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Rentenpaket
Ökonom: Rente mit 63 ist "ein ganz falsches Signal"

Die nun beschlossene Rente ab 63 und die sogenannte Mütter-Rente seien Wahlgeschenke an zwei klar abgegrenzte Gruppen, meint der Konstanzer Sozialökonom Friedrich Breyer. Er plädiert für einen Systemwechsel: Einkommen und Rente sollten langfristig entkoppelt werden.

Friedrich Breyer im Gespräch mit Sina Fröndrich |
    Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) (2.v.l.)und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (2.v.r.) stimmen am 23.05.2014 im Bundestag in Berlin über die Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung ab.
    Breyer: Nur durch Rentensystemwechsel sind soziale Konflikte in der Zukunft vermeidbar. (picture-alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Sina Fröhndrich: Etwas teurer als das Europäische Parlament ist das Rentenpaket, das der Bundestag heute verabschiedet hat. Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, kann mit 63 in Rente gehen, und wer sein Kind vor 1992 bekommen hat, soll auch mehr Rente erhalten. Bis zu elf Milliarden Euro pro Jahr könnte das kosten. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat das umstrittene Paket heute noch einmal verteidigt, nämlich so:
    Andrea Nahles: "Mit der Mütter-Rente erkennen wir die großartige Leistung von Millionen von Müttern oder Vätern an. Das ist nicht geschenkt. Und mit der abschlagsfreien Rente ab 63 geben wir denen Anerkennung, die früh angefangen und 45 Jahre lang ihren Beitrag geleistet haben. Das ist verdient!"
    Fröhndrich: Das will die Opposition natürlich nicht gelten lassen. Matthias Birkwald von der Linken und Markus Kurth von den Grünen im Bundestag kritisierten das Rentenpaket.
    Matthias Birkwald: "Vieles bleibt so schlecht wie es ist. Das Rentenniveau sinkt für alle. Daran ändern Sie nichts. Das heißt, der Lebensstandard der Rentnerinnen und Rentner sinkt immer weiter. Sie halten am Zwang zur privaten Altersvorsorge fest und Sie halten an der unsäglichen Rente erst ab 67 fest, und das, Frau Nahles, das ist unverantwortlich."
    Markus Kurth: "Wenn in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts die Altersarmut rapide zunimmt, werden sich die Menschen fragen, wie es denn passieren konnte, dass die früheren Überschüsse der Rentenkasse nicht für eine armutsfeste Garantierente zurückgelegt wurden."
    Fröhndrich: Und trotz dieser Kritik, Mütter-Rente und Rente mit 63 sind beschlossene Sache. Beides soll kommen ab Juli. - Wahlgeschenk oder Gerechtigkeitslücke geschlossen? Darüber habe ich mit Friedrich Breyer gesprochen, Sozialökonom an der Universität Konstanz. Wie bewertet er das Rentenpaket?
    Friedrich Breyer: Ja, wir haben es hier selbstverständlich hauptsächlich mit einem Wahlgeschenk zu tun an zwei sehr gut abgegrenzte und definierte Gruppen. Das eine sind Mütter, die ihre Kinder vor '92 bekommen haben. Das andere sind Arbeitnehmer, die so um die 60 oder etwas jünger sind und sehr lange Geld eingezahlt haben, und diese Gruppen kriegen jetzt eine Aufstockung ihrer Rente.
    Fröhndrich: Jetzt haben wir solche Kritik häufig gehört. Aber wenn wir jetzt mal in die Zukunft schauen: Es heißt immer, die Rente soll generationengerechter werden. Haben wir da jetzt Zeit verschenkt, diese Frage zu beantworten und anzugehen?
    Breyer: Ja, ganz sicher. Denn wenn man den Begriff Generationengerechtigkeit definieren würde, dann würde man, glaube ich, darauf kommen, den Beitragssatz für alle Zeiten festzuschreiben, denn dann bekommt jede Generation im Alter das, was sie an Kindern in die Welt gesetzt hat. Die zahlen dann Beiträge ein. Das heißt, man würde sozusagen nach dem Verursacherprinzip mit dem, was man selber angerichtet hat, konfrontiert werden. Der Beitragssatz droht jetzt schon im Jahr 2040 natürlich über 24, 25 Prozent zu steigen und die Mütter-Rente sattelt da noch etwas obendrauf.
    Das heißt, es muss natürlich auf breiter Front entweder die Renten in der Höhe gekürzt werden, oder die Lebensarbeitszeit verlängert werden, um da wieder gegenzusteuern.
    Fröhndrich: Was würden Sie denn bevorzugen, Renten kürzen, oder längeres Arbeiten? Was wäre das mögliche Szenario?
    Breyer: Die Rentenkürzung stößt da an die Grenzen, wo wir es mit Altersarmut zu tun haben. Wir haben ja eine Rente, die parallel zum Arbeitseinkommen definiert ist. Wir haben ja keine Grundrente. Da wird es gefährlich, wenn immer größere Bevölkerungsteile in die Altersarmut abdriften, und die würden wir ja dann wieder durch die Sozialhilfe bekämpfen. Also ich glaube, man muss noch konsequenter an die Verlängerung der Lebensarbeitszeit denken, und da ist natürlich die Rente mit 63, die wir abschlagsfrei jetzt eingeführt haben, das ganz falsche Signal.
    Fröhndrich: Jetzt haben Sie gerade schon das Stichwort Altersarmut gegeben. Es wird ja auch generell gesagt, auch der jüngeren Generation, man soll sich auf die gesetzliche Rente nicht verlassen. Jetzt ist es aber schwierig, angesichts des Niedrigzins-Umfeldes und auch durch die Lehren aus der Finanzkrise, die wir gezogen haben, dass es eigentlich gar keine richtige Alternative gibt. Wie soll man sich denn jetzt eigentlich als junger Mensch absichern fürs Alter?
    Breyer: Junge Generation sollte in Wohneigentum investieren
    Breyer: Ich kann nur raten zu diversifizieren, und eine Sache, bei der man klar sagen kann, da geht es gar nicht um die finanziellen Erträge, das ist Wohneigentum. Dann wohnt man wenigstens einigermaßen umsonst – nicht ganz umsonst, weil man Energiekosten tragen muss und die Instandhaltung. Aber in Immobilien und Wohneigentum zu investieren, kann man jungen Leuten auf jeden Fall empfehlen.
    Fröhndrich: Das wäre eine Alternative. – Wenn wir sonst über zukünftige Generationen sprechen, über jetzige Beitragszahler oder eben nicht Beitragszahler, da gibt es eine Gruppe, die man ausspart, und das sind die Nichtbeitragszahler. Es gibt viele Beschäftigte, die sind gar nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die zahlen nicht in die Rentenkasse ein. Haben wir diese Gruppe vergessen bei der gesamten Diskussion und wird uns das dann irgendwann noch mal auf die Füße fallen?
    Breyer: Ja. Nun ist die Gruppe erstens nicht so groß, dass das sehr viel ausmachen würde. Auf der anderen Seite zahlt die ja über den Bundeszuschuss, denn die sind ja Steuerzahler, und über den Bundeszuschuss in die Rentenversicherung ein, denn der Bundeszuschuss ist ja nicht so genau ausgerechnet, dass er genau die versicherungsfremden Leistungen abdeckt, sondern ein Drittel aller Rentenzahlungen, die wir heute vornehmen, stammt schon aus Steuermitteln. Im Gegenteil: Es ist ja jetzt bei diesem Paket, das heute verabschiedet worden ist, daran gedacht, in der nächsten Legislaturperiode den Bundeszuschuss noch weiter zu erhöhen, und da sehe ich auch eine Gefahr drin, denn wir haben natürlich auch ganz viele Aufgaben wie Bildung und so weiter, die der Bund leisten muss. Dass der Bundeszuschuss immer weiter erhöht werden kann, das sehe ich auch nicht.
    Fröhndrich: Noch mal zurück zum Rentenpaket heute. Mütter-Rente, Lebensleistungsrente, was meinen Sie, wie nachhaltig wird das sein? Wird das irgendwann kassiert werden in den nächsten Jahren?
    Breyer: Ja das Dumme ist: Einzelne Elemente wie die Mütter-Rente, die kann man schlecht kassieren. Ich glaube, das wäre nicht verfassungstreu. Sondern man wird eines Tages die Renten wieder auf breiter Front senken, und wie gesagt, dann droht eine Altersarmut. Ich glaube, letzten Endes kommen wir nicht darum herum, die Rente auf Dauer etwas mehr von der Proportionalität zum Einkommen zu lösen und kleine Renten stärker anzuheben als hohe. Das wäre natürlich ein gewisser Systemwechsel, aber ich halte den zur Vermeidung von großen sozialen Konflikten in der Zukunft für notwendig.
    Fröhndrich: Und diesen Systemwechsel sollten wir so schnell wie möglich angehen?
    Breyer: Rentensysteme müssen reformiert werden
    Breyer: Ja, wir sollten damit beginnen. Man kann langsam in einen solchen Systemwechsel einsteigen. Übrigens, wenn man schon von Gerechtigkeit spricht: Wer heute wenig verdient und dann auch in Zukunft eine kleine Rente kriegt, das sind genau die Leute, die auch eine relativ geringere Lebenserwartung haben als die Besserverdiener. Das heißt, die kriegen gar nicht so viel in der Zukunft, denn die Laufzeit dieser Renten ist kürzer. Das heißt, man sollte eigentlich, um diese Gerechtigkeitslücke auszugleichen, die kleinen Renten anheben, also in ein höheres Verhältnis zum Einkommen setzen, als die hohen Renten.
    Fröhndrich: Wir brauchen eine Reform des Rentensystems, sagt der Sozialökonom Friedrich Breyer von der Universität Konstanz hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.