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Renaissance der Vinylkultur
Es dreht sich um Musik

Die CD ist im Sinkflug, doch mit 60 Prozent Anteil immer noch wichtigster Tonträger. Im Schatten des boomenden Musikstreamings legen sich Hörer "schwarzes Gold" auf den Plattenspieler: 180 Gramm schwere Scheiben. Die Schallplatte kehrt zurück. Oder war sie nie weg?

Von Andreas Dewald |
    Schallplatten (LPs) in Plattenladen in Seoul
    Schallplatten (LPs) in Plattenladen in Seoul (picture-alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Lieben Sie das auch, wenn Sie Musik hören wollen? Eine Vinylschallplatte aus der Hülle nehmen und behutsam auf den Plattenteller legen? Und dann dieses wohlige Knistern und Knacksen, dieses sirrende Geräusch, wenn die Nadel des Tonarms mit sattem Plopp in die Rille gleitet?
    Carl: "Die Musik klingt auf Vinyl einfach super gut."
    Tim: "Das Knistern finde ich gemütlich."
    Eroc: "Vinyl-Klang schöner, wärmer? Ich würde sagen: Firlefanz!"
    Jan: "Ich glaube, dass viele Leute einfach dieser digitalen Beliebigkeit überdrüssig sind."
    Die Vinylschallplatte erfährt eine wahrlich wundersame Wiederauferstehung: Es dreht sich um Musik. Die Renaissance der Vinylkultur. Eine Sendung von Andreas Dewald.
    Musik: "Bussi Baby" -Wanda
    Man kann Musik heutzutage streamen, über das Smartphone, Tablet, den PC, über ins WLAN eingebundene Fernseher. Man kann sie im Radio, auf Kassetten oder auf CDs hören. Mit 60 Prozent Marktanteil bleibt die CD das wichtigste Medium. Man kann sich auch entscheiden, Musik nur noch auf Live-Konzerten zu goutieren. Oder man kann sie auf Vinylschallplatte genießen. Man kann aber auch alle diese Formate parallel nutzen: Vinyl, CD, Konzerte und mp3. Für die Mehrzahl der Musik-Konsumenten indessen ist die mediale Zukunft digital. Umso erstaunlicher ist das Comeback der Vinyl-Schallplatte. Um 31 Prozent sind die Verkaufszahlen von Vinyl 2015 gestiegen. Bundesweit wurden damit etwa 50 Millionen Euro umgesetzt, bei einem Umsatz von 1,55 Milliarden Euro im gesamten Musikgeschäft in Deutschland waren das vier Prozent.
    Record Store Day
    Und so gibt es überall neue Plattenläden, wieder große Vinylabteilungen in den Elektromärkten, eigene Charts für Langspielplatten. Es gibt den Record Store Day, an dem weltweit massenhaft exklusives Vinyl verkauft wird, und Plattenbörsen, die sehr gut besucht sind. Das gilt auch für einen Plattenladen im Zentrum von Münster, der immer schon viel Vinyl verkauft hat, selbst in der Hochphase der CD und der illegalen Musik-Downloads. An einem Samstag im April 2016 tummeln sich dort die Kunden vor den üppig gefüllten Kisten, blättern sich durch das Angebot und belagern den Verkaufstresen, um Fachgespräche zu führen. Eine Szene wie in Nick Hornbys Buch "High Fidelty".
    "Ich bin Carl, bin 27, bin Student hier in Münster und kaufe vorwiegend Metal und Hardcore-Platten, aber auch viel anderes Zeug wie Ambient, ein bisschen HipHop und auch so ein bisschen Prog-Rock aus den 70ern, eigentlich alles recht durchmischt. Also ich höre das, was mir gefällt so, und wenn es das auf Vinyl gibt, dann kauf ich mir das auch gerne. Also, da ist mir das Genre relativ egal, es muss mir halt gefallen. Vor allem die Aufmachung finde ich immer sehr gut. Und wenn die Vinylfarbe zum Cover passt, dieses Gesamt-Ding einfach passt, einfach schön verarbeitet ist, das finde ich eigentlich immer sehr gut."
    Natürlich gibt es in der Sammlung von Carl Platten, die für ihn einen herausragenden Klang haben.
    "Also, allgemein alles, was so das Label Denovali rausbringt, das ist eigentlich qualitativ immer sehr hochwertig. Ansonsten darf’s auch ruhig mal ein bisschen kratziger sein. So alte Black Sabbath-Platten und so was oder so Slayer, frühe Slayer-Pressungen, die müssen halt ein bisschen knarzen, und das mag ich eigentlich auch ganz gerne."
    Warum wohl greifen so viele seiner Zeitgenossen wieder zur Vinyl-Schallplatte?
    "Retro- oder Nostalgiefaktor"
    "Ich glaube, das liegt vor allem daran: einfach dieser Retro- oder Nostalgiefaktor. Aber auch: Bei mir ist das einfach so, ich mag dieses Jagen und Sammeln und halt durch Second-Hand-Sachen durchgucken und halt irgendwas Cooles finden für einen guten Preis. Das macht dann einfach super viel Spaß. Und ja, die Musik klingt auf Vinyl einfach super gut."
    Musik: "Evil" - Savages
    "Ja, ich bin Jan, ich bin 41 Jahre alt und kaufe in erster Linie meistens Punk-Hardcore-Platten, aber auch alles Artverwandte. Hin und wieder auch mal eine Klassik-Platte auf dem Trödelmarkt. Oder Indie, ein paar HipHop-Platten, Metal, was mir so unterkommt, was mir gefällt."
    Jan steht einige Meter neben dem Verkaufstresen eines Schallplattengeschäfts in Münster, das auf harte Rockmusik in allen Schattierungen spezialisiert ist. Prachtvolle Cover in der Schock-und-Horror- oder Sex and Crime-Ästhetik des Genres zieren die Wände, und die Vielzahl der vertretenen Stile von klassischem Brit-Punk von 1976, über Grunge, Prog- und Stoner-Rock bis hin zu Doom-, Death- und Black-Metal neuer Schule, ist hier schlicht verlockend. Und Jan hat auch schon einen ansehnlichen Stapel des schwarzen Goldes neben sich liegen, während er konzentriert durch die Kisten und Regale stöbert. Er scheint ein Sammler von Vinyl-Schallplatten zu sein.
    "Vielleicht als Komplettist teilweise, der von bestimmten Bands dann alles Mögliche zusammensammelt, was irgendwie greifbar ist. Aber es treibt bei mir keine merkwürdigen Blüten, sag ich mal. Also, ich würde jetzt keine Platte für 150 Euro kaufen. Derzeit konzentriere ich mich viel auf 80er-New Wave und Industrial, experimentelle Musik. Das ist eine Sparte, die ich erst relativ spät für mich entdeckt habe, und ja, das ist gerade ein Augenmerk von mir."
    Gatefold cover - "man hat was in der Hand"
    Die Sammlung von Jan umfasst mittlerweile zweitausend LPs und etwa 500 Singles. Ihm gefallen besonders die Plattengestaltungen, Hüllen, die man aufklappen kann zum Beispiel, sogenannte gatefold cover.
    "Ich finde, das Schöne am Vinyl ist, dass es eben im Gegensatz zum mp3 oder digitalen Musikdateien einfach ein physischer Tonträger ist. Man hat was in der Hand. Man kann sehen, wie sich die Nadel durch die Rille bewegt. Man hat ein großes Artwork in der Hand, man hat sogar ein Gatefold in der Hand. Man sieht, wenn eine Platte 30, 40 Jahre alt ist. Wenn man eine alte Velvet Underground-LP, eine abgewetzte in der Hand hat, dann hat das einfach Spirit."
    Auch was die Gründe für den derzeitigen Vinyl-Boom angeht, hat Jan eine Meinung.
    "Ich glaube, dass viele Leute einfach dieser digitalen Beliebigkeit überdrüssig sind. Dass viele Musikinteressierte einfach wieder eine Schallplatte, ein großes Artwork, was in der Hand haben wollen. Und vielleicht auch ein ganzes Album mal durchhören wollen, anstatt sich durch irgendwelche Datenwuste zu klicken, wo sie selber den Überblick verloren haben. Ich glaube, das ist einer der Hauptgründe."
    Aberhunderte Vinyl-Schallplatten
    Szenenwechsel: Ein Second-Hand-Laden in Münster, vollgepackt mit Schallplatten, CDs, DVDS, Computerspielen. Im hinteren Bereich stehen Aberhunderte von Vinyl-Schallplatten, alphabetisch und nach Genres geordnet, einzeln in Plastikhüllen, bequem zum Durchsuchen in hüfthohen Kisten. Darüber berühmte, ikonographische oder exotische Exemplare auf Schienen an den Wänden. In den Ecken außerdem hohe Glasvitrinen mit vielen LP-Boxen. Und hinter dem Tresen, auf dem sich zwei Plattenspieler und Kopfhörer zum Anhören der Schallplatten befinden, ein junger Mann mit Hipster-Bart, der freundlich lächelt.
    "Ich bin Tim, 33, bin Student. Habe eben mit HipHop-Musik angefangen, wo das Hauptmedium durchweg Schallplatte ist. Und dann auch immer mehr in alle möglichen Richtungen, von Jazz, Soul, Funk, Klassik und so weiter gehört. Und dann die Musikrichtung gewechselt und dann viel in Richtung Punkrock und Hardcore und generell so Alternative-Indie-Sachen. Also, das sind die Sachen, die ich eben auch neu viel auf Schallplatte kaufe. Aber nach wie vor ist auch Jazz ein ganz großer Punkt."
    Weshalb Tim die Vinylschallplatte anderen Medien vorzieht, weiß er ganz genau.
    "Also, Cover, so Artwork ist mir generell ziemlich wichtig. Und wenn es um das Hören geht, allgemein, finde ich, dass man viel näher an dem Geschehen dran ist. Dass man das sieht, was gerade passiert. Und dann auch der Klang natürlich. Ich denke, dass ist das, was die meisten auch sagen werden, dass es darum geht, dass das ein warmer gemütlicher Klang ist. Und dieses Knistern, was halt häufig vielleicht bei digital liebenden Menschen ein Mangel ist oder bemängelt wird, das Knistern finde ich gemütlich."
    Sammelwut vs. Freundin
    Es wird also weitergehen mit Tims Leidenschaft für die Vinyl-Schallplatte. Doch da droht Gefahr: Bei seiner Sammelwut wird irgendwann seine Wohnung aus allen Nähten platzen und seine Freundin ihn verlassen.
    "Das ist immer natürlich auch das, was ich auch so toll finde, auch Plattenkisten auf dem Flohmarkt. Dieses Aha, was ist da drin? So ein bisschen dieser Überraschungsei-Effekt. Und dass, egal, wo es eigentlich hingeht, wird da erstmal geguckt, was gibt es da für Schallplattenläden in der Ecke. Oder für irgendwelche Second-Hand-Läden, wo Platten eventuell da sind. Und es gibt ja diverse Bücher mittlerweile, die sich mit Schallplattencovern auch spezialisiert haben. So Cover-Bücher, Funk-Soul-Cover von Taschen, oder Jazzcover. Da blättere ich gern mal durch und suche dann gezielt manchmal auch noch diese Platte. Ich wüsste jetzt, ehrlich gesagt, keinen Grund, warum das aufhören sollte."
    Musik: "Die kapieren nicht" - Messer
    "Ich heiße Hendrik Otremba und lebe in Berlin. Ich bin 31 Jahre alt und der Sänger der Gruppe Messer, die irgendwie schon eine Rockmusik macht, die aber hoffentlich recht experimentierfreudig ist."
    Die junge Band Messer um den Frontmann Hendrik Otremba hat mit ihrem scharfkantigen Art-Punk-Rock und aufwühlenden Texten bei den Fans und in den Feuilletons viel Furore entfacht. Die Mehrzahl der Künstler, die bei großen Plattenfirmen oder kleinen ambitionierten Labels unter Vertrag stehen, veröffentlichen ihre Musik heute auch als Vinylschallplatten. In diesem Format haben sich die ersten beiden Alben von Messer in bemerkenswerter, vierstelliger Höhe verkauft.
    "Ab dem Moment, wo man Schallplatten rausgebracht hat, ist das sowieso nicht mehr zu ändern, dass man sich darüber freut. Weil das einfach ein schönes Gefühl ist, die eigene Schallplatte in der Hand zu halten, wo man viel Energie reingesteckt hat und Liebe reingesteckt hat. Deshalb ist das für mich so die Wertigkeit. Etwas in den Händen halten, das man gemacht hat oder an dem man partizipiert, über das man sich freut. Dass es sozusagen dinglich wird und anfassbar wird."
    Artwork aus expressiven Aquarellen
    Hendrik Otremba ist auch als bildender Künstler tätig und für die Gestaltung der Plattencover von Messer zuständig. Dabei setzt er seine expressiven Aquarelle ein. Es sind eindringliche, in dunklen Farben gehaltene Porträts von Menschen, hohlwangig, ausgezehrt, leidend, mit schmerzerfülltem Blick, die von stiller Trauer und Tragik erzählen, die gefangen nehmen, und eindrucksvoll mit der unheimlichen Atmosphäre korrespondieren, die die Musik von Messer heraufbeschwört. In der Größe einer LP-Hülle wirken Otrembas Aquarelle besonders intensiv und hypnotisch.
    "Wir haben jetzt gerade unser drittes Album in Vorbereitung. Wir haben das schon aufgenommen und basteln da eifrig am Artwork. Und da wird es zum Beispiel ein Booklet geben, das auch in einem 30 x 30 Zentimeter-Format sein wird und so eine Art Kunstkatalog ist. Das heißt, als bildender Künstler da nicht nur Sänger sein zu dürfen, sondern auch das Cover malen zu dürfen und das Artwork konzipieren zu dürfen, ist für mich irgendwas, was auch meiner Wertschätzung von Kunst entspricht. Nämlich, dass man Dinge zusammendenkt, dass man Dinge zusammenbringt. Und dass das nicht nur das Musikvideo oder die Schallplatte ist, sondern das da einfach verschiedene Formen des Ausdrucks und der Auseinandersetzung zusammenkommen können."
    Hinwendung zum Vinyl
    Die Bandmitglieder von Messer kommen aus einer Szene, sagt Otremba, in der Musik schon immer vorwiegend auf Vinyl-Schallplatten gehört und veröffentlicht wurde. Eine Hinwendung zum Vinyl können sie jedoch auch bei immer größeren Teilen ihres Publikums beobachten.
    "Ich sehe das eher, wenn ich mich in so einem erweiterten Umfeld umgucke, dass Leute auf einmal wieder anfangen, Vinyl zu kaufen. Oder überhaupt anfangen, Vinyl zu kaufen. Vielleicht auch, weil sie so ein Echtheitsgefühl wieder brauchen. Weil sie von der wahnsinnig vielen Musik, die man heute bei den offenen digitalen Archiven sich anhören kann, wieder so was brauchen, was eine Auswahl auch bedeutet und eine Entscheidung für ein Werk, das man dann besonders intensiv hört. Was man sich hinstellt. Und wo man Geld für ausgibt.// Und ich glaube auch, diese Fetischisierung auf eine Art von Musik und so eine Haptikverliebtheit kommt auch daher, dass Leute überfordert sind mit der Menge an Musik und dann wieder klare Verhältnisse brauchen vielleicht."
    Legende des Krautrock: auf LP!
    Aus einer anderen Generation stammt der Musiker Michael Rother. 1971 war er kurzzeitig Mitglied von Kraftwerk und dann eine Hälfte des epochalen Krautrock-Duos Neu!. Im Trio Harmonia unternahm Michael Rother zusammen mit den Musikern von Cluster abenteuerliche Erkundungen elektronischer Musik und erfand mit seiner elektrischen Gitarre mit wenigen wirkungsvollen Tönen eine eigene Klangsprache. Später war er mit "neuartigen" Solowerken wie "Flammende Herzen", "Sterntaler" und "Katzenmusik" erfolgreich. Eine Legende des Krautrock, der progressiven Rockmusik aus Deutschland, die er bis heute live auf die Bühnen in aller Welt bringt. Gerade wurde das Werk seiner Band Harmonia als opulente Vinyl-Box wiederveröffentlicht und fand im In- und Ausland reißenden Absatz.
    "Jetzt, nachdem einige Alben wieder veröffentlicht worden sind, ist mir doch deutlicher geworden, wie schön die Vinyl-Musik ist. Wie schön das große Artwork zur Geltung kommt. Und ich freue mich über jede LP-Veröffentlichung. Die Harmonia-Box, die im Oktober erschienen ist mit fünf Vinylen, war ein schönes Beispiel dafür. Es ist herrlich, so etwas in der Hand zu halten. Von mir aus kann es die Koexistenz gerne weiter geben, es können auch noch weitere Formate hinzukommen. Das Entscheidende ist in letzter Konsequenz immer der Inhalt."
    "Neu!" als Drama-Meisterwerk auf zwei LP-Seiten
    Michael Rother hat die Hochzeit der Vinyl-Schallplatte in den 1960er und 70er Jahren miterlebt. Die Alben von Neu! und Harmonia waren Meisterwerke an Drama, Spannung und Dynamik, konzipiert auf zwei LP-Seiten. Auf den Covern war nur der Schriftzug "Neu!" mit Ausrufezeiten in grellroten Lettern auf weißer oder weißen Lettern auf schwarzer Hülle zu lesen. Bei "Neu!2" waren grob mit Tesafilm aufgeklebte, fotokopierte Passfotos mit bemalten Gesichtern abgebildet, die ganze Rückseite durchgestrichen und krakelig mit Stift überschrieben. Das LP-Cover der "Musik von Harmonia" bestand aus dem hyper-realistischen Gemälde einer turmhohen blauen Ammoniak-Flasche und lakonisch hingepflanzten Credits der beteiligten Musiker. Das alles erinnerte an große Pop Art Marke Andy Warhol. Michael Rother hofft, dass das Vinyl-Revival anhält.
    "Ich würde es mir wünschen, weil es natürlich ein schöneres Erlebnis des Gesamtwerkes darstellt, wenn man die Verpackung, die Gestaltung des Covers in groß sieht und nicht in so einer klitzekleinen CD-Verpackung auf sich wirken lässt. Vielleicht hat sogar auch die Wahrnehmung der Wertigkeit einer Musik damit zu tun. Die Entpersonalisierung von Musik, also wenn es nur noch im Stream läuft und alles ohne nähere Angaben zum Künstler erfolgt. Das hilft, glaube ich, nicht und das ist sicher das Gegenteil von dem, was mir wichtig ist. Und das Vinyl-Album, auf dem man in groß die Mitwirkenden sehen kann, Details zu den Aufnahmen sehen kann und auch sogar auf den Rillen die dynamischen Verläufe des Stückes verfolgen kann, da bietet sich einfach eine größere Nähe. Und ich würde mir daher wünschen, dass Vinyl weiterhin bestehen bleibt und nicht als Modewelle wieder verschwindet."
    Musik "Dino"- Harmonia
    "Mein Vater hat, ich möchte nicht sagen, Platten gesammelt, aber war auch Vinyl-Fan gewesen. Ich bin quasi damit aufgewachsen, als mein Vater die Beatles-Platten oder Elvis-Platten aufgelegt hat. Also mein Vater hat sehr viel Rock’n’Roll gehört, meine Mutter sehr viel Klassik. Und damit bin ich groß geworden und hat mich auch nie losgelassen, muss ich sagen. Und das ist einfach die Haptik, das ist einfach ein Gesamtkunstwerk für mich, ist einfach schön, eine Platte aus der Hülle zu holen, aufzulegen und das Ganze zu genießen. Und mich abends vor meine Plattensammlung zu setzen und die eine oder andere Platte dann zu hören. Und ich selber habe auch keine Downloads, keine mp3s zu Hause, habe mich dem immer entsagt. Ich bin immer dem Vinyl treu geblieben bis heute."
    Plattenwaschmaschinen in der Redaktion
    Gunnar Schulz hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Der Enddreißiger ist Chefredakteur des Magazins für Vinylkultur "Mint", das er vor einigen Monaten gemeinsam mit Michael Lohrmann im Visions Verlag aus der Taufe gehoben hat. Inzwischen sind drei Ausgaben des Hochglanz-Magazins erschienen, und die Resonanz ist gut. Bei jedem Heft haben sie zehntausend Exemplare mehr drucken lassen, aktuell sind es 55.000, freut sich Gunnar Schulz. Er sitzt in der Dortmunder Redaktion, umgeben von Unmengen von Schallplatten-Boxen und einigen Plattenwaschmaschinen, die beinahe retrofuturistisch aussehen und für "Mint" getestet wurden. Das neue "Magazin für Vinylkultur" nimmt eine Zielgruppe ins Visier, die immer größer wird, sagt Gunnar Schulz.
    "Es soll jeden Vinylliebhaber ansprechen, ungeachtet seiner musikalischen Präferenz. Ich sage mal, wir haben mannigfaltige Geschichten zu berichten, und ein Jazzhörer oder einer, der vielleicht Heavy Metal hört oder auch Punk, wird an unseren Geschichten Spaß haben, wie einer, der Pop oder Jazz oder Blues hört. Wir beschränken uns da nicht auf eine spezielle Musikrichtung. Da Langspielplatten ja doch eher von Männern gekauft werden, die so zwischen 40 und 50 Jahre alt sind, wollen wir aber auch Artikel bringen, die auch jüngere Leser ansprechen."
    Männer als typische Sammler und Jäger
    In den ersten drei Ausgaben von "Mint!" gibt es Berichte über große Schallplattenbörsen und Streitgespräche über den Boom von Vinyl oder den Record Store Day. Man findet Reportagen aus den Aufnahmestudios und Fertigungsstätten des Formats und Portraits von Sammlern, Online-Aktivisten, Cover-Künstlern und Rezensionen von Vinyl-Veröffentlichungen aller Art. Sicher der süchtig machende Stoff für Schallplattensammler, deren Selbstdarstellungen hoffnungslos Besessener sich so manches Mal beinahe wie Krankenakten lesen.
    "Ich kenne auch viele Sammler. Viele beschäftigen sich natürlich auch mit dem Thema Krautrock und dem Psychedelic-Rock. Da werden auch aus den 70ern recht astronomische Preise aufgefahren teilweise, gerade von kleinen Deutschlabels, ich nenne da mal Kuckuck oder Brain. Das ist schon interessant. Heutzutage geht glaube ich auch viel über diesen Metal-, Punk- und Hardcore-Bereich. Da gibt es teilweise Kleinstauflagen von Platten, 7-Inches oder auch Langspielplatten, wo heute auch gute Preise bei heutigen Neuauflagen auch erzielt werden können, auf jeden Fall."
    Auffällig ist, dass es sich bei den Sammlern von Vinyl-Schallplatten vorwiegend um Männer handelt.
    "Bei Schallplatten, das ist wirklich so, da sprechen wir von 80% Männern, die Schallplatten konsumieren und hauptsächlich Rockmusik in all ihren Facetten hören Und wir sprechen hier wirklich nur von einem geringen Anteil von 20 % der Frauenwelt, die auch wirklich Vinyl kauft. Vielleicht, da doch der Mann eher zum Sammeln neigt. Ich meine, Vinyl hat doch am Ende mit einer Sammelleidenschaft zu tun."
    Im "Mint - Magazin für Vinylkultur" wird häufig der Begriff der "Community" beschworen Und es hat den Anschein, dass diese sehr vitale Gemeinschaft der Vinylliebhaber hier eine ideale Verständigungsplattform gefunden hat. Das jedenfalls hofft der Chefredakteur Gunnar Schulz.
    "Wir haben bisher unheimlich viele Rückmeldungen bekommen, kriegen täglich E-Mails, tauschen uns mit den Leuten aus, kriegen Ideen, können was zurückgeben. Es ist ja immer mit einem Austausch verbunden. Wenn wir das Magazin planen, ist da ein reger Austausch. Und so auch unter den Lesern. So konnten wir auch schon einige Leser zusammenbringen. Wir wünschen uns natürlich auch Rückmeldungen von den Protagonisten, die wir in der Zeitschrift vorstellen. Und es klappt ganz gut, muss man sagen. Das ist schon eine prima Sache."
    Musik: "King Kunta" - Kendrick Lamar
    In den Hügeln zwischen Hagen und Wuppertal liegt idyllisch auf dem Land ein Tonstudio, das sich zur Anlaufstelle für alle Musikschaffenden entwickelt hat, die ihre Kreationen gut klingen lassen wollen. Es gehört einem Mann namens Eroc, früher bei der legendären Rock-Band Grobschnitt, dann als Solist mit elektronischer Musik auf "Wolkenreise", und schließlich als Produzent vieler Künstler in seinem Studio aktiv.
    "Und zur Jahrtausendwende habe ich mich von all dem zurückgezogen und mich auf die digitalen Techniken konzentriert, mit denen man den Klang optimieren kann, das sogenannte Mastering. Und seitdem bin ich sehr involviert im Wiederhörbarmachen von allen möglichen Produktionen. Angefangen von Aufnahmen von den 20ern, 30ern, 40ern bis hin zu den 60ern und 70ern. Und auch ganz brandaktuelle Bands nehmen meine Erfahrung in Anspruch."
    Eroc gilt in der Szene als Koryphäe des Masterings, des endgültigen Schrittes, bevor die Aufnahmen vervielfältigt werden. Nun lieben die Anhänger des Vinyl-Formats doch alle das Ritual des Schallplattenauflegens und schwärmen davon, dass der Klang von Vinyl einfach wärmer und besser sei als der von anderen Tonträgern:
    "Klares Nein! Vinyl-Klang schöner, wärmer? Ich würde sagen: Firlefanz! Vinyl bringt lediglich zusätzliche Verzerrungen, Frequenzgangabweichungen, Rausch- und Rumpelgeräusche, Gleichlaufschwankungen und auch Tonhöhenveränderungen mit sich. Vinyl produziert je nach Qualität des Plattenspielers, des Abtasters, Verzerrungen, harmonische Verzerrungen, es vermischt etwas die Attacks, die Anschläge, rundet sie ein bisschen. Das klingt scheinbar wärmer, das klingt etwas milder, aber ist es im Grunde nicht. Das sind technische Unzulänglichkeiten. Wenn man einmal ein originales Masterband aus dem Studio gehört hat und dann davon den Vinylschnitt, der dann vielleicht auch noch tausendfach vervielfältigt, ganz am Ende der Kette steht, ist man eigentlich mehr enttäuscht."
    20-30 Euro
    Warum greifen dann immer mehr Musikhörer, junge wie alte, wieder zur Vinylschallplatte? Und erwerben sie zu gesalzenen Preisen? Neue Langspielplatten kosten heute in den Läden 20, eher 30 Euro, Wiederveröffentlichungen von Klassikern oft doppelt so viel wie das Original, Mehrfachboxen ein Vielfaches, und Raritäten second Hand, online oder auf Börsen manchmal nicht weniger als ein Mittelklassewagen. Trotzdem kommen die verbliebenen Schallplattenpresswerke kaum nach, produzieren rund um die Uhr und müssen sogar noch Aufträge ablehnen. Besonders die kleinen unabhängigen Label mit ihren Produkten haben da gegenüber den großen Plattenfirmen, die vor allem die Klassiker aus ihren Back-Katalogen auf Vinyl pressen lassen, das Nachsehen. Keine Frage: Vinyl boomt.
    "Weil es das lange nicht mehr so gegeben hat. Die Kids zum Beispiel kennen das gar nicht mehr. Ich darf als Beispiel meine Tochter anführen. Als die irgendwann vor Jahren ihre 1000 Downloads auf dem Computer hatte, sagte sie: Papa, ich habe soviel Musik, aber ich möchte endlich wieder CDs haben. Da kann ich Bilder drauf sehen und die kann ich meiner Freundin leihen und da kriege ich vielleicht sogar mal eine mit einem Autogramm." Ja, und dann habe ich meiner Tochter sogenannte Schlauchalben gezeigt, das sind diese großen Vinyldoppelalben, die man aufklappen kann. Wo ein richtig großes Bild drin ist. Und sie sagte: ‚Wow, das ist aber toll!’. Und ich denke, bei sehr vielen jungen Leuten kommt auch gerade das an. Wir haben ja demnächst diesen Vinyl-Day hier in Deutschland. Und da gibt es ja alle möglichen Erscheinungen und seltenen Sachen, bunte Vinylscheiben und seltene Vinylscheiben. Es ist einfach ein freudiger, farbiger Markt und dadurch entspricht er mehr der Musik, als einfach nur auf einen Knopf zu drücken und irgendwas runterzuladen."
    Musik: "Not Care" - Daughter
    "Was zu beobachten ist, ist, dass Leute sehr speziell nach Limitierungen suchen. Also nach farbigem Vinyl, je rarer, desto besser. Und dass der generelle Katalog, den wir früher immer sehr gut durchgehend verkauft haben, also von den großen Label, die wir im Programm haben, dass der Katalog ein bisschen in den Hintergrund gerät. Weil ich so das Gefühl habe, dass Leute sich das vielleicht digital besorgen oder einfach auch nur streamen oder so was. Also wirklich, wo Leute durchdrehen, und das sieht man ja auch am Record Store Day, sind halt diese Sammler-Geschichten. Und das, finde ich, ist die Hauptveränderung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat."
    Seltsame Spezies
    Chris Weinrich ist Mailorder-Chefeinkäufer eines Plattenladens in Münster und Betreiber des Labels This Charming Man. Er steht für den Typ Plattenverkäufer, der seine Klientel, die jungen und die alten Sammler und deren Begierden seit Jahren genau kennt. Besonders am Record Store Day treten sie in Aktion, dem dritten Samstag im April, wenn weltweit um die 500 Sonderveröffentlichungen, Rares, Unveröffentlichtes, Box-Sets, erhältlich sind. Ein Eldorado für die seltsame Spezies der Schallplattensammler, die alles private Glück oft ihrer obsessiven Leidenschaft opfert. Dabei spielen die aus der Steinzeit überlieferten Instinkte des Jagens und Sammelns eine Rolle. So mancher Sammler hat sicher als Kind zuwenig Mutterliebe erfahren und Ersatz in Dingen gefunden, die er berühren und festhalten kann. Die ihn schützen vor Ängsten und Enttäuschungen. Andere Sammler leiden womöglich an einem Mangel am Glückshormon Serotonin und deshalb an Zwangsneurosen. Und alle Sammler wollen Ordnung schaffen in einer komplizierten Welt, indem sie wenigstens ihre Schallplatten nach bestimmten Regeln archivieren. Über das Sammeln von Vinyl-Schallplatten machen sich auch Wissenschaftler Gedanken, so auch der Leiter des Studiengang Populäre Musik und Medien an der Universität Paderborn, Professor Dr. Christoph Jacke.
    "Also, es hat so eine komische Wertigkeit. Ich wäre da jetzt ganz vorsichtig, aber in den Diskursen darüber schwingt so eine Heiligkeit auch mit, so ein Fetischcharakter. Das ist jetzt total unbewiesen, aber es wäre für mich spannend, ob es nicht auch damit zu tun hat, weil sowenig heilig ist mittlerweile. Dass man sich so kleine, unverbindliche Heiligkeiten sucht man sich ganz gerne zusammen. Das andere ist dann der Fußballverein und dann das Kochen und die Technik, die man in der Küche hat oder im Wohnzimmer. Ersatz ist zu stark formuliert. Aber das sind so kleine Heiligtümer, die so ein bisschen kompensieren, dass man nicht mehr in der Kirche ist."
    Sammeln, was das Zeug hält
    Für den Sammler ist der Besitz das allertiefste Verhältnis, das man zu Dingen überhaupt haben kann: Nicht, dass sie in ihm lebendig wären, er selber ist es, der in ihnen wohnt. Hat der Kulturphilosoph Walter Benjamin vor fast 100 Jahren gesagt. Und das mag heute auch für die Sammler und Sammlerinnen von Vinyl-Schallplatten gelten: Sie wollen dem Wesen von Musik so nahe kommen wie möglich, der Magie von Pop, Rock, Blues, Jazz, Punk, Disco, Dance, HipHop, Electro oder Heavy Metal, und sammeln, wieder, was das Zeug hält. Schöne Aussichten, meint Professor Christoph Jacke:
    "Also, da zeigt sich auch auf einer gewissen Ebene, dass Popmusik-Kultur und auch ihre Tonträger bis hin zum Streaming, letztlich aber die Musik selber absolut gesellschaftsfähig und archivierbar und musealisierbar geworden sind. Das gefällt dann einigen nicht, die diesen Mythos des ewigen Dagegenseins erkennen. Aber ich fände das schön, so eine entspannte Alltäglichkeit. Also, das ist jetzt auch unsere Bibliothek, und das ins Theater und Oper Gehen ist jetzt das Konzert bis zu einem gewissen Grad. Ist doch schön."
    Musik: "Astral Planes" - Blues Pills
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tag online nachhören.