Renaturierungsgesetz
EU ringt um Maßnahmen für Umwelt und Klima

Moore renaturieren, Wälder aufforsten: Die EU will mehr für Umwelt und Klimaschutz tun. Um das Renaturierungsgesetz tobt ein parteipolitischer Grundsatzkonflikt. Die Zustimmung im EU-Parlament fiel knapp aus. Beschlossen ist das Gesetz noch nicht.

Von Carolin Born |
    Waltenhofen in Süddeutschland: Mitarbeiter der Schwäbischen Fischereiberatungsstelle und der Landesanstalt für Umwelt schütten Fische aus einem Eimer in die Iller im Rahmen einer Renaturierungsaktion im Jahr 2019
    Flussauen, Moore und Flüsse sollen den EU-Plänen zufolge renaturiert werden (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Das Europäische Parlament hat das umstrittene Naturschutzgesetz mit knapper Mehrheit gebilligt. In Brüssel stimmten am 12. Juli 2023 336 Abgeordnete bei 13 Enthaltungen für das Gesetz, 330 dagegen. Beschlossen ist das Gesetz damit noch nicht. Vertreter der EU-Staaten und des EU-Parlaments müssen nun die endgültige Fassung des Gesetzes aushandeln.
    Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur oder auch Renaturierungsgesetz sieht vor, bis 2030 für mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete in der EU eine Renaturierung zu veranlassen.

    Inhaltsverzeichnis

    Was sieht das Renaturierungsgesetz vor?

    Die EU-Kommission hat das Gesetz im Juni 2022 vorgeschlagen, um den Kollaps von Ökosystemen zu verhindern und den Rückgang der Biodiversität aufzuhalten. Es ist das erste europaweite Gesetz, das auf die Wiederherstellung der Natur zielt. Dafür sieht der Gesetzentwurf verbindliche Ziele für die verschiedenen Ökosysteme vor.
    Bis 2030 sollen auf mindestens einem Fünftel der Land- und Meeresgebiete in der EU sogenannte Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt werden. Dazu zählt zum Beispiel Auen zu renaturieren, damit Flüsse mehr Raum haben, alte Wälder zu erhalten, Seegras auf dem Meeresboden wieder anzupflanzen oder Moore wieder zu vernässen. Bis 2050 soll das auf allen geschädigten Ökosysteme passieren. Die Kommission schlägt dafür verschiedene Ziele vor; umsetzen müssen sie die Mitgliedsstaaten. Im Fokus stehen dabei besonders Moore oder Wälder, weil sie CO2 speichern können.
    Ende Juni haben sich die EU-Umweltminister auf eine Position zum Gesetzentwurf verständigt, welche den ursprünglichen Kommissionsvorschlag etwas abschwächt. Die konservative EVP-Fraktion und insbesondere die deutsche Delegation und Fraktionschef Manfred Weber (CSU) kritisieren das Gesetzesvorhaben seit Wochen massiv. Die EVP-Mitglieder stimmten im Ausschuss gemeinsam mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen gegen das Renaturierungsgesetz.

    In welchem Zustand befinden sich die natürlichen Lebensräume in Europa?

    Die EU-Kommission bezeichnet den Zustand der Natur in der EU als alarmierend: Laut der EU-Umweltagentur befinden sich in der EU über 80 Prozent der Lebensräume in schlechtem Zustand. Besonders betroffen sind demnach Feuchtgebiete, Torfmoore, Grasland und Dünenlebensräume. Rund 60 Prozent der Böden befinden sich in keinem guten Zustand. Zudem sind die Fisch- und Amphibienpopulationen dramatisch zurückgegangen. Mit dem Gesetz soll beispielsweise die Bestäuberpopulation wieder anwachsen oder Wiesenschmetterlinge und Feldvögel auf landwirtschaftlichen Flächen.
    Bundesumweltministerin Steffi Lemke stellt sich hinter das Gesetzesvorhaben: „Die Menschheit hat in den letzten Jahrzehnten so viel Schaden an der Natur angerichtet“, sagt die Grünen-Politikerin, „dass wir jetzt versuchen müssen sie zu stabilisieren, damit sie uns vor den Folgen der Klimakrise schützen kann.“ Auch Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen sollen durch die Maßnahmen abgemildert werden.

    Warum ist das Gesetz so umstritten?

    Die stärkste Fraktion im Parlament, die Europäische Volkspartei, zu der CDU und CSU gehören, fürchtet einen Verlust von Agrarflächen. Der Deutsche Bauernverband spricht von mehr als einer Million Hektar bedrohter landwirtschaftlicher Fläche. Steigende Nahrungsmittelpreise und eine Gefährdung der Ernährungssicherheit sind laut EVP die Folgen. Ebenso könnte auf den betroffenen Flächen der Ausbau der Erneuerbaren Energien behindert werden. Die Christdemokraten forderten deshalb, dass die EU-Kommission den Gesetzesvorschlag zurückzieht und einen neuen Entwurf vorlegt.
    In einem Offenen Brief prognostizieren hingegen über 6.000 Wissenschaftler lediglich kleine Einbußen bei Ernten. Phänomene wie Extremwetter seien deutlich schädlicher, schreiben sie. Eine intakte Natur sei für die Aufrechterhaltung einer langfristigen Produktion von wesentlicher Bedeutung.
    Sozialdemokraten, Grüne und Linke argumentieren ähnlich. Sie werfen den Christdemokraten Desinformation vor und dass sie sich mit ihrem Widerstand gegen ein zentrales Naturschutzgesetz der Kommissionschefin aus den eigenen Reihen stellen: den Green Deal, das Prestigeprojekt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin von der Leyen gilt zugleich als aussichtsreichste Anwärterin für die Spitzenkandidatur der EVP zur Europawahl 2024. Im Falle eines Wahlsiegs könnte sie eine zweite Amtszeit an der Kommissionsspitze beanspruchen
    Die EU-Kommission lehnte es ab, einen neuen Entwurf vorlegen und begründete dies damit, dass dafür die Zeit vor den nächsten Europawahlen zu knapp sei. Zudem betont die Brüsseler Behörde, dass auch in geschützten Gebieten wirtschaftliche Aktivitäten stattfinden könnten, wenn auch mit Einschränkungen. Nach Angaben der Kommission kommt es der Landwirtschaft insgesamt zugute, etwas dagegen zu unternehmen, dass die Bestäuber-Population zurückgeht und die Böden in einem schlechten Zustand sind.

    Wie funktioniert Renaturierung?

    Über 90 Prozent der deutschen Flüsse und Bäche sind nach Angaben des Bundesumweltamts "über weite Strecken begradigt, eingeengt, verrohrt oder von Bauwerken unterbrochen". Durch Renaturierungen könne der ökologische Zustand und die Attraktivität der Gewässer verbessert werden. Teilweise rücken dann Bagger an, um den Flüssen wieder mehr Raum zu geben. Es gibt aber noch viele weitere Maßnahmen, wie die Projektbeispiele auf der Seite des Umweltbundesamtes.
    In den Bundesländern gibt es seit Jahren bereits zahlreiche Renaturierungs-Projekte. Im Erzgebirge werden zum Beispiel Moore revitalisiert. Um Moore zu renaturieren, müssen laut Bundesumweltministerium Entwässerungsgräben verschlossen und künstliche Wälle errichtet werden.
    Carolin Born, dpa, AFP, Reuters, tei