Friedbert Meurer: Dass die SPD mit der Entscheidung, wer wird ihr Kanzlerkandidat, warten will, das ist das eine; das andere, dass Parteichef Sigmar Gabriel vorher den programmatischen Kurs der SPD klären will, vor allen Dingen in der Rentenpolitik. Gestern hat er dem SPD-Vorstand Vorschläge, Kompromissvorschläge unterbreitet, die wurden auch gebilligt. Aber die entscheidende Frage bleibt noch offen: Wird die Linke in der SPD es akzeptieren, dass das Rentenniveau langfristig von 50 auf 43 Prozent fällt.
Mein Kollege Mario Dobovisek sprach gestern Abend mit dem Rentenexperten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Rudolf Zwiener. Zunächst ging es um die Frage, wie ähnlich sich die beiden Modelle sind, die Solidarrente von Sigmar Gabriel und die Zuschussrente von Sozialministerin Ursula von der Leyen, und ob da vielleicht ein großkoalitionärer Nenner zu finden sei.
Rudolf Zwiener: Ja, möglicherweise. Allerdings gibt es doch gravierende Unterschiede. Der gravierendste Unterschied zwischen den beiden Modellen ist sicherlich, dass Gabriel diese zusätzliche Rente oder Rentenaufstockung steuerfinanzieren will, während von der Leyen möchte das über die Beiträge einkassieren.
Mario Dobovisek: Das heißt, das ist möglicherweise nicht so nah beieinander, wie die meisten glauben mögen?
Zwiener: Ja, das glaube ich auch. Es sind doch etliche Unterschiede zwischen den beiden Konzepten. Und zum zweiten ist natürlich dies die grundsätzliche Frage, ob das wirklich das ideale Modell ist. Es gäbe ja auch dazu Alternativen. Die Alternativen würden lauten, generell das Rentenniveau nicht so stark abzusenken, dann würden auch viel weniger Leute so eine Zuschussrente benötigen, und alternativ natürlich auch über Beitragspunkte, Entgeltpunkte, die die Leute erworben haben mit niedrigem Einkommen, dass man die aufstockt. Dann hätte man nicht das Problem, dass man plötzlich diese Fixierung auf die 850 Euro hätte.
Dobovisek: Greifen wir uns doch mal gemeinsam den Punkt des Rentenniveaus heraus, den Sie gerade angesprochen haben. Von 51 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns, so soll das Rentenniveau abgesenkt werden – eine Entscheidung übrigens von Rot-Grün. Die SPD traut sich ganz offenbar nicht an diesen Punkt heran, um daran etwas zu ändern. Ist das ein Fehler?
Zwiener: Das ist eindeutig ein Fehler. Man hat damals einen Fehler gemacht. Zur heutigen Zeit kann man das vielleicht verstehen vor dem Hintergrund, dass damals einfach ein vorherrschender Glaube war, dass die Finanzmärkte einfach mehr an Rendite abwerfen, als im Umlageverfahren zu realisieren sei. Aber jetzt nach der Finanzmarktkrise, nach der Euro-Krise, in der wir uns befinden, und auch nach den ersten Erfahrungen, die wir mit der Riester-Rente haben, zeigt sich ganz eindeutig, das ist nicht der Fall. Das Umlagesystem ist immer noch dem Kapitalbildungsverfahren überlegen, und es war eindeutig zu weitgehend, das Rentenniveau so stark abzusenken.
Dobovisek: Das heißt, all diejenigen, die einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, oder auch einen Rürup-Vertrag, die werden dann möglicherweise ihr böses Wunder erleben?
Zwiener: Ja im Moment ist es so, dass die Renditen, die jetzt bei Neuverträgen, bei Riester-Verträgen garantiert werden können, die bewegen sich schon Richtung ein Prozent dessen, was man einzahlt. Das ist nicht sehr viel. Und es gibt ja Berechnungen, die zeigen, dass bei Neuverträgen man 87 Jahre alt werden muss, um überhaupt die eingezahlten Beträge ohne Rendite zurückzubekommen. Die Personen, die noch vor zehn Jahren abgeschlossen haben, als die Riester-Rente eingeführt wurde, sind besser dran, weil die haben noch einen höheren garantierten Mindestzinssatz.
Dobovisek: Höre ich da aus Ihren Worten heraus, dass die Riester-Rente, so wie sie heute existiert, im Grunde überflüssig ist und von der Politik längst abgeschafft gehörte?
Zwiener: Ich würde es so formulieren: Wir sollten nicht die Riester-Rente subventionieren mit Steuermitteln. Es wäre günstiger, niedrigere Renten aufzustocken mit Steuermitteln und dieses Geld dafür zu nehmen. Das wäre zielgerichtet. Das ist ein Aspekt, den man beachten muss, und der zweite natürlich ist, dass damals faktisch die paritätische Finanzierung unseres Rentensystems aufgegeben wurde, weil der einzelne muss ja selber allein einzahlen in den Riester-Vertrag, während im gesetzlichen Rentensystem Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch einzahlen.
Dobovisek: Bei steigender Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate wackelt allerdings der Generationenvertrag gehörig. Gabriel und von der Leyen gehen deshalb beide von zunehmender Altersarmut aus. Wie kommen wir denn aus dieser Misere heraus, wenn nicht zum Beispiel durch die Riester-Rente?
Zwiener: Über die Aussagen. Der Generationenvertrag wackelt nicht. Es ist so, dass man einfach von der Lebensstandard sichernden Rente weggegangen ist. Man hat gesagt, man muss die Beiträge bei insgesamt 22 Prozent einfrieren – maximal. Das ist einfach zu wenig für eine alternde Gesellschaft. Und wenn man jetzt den einzelnen fragen würde, was er lieber hätte, elf Prozent Beitrag in die gesetzliche plus vier Prozent Riester, das macht 15 Prozent, oder alternativ er müsste 13 Prozent einbezahlen, der Arbeitgeber würde 13 Prozent in die gesetzliche einzahlen, macht dann zusammen auch 26 Prozent, und der einzelne hätte dann ein deutlich höheres Rentenniveau, ein gesetzliches, ich denke, der einzelne würde sich für das zweite entscheiden.
Von daher ist es ein Irrglaube, dass wir sozusagen unseren Beitragssatz auf diese 22 Prozent fixieren müssen. Das ist ja etwas, was sich in den nächsten 20 Jahren abspielt, diese demographische Veränderung, und wir bräuchten vielleicht eine Beitragssatzsteigerung in der Größenordnung von 0,15 Prozent pro Jahr und das bei Lohnerhöhungen zwischen zwei und drei Prozent. Das ist verkraftbar.
Dobovisek: Jetzt nehmen wir mal an, Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden tatsächlich 26 Prozent gemeinsam aufbringen, um die Rente zu finanzieren, wie hoch könnte denn bei dieser Berechnung das Renteneintrittsalter liegen?
Zwiener: Ja die Frage des Renteneintrittsalters wird in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern sehr kontrovers diskutiert. Grundsätzlich kann man schon sagen: Dadurch, dass wir alle älter werden, ist eigentlich nichts dagegen einzuwenden, dass auch Menschen länger arbeiten, solange sie denn Arbeit haben und auch arbeitsfähig sind, und da gibt es ein paar andere Punkte. Die bisherige Regelung sieht sehr hohe Abschläge vor, wenn Personen früher in Rente gehen.
Zum zweiten ist die Erwerbsminderungsrente stark reduziert worden, und das sind praktisch Eckpunkte, die dringend geändert werden müssen. Wir brauchen eine vernünftige Erwerbsminderungsrente und solange nicht garantiert ist, dass die Leute, die auch wirklich länger arbeiten können und wollen, auch dann diese Arbeit bekommen, solange ist es äußerst problematisch mit dieser Heraufsetzung des Renteneintrittsalters.
Dobovisek: Wie kommen wir um diese Problematik herum?
Zwiener: Ich halte es für unabdingbar, dass man mit dem Rentenniveau wieder hochgeht. Alle anderen OECD-Länder haben ein höheres Rentenniveau in ihren obligatorischen Rentensystemen. Die Rentensysteme sind sehr unterschiedlich zwischen OECD-Ländern, aber grundsätzlich gilt in den anderen europäischen Ländern und auch nicht OECD-Ländern, dass für die mittleren Einkommensbereiche das Rentenniveau deutlich besser ist als in Deutschland und insbesondere Personen mit niedrigen Einkommen, deren Renten werden in allen anderen OECD-Ländern aufgestockt. Das ist bei unserem Rentensystem nicht der Fall. Bei uns bekommt jemand, der wenig verdient hat, deswegen auch wenig eingezahlt hat, eine niedrige Rente, jemand, der mehr verdient hat, mehr eingezahlt hat, automatisch auch gleich proportional eine deutlich höhere Rente.
Meurer: Mario Dobovisek sprach mit Rudolf Zwiener, dem Rentenexperten der Hans-Böckler-Stiftung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mein Kollege Mario Dobovisek sprach gestern Abend mit dem Rentenexperten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Rudolf Zwiener. Zunächst ging es um die Frage, wie ähnlich sich die beiden Modelle sind, die Solidarrente von Sigmar Gabriel und die Zuschussrente von Sozialministerin Ursula von der Leyen, und ob da vielleicht ein großkoalitionärer Nenner zu finden sei.
Rudolf Zwiener: Ja, möglicherweise. Allerdings gibt es doch gravierende Unterschiede. Der gravierendste Unterschied zwischen den beiden Modellen ist sicherlich, dass Gabriel diese zusätzliche Rente oder Rentenaufstockung steuerfinanzieren will, während von der Leyen möchte das über die Beiträge einkassieren.
Mario Dobovisek: Das heißt, das ist möglicherweise nicht so nah beieinander, wie die meisten glauben mögen?
Zwiener: Ja, das glaube ich auch. Es sind doch etliche Unterschiede zwischen den beiden Konzepten. Und zum zweiten ist natürlich dies die grundsätzliche Frage, ob das wirklich das ideale Modell ist. Es gäbe ja auch dazu Alternativen. Die Alternativen würden lauten, generell das Rentenniveau nicht so stark abzusenken, dann würden auch viel weniger Leute so eine Zuschussrente benötigen, und alternativ natürlich auch über Beitragspunkte, Entgeltpunkte, die die Leute erworben haben mit niedrigem Einkommen, dass man die aufstockt. Dann hätte man nicht das Problem, dass man plötzlich diese Fixierung auf die 850 Euro hätte.
Dobovisek: Greifen wir uns doch mal gemeinsam den Punkt des Rentenniveaus heraus, den Sie gerade angesprochen haben. Von 51 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns, so soll das Rentenniveau abgesenkt werden – eine Entscheidung übrigens von Rot-Grün. Die SPD traut sich ganz offenbar nicht an diesen Punkt heran, um daran etwas zu ändern. Ist das ein Fehler?
Zwiener: Das ist eindeutig ein Fehler. Man hat damals einen Fehler gemacht. Zur heutigen Zeit kann man das vielleicht verstehen vor dem Hintergrund, dass damals einfach ein vorherrschender Glaube war, dass die Finanzmärkte einfach mehr an Rendite abwerfen, als im Umlageverfahren zu realisieren sei. Aber jetzt nach der Finanzmarktkrise, nach der Euro-Krise, in der wir uns befinden, und auch nach den ersten Erfahrungen, die wir mit der Riester-Rente haben, zeigt sich ganz eindeutig, das ist nicht der Fall. Das Umlagesystem ist immer noch dem Kapitalbildungsverfahren überlegen, und es war eindeutig zu weitgehend, das Rentenniveau so stark abzusenken.
Dobovisek: Das heißt, all diejenigen, die einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, oder auch einen Rürup-Vertrag, die werden dann möglicherweise ihr böses Wunder erleben?
Zwiener: Ja im Moment ist es so, dass die Renditen, die jetzt bei Neuverträgen, bei Riester-Verträgen garantiert werden können, die bewegen sich schon Richtung ein Prozent dessen, was man einzahlt. Das ist nicht sehr viel. Und es gibt ja Berechnungen, die zeigen, dass bei Neuverträgen man 87 Jahre alt werden muss, um überhaupt die eingezahlten Beträge ohne Rendite zurückzubekommen. Die Personen, die noch vor zehn Jahren abgeschlossen haben, als die Riester-Rente eingeführt wurde, sind besser dran, weil die haben noch einen höheren garantierten Mindestzinssatz.
Dobovisek: Höre ich da aus Ihren Worten heraus, dass die Riester-Rente, so wie sie heute existiert, im Grunde überflüssig ist und von der Politik längst abgeschafft gehörte?
Zwiener: Ich würde es so formulieren: Wir sollten nicht die Riester-Rente subventionieren mit Steuermitteln. Es wäre günstiger, niedrigere Renten aufzustocken mit Steuermitteln und dieses Geld dafür zu nehmen. Das wäre zielgerichtet. Das ist ein Aspekt, den man beachten muss, und der zweite natürlich ist, dass damals faktisch die paritätische Finanzierung unseres Rentensystems aufgegeben wurde, weil der einzelne muss ja selber allein einzahlen in den Riester-Vertrag, während im gesetzlichen Rentensystem Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch einzahlen.
Dobovisek: Bei steigender Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate wackelt allerdings der Generationenvertrag gehörig. Gabriel und von der Leyen gehen deshalb beide von zunehmender Altersarmut aus. Wie kommen wir denn aus dieser Misere heraus, wenn nicht zum Beispiel durch die Riester-Rente?
Zwiener: Über die Aussagen. Der Generationenvertrag wackelt nicht. Es ist so, dass man einfach von der Lebensstandard sichernden Rente weggegangen ist. Man hat gesagt, man muss die Beiträge bei insgesamt 22 Prozent einfrieren – maximal. Das ist einfach zu wenig für eine alternde Gesellschaft. Und wenn man jetzt den einzelnen fragen würde, was er lieber hätte, elf Prozent Beitrag in die gesetzliche plus vier Prozent Riester, das macht 15 Prozent, oder alternativ er müsste 13 Prozent einbezahlen, der Arbeitgeber würde 13 Prozent in die gesetzliche einzahlen, macht dann zusammen auch 26 Prozent, und der einzelne hätte dann ein deutlich höheres Rentenniveau, ein gesetzliches, ich denke, der einzelne würde sich für das zweite entscheiden.
Von daher ist es ein Irrglaube, dass wir sozusagen unseren Beitragssatz auf diese 22 Prozent fixieren müssen. Das ist ja etwas, was sich in den nächsten 20 Jahren abspielt, diese demographische Veränderung, und wir bräuchten vielleicht eine Beitragssatzsteigerung in der Größenordnung von 0,15 Prozent pro Jahr und das bei Lohnerhöhungen zwischen zwei und drei Prozent. Das ist verkraftbar.
Dobovisek: Jetzt nehmen wir mal an, Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden tatsächlich 26 Prozent gemeinsam aufbringen, um die Rente zu finanzieren, wie hoch könnte denn bei dieser Berechnung das Renteneintrittsalter liegen?
Zwiener: Ja die Frage des Renteneintrittsalters wird in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern sehr kontrovers diskutiert. Grundsätzlich kann man schon sagen: Dadurch, dass wir alle älter werden, ist eigentlich nichts dagegen einzuwenden, dass auch Menschen länger arbeiten, solange sie denn Arbeit haben und auch arbeitsfähig sind, und da gibt es ein paar andere Punkte. Die bisherige Regelung sieht sehr hohe Abschläge vor, wenn Personen früher in Rente gehen.
Zum zweiten ist die Erwerbsminderungsrente stark reduziert worden, und das sind praktisch Eckpunkte, die dringend geändert werden müssen. Wir brauchen eine vernünftige Erwerbsminderungsrente und solange nicht garantiert ist, dass die Leute, die auch wirklich länger arbeiten können und wollen, auch dann diese Arbeit bekommen, solange ist es äußerst problematisch mit dieser Heraufsetzung des Renteneintrittsalters.
Dobovisek: Wie kommen wir um diese Problematik herum?
Zwiener: Ich halte es für unabdingbar, dass man mit dem Rentenniveau wieder hochgeht. Alle anderen OECD-Länder haben ein höheres Rentenniveau in ihren obligatorischen Rentensystemen. Die Rentensysteme sind sehr unterschiedlich zwischen OECD-Ländern, aber grundsätzlich gilt in den anderen europäischen Ländern und auch nicht OECD-Ländern, dass für die mittleren Einkommensbereiche das Rentenniveau deutlich besser ist als in Deutschland und insbesondere Personen mit niedrigen Einkommen, deren Renten werden in allen anderen OECD-Ländern aufgestockt. Das ist bei unserem Rentensystem nicht der Fall. Bei uns bekommt jemand, der wenig verdient hat, deswegen auch wenig eingezahlt hat, eine niedrige Rente, jemand, der mehr verdient hat, mehr eingezahlt hat, automatisch auch gleich proportional eine deutlich höhere Rente.
Meurer: Mario Dobovisek sprach mit Rudolf Zwiener, dem Rentenexperten der Hans-Böckler-Stiftung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.