Jule Reimer: Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenkassen sollen bis 2045 um rund eine halbe Billion Euro steigen. Das berichtet heute die "Bild"-Zeitung. Und das wird möglicherweise nicht alles sein, denn Bundessozialministerin Andrea Nahles will mehr Gerechtigkeit bei den Renten und hat Reformvorschläge vorgelegt. Nahles hat sich am Freitag auch dafür ausgesprochen, das gesetzliche Rentenniveau für die Zeit bis 2045 bei mindestens 46 Prozent festzuschreiben. Am Telefon in Stuttgart ist Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Sagen Sie uns: Was halten Sie von den Reformvorschlägen? Zum Beispiel hat sich die Koalition auf Verbesserungen für erwerbsgeminderte Rentner geeinigt. Kann man sich darauf verlassen, oder sollte man dort weiter privat vorsorgen?
Niels Nauhauser: Es ist erst mal gut, dass die Politik das Thema jetzt angeht. Aber ich würde jetzt davor warnen, hier schon eine Lösung zu sehen. Wahrscheinlich, so wie es im Moment jedenfalls aussieht, wird es darauf hinauslaufen, dass die einen oder anderen Themen auch noch mal zur Abstimmung stehen werden im nächsten Bundestagswahlkampf.
Reimer: Weiter privat vorsorgen im Bereich Erwerbsminderung. Berufsunfähigkeit?
Nauhauser: Na ja, den Leuten bleibt im Moment nichts anderes übrig, wenn sie bestimmte Risiken absichern wollen, als privat vorzusorgen. Nur muss man auf der anderen Seite auch sehen, dass viele, die das privat vorsorgen wollen, gar nicht den Vertrag bekommen, weil sie beispielsweise krank sind oder schon Vorerkrankungen haben und deshalb der Versicherer dieses sogenannte schlechte Risiko ablehnt. Das heißt, bei der Erwerbsminderungsrente braucht man, glaube ich, einen ganz großen Wurf, um die Probleme für Verbraucher dort wirklich zu lösen.
"Viele betriebliche Altersvorsorge-Verträge sind nicht gut"
Reimer: Es gibt auch eine Vereinbarung, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken, die Betriebsrenten. Ist das ein guter Weg aus Ihrer Sicht?
Nauhauser: Man kann jetzt nicht sagen, dass über den Betrieb die Altersvorsorge immer wirklich optimal im Sinne des Verbrauchers ist. Zum einen hat man den Vorteil, einige Arbeitgeber haben tatsächlich bessere Verträge mit der Versicherungswirtschaft ausgehandelt als mancher private Vertrag im Moment, der angeboten wird am Markt. Aber man muss auch sehen: Nicht alles, was da im Moment verkauft wird, ist auch wirklich gut. Viele betriebliche Altersvorsorge-Verträge sind nicht gut. Das heißt, sie sind sehr teuer und die Renditen sind mau. Und dann hat man bei der betrieblichen Altersvorsorge natürlich ein Problem: Je mehr man dort einzahlt, desto weniger Anspruch aus der gesetzlichen Rente bekommt man, weil das Ganze ja sozialabgabenfrei erfolgt. Ich glaube, dass man da sicherlich auch noch einiges verbessern kann für die Verbraucher.
Reimer: Wie ist das mit der Problematik, wenn man den Arbeitgeber wechselt?
Nauhauser: Das ist weiterhin ungelöst. Man kann zwar den Altvertrag theoretisch mitnehmen, nur der neue Arbeitgeber muss den nicht akzeptieren. Und wir haben im Moment das Problem, dass viele Verbraucher, die Altverträge haben mit hohen Zinsen, die können die gar nicht zu einem neuen Arbeitgeber mitnehmen. Der neue Arbeitgeber sagt, wir führen diesen Vertrag nicht fort. Oft hat das damit zu tun, dass diese hohe Zinslast für die Anbieter, aber auch für die Arbeitgeber ein Problem ist und sie letztendlich nicht in die Fußstapfen des alten Arbeitgebers treten können und deshalb ihre eigenen Verträge letztendlich anbieten werden.
Reimer: Kommen wir zur nächsten Säule: der privaten Vorsorge. Die Zuschüsse für die Riester-Rente, da soll der Zuschuss um elf Euro auf 165 Euro steigen. Das ist für die Direktversicherten. Pro Kind gibt es ja noch mal was mehr drauf. Riester ist schwer geprügelt worden in den letzten Jahren. Machen da elf Euro mehr was aus? Zwischendurch waren die Töne aus den Verbraucherzentralen ja auch differenzierter, was Riester angeht.
Nauhauser: Na ja, man muss bei der Riester-Rente schon sehen, was gerade verkauft wird, und verkauft wird das, was Provision bringt. Das war seit Einführung der Riester-Rente schon immer so und das wird sich durch elf Euro mehr Zulage auch nicht ändern.
"Wir fordern ja seit fünf Jahren einen Vorsorgefonds"
Reimer: Andere Regeln wären notwendig?
Nauhauser: Ja. Wir brauchen tatsächlich ein anderes Produkt. Wir fordern ja seit fünf Jahren einen Vorsorgefonds, der staatlich organisiert wird und der kostengünstig ist. Und um den Unterschied mal darzulegen: Wenn man das staatlich organisiert kostengünstig macht, wie es beispielsweise unsere Nachbarn in Europa machen, auch die Schweden, dann kann man Kosten einsparen von jährlich an die zwei Prozent. An die zwei Prozent Kosten heißt auf lange Sicht eine doppelt so hohe Altersrente. Und dafür gibt man nicht noch mehr staatliche Mittel aus, sondern verbessert einfach nur das Produkt. Aber man muss sich dann mit der Versicherungswirtschaft anlegen und diesen Willen kann ich bislang nicht erkennen in der Regierung.
Reimer: Ganz kurze Einschätzung noch: Wenn man Kinder hat, soll man Riester machen, weil es sich dann lohnt, oder eher nicht?
Nauhauser: Das kann man ganz pauschal nicht sagen. Viele, die Schulden haben, die tilgen besser schneller die Schulden. Andere, die eine sehr hohe Förderquote haben, die sollten tatsächlich eine Riester-Rente im Moment mal mitnehmen, um die Förderung einfach zu nehmen.
Reimer: Genau hinschauen und sich vielleicht auch beraten lassen - danke Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
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