Update: Der Bundesfinanzhof hat (31.5.2021) eine vom Bund der Steuerzahler unterstützte Klage gegen die Rentenbesteuerung in letzter Instanz abgewiesen. Der Vorwurf einer doppelten Besteuerung sei unbegründet, erklärte das oberste deutsche Finanzgericht in München. Die Richter legten allerdings erstmals eine konkrete Formel für die Berechnung der Besteuerung fest, von der in Zukunft zahlreiche Rentner betroffen sein werden.
Die Klage bezog sich auf die seit 2005 geltende schrittweise Umstellung der Rentenbesteuerung bis 2040. Vor 2005 wurden Rentenbeiträge von Arbeitnehmern "vorgelagert" besteuert. Ab 2040 sind Renten wie die Pensionen von Beamten "nachgelagert", also bei der Auszahlung zu versteuern.
Die Klage bezog sich auf die seit 2005 geltende schrittweise Umstellung der Rentenbesteuerung bis 2040. Vor 2005 wurden Rentenbeiträge von Arbeitnehmern "vorgelagert" besteuert. Ab 2040 sind Renten wie die Pensionen von Beamten "nachgelagert", also bei der Auszahlung zu versteuern.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Doppelbesteuerung bei Renten:
Eine einheitliche Definition ist schwierig und umstritten. Der Begriff Doppelbesteuerung wird hauptsächlich im internationalen Steuerrecht verwendet. In Bezug auf die Rente meint Doppelbesteuerung: Wenn eine Person zweimal Steuern zahlt, nämlich einmal auf die Rentenversicherungsbeiträge während des Erwerbslebens, und später noch einmal auf die ausgezahlte Rente, dann wäre das eine doppelte, unzulässige Besteuerung. Laut Bundesfinanzhof (BFH) liegt keine Doppelbesteuerung vor, wenn der steuerfreie Teil der Rente höher ausfällt als die ursprünglich erbrachten Beitragsleistungen während des Berufslebens.
Der Zehnte Senat des Bundesfinanzhofs befand nicht über die Rentenbesteuerung an sich, sondern hatte zwei Einzelfälle auf dem Tisch. Geklagt hatten zwei Rentner. Ihrer Meinung nach haben die jeweils zuständigen Finanzämter bei ihnen doppelt Steuern kassiert. Im ersten Fall (X R 20/19) klagte ein ehemaliger Zahnarzt, der 2009 in Rente gegangen ist. Er meint, dass bei ihm seither gut 500 Euro im Jahr doppelt besteuert werden. Im zweiten Fall (X R 33/19) wehrte sich ein früherer Steuerberater gegen die Höhe des Steuersatzes, mit dem der steuerpflichtige Teil seiner Rente seit 2007 besteuert wird.
Bruttoeinkommen der 65-Jährigen und Älteren
Das Problem einer möglichen Doppelbesteuerung stellt sich seit 2005. Damals reformierte die rot-grüne Bundesregierung die Rentensteuer. Anlass war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die bis dahin geltende vorgelagerte Besteuerung für verfassungswidrig erklärte.
Vorgelagerte Besteuerung
Vorgelagert hieß: Arbeitnehmende zahlten ihre Beiträge zur Rentenversicherung aus dem Einkommen, das sie bereits versteuert hatten – also aus dem Nettoeinkommen. Im Gegenzug mussten sie den Großteil ihrer Alterseinkünfte später nicht mehr versteuern.
Nachgelagerte Besteuerung
Seit 2005 wird die Rentensteuer schrittweise auf die nachgelagerte Besteuerung umgestellt. In einer Übergangsphase bis 2040 steigt der Teil des Einkommens, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer später von ihrer Rente versteuern müssen, immer weiter an. Wer dieses Jahr in Rente geht, muss schon 81 Prozent davon versteuern, 2040 dann 100 Prozent. Im Gegenzug können Arbeitnehmende seit 2005 höhere Beträge als Sonderausgaben von der Steuer abziehen. Darunter fallen zum Beispiel die Ausgaben für die Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung. Mit diesem System wollte die rot-grüne Bundesregierung eine Doppelbesteuerung verhindern.
Die Macher des Gesetzes von 2005 verteidigen es, und auch das Bundesfinanzministerium hält die jetzige Regelung für verfassungskonform. Rückstellungen im Haushalt für etwaige Rückzahlungen habe man deshalb nicht gebildet, sagte der zuständige Staatssekretär dem Deutschlandfunk.
Kritik an dieser Haltung kommt vor allem aus der FDP. Für den Staat gehe es um erhebliche Steuerausfälle. Auch der Bund der Steuerzahler, der die beiden Klagen am Bundesfinanzhof unterstützt, kritisiert das Finanzministerium und verweist auf Experten, die die Besteuerungspraxis für verfassungswidrig halten.
Kritik an dieser Haltung kommt vor allem aus der FDP. Für den Staat gehe es um erhebliche Steuerausfälle. Auch der Bund der Steuerzahler, der die beiden Klagen am Bundesfinanzhof unterstützt, kritisiert das Finanzministerium und verweist auf Experten, die die Besteuerungspraxis für verfassungswidrig halten.
Der BFH hat beide Klagen zurückgewiesen. Das bedeutet, dass der Staat die beiden klagenden Rentner korrekt besteuert hat. Laut der Vorsitzenden Richterin Jutta Förster liegt in den beiden Fällen keine doppelte Besteuerung vor. Die läge nur vor, wenn die steuerfreie Rente später geringer ausfällt als die Summe der Beiträge, die man während des Berufslebens gezahlt hat.
Folgen für Politik und Verwaltung
Der Zehnte Senat hat im Urteil aber auch ganz deutlich Änderungen angemahnt und festgehalten, dass in Zukunft mehr Rentner von einer Doppelbesteuerung betroffen sein werden als die Finanzverwaltung erwartet. Die Richter haben konkret Punkte benannt, die für die Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung relevant sind. Es steht zwar keine mathematische Formel im Urteil, aber sie haben zum Beispiel festgelegt, dass der Grundfreibetrag bei der Berechnung der späteren Rente nicht angerechnet werden darf, genauso wenig wie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Finanzverwaltung muss nun also errrechnen, was das konkret für die einzelnen Rentenjahrgänge und auch für die Steuerkasse bedeutet.
Das Bundesfinanzministerium hat bereits angekündigt, an den Steuern was ändern zu wollen, zusammen mit einer Reform der Einkommenssteuer. Aber erst in der nächsten Legislaturperiode. Eine mögliche Option wäre, dass die Rentenbeiträge nicht erst 2025 komplett steuerfrei gestellt werden, sondern bereits früher.
Rentner zahlen mehr Einkommensteuer
Manuskript der Hintergrund-Sendung vom 28.01.2021
Die Klage, die er 2014 beim Hessischen Finanzgericht in Kassel eingereicht hat, die hat Gert Zimmermann ganz oben platziert. Er sitzt an seinem Esszimmertisch, vor ihm liegt ein Stapel voller Ordner.
Es geht um die Frage, ob ihn sein zuständiges Finanzamt in Wetzlar bei seiner Rente doppelt besteuert und damit zwei Mal zur Kasse gebeten hat. Die Richterinnen und Richter aus Kassel haben Zimmermanns Klage zwar abgewiesen, doch was die Doppelbesteuerung angeht, gaben sie ihm zumindest in einem kleinen Punkt recht.
Es gibt zwei Musterklagen
"Das Finanzgericht Kassel hat festgestellt, dass private Renten in meinem Fall doppelt besteuert sind", sagt Zimmermann. "Aber aufgrund meiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wäre das eine Bagatelle, die ich hinzunehmen habe. Das ärgert einen schon, denn ich sage mal so: Doppelbesteuerung ist unabhängig vom Betrag. Doppelbesteuerung ist ein Verstoß gegen die Verfassung. Und da kommt es nicht auf einen Cent oder auf 100 Euro an. Es ist einfach schlichtweg nicht zulässig. Und das ärgert mich."
Es gehe ihm nicht so sehr um die gut 500 Euro, auf die er seiner Meinung nach seit 2009 jedes Jahr doppelt Steuern zahlt. Gert Zimmermann geht es ums Prinzip. Und deshalb haben er und sein Steuerberater die Sache vor den Bundesfinanzhof gebracht, der letzten und obersten Instanz in Deutschland für Streitigkeiten im Steuerrecht. Der Bund der Steuerzahler unterstützt den Rentner.
Der Fall des 74-Jährigen ist eine von zwei Musterklagen, die gerade bei den obersten Richter*innen in München liegen und eigentlich schon 2020 entschieden werden sollte. Wegen der Corona-Pandemie soll das Urteil nun im Frühjahr fallen.
Verfahren haben Sprengkraft-Potenzial
Klar ist schon jetzt: Die Verfahren haben Sprengkraft-Potenzial, denn es geht übergeordnet auch darum, ob die jetzige Form der Rentenbesteuerung bestehen bleiben kann oder ob die Finanzämter gegebenenfalls Steuerbescheide von zigtausend Rentnerinnen und Rentnern überprüfen und korrigieren müssen.
"Dann hätte es natürlich zur Folge, dass der Gesetzgeber und die Bundesregierung ganz erhebliche Steuerausfälle hätte", erklärt der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP) die Brisanz der Verfahren. "Das wäre natürlich für einen Finanzminister, der immer im Jährlichkeitsprinzip denkt, für den ist das natürlich dramatisch, wenn er dann plötzlich ja Milliardenbeträge gegebenenfalls nicht einnehmen kann."
Schäffler sitzt im Finanzausschuss des Bundestages. Das Gremium hat sich mit der Frage der Doppelbesteuerung schon mehrfach befasst. Aber was genau ist das eigentlich? Der Betriebswirtschaftler und Steuerberater Professor Thomas Dommermuth von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden:
"Die Steuerjuristen haben sich über den Begriff Doppelbesteuerung lange Zeit den Kopf zerbrochen. Ursprünglich kommt ja dieser Begriff hauptsächlich aus dem Bereich des internationalen Steuerrechts. Also das heißt, wenn jemand in Deutschland seinen Wohnsitz hat und hier unbeschränkt steuerpflichtig ist, und er erzielt Einkünfte im Ausland, zum Beispiel in der Schweiz, dann müssen wir in der Schweiz besteuern. Und wir müssen aber auch noch in Deutschland besteuern. Dieselbe Person wird mit demselben Einkommen zweimal steuerlich zur Kasse gebeten", erklärt Thomas Dommermuth.
Rentenversicherungsverträge in Deutschland
"Und so etwas könnte auch bei Renten eintreten", sagt Dommermuth. "Und zwar dann, wenn man eine Rente bekommt, die hat man ja durch Beiträge finanziert. Und diese Beiträge, die dann in der Rente wieder zurückfließen, wenn die zweimal besteuert würden, also bereits in der Beitragsphase, im Erwerbsleben, und später in der Rentenphase, dann hätten wir Doppelbesteuerung."
Die Frage, ob Rentner*innen in bestimmen Fällen zweimal zur Kasse gebeten werden, stellt sich erst seit einer Reform der Rentensteuer im Jahr 2005. Denn seither werden Renten schrittweise nachgelagert besteuert.
Bis dahin, also bis Ende 2004, galt die vorgelagerte Besteuerung. Das hieß: Arbeitnehmende zahlten ihre Beiträge zur Rentenversicherung aus dem Einkommen, das sie bereits versteuert hatten – also aus dem Nettoeinkommen. Im Gegenzug mussten sie den Großteil ihrer Alterseinkünfte später nicht mehr versteuern.
Steuer-Experte Dommermuth: "Ich würde es mal so ausdrücken: Es war fast schon ungerecht vorteilhaft für diese Menschen. Denn Altersrentner hatten vor 2005 noch einen sehr niedrigen Ertragsanteil. Bei Altersrentenbeginn mit 65 lag bei lediglich 27 Prozent."
Bundesverfassungsgericht kippte altes Gesetz
2005 stieg dieser Anteil sprunghaft an. Rentnerinnen und Rentner mussten von da an 50 Prozent ihrer Einkünfte versteuern und damit fast doppelt so viel. Im März 2002 kippte das Bundesverfassungsgericht die alte Regelung, von der viele Rentnerinnen und Rentner profitierten.
Die Begründung der Richterinnen und Richter: Die bis dahin angewandte unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten sei nicht vereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz – und deshalb verfassungswidrig.
Hans Eichel, damals Bundesfinanzminister von der SPD: "Gedacht habe ich, dass wir jetzt eine schwierige Aufgabe vor uns haben, die wir ja dann auch gelöst haben mit Zustimmung des Bundesrates. Denn diese Einkommensteuergesetzgebung geht ja gar nicht ohne Zustimmung des Bundesrates. Und da dort die CDU das Sagen hatte, hieß das auch, wir mussten eine Lösung finden, die auch von der Opposition mitgetragen wird. Und wir wussten, dass es viele Unannehmlichkeiten gibt. Denn die Rentner waren bisher überhaupt nicht im Blick der Finanzämter gewesen."
Der Sozialdemokrat stand 2002 als Bundesfinanzminister der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder vor der schwierigen Aufgabe, ein neues Rentensteuergesetz auszuarbeiten; eines, das die Besteuerung der Arbeitnehmerbeiträge für die Rente und deren spätere Alterseinkünfte selbst so aufeinander abstimmte, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird. Das hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich verlangt.
"Aber wir hatten natürlich auch das Geld nicht mit vollen Händen, wie das dann später der Fall war, sondern wir hatten Defizite", sagt Eichel rückblickend.
Steuererklärungs-Flut kam auf Finanzämter zu
Die angemahnte Reform sollte zum Kraftakt werden - für alle Beteiligten: Während die Bundesregierung zu Beginn der 2000er-Jahre mit klammen Kassen zu kämpfen hatte, mussten sich die Finanzämter auf einen riesigen Verwaltungsaufwand einstellen. Denn schnell war klar, dass sie eine Menge zusätzlicher Steuererklärungen bearbeiten mussten.
1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner sollten durch die Reform nämlich erstmals steuerpflichtig werden, wie Eichel damals prognostizierte.
Was allerdings nicht hieß, dass sie alle am Ende wirklich Steuern zahlten. Etwa drei Viertel der rund 20 Millionen Menschen musste damals, ähnlich wie heute, gar keine Steuern an den Fiskus abdrücken. Ihre Einkünfte lagen nämlich nicht über dem sogenannten Grundfreibetrag, bis zu dem keine Steuern fällig sind.
Kurz vor Weihnachten 2003 präsentierten SPD und Grüne schließlich einen Entwurf für die Rentensteuer, das sogenannte Alterseinkünftegesetz. Die Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten. Sie kam vor allem von Union und FDP, die zu dieser Zeit im Bundesrat die Mehrheit hatten.
Sie lehnten die geplante Rentensteuer zwar nicht grundsätzlich ab, sahen aber unter anderem eine Bedingung des Bundesverfassungsgerichts nicht sichergestellt, nämlich dass das neue Gesetz eine Zweifach- bzw. Doppelbesteuerung vermeidet.
"Nach Überzeugung des Bundesrates entspricht der vorliegende Gesetzentwurf bei bestimmten Personengruppentypen nicht diesem Postulat", heißt es in der Stellungnahme des Bundesrates von damals.
Und weiter: "Im Wesentlichen wären folgende Bezieher von Rentenleistungen von einer Zweifachbesteuerung betroffen: Selbstständige, die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind. Zu dieser Personengruppe zählen insbesondere selbstständig tätige Handwerker; Selbstständige, die freiwillig in die gesetzliche Pflichtversicherung eingetreten sind; Selbstständige, die Beiträge an berufsständische Versorgungswerke erbringen."
Gert Zimmermann, der aktuell vor dem Bundesfinanzhof klagt, findet sich in den letztgenannten Einwänden wieder. Denn als selbstständiger Zahnarzt hat er – wie Architektinnen oder Rechtsanwälte - in ein berufsständisches Versorgungswerk eingezahlt. Er entrichtete aber auch freiwillig Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung.
Die spätere Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) war von 1998 bis 2007 parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium und sagt heute: "Ich kann mich an Nachtsitzungen im Finanzausschuss nicht erinnern. Allerdings hat der Finanzausschuss damals doch immer viele Stunden getagt. Wir haben doch regelmäßig um nach meiner Erinnerung 09.15 Uhr begonnen und bis weit in den Nachmittag, also 16, 17 Uhr getagt."
Sogar der Vermittlungsausschuss musste eingeschaltet werden. Im Frühsommer 2004 winkten Bundestag und Bundesrat das Rentengesetz durch.
Besteuerung: seit 2005 Wechsel von vor- auf nachgelagerte
Damit war der Weg frei, das System der vorgelagerten auf das der nachgelagerten Besteuerung umzustellen – der Kern der Rentensteuerreform. Die Umstellung erfolgt seither schrittweise und wird erst im Jahr 2040 völlig abgeschlossen sein. In dieser Übergangsphase steigt der Teil des Einkommens, den Arbeitnehmende später von ihrer Rente versteuern müssen, immer weiter an.
Welche Rentenjahrgänge wie viel versteuern müssen, ist genau festgelegt: Menschen, die 2005 oder davor in Ruhestand gingen, müssen seither die Hälfte ihrer Rente als steuerpflichtigen Teil bei der Steuererklärung angeben, die andere Hälfte ist steuerfrei.
"Und wenn die Rente im Jahr 2006 begann, dann war sie zu 52 Prozent steuerpflichtig. Und wenn die Rente im Jahr 2007 zu laufen begann, dann war sie zu 54 Prozent steuerpflichtig und so weiter. Begann die Rente 2020, also letztes Jahr, dann war sie bereits zu 80 Prozent steuerpflichtig", zählt Steuerexperte Thomas Dommermuth auf.
2021 muss der Rentenjahrgang schon 81 Prozent versteuern, bis es 2040 100 Prozent sein werden – und alle Einkünfte dann voll steuerpflichtig sind.
Im Gegenzug können Arbeitnehmende seit 2005 höhere Beträge als Sonderausgaben von der Steuer abziehen. Darunter fallen zum Beispiel die Ausgaben für die Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung. Mit diesem System wollte die rot-grüne Bundesregierung eine Doppelbesteuerung verhindern.
Doch dass diese Rechnung aufgeht, bezweifeln einige Experten. Bert Rürup zum Beispiel. Der ehemalige Wirtschaftsweise saß ausgerechnet der Sachverständigenkommission vor, die die Bundesregierung von 2002 bis 2003 bei der Rentensteuerreform beraten hatte.
Zusammen mit seinem Kommissionskollegen, dem damaligen Chef der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, äußerte Rürup 2007 erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Alterseinkünftegesetzes, und zwar in einem Brief an das Bundesfinanzministerium, aus dem die "Süddeutsche Zeitung" zitiert. Die Übergangsregelung des Gesetzes verstoße "in erheblichen Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung", schreiben die beiden früheren Regierungsberater.
Sie führen aus, dass sich das Problem "gleichermaßen" für Selbstständige stelle wie für Arbeitnehmer*innen, die zwischen 2021 und 2058 in Rente gehen. Selbstständige kann es sogar schon früher treffen.
Ex-Umweltministerin Hendricks weist Kritik zurück
Im Abschlussbericht der Sachverständigenkommission vom März 2003 ist davon allerdings keine Rede. Rürup möchte sich heute zum Inhalt des Briefes nicht mehr äußern. Seine nachträgliche Kritik kann die damalige Staatssekretärin Barbara Hendricks nicht nachvollziehen. Fast alle Vorschläge der Rürup-Kommission habe man übernommen.
"Die hätten natürlich in ihrer Alterseinkünftekommission solche Kritikpunkte auch noch vortragen können", so Hendricks.
"Gleichwohl kann man nicht ausschließen, dass es in Einzelfällen trotzdem zu einer Doppelbesteuerung kommen kann, weil man das natürlich nur modellhaft durchexerzieren kann", sagt Hendricks. "Das haben wir sehr gründlich gemacht, so wie vorher auch diese Alterseinkünftekommission das auf wissenschaftlicher Basis mit Echtdaten vorher sehr gründlich gemacht hatte. Und das ist auch der Grund dafür, warum das Bundesfinanzministerium auf diesen sagenumwobenen Brief, wie Sie ihn nennen, nicht reagiert hat. Weil wirklich alle Vorkehrungen dafür getroffen wurden, Doppelbesteuerung zu vermeiden."
Und Hendricks fügt hinzu: "Es gibt immer mal Leute, die sich im Nachhinein gerne einen schlanken Fuß machen wollen. Es waren ja dieselben, die in der Kommission 2004 die Empfehlungen gegeben haben oder 2003. Und es sind sicherlich bis 2007 keine neuen Erkenntnisse dazugekommen."
Bert Rürup und Herbert Rische sind aber nicht die einzigen Kritiker. Der Jurist Egmont Kulosa beispielsweise hält eine gesetzliche Neuregelung für erforderlich, spätestens in einigen Jahren. Besonders brisant: Kulosa ist Richter am Bundesfinanzhof, und zwar genau in dem Senat, der jetzt über die beiden Musterklagen entscheidet.
Auf Nachfrage des Deutschlandfunks will sich Kulosa nicht äußern. In einem Fachaufsatz aus dem Jahr 2017 jedoch schreibt er von einer "evidenten Zweifachbesteuerung" - und kommentiert eindeutig: "Es bedarf keiner komplizierten mathematischen Übungen, um bei Angehörigen der heute mittleren Generation, die um das Jahr 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen."
Senat will bald Entscheidung fällen
Bald wird wohl vorerst ein Schlussstrich unter diesen Streit gezogen. Dann nämlich dürfte der 10. Senat des Bundesfinanzhofs eine Entscheidung gefällt haben.
Gerichtssprecher Volker Pfirrmann: "Also diese beiden Verfahren über die Doppelbesteuerung, die sind jetzt aktuell in richterlicher Bearbeitung, das heißt, die Berichterstatter, die ernannten, und Mitberichterstatter sind dabei, diesen Fall aktiv zu bearbeiten. Und deshalb ist davon auszugehen, das jedenfalls im ersten Halbjahr 2021 der Fall entschieden und auch veröffentlicht wird."
Davor steht aller Voraussicht nach noch eine mündliche Verhandlung. Neben Kläger Gert Zimmermann dürfte auch ein Vertreter oder eine Vertreterin des Bundesfinanzministeriums anwesend sein, denn die Behörde ist dem Verfahren beigetreten – und hat eine klare Position: Es gebe keine Doppelbesteuerung, sagt Staatssekretär Rolf Bösinger: "Wir sind fest der Auffassung, dass es verfassungskonform ist und sind deswegen auch der Revision beigetreten."
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verweist in einem Papier auf mehr als zehn Fälle von Verfassungsbeschwerden, die das Bundesverfassungsgericht zwischen 2005 und 2016 "wegen mangelnder Erfolgsaussichten" abgewiesen hat.
Keine Berechnungen oder Haushaltsrückstellungen gebildet
Im Finanzministerium ist man sich der Sache sicher. So sicher, dass die Behörde auch noch keine Rechnungen anstellt, wie viele Rentner*innen eine gegenteilige Entscheidung betreffen würde. Auch Rückstellungen im Haushalt bilde man nicht, sagt Staatssekretär Rolf Bösinger auf Nachfrage.
Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler kann diesen Standpunkt nicht nachvollziehen. "Ich vermute mal, dass die Bundesregierung das Problem jetzt schon sieht, aber das Thema erst mal wegschiebt. Finanzminister kommen und gehen. Und der jetzige wird sicherlich nicht im Jahre 2040 Finanzminister sein."
Schäffler weiter: "Deshalb schiebt man das Thema vor sich her. Die Bundesregierung verlässt sich letztendlich auf die Rechtsprechung, auf die aktuelle. Und hofft, dass die Bürger nicht dagegen klagen. Und wenn sie dagegen klagen, dass das eben lange dauert."
Das sei kein vernünftiges Regieren, kritisiert Frank Schäffler. Es nehme den Menschen die Anreize, fürs Alter vorzusorgen. Ein Punkt, den Kläger Gert Zimmermann unterschreibt:
Kläger: "Habe mich an Vorgaben der Politik gehalten"
"Meine Eltern waren erst in fortgeschrittenem Alter Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung geworden. Heimat vertrieben und so weiter. Und daheim gab es immer Diskussionen. Wie wird das denn bei uns mal im Alter sein? Das hat einen als Kind schwer mitgenommen. Zumal diese Diskussionen dann immer gerade zu Weihnachten waren. Und da habe ich mir gedacht, also diese Diskussion möchte ich vermeiden. Ich möchte, dass es mir im Alter gut geht", so Zimmermann. "Ich habe mich lediglich an die Vorgaben der Politik gehalten, im Alter zu versuchen, den Lebensstandard zu sichern und werde jetzt mit Doppelbesteuerung bestraft. Da stimmt doch was nicht."
"Es muss natürlich verfassungsgemäß sein, gar keine Frage. Und jeder Bürger hat den Anspruch darauf, dafür leben wir in einem Rechtsstaat, dass die Gesetze durch die Gerichte überprüft werden. Das ist der Rechtsstaat und da gibt es kein Vertun", sagt Hans Eichel, wenngleich auch er an die Verfassungsmäßigkeit seines Gesetzes glaubt.
Weitere Verfahren liegen bei Gerichten
Zwei mögliche Szenarien gibt es: Entweder der Bundesfinanzhof weist die Revisionsklage von Gert Zimmermann ab – dann bliebe dem Rentner nur noch der Gang vors Bundesverfassungsgericht.
Oder die Richter*innen stellen fest, dass das Alterseinkünftegesetz tatsächlich verfassungswidrig ist und müssten es von sich aus dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
In jedem Fall wird die Frage der Doppelbesteuerung die Justiz in Deutschland in Zukunft häufiger beschäftigen, denn schon jetzt liegen bei den Finanzgerichten in Deutschland weitere Verfahren.