Martin Zagatta: Die Rente ist sicher, auf derzeitigem Niveau allerdings nur bis 2025. So lässt sich das Rentenpaket auch beschreiben, das das Bundeskabinett am Vormittag auf den Weg gebracht hat. Ein Rentenpaket mit einigen Änderungen noch an dem, was im Koalitionsvertrag schon vereinbart worden ist.
Mitgehört hat Johannes Geyer, Rentenexperte des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Tag, Herr Geyer!
Johannes Geyer: Guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Geyer, die Koalition – das haben wir gerade gehört -, die gibt sich jetzt sehr zufrieden. Die SPD-Chefin Nahles spricht sogar von einem wirklichen Durchbruch in sozialpolitischen Fragen. Löst dieses Rentenpaket bei Ihnen jetzt ähnliche Begeisterung aus?
Geyer: Nein, das löst es nicht. Alles was wir im Rentenpaket sehen, hatte die Koalition eigentlich schon im Koalitionsvertrag, wie es auch schon im Bericht eben anklang, vereinbart. Insofern nichts Neues. Bei der Mütterrente ist es ein bisschen anders umgesetzt, aber im Prinzip enthält die nichts Neues, und es ist auch keine riesige Rentenreform.
Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung "ist verkraftbar"
Zagatta: Aber die Mütterrente, wenn Sie die schon ansprechen, die wird doch jetzt etwas gerechter gestaltet.
Geyer: Gerecht oder ungerecht? – Jetzt bekommen alle Mütter einen halben Punkt für das dritte Kind, die vor '92 ein Kind geboren haben. Vorher hätten das nur Mütter mit vielen Kindern bekommen. Man kann das gerechter finden. Wir hatten auch gezeigt in einem anderen Kontext, dass diese Variante der Mütterrente für Mütter mit vielen Kindern positivere Verteilungseffekte gehabt hätte. Aber gut, darüber kann man sich immer streiten. Das ist auf jeden Fall ein Teil des Rentenpakets.
Zagatta: Mit diesem Rentenpaket wird jetzt verbunden, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung stärker abgesenkt wird als bisher vorgesehen. Ist das ein vernünftiger Schritt?
Geyer: Das muss man sehen. Es hängt ein bisschen davon ab, wie die Konjunktur läuft und wie gut es uns gelingt, Langzeitarbeitslose zu integrieren. Ich glaube, wenn der auf Kosten von Programmen zur Integration von Langzeitarbeitslosen gesenkt wird, dann ist es eher nachteilig. Aber jetzt mal im Sinne guter Hoffnung, dass die Konjunktur weiter stabil bleibt, glaube ich, ist es verkraftbar.
"Das Niveau von 48 Prozent ist relativ sicher bis 2025"
Zagatta: Aus Ihrer Sicht jetzt: Wer profitiert und wer zahlt bei diesem Paket, das die Regierung heute auf den Weg gebracht hat?
Geyer: Da muss man differenzieren. Die Haltelinie – da wissen wir noch nicht genau, wieviel die kostet. Im besten Fall wird die bis 2025 nicht gerissen. Das heißt, dann würden dafür keine Mittel fällig werden. Sollte sie reißen – aktuell könnte das sein im Jahr 2025 -, dann würden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Bei der Mütterrente ist es anders. Das zahlen jetzt aktuell die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen unmittelbar. Das sind unmittelbar anfallende Kosten und das ist auch der Hauptteil, was dieses Paket aktuell kostet. Die Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente, da ist es so. Die schlägt auch unmittelbar zu Buche. Aber die Regelung gilt nur für neu zugehende Rentnerinnen und Rentner in die Erwerbsminderung, und das ist erst mal nur eine kleine Zahl. Deswegen sind da die Zusatzkosten überschaubar.
Zagatta: Aber man kann sagen, die Rente ist sicher, zumindest bis 2025?
Geyer: Die Rente ist sicher, das ist so ein geflügelter Satz. Die Rente ist sicher bedeutet ja eigentlich, wir haben eine sehr stabile Basis mit dem Umlagesystem. Das Niveau von 48 Prozent ist nach heutiger Erwartung relativ sicher bis 2025. Danach erwarten wir allerdings ein Absinken dieses Niveaus. Dafür ist ja diese Rentenkommission eingesetzt, um langfristige rentenpolitische Weichen zu stellen, um für die Zeit danach Regelungen zu finden, wie man damit umgeht.
Zagatta: Die SPD wollte das ja jetzt schon. Zumindest hat man diese Diskussion angestoßen und wollte dieses Rentenniveau von 48 Prozent festschreiben zumindest bis 2040. Man braucht dort ja, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine langfristige Planung. Wäre das sinnvoll, sich damit jetzt schon zu beschäftigen und das auch so zu machen? Hat die SPD da eigentlich recht?
Geyer: Recht oder Unrecht, da tue ich mich jetzt nicht so einfach, das zu sagen. Der Vorschlag der SPD zielt darauf ab, ein stärkeres Gewicht auf die gesetzliche Rente zu legen bei der Altersvorsorge. Das ist ein Stück weit eine Änderung des eigentlich eingeleiteten Rentenreform der letzten Jahre, nämlich den Mix aus gesetzlicher Rente und privater Rente zu stärken. Wenn man stärker auf die gesetzliche setzt, dann heißt das auch, dann müssen die Beitragssätze dafür steigen und auch die Steuerzuschüsse in die Rente würden steigen. Auf der anderen Seite müsste dann entsprechend nicht der gleichgroße Teil in die private Rente gehen. Daran sieht man auch schon: Das ist ein Stück weit eine Verteilungsfrage, was halte ich langfristig für eine bessere, stabilere Form der Altersvorsorge, welcher Mix soll in Zukunft da angepeilt werden.
"Versicherungspflicht für Selbständige" ist noch offen
Zagatta: Was fehlt Ihnen denn bei diesem Rentenkonzept? Das DIW, Ihr Institut macht ja auch seine eigenen Vorschläge. Was fehlt Ihnen?
Geyer: Ich würde sagen, im Koalitionspapier sind jetzt noch andere Maßnahmen angelegt. Da hoffe ich, dass die in dieser Wahlperiode noch umgesetzt werden. Das ist insbesondere die Frage der Versicherungspflicht für Selbständige und die Frage der besseren Absicherung bei langer Erwerbstätigkeit gegen Grundsicherung, gegen Bedürftigkeit. Ich glaube, das sind zwei wichtige Punkte, die jetzt noch nicht Teil dieses Pakets waren, theoretisch im Koalitionsvertrag drinstehen. Aber man weiß ja: Nicht alles, was im Koalitionsvertrag steht, wird auch umgesetzt. Ich glaube, das sind wichtige, auch zukunftsweisende Weichenstellungen. Gerade die Versicherungslücken durch neue Formen der Beschäftigung machen uns Sorgen, weil häufig geht heutzutage jedenfalls Selbständigkeit mit nicht so hohen Einkommen einher, und da kann man nicht davon ausgehen, dass die privat genug vorsorgen können. Da braucht es Lösungen auch in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Zagatta: Jetzt haben wir eine Rentenkommission, auf die man warten soll, auf deren Vorschläge man warten will. Das ist ja nicht ganz neu. Eine solche Rentenkommission hat es ja in den vergangenen Jahren auch schon gegeben. Da war auch der DIW beteiligt, Ihr Chef war da mit dabei. Warum ist daraus dann nichts geworden? Warum werden diese Vorschläge nicht umgesetzt? Ist das zu unpopulär, oder woran scheitert das?
Geyer: Ich würde nicht sagen, das wird nicht umgesetzt, sondern die Rente ist ein Element des Sozialstaats, das konstant eigentlich reformiert wird. Es stimmt auch nicht, dass das nicht umgesetzt wurde. Die alte Rentenpolitik, die hat schon einige Vorschläge der Rürup-Kommission umgesetzt. Da wurde schon angeregt die Rente mit 67, der Nachhaltigkeitsfaktor und ähnliche Elemente. Die sind in der Rürup-Kommission empfohlen worden und wurden dann später auch im Gesetz umgesetzt. Jetzt hat sich aber zum Beispiel herausgestellt, dass ein Absenken des Rentenniveaus auf 43 Prozent heute aktuell von wenigen Parteien noch unterstützt wird. Ich glaube, die großen Parteien wollen beide tendenziell da irgendwo eine Haltelinie einführen, die ein bisschen darüber liegt, weil das dazu führt, dass die gesetzliche Rente in ihrer Sicherungsfunktion für einen größeren Teil der Bevölkerung dann prekär wird, sagen wir es so. Ich glaube, man muss damit rechnen, dass auch diese Rentenkommission Vorschläge machen wird, die in irgendeiner Form in Gesetz gegossen werden, aber nicht der Weisheit letzter Schluss sind, sondern die Rente wird sich wieder mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen, sich mit neuen Entwicklungen am Arbeitsmarkt, Globalisierung etc., auseinandersetzen müssen, und dann werden neue Kommissionen, neue Gesetze notwendig, um das Gesamtsystem stabil zu halten. Aber das ist einfach so bei diesem dynamischen System der Rentenversicherung.
"Ein Stück weit können wir das auch finanzieren"
Zagatta: Unterm Strich wird es teurer, da führt kein Weg dran vorbei?
Geyer: Es wird tendenziell teurer, weil die Zahl der Rentnerinnen und Rentner in den nächsten Jahren steigen wird. Wir haben jetzt ab den 2020er-Jahren die Baby-Boomer, die dann in Rente gehen, und das hat eine enorme Alterung zur Folge. Wenn man sich die Kurven anguckt, bis zur Mitte der 30er-Jahre gibt es da eine starke Alterung, und irgendwie müssen diese Menschen versorgt werden aus dem, was die Volkswirtschaft produziert. Das sind erst mal Kosten, die können dann über die Rente finanziert werden oder auch über Steuermittel. Aber daran führt kein Weg vorbei. Das Gute allerdings ist, wir erwarten ja auch, dass die Wirtschaft weiter wächst. Das heißt, ein Stück weit können wir das auch finanzieren.
Zagatta: Johannes Geyer, Rentenexperte beim DIW, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Geyer, ich bedanke mich für das Gespräch.
Geyer: Gerne.
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