Archiv


Rente mit 71

Europas Bürger werden immer älter - und die Sozialkassen immer leerer. Einen radikalen Schritt plant jetzt die dänische Regierung: Sie will das Renteneintrittsalter auf 71 Jahre erhöhen und das dänische Modell des frühen Ruhestands beenden. Kein Wunder, dass die Rentenpläne Wellen schlagen.

Von Marc-Christoph Wagner | 01.02.2011
    Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen blickte ernst, konstatierte, jeder Däne gehe heute durchschnittlich schon mit 61 in Rente – und das könne sich das Land schlichtweg nicht mehr leisten.

    "Wir müssen mehr voneinander verlangen. Es ist nicht solidarisch den Schwachen gegenüber, wenn die Gesunden bezahlt werden, damit sie in den Ruhestand gehen. Es ist nicht solidarisch gegenüber den Kranken, wenn wir medizinisches Personal dafür bezahlen, daheimzubleiben. Wir als Gesellschaft leben von der Arbeit, die wir alle gemeinsam leisten – von Unternehmen, Handwerkern und Forschern. Das ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft aufbaut. Und nur wenn alle mit anpacken, ist das echte Solidarität."
    Rasmussens Argument, die demografische Entwicklung lasse der Regierung keine andere Wahl, als die Lebensarbeitszeit zu verlängern, stößt bei den Dänen selbst auf geteilte Meinungen. Vor allem die Abschaffung des Vorruhestandes – bisher ein Kern des dänischen Sozialstaates – ist umstritten, vor allem für die Generation unter 45:

    Umfrage: "Das ist vernünftig, diese Regelung kostet sehr viel Geld."

    "Es überrascht mich nicht, dass das nun kommt. Aber gut finde ich das nicht."

    "Wir Jungen wissen doch, dass wir selbst für unsere Renten sorgen müssen."

    "Als Bauarbeiter habe ich einen anstrengenden Job – und das seit 17 Jahren. Dass ich weitermache bis Mitte 60 – undenkbar."

    Eine Argumentation, die auch der Vorsitzende der größten dänischen Gewerkschaft, Poul Erik Christensen, ins Feld führt:

    "Soll der Schlachtereiarbeiter am Band stehen, bis er 71 ist? Kann der Bauarbeiter, der Dachdecker so lange auf Akkord arbeiten? Das ist doch der glatte Wahnsinn."

    Aus Sicht der Regierung aber gibt es keine andere Wahl. Wo heute fünf Arbeitnehmer in Rente gehen, treten nur noch vier in den Arbeitsmarkt ein. Ohne eine Reform der Rente würden schon binnen weniger Jahre weniger als die Hälfte aller Dänen arbeiten. Der dänische Sozialstaat ließe sich dann nicht mehr finanzieren. Die Opposition, personifiziert vom Vorsitzenden der dänischen Grünen, Villy Søvndal, weist derlei Argumente zurück:

    "Wir haben eine Regierung, die ihre Wählerklientel seit Jahren mit Steuererleichterungen bedient. Klar, dass man dann in einer Situation endet, in der das Geld fehlt. Anstatt die Rechnung von Vorruheständlern, Arbeitslosen, von Familien mit Kindern bezahlen zu lassen, sollte die Regierung dafür sorgen, dass neue Arbeitsplätze und neues Wachstum entstehen. Denn dann würde der Kuchen, den wir verteilen können, wachsen, anstatt dass wir – wie die Regierung es nun tut – immer neue Gruppen vom kleiner werdenden Kuchen ausschließen."

    Gewissheit herrscht unterdessen über eine Tatsache – und zwar über alle Parteigrenzen hinweg: Der einst so starke dänische Sozialstaat steckt in der Krise. Wo noch vor einigen Jahren Haushaltsüberschüsse erzielt wurden, klafft heute ein enormes Loch. Insofern sieht der Vorsitzende der dänischen Wirtschaftswaisen, Hans Jørgen Whitta-Jacobsen, in der Rentenreform einen notwendigen Schritt:

    "Gewiss, so etwas tut weh, aber die Reform wird einen Effekt haben."

    Und am Ende werden die Dänen selbst über das Reformpaket entscheiden. In den kommenden Wochen wird Ministerpräsident Rasmussen mit allen im Parlament vertretenen Parteien verhandeln. Sollte sich dabei – was wahrscheinlich ist – keine Mehrheit für die Rentenreform abzeichnen, wird es zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommen.

    Rasmussen: "Der Vorwurf, ich würde politische Versprechen brechen, ist doch absurd. Das wäre der Fall, wenn ich meiner Verantwortung als Regierungschef nicht nachkäme und den Bürgern nicht offen und ehrlich sagen würde, wir haben hier ein Problem, diese Lösung schlage ich vor. Wenn die Wähler meine Analyse beziehungsweise die von mir nun vorgeschlagene Lösung nicht teilen, dann können sich mich abwählen. Einen ehrlicheren Weg kann es doch nicht geben."