Die Rentenreform ist weiterhin umstritten. Nach Informationen der "Ruhr Nachrichten" befürchten mehrere Bundesministerien, dass die derzeit diskutierte Stichtagsregelung bei der Rente mit 63 dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht. Sie würde dazu führen, dass Arbeitslosenzeiten nur bis maximal zwei Jahre vor dem Beginn der Rentenzahlungen angerechnet werden. Innen-, Justiz- und Arbeitsministerium vermuten, dass die Stichtagsregelung Menschen benachteiligen würde, die tatsächlich mit 61 arbeitslos werden.
Der rentenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Weiß, zeigte sich im Deutschlandfunk zuversichtlich, dass das Rentenpaket dennoch Ende kommende Woche verabschiedet werden könne. "Wir haben intensiv verhandelt, wie wir Frühverrentungsanreize vermeiden können", sagte Weiß. Die Union halte daran fest, dass in Zukunft länger gearbeitet werden müsse. Die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren sei nur für eine Übergangszeit geplant. Langfristig müsse man wieder zur abschlagsfreien Rente mit 65 nach 45 Beitragsjahren zurückkehren, die heute schon im Gesetz stehe - ohne Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit. Die Kosten für die Übergangsregelung seien derzeit aus den gut sprudelnden Renteneinnahmen finanzierbar.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Es wird geschachert in diesen Tagen in Berlin und es geht dabei vor allem um die Rentenpolitik. In gut einer Woche soll der Bundestag nämlich über das Rentenpaket der Bundesregierung beraten und es verabschieden. Einer der umstrittensten Punkte ist und bleibt dabei die Frage, mit wie viel Jahren ein Arbeitnehmer denn eigentlich abschlagsfrei in Rente gehen darf.
Am Telefon hier im Deutschlandfunk ist jetzt Peter Weiß, der rentenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Weiß.
Am Telefon hier im Deutschlandfunk ist jetzt Peter Weiß, der rentenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Weiß.
Peter Weiß: Guten Morgen.
Armbrüster: Herr Weiß, wer künftig mit 61 noch arbeitslos wird, hat der einfach Pech gehabt?
Weiß: Es schießen jetzt die Spekulationen ins Kraut und ich schlage einfach vor, weil ja viele Betroffene sich jetzt persönlich darauf einrichten und sich entscheiden sollen, das zu machen, was immer vernünftig ist: Am Freitag, 23. Mai, wird das Rentenpaket im Deutschen Bundestag verabschiedet. Dann steht definitiv fest, was im Gesetz drinsteht, und dann sollte man auch danach seine persönlichen Entscheidungen ausrichten.
Armbrüster: Aber ich kann mir vorstellen, Herr Weiß, dass auch heute Morgen schon einige Leute wissen wollen, in welche Richtung der Hase denn läuft.
Weiß: Das ist ja auch verständlich. Aber ich finde, durch diese Art von Spekulationen, wie sie in dieser Woche hochgezogen werden, das führt ja nur zu Verunsicherungen. Man sollte abwarten, was endgültig im Gesetz steht, und wir haben jetzt intensiv mit dem Koalitionspartner darüber verhandelt, wie wir Frühverrentungsanreize vermeiden können. Es ist übrigens jetzt nicht nur das Anliegen der Union, sondern die sozialdemokratische Arbeitsministerin, Frau Nahles, hat in ihr Zuleitungsschreiben zum Gesetzentwurf hineingeschrieben, dass wir eine Regelung finden sollen, und natürlich möchten wir folgendes nicht haben, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber Gestaltungsmöglichkeiten suchen, wie man irgendwie mit 61 mal für zwei Jahre zunächst in Arbeitslosengeld-I-Bezug geht, um dann abschlagsfrei in Rente zu gehen. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist eine Belohnung für langjährige Berufstätigkeit und ist kein Instrument, um neue Frühverrentungsmodelle zu praktizieren.
"Zur heutigen Regelung irgendwann zurückkehren"
Armbrüster: Es bleibt dann aber dabei, Herr Weiß, dass Sie jemanden, der mit 61 arbeitslos wird, anders behandeln rentenpolitisch als jemanden, der es mit 58 oder 48 wird?
Weiß: Das, wenn Sie so wollen, ist auch heute schon Fakt, denn die heute im Gesetz stehende Regelung heißt, 45 Beitragsjahre ohne jede Einrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit berechtigt, mit 65 abschlagsfrei in Rente zu gehen. Diese Regelung ist bislang nie öffentlich angezählt worden, weil natürlich auch die Betroffenen verstehen, es geht um die Belohnung und den Respekt vor denen, die lange gearbeitet haben. Wenn man jetzt Zeiten der Arbeitslosigkeit mit aufnimmt, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, macht das vielleicht auch Sinn, um gerade die Zeiten, in denen wir hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland hatten, in denen wir nach der Wende große Probleme hatten in den neuen Bundesländern, mit zu berücksichtigen. Aber unser Wunsch als Union ist, dass wir irgendwann wieder zu der Regelung zurückkehren, die heute bereits im Gesetz steht.
Armbrüster: Sie haben jetzt gerade im Beitrag von Gerhard Schröder auch noch mal die Stimme von Andrea Nahles gehört. Die ist ja ganz offensichtlich sehr stark dagegen, so einen Kompromiss zu finden beziehungsweise ihren Plan so aufzuweichen. Wie wollen Sie die SPD in den kommenden sieben, acht Tagen noch überzeugen?
Weiß: Ich habe ja schon betont, auch die SPD hat den Auftrag mitformuliert. Wir wollen Frühverrentungsanreize vermeiden, dazu eine Präzisierung, einen Änderungsantrag im Gesetz einfügen. In den nächsten Tagen werden sich die Fraktionsspitzen, nachdem wir jetzt alle Modelle miteinander durchdiskutiert haben, verständigen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir nächste Woche die entsprechenden Anträge vorliegen haben, am Mittwoch abschließend im Ausschuss beraten können und dann am Freitag das Gesetzespaket verabschieden.
"Reform dreht eine Schleife"
Armbrüster: Es gibt nun, Herr Weiß, in der Politik viele Stimmen, auch bei Ihnen in der Union, die sagen, dieses ganze Rentenpaket, das geht eigentlich in die völlig falsche Richtung, wir verteilen hier Geld an Rentner, es ist Geld, das spätestens der nächsten Generation fehlen wird.
Weiß: Wir machen jetzt eine Reform, die in der Tat in der Philosophie, wir müssen länger arbeiten, um unser Rentensystem auf die Zukunft hin zu stabilisieren, eine Schleife dreht. Aber wie im Beitrag von Herrn Schröder schon ausgeführt, ist das ja nun eine Übergangsregelung. Sprich: Wir fangen jetzt die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren an, gehen dann aber anschließend in Jahresschritten jeweils um zwei Monate nach oben, sodass im Jahr 2029 das erreicht wird, was heute schon im Gesetz steht, dass nämlich auch dann, wenn die Regelaltersgrenze bei 67 liegen wird, man sehr wohl schon mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen kann, allerdings nur, wenn man 45 Beitragsjahre hat.
Armbrüster: Es ist aber eine Schleife über 15 Jahre, die insgesamt 160 Milliarden Euro kostet. Ist das nicht ein bisschen teuer?
Weiß: Nein, die kostet nicht 160 Millionen Euro.
Armbrüster: Milliarden!
Weiß: Milliarden. Die kostet nicht 160 Milliarden, sondern diese Regelung zur Rente mit 45 Beitragsjahren wird im Jahr maximal eine bis zwei Milliarden Euro zusätzlich kosten, und wir glauben, dass wir diese Kosten aus den gut sprudelnden Renteneinnahmen mitfinanzieren können. Allerdings es ist richtig: Es ist eine zusätzliche Belastung für die Rentenkasse.
Armbrüster: Herr Weiß, wenn Sie diese Zahl nennen, ein bis zwei Milliarden, das kann ich Ihnen aus meiner Erfahrung hier als Moderator sagen, da kriege ich spätestens heute Nachmittag eine E-Mail von der Rentenversicherung, von einem Herrn dort, der das genau hört, und der mir immer wieder schreibt, lassen Sie die Politiker nicht damit weg kommen, es ist mehr, es sind 160 Milliarden, und die werden komplett aus der Rentenkasse finanziert.
Weiß: Diese Zahl 160 Milliarden kommt dadurch zustande, dass alle Maßnahmen des Rentenpakets, Mütterrente, Erwerbsminderungsrente, abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren und die Verbesserung beim Reha-Budget, über Jahre hinweg zusammengerechnet werden. Das ist so, wie wenn Sie die Rentenausgaben von über 250 Milliarden Euro jährlich über zehn Jahre zusammenrechnen. Dann kommen Sie auch zu riesigen Summen. Was man sich anschauen muss, was sind die jährlichen Ausgaben, die zusätzlich entstehen, sind die durch Einnahmen zu decken. Wir haben ein Finanzkonzept vorgelegt, was diese Deckung möglich macht. Wir haben auch bereits in diesem Gesetzentwurf drinstehen, dass wir den Bundeszuschuss ab 2019 um insgesamt zwei Milliarden zusätzlich anheben werden, um den Beitrag in der Rentenversicherung zu stabilisieren. Richtig ja, die Maßnahmen, die wir beschließen wollen, sie kosten zusätzliches Geld, aber in einer Situation, in der es der Rentenkasse gut geht, wir gute Einnahmen haben und wir auch die Möglichkeit haben, den Bundeszuschuss zu erhöhen, glaube ich, kann man es auch verantworten, einmal nach Jahren, in denen wir eher Verschlechterungen in der Leistung der Rente beschlossen haben, an den Stellen, wo es notwendig ist, auch einige Verbesserungen zu beschließen.
"Wir müssen unser Rentensystem zukunftsfest machen"
Armbrüster: Aber wenn nun die Einnahmesituation so gut ist und wir doch gleichzeitig wissen, dass es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sehr schwierig wird für die künftige Rentnergeneration, wäre es denn nicht eigentlich geboten und völlig sinnvoll zu sagen, wir sparen dieses Geld, wir halten das zurück, weil wir wissen, dass es in spätestens 10 oder 20 Jahren eng wird?
Weiß: Die Rente ist kein Sparmodell, sondern sie ist ein umlagefinanziertes Modell. Sprich: Das was heute von den Beitragszahlern einbezahlt wird, wird morgen an die Rentnerinnen und Rentner ausbezahlt.
Armbrüster: Und die, die heute einzahlen, haben dann morgen möglicherweise Pech gehabt?
Weiß: Sie haben nicht Pech gehabt, sondern die bauen darauf, dass wir auch in Zukunft ein hohes Beschäftigungsniveau in Deutschland haben und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann, wenn sie in Rente sind, ihre Beiträge bezahlen. Richtig ist: Wir müssen unser Rentensystem zukunftsfest machen. Deswegen haben wir die Verlängerung der Lebensarbeitszeit beschlossen, ein ja ebenfalls hoch umstrittenes Vorhaben. Und wir halten daran fest, ja, in Zukunft muss länger gearbeitet werden, damit die Rente auf guten finanziellen Füßen steht. Und wir wollen auch erreichen, dass in Zukunft es leichter möglich wird, über das Rentenalter hinaus weiterzuarbeiten, weil längere Lebensarbeitszeit ist mit eine Bedingung dafür, dass das Rentensystem auch in Zukunft finanzierbar bleibt.
Armbrüster: Das Rentenpaket der Bundesregierung bleibt umstritten. In einer Woche soll abgestimmt werden. Das war der rentenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag, Peter Weiß. Vielen Dank, Herr Weiß, für Ihre Zeit heute Morgen.
Weiß: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.