bildmaterial vom Tatort bekommen, wurden dann durchgeführt."
In der rund 8.000 Einwohner zählenden Gemeinde Winterbach im Remstal ist man geschockt. Gleich neben dem Gartenhaus, dem Anschlagsort, steht eine große Waldorfschule, die Grünen erzielten bei der Landtagswahl im vergangenen März, in Winterbach, rund 25 Kilometer von Stuttgart entfernt, eines ihrer besten Ergebnisse landesweit. Ausgerechnet hier ein Brandanschlag auf Migranten. Die Lehrerin Oda Ferber von der Agendagruppe "Kultur und Gesellschaft" organisiert binnen weniger Tage eine erste Mahnwache:
"Das war alles sehr kurzfristig. Die Idee war, dass wir uns einfach eine Stunde auf den Markt stellen und Papier und Stifte hinlegen und eine Leine spannen und dazu aufrufen, dass man seine Meinung gegen Rechts äußert beziehungsweise sein Mitleid für die betroffenen Opfer. Es war bei vielen Leuten ein großes Bedürfnis da. Und es hat sich dann zu einer kleinen Kundgebung sogar dann entwickelt. Der Platz um den Marktbrunnen reichte gar nicht aus, ihre Meinungen aufgeschrieben. Die Zettel haben wir dann hängen lassen und die Schilder stehen lassen. Das heißt, das war wie ein Mahnmal, was wir bis zum Abend stehen haben lassen. Es sind viele Leute nochmals stehen geblieben und haben das Gespräch gesucht. Es hat den Migranten ein ganzes Stück weit den Rücken gestärkt. "
Eine Woche nach dem Brandanschlag findet eine Demonstration statt. Auf Transparenten stehen Appelle wie: "Der NPD entgegentreten immer und überall". Etwa 1.300 Menschen beteiligen sich am Demonstrationszug, der von Winterbach ein paar Kilometer weiter bis in das Dorf Weiler bei Schorndorf zieht. Auch Winterbachs Bürgermeister Albrecht Ulrich ist dabei:
""Man ist schon ein bisschen fassungslos. Man weiß natürlich auch nicht so ganz genau, ob man damit irgendetwas erreichen kann, aber als Kommune müssen sie natürlich auch ein deutliches Zeichen setzen. Als Bürgermeister ist es mir ganz wichtig, ein Zeichen zu setzen, um einfach mit meinem Gemeinderat, mit den Bürgern, auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir das ablehnen, was da abgelaufen ist in jeglicher Form."
Der Demonstrationszug endet in Weiler, vor einer mittlerweile geschlossenen Gaststätte. Die "Linde" gehört dem NPD-Mitglied Jürgen Wehner. Bis 2008 traf sich in dem Gasthaus regelmäßig ein sogenannter "Patriotischer Stammtisch", im Keller des Hauses sollen Schießübungen stattgefunden haben. Ende 2006 gründete sich in der Folge gegen das Treiben eine Bürgerinitiative mit Namen "Weiler schaut hin". Regelmäßig demonstrierte diese Initiative direkt vor der Linde. Gründungsmitglieder erinnern sich:
"Wir haben einen markanten Widerstand gezeigt. Die Bevölkerung wurde eingebunden, vor allem in den ersten Monaten, als diese Linde dort begonnen hat. Ich kann mich noch gut erinnern, am Pfarrhof, wie die Leute dort zu Hunderten standen und gegen diese Naziwirtschaft demonstriert haben."
"Wir haben mit Mahnwachen angefangen, wir haben die Bevölkerung aufgeklärt, dann gab es die ersten Konflikte vor der Linde, mit eben diesen braunen Leuten. Es gab Bedrohungen gegen uns, man wollte uns vertreiben, mundtot machen. Unser Ziel war es, die Gaststätte zu schließen, das ist nach zweieinhalb Jahren gelungen."
Nach mehreren Vorfällen wurde dem Wirt Wehner die Konzession entzogen. Das Haus aber blieb weiter ein Treff der Rechten. Und die in "Weiler schaut hin" organisierten Bürger demonstrierten weiter.
"Jetzt ist es ruhig geworden um die Linde", sagt ein Mitglied der Initiative, die sich mittlerweile "Weiler gegen Rechts für kulturelle Vielfalt und Toleranz" nennt. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Treffen der Rechten zwischenzeitlich woanders stattfinden:
"Leider ist es noch immer so, dass die Aktivitäten doch noch zu beobachten sind. Und eines ist auch wichtig für die gesamte Bevölkerung: Dass man wirklich zeigt, dass man diese Leute mit diesem ganz schwierigen Hintergrund nicht im Dorf haben möchte."
Jetzt ist die rechte Szene in anderen Dörfern im schwäbischen Remstal anzutreffen, zum Beispiel in der Gemeinde Korb. Drei Parteitage konnten die NPD und die sogenannten Jungnationalen in den vergangenen beiden Jahren in Korb abhalten. Die rund 10.000 Einwohner erfuhren nichts davon. Polizei, Landrat und der parteilose Bürgermeister Jochen Müller behielten die politischen Veranstaltungen der Rechten für sich. Nicht geklärt ist allerdings, ob das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz die politisch Verantwortlichen zum Stillschweigen verpflichtet hatte. Als das braune Treiben dann doch bekannt wurde, zeigte sich der Korber Gemeinderat entsetzt. Von einem Schweigekartell war die Rede.
Die Rechten sind aktiv im Remstal, das ist schon lange bekannt. Die Polizei beschäftigt eine eigene Expertengruppe für Rechtsradikale im Landkreis. Vor einigen Jahren wurde im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises zudem eigens der Fachbeirat Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Grund: die steigende Zahl politisch motivierter Straftaten. Die NPD hielt bereits im Jahr 2000 in der zum Landkreis gehörenden Stadt Winnenden ihren Bundesparteitag ab.
Willi Halder, grüner Landtagsabgeordneter und Mitglied des Fachbeirates Rechtsextremismus:
"Wir sind Schwerpunktkreis Skinhead in Baden-Württemberg; wir hatten die größte Dichte an Skinheads hier im Rems-Murr-Kreis. So hat das Landratsamt darauf reagiert, indem man erst einmal eine Stelle, eine Fachstelle geschaffen haben, speziell zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und diesen Arbeitskreis ins Leben gerufen hat, um hier beratend tätig zu sein."
Allerdings warnen Experten davor, sogenannten Skinheads grundsätzlich in die Ecke gewaltbereiter Neonazis zu stellen. Laut einer Regionalstudie des Tübinger Pädagogik-Professors Josef Held hat im schwäbischen Remstal vielmehr der Einfluss von rechtsextremen Parteien, speziell der NPD, sehr stark zugenommen.
Wie Held schreibt, entwickelte die NPD in der Region eine eigene Jugendarbeit, mit der sie, Zitat aus der Studie: "den Bedürfnissen der Jugendlichen im ländlichen Raum besonders gerecht werden will." Die NPD versuche mit ihren Themen und Ansätzen in die verschiedenen sozialen Felder einzudringen und beachtet dabei die jeweiligen Voraussetzungen der Adressaten.
Fazit der Studie aus dem Jahr 2007: Nicht die Existenz rechtsextremer Gruppen ist das eigentliche Problem, sondern eine politische Kultur, die eine Akzeptanz gegenüber dem Rechtsextremismus entwickelt.
Vier Jahre nach dieser Studie und über ein halbes Jahr nach dem Brandanschlag in Winterbach sind auch die Rathauschefs im Remstal wieder aktiv geworden. Im vergangenen Monat veröffentlichten sie eine Erklärung in den Lokalblättern. Der Landrat und alle Bürgermeister bekundeten darin, alles zu unternehmen, um jede Form extremistischer Bestrebungen im Rems-Murr-Kreis zu verhindern und aufzuklären. Sie appellierten an alle Bürger, sich gewaltfrei für Toleranz und Offenheit einzusetzen. Matthias Klopfer, SPD-Oberbürgermeister der Stadt Schorndorf.
"Ich glaube, das war eine gute Initiative des Landrates, übrigens, bevor es um das Thema Neonazis und Terror in den neuen Bundesländern auch ging. Und alle Kollegen haben gesagt: Jawohl, wir setzen ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus, gegen Rechtsradikalismus, hier bei uns im Rems-Murr-Kreis, dass in keinem der 31 Städte und Gemeinden keiner daran denkt, dieses auch nur aktiv zu unterstützen."
Juristisch hat der Brandanschlag von Winterbach ab morgen ein Nachspiel: Im Prozess vor der Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts wird es auch darum gehen, festzustellen, welchem rechten Lager die beiden mutmaßlichen Rädelsführer zuzuordnen sind. Ob es vielleicht Verbindungen zur NPD gibt?
Die aus Stuttgart und dem Rems-Murr-Kreis stammenden jungen Männer leugnen bislang die Tat. Allerdings geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die beiden Beschuldigten sowie die Teilnehmer des Festes im April vergangenen Jahres hauptsächlich der rechten Szene angehören. Gegen 30 weitere Verdächtige wird bis heute ermittelt.
"Die Menschen sind vorsichtiger geworden", sagt der Besitzer einer Imbissstube am Winterbacher Bahnhof. Langsam schneidet er mit einem Messer kleine Fleischstücke von einem großen Spieß. Döner. Er selbst habe keine Angst, behauptet der etwa 45 Jahre alte Mann mit türkischen Wurzeln:
"Wir haben uns noch gar keine so großen Gedanken gemacht. Im Gegenteil: Wenn man Angst zeigt, wenn man zeigt, was sie wollen, und die wollen ja nur Angst schüren, dann muss man sich doch Gedanken machen."
Der Mann vom Imbiss macht lieber Witze: "Das ist ein türkischer Rechtsradikaler", stellt er einen Kunden vor, der wenig Haare auf dem Kopf hat und wohl türkischstämmig ist. Alle lachen, auch der Kunde. Dann aber wird es doch ernst. Der Mann am Fleischspieß setzt das Messer ab und sagt:
"Ab 22.00 bis 23. 00 Uhr ist es schon unheimlich hier. Dann machen wir zu, viele machen zu, dann ist es schon dunkel."
Wenn es dunkel wird, ist es auch Duran Tecer recht, wenn alle zuhause sind. Bei Tecers ist die Zeit stehen geblieben. Der 21-jährige Ali hat seit dem Brandanschlag über zehn Kilo abgenommen. Lange überlegt er sich eine Antwort auf die Frage, wie es ihm jetzt geht:
"Ich war davor schon so ein Mensch, ich habe nicht so schnell Vertrauen aufbauen können. Es kommt mir sogar manchmal ein bisschen komisch vor, wenn ich irgendwo bin mit meinen Kumpels oder so und jemand Neues kennenlerne, weil ich denke: Ich vertraue niemandem."
Wochenlang war Ali nach dem Brandanschlag krank. Wieder zurück in der Berufsschule sollte er vor den Sommerferien eine Abschlussarbeit schreiben und fiel prompt durch, das Ende seiner Ausbildung als Kfz-Mechatroniker. Jens Schmierer, Leiter des Jugendhauses in Winterbach, hätte ihm gerne geholfen. Aber Ali verschwieg den Abbruch. Der Jugendhausleiter organisierte nach der Tat einen Ausflug für die Opfer. Eine Fahrt in einen Freizeitpark. Es war der Wunsch,
"dass sich die Jugendlichen nicht Zuhause verschanzen sollen, sondern dass der Alltag trotzdem weiter geht. Da kam die Idee auf, dass wir eben einen schönen Tag erleben wollen, und die Jugendlichen haben sich da etwas überlegt und da kam eben dieser Europapark zustande."
Jens Schmierer trifft sich auch heute noch regelmäßig mit Ali und den anderen. Manchmal gehen die älteren Söhne von Duran Tecer wieder zum Angeln. Das Gartengrundstück über Winterbach wollen sie nicht mehr betreten. Die Stadt hat ihnen die Wiese am Hang mittlerweile abgekauft. Wo einst das Gartenhaus stand, wächst nun Gras. Der Wind fegt über den Hang. Unten im Tal sitzt Familie Tecer im Wohnzimmer und versucht zu verstehen, wie das ist mit der politischen Kultur in Remstal, in Deutschland:
"Die Deutsche haben ja eine Kultur, und Deutsche sind eigentlich Denker und Bastler. Hier die Schwaben. Aber die wollen doch Frieden haben hier. Man muss doch was sagen können. Wir können abhauen, wie können gehen. Wir können alles hier liegen lassen, abhauen in unsere Heimat. Was machen Sie? Wo gehen Sie hin? Da muss doch jeder Deutsche hier etwas tun! Nur, man darf nicht diese Leute Überhand gewinnen lassen, das geht nicht."
Am Landgericht Stuttgart sind für den Prozess gegen die 21 und 22 Jahre alten mutmaßlichen Täter insgesamt 31 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil wird Mitte Mai gerechnet.
Rund 50 Menschen haben sich an einem regnerischen Abend im Dezember zu einer Mahnwache vor der Schorndorfer Stadtkirche getroffen. Das Gedenken gilt den Mordopfern der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle. Diese Neonazi-Gruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennt, soll zwischen 2000 und 2007 neun Einwanderer aus der Türkei und Griechenland sowie eine deutsche Polizistin mit Kopfschüssen ermordet haben.
Die Mahnwache, organisiert von dem "Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus", soll auch ein Zeichen sein, ein Zeichen für alle Migranten im Remstal: Wir stehen hinter Euch. Eine Solidaritätsbekundung aus gutem Grund: Schon seit Langem gilt das idyllische Tal östlich von Stuttgart als Hochburg von Rechtsextremen und Rechtsradikalen. Rechte Parteien wie NPD und die sogenannten Republikaner sind hier politisch besonders aktiv.
Vor der Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts beginnt morgen ein Prozess gegen zwei 21 und 22 Jahre alte Männer. Im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf ein Gartenhaus im vergangenen April wird ihnen versuchter Mord in fünf Fällen sowie schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die Tat hat einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Die mutmaßlichen Täter werden der rechten Szene zugeordnet. Unter dem Eindruck der Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle wird der Prozess in Stuttgart mit Spannung erwartet. Denn es ist in dieser Form der erste Prozess bei dem sich, nachdem das Ausmaß des rechten Terrors immer deutlicher wird, zwei mögliche Täter aus einer rechten Gruppierung vor Gericht verantworten müssen.
Es ist eine von vielen Mahnwachen, wie sie seit Jahren an verschiedenen Orten im schwäbischen Remstal stattfinden. Schweigend stehen einige junge Leute und viele Ältere – teils mit Kerzen in der Hand – vor der Kirche im Regen.
"Und wir erwarten, dass sich Zivilorganisationen, die sich gegen rechts stellen, anerkannt werden und nicht in die linke Ecke geschoben werden."
Links. Rechts. Ausländer. Wer ist was? Duran Tecer sitzt im Schorndorfer Nachbarort Winterbach auf seinem Sofa. Wütend stellt der Mann, der schon als Kind aus der Türkei nach Deutschland kam, ein Teeglas auf den Wohnzimmertisch:
"Ich fühle mich nicht so, aber es ist so. Da wird mir der Stempel auf die Stirn gedrückt. Verstehen Sie?"
Im Wohnzimmer von Familie Tecer herrscht betretenes Schweigen. Tecers' Frau und sein jüngster Sohn Ali blicken auf den Boden. Die 14-jährige Tochter geht aus dem Zimmer. Alle wissen, was jetzt kommt:
"Weil, ich mache mir jetzt Vorwürfe. Wenn ich gewusst hätte, dass die Nazis dort oben feiern, ich hätte meine Jungs, oder alle, die dort oben waren, alle runtergeholt, sofort."
An einem warmen Wochenende im April des vergangenen Jahres geben Duran Tecers drei Söhne, alle im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, eine Grillparty auf dem Gartengrundstück des Vaters. Das Grundstück liegt auf einem Berghang, von hier oben überblickt man das Remstal; eine idyllische Gegend mit einer langen Weinanbautradition. Auf dem Nachbargrundstück findet am gleichen Abend noch ein Fest statt. Wer die Nachbarn sind, bemerkt die Clique erst, als rechtsradikale Lieder zu hören sind. Thomas Schöllhammer, Chef der Kriminalpolizei Waiblingen:
"Das ging über mehrere Stunden, lief das ab ohne Probleme, bis es dann auf einem Feldweg zu einer Konfrontation kam, zwischen Personen der rechten Szene, die mit dem PKW unterwegs waren, und einigen Personen mit Migrationshintergrund. Da kam es zu einer Gefährdungssituation, da wurden Personen in der Form gefährdet, dass sie zur Seite springen mussten, um nicht überfahren zu werden. Das hat die ganze Geschichte dann ausgelöst, das war die Initialisierung des Ganzen.""
Die Rechten beschimpfen die jungen Männer und drohen ihnen Schläge an. Die Clique der Migranten flüchtet. Einige rennen die Wiesen hinab, vier retten sich in das Gartenhaus auf dem Grundstück von Tecer. Ali, 21 Jahre alt, Tecers jüngster Sohn, schafft es zunächst nicht wegzurennen und wird geschlagen. Verletzt schleppt er sich dann auch in das Gartenhaus.
"Manche haben gemeint, in diesem Gartenhaus Schutz zu finden, indem sich da drin verbarrikadieren. Und wollten eigentlich abwarten, was dann passiert. Haben dann aber bereits, als sie in dieser Hütte drin waren, über Notruf bei der Polizei diese Information mitgeteilt."
Dann prasselt Flüssigkeit von außen auf das Gartenhaus. Die jungen Männer glauben zunächst, die Rechtsextremen pinkeln an die Hauswand. Doch kurz darauf geht die Gartenhütte in Flammen auf.
"Wir haben dann auch über Notruf wieder diese Mitteilung bekommen, dass diese Personen eingeschlossen sind in dieser Hütte, die dann brennt. Und mussten die mehr oder weniger auffordern, die Hütte zu verlassen. Die wären also freiwillig zunächst nicht rausgegangen, weil die Angst hatten, dann wieder in die Arme der Rechten zu laufen."
Die jungen Männer verlassen das brennende Gartenhaus. Einige rennen los. Die Polizei ist in Richtung Winterbach unterwegs und auch Vater Duran Tecer, ebenfalls von den Söhnen per Handy alarmiert, fährt los:
"Und habe die unterwegs auf der Straße aufgeklaubt, ein paar Jungs. Drei, vier Jungs sind völlig durcheinander gewesen, die waren in Geradstetten vor Panik. Die waren alle ins Gebüsch gefallen, verkratzt, viele haben sogar in die Hosen gemacht."
Thomas Schöllhammer: "Wir hatten die Personen der rechten Szene zunächst alle festgenommen, um deren Personalien festzustellen. Die wurden dann aber im Laufe der Nacht dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt."
Die Polizei Waiblingen bildet eine Sonderkommission und stellt fest: Viele der Rechtsradikalen stammen nicht aus dem Rems-Murr-Kreis. Sie sind zum Teil aus dem Saarland nach Winterbach gereist. Bei einigen der Rechten finden in Folge der Tat Hausdurchsuchungen statt. Dabei werden Gegenstände beschlagnahmt, allerdings keine Waffen.
Thomas Schöllhammer: "Wir hatten mit der Staatsanwaltschaft besprochen, wie die weiteren Ermittlungsschritte von sich gehen sollten. Die Staatsanwaltschaft hat dann festgelegt, wer dann Beschuldigtenstatus dieser Personen hat. Und bei denen wurden dann auch Durchsuchungen in der Wohnung, insbesondere auch PC, Foto, Handys, dass wir entsprechendes Bildmaterial vom Tatort bekommen, wurden dann durchgeführt."
In der rund 8.000 Einwohner zählenden Gemeinde Winterbach im Remstal ist man geschockt. Gleich neben dem Gartenhaus, dem Anschlagsort, steht eine große Waldorfschule, die Grünen erzielten bei der Landtagswahl im vergangenen März, in Winterbach, rund 25 Kilometer von Stuttgart entfernt, eines ihrer besten Ergebnisse landesweit. Ausgerechnet hier ein Brandanschlag auf Migranten. Die Lehrerin Oda Ferber von der Agendagruppe "Kultur und Gesellschaft" organisiert binnen weniger Tage eine erste Mahnwache:
"Das war alles sehr kurzfristig. Die Idee war, dass wir uns einfach eine Stunde auf den Markt stellen und Papier und Stifte hinlegen und eine Leine spannen und dazu aufrufen, dass man seine Meinung gegen Rechts äußert beziehungsweise sein Mitleid für die betroffenen Opfer. Es war bei vielen Leuten ein großes Bedürfnis da. Und es hat sich dann zu einer kleinen Kundgebung sogar dann entwickelt. Der Platz um den Marktbrunnen reichte gar nicht aus, ihre Meinungen aufgeschrieben. Die Zettel haben wir dann hängen lassen und die Schilder stehen lassen. Das heißt, das war wie ein Mahnmal, was wir bis zum Abend stehen haben lassen. Es sind viele Leute nochmals stehen geblieben und haben das Gespräch gesucht. Es hat den Migranten ein ganzes Stück weit den Rücken gestärkt. "
Eine Woche nach dem Brandanschlag findet eine Demonstration statt. Auf Transparenten stehen Appelle wie: "Der NPD entgegentreten immer und überall". Etwa 1.300 Menschen beteiligen sich am Demonstrationszug, der von Winterbach ein paar Kilometer weiter bis in das Dorf Weiler bei Schorndorf zieht. Auch Winterbachs Bürgermeister Albrecht Ulrich ist dabei:
""Man ist schon ein bisschen fassungslos. Man weiß natürlich auch nicht so ganz genau, ob man damit irgendetwas erreichen kann, aber als Kommune müssen sie natürlich auch ein deutliches Zeichen setzen. Als Bürgermeister ist es mir ganz wichtig, ein Zeichen zu setzen, um einfach mit meinem Gemeinderat, mit den Bürgern, auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir das ablehnen, was da abgelaufen ist in jeglicher Form."
Der Demonstrationszug endet in Weiler, vor einer mittlerweile geschlossenen Gaststätte. Die "Linde" gehört dem NPD-Mitglied Jürgen Wehner. Bis 2008 traf sich in dem Gasthaus regelmäßig ein sogenannter "Patriotischer Stammtisch", im Keller des Hauses sollen Schießübungen stattgefunden haben. Ende 2006 gründete sich in der Folge gegen das Treiben eine Bürgerinitiative mit Namen "Weiler schaut hin". Regelmäßig demonstrierte diese Initiative direkt vor der Linde. Gründungsmitglieder erinnern sich:
"Wir haben einen markanten Widerstand gezeigt. Die Bevölkerung wurde eingebunden, vor allem in den ersten Monaten, als diese Linde dort begonnen hat. Ich kann mich noch gut erinnern, am Pfarrhof, wie die Leute dort zu Hunderten standen und gegen diese Naziwirtschaft demonstriert haben."
"Wir haben mit Mahnwachen angefangen, wir haben die Bevölkerung aufgeklärt, dann gab es die ersten Konflikte vor der Linde, mit eben diesen braunen Leuten. Es gab Bedrohungen gegen uns, man wollte uns vertreiben, mundtot machen. Unser Ziel war es, die Gaststätte zu schließen, das ist nach zweieinhalb Jahren gelungen."
Nach mehreren Vorfällen wurde dem Wirt Wehner die Konzession entzogen. Das Haus aber blieb weiter ein Treff der Rechten. Und die in "Weiler schaut hin" organisierten Bürger demonstrierten weiter.
"Jetzt ist es ruhig geworden um die Linde", sagt ein Mitglied der Initiative, die sich mittlerweile "Weiler gegen Rechts für kulturelle Vielfalt und Toleranz" nennt. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Treffen der Rechten zwischenzeitlich woanders stattfinden:
"Leider ist es noch immer so, dass die Aktivitäten doch noch zu beobachten sind. Und eines ist auch wichtig für die gesamte Bevölkerung: Dass man wirklich zeigt, dass man diese Leute mit diesem ganz schwierigen Hintergrund nicht im Dorf haben möchte."
Jetzt ist die rechte Szene in anderen Dörfern im schwäbischen Remstal anzutreffen, zum Beispiel in der Gemeinde Korb. Drei Parteitage konnten die NPD und die sogenannten Jungnationalen in den vergangenen beiden Jahren in Korb abhalten. Die rund 10.000 Einwohner erfuhren nichts davon. Polizei, Landrat und der parteilose Bürgermeister Jochen Müller behielten die politischen Veranstaltungen der Rechten für sich. Nicht geklärt ist allerdings, ob das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz die politisch Verantwortlichen zum Stillschweigen verpflichtet hatte. Als das braune Treiben dann doch bekannt wurde, zeigte sich der Korber Gemeinderat entsetzt. Von einem Schweigekartell war die Rede.
Die Rechten sind aktiv im Remstal, das ist schon lange bekannt. Die Polizei beschäftigt eine eigene Expertengruppe für Rechtsradikale im Landkreis. Vor einigen Jahren wurde im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises zudem eigens der Fachbeirat Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Grund: die steigende Zahl politisch motivierter Straftaten. Die NPD hielt bereits im Jahr 2000 in der zum Landkreis gehörenden Stadt Winnenden ihren Bundesparteitag ab.
Willi Halder, grüner Landtagsabgeordneter und Mitglied des Fachbeirates Rechtsextremismus:
"Wir sind Schwerpunktkreis Skinhead in Baden-Württemberg; wir hatten die größte Dichte an Skinheads hier im Rems-Murr-Kreis. So hat das Landratsamt darauf reagiert, indem man erst einmal eine Stelle, eine Fachstelle geschaffen haben, speziell zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und diesen Arbeitskreis ins Leben gerufen hat, um hier beratend tätig zu sein."
Allerdings warnen Experten davor, sogenannten Skinheads grundsätzlich in die Ecke gewaltbereiter Neonazis zu stellen. Laut einer Regionalstudie des Tübinger Pädagogik-Professors Josef Held hat im schwäbischen Remstal vielmehr der Einfluss von rechtsextremen Parteien, speziell der NPD, sehr stark zugenommen.
Wie Held schreibt, entwickelte die NPD in der Region eine eigene Jugendarbeit, mit der sie, Zitat aus der Studie: "den Bedürfnissen der Jugendlichen im ländlichen Raum besonders gerecht werden will." Die NPD versuche mit ihren Themen und Ansätzen in die verschiedenen sozialen Felder einzudringen und beachtet dabei die jeweiligen Voraussetzungen der Adressaten.
Fazit der Studie aus dem Jahr 2007: Nicht die Existenz rechtsextremer Gruppen ist das eigentliche Problem, sondern eine politische Kultur, die eine Akzeptanz gegenüber dem Rechtsextremismus entwickelt.
Vier Jahre nach dieser Studie und über ein halbes Jahr nach dem Brandanschlag in Winterbach sind auch die Rathauschefs im Remstal wieder aktiv geworden. Im vergangenen Monat veröffentlichten sie eine Erklärung in den Lokalblättern. Der Landrat und alle Bürgermeister bekundeten darin, alles zu unternehmen, um jede Form extremistischer Bestrebungen im Rems-Murr-Kreis zu verhindern und aufzuklären. Sie appellierten an alle Bürger, sich gewaltfrei für Toleranz und Offenheit einzusetzen. Matthias Klopfer, SPD-Oberbürgermeister der Stadt Schorndorf.
"Ich glaube, das war eine gute Initiative des Landrates, übrigens, bevor es um das Thema Neonazis und Terror in den neuen Bundesländern auch ging. Und alle Kollegen haben gesagt: Jawohl, wir setzen ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus, gegen Rechtsradikalismus, hier bei uns im Rems-Murr-Kreis, dass in keinem der 31 Städte und Gemeinden keiner daran denkt, dieses auch nur aktiv zu unterstützen."
Juristisch hat der Brandanschlag von Winterbach ab morgen ein Nachspiel: Im Prozess vor der Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts wird es auch darum gehen, festzustellen, welchem rechten Lager die beiden mutmaßlichen Rädelsführer zuzuordnen sind. Ob es vielleicht Verbindungen zur NPD gibt?
Die aus Stuttgart und dem Rems-Murr-Kreis stammenden jungen Männer leugnen bislang die Tat. Allerdings geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die beiden Beschuldigten sowie die Teilnehmer des Festes im April vergangenen Jahres hauptsächlich der rechten Szene angehören. Gegen 30 weitere Verdächtige wird bis heute ermittelt.
"Die Menschen sind vorsichtiger geworden", sagt der Besitzer einer Imbissstube am Winterbacher Bahnhof. Langsam schneidet er mit einem Messer kleine Fleischstücke von einem großen Spieß. Döner. Er selbst habe keine Angst, behauptet der etwa 45 Jahre alte Mann mit türkischen Wurzeln:
"Wir haben uns noch gar keine so großen Gedanken gemacht. Im Gegenteil: Wenn man Angst zeigt, wenn man zeigt, was sie wollen, und die wollen ja nur Angst schüren, dann muss man sich doch Gedanken machen."
Der Mann vom Imbiss macht lieber Witze: "Das ist ein türkischer Rechtsradikaler", stellt er einen Kunden vor, der wenig Haare auf dem Kopf hat und wohl türkischstämmig ist. Alle lachen, auch der Kunde. Dann aber wird es doch ernst. Der Mann am Fleischspieß setzt das Messer ab und sagt:
"Ab 22.00 bis 23. 00 Uhr ist es schon unheimlich hier. Dann machen wir zu, viele machen zu, dann ist es schon dunkel."
Wenn es dunkel wird, ist es auch Duran Tecer recht, wenn alle zuhause sind. Bei Tecers ist die Zeit stehen geblieben. Der 21-jährige Ali hat seit dem Brandanschlag über zehn Kilo abgenommen. Lange überlegt er sich eine Antwort auf die Frage, wie es ihm jetzt geht:
"Ich war davor schon so ein Mensch, ich habe nicht so schnell Vertrauen aufbauen können. Es kommt mir sogar manchmal ein bisschen komisch vor, wenn ich irgendwo bin mit meinen Kumpels oder so und jemand Neues kennenlerne, weil ich denke: Ich vertraue niemandem."
Wochenlang war Ali nach dem Brandanschlag krank. Wieder zurück in der Berufsschule sollte er vor den Sommerferien eine Abschlussarbeit schreiben und fiel prompt durch, das Ende seiner Ausbildung als Kfz-Mechatroniker. Jens Schmierer, Leiter des Jugendhauses in Winterbach, hätte ihm gerne geholfen. Aber Ali verschwieg den Abbruch. Der Jugendhausleiter organisierte nach der Tat einen Ausflug für die Opfer. Eine Fahrt in einen Freizeitpark. Es war der Wunsch,
"dass sich die Jugendlichen nicht Zuhause verschanzen sollen, sondern dass der Alltag trotzdem weiter geht. Da kam die Idee auf, dass wir eben einen schönen Tag erleben wollen, und die Jugendlichen haben sich da etwas überlegt und da kam eben dieser Europapark zustande."
Jens Schmierer trifft sich auch heute noch regelmäßig mit Ali und den anderen. Manchmal gehen die älteren Söhne von Duran Tecer wieder zum Angeln. Das Gartengrundstück über Winterbach wollen sie nicht mehr betreten. Die Stadt hat ihnen die Wiese am Hang mittlerweile abgekauft. Wo einst das Gartenhaus stand, wächst nun Gras. Der Wind fegt über den Hang. Unten im Tal sitzt Familie Tecer im Wohnzimmer und versucht zu verstehen, wie das ist mit der politischen Kultur in Remstal, in Deutschland:
"Die Deutsche haben ja eine Kultur, und Deutsche sind eigentlich Denker und Bastler. Hier die Schwaben. Aber die wollen doch Frieden haben hier. Man muss doch was sagen können. Wir können abhauen, wie können gehen. Wir können alles hier liegen lassen, abhauen in unsere Heimat. Was machen Sie? Wo gehen Sie hin? Da muss doch jeder Deutsche hier etwas tun! Nur, man darf nicht diese Leute Überhand gewinnen lassen, das geht nicht."
Am Landgericht Stuttgart sind für den Prozess gegen die 21 und 22 Jahre alten mutmaßlichen Täter insgesamt 31 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil wird Mitte Mai gerechnet.