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Rentenpolitik
"Das Thema Erwerbsminderungsrente ist ein ganz dramatisches"

Angesichts der rentenpolitischen Herausforderungen begrüßt der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann eine Einbindung der Gewerkschaften in die Debatte über die Zukunft der Alterssicherung. Es sei sinnvoll und richtig, in einem so wesentlichen Thema wie der Rentenpolitik Gespräche zu führen, sagte Hofmann im DLF.

Jörg Hofmann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der IG-Metall Chef Jörg Hofmann.
    IG-Metall-Chef Hofmann im DLF: "Wir müssen vorsorgen für die Kohorten, die als Babyboomer in die Rente gehen" (imago / Jürgen Heinrich )
    Hofmann sprach von einem notwendigen Dialog. Ob er beim für Dienstag anberaumten Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel dabei sein wird, ließ er allerdings offen. Die rentenpolitischen Herausforderungen hätten viele Dimensionen, sagte Hofmann. "Das Thema Erwerbsminderungsrente ist ein ganz dramatisches." Er verwies darauf, dass 1,8 Millionen Erwerbsminderungsrentner oft von Altersarmut betroffen seien, weil deren Renten zu niedrig angesetzt seien. Hofmann betonte, es gehe insgesamt um die Frage, wie sich das Rentenniveau weiter entwickle.
    Der IG-Metall-Chef erwartet, dass das Thema Rente im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen wird. Deshalb sei es wichtig, die Debatte bereits jetzt sachlich zu führen. Zu den Zielen der Gewerkschaften meinte Hofmann: "Wir wollen das Rentenniveau stabilisieren" und "Wir müssen vorsorgen für die Kohorten, die als Babyboomer in die Rente gehen." Deswegen sei es sinnvoll, aus den derzeitgen Überschüssen einen Demografiefonds aufzubauen. Zudem müsse die Rentenversicherung von versicherungsfremden Leistungen befreit werden.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Die Rente soll umgestaltet werden, aber wie? Darüber haben gestern Abend die Spitzen der Union verhandelt, und heute Morgen heißt es, Angela Merkel wolle die Gewerkschaften mit ins Boot holen, wolle den DGB einbinden in die umstrittene Reform. Dazu soll es nun am Dienstag ein Gespräch mit den Gewerkschaften geben, ein Spitzengespräch heißt es sogar, das berichten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe heute Morgen.
    - Und am Telefon ist der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. Guten Morgen, Herr Hofmann!
    Jörg Hofmann: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Hofmann, ich nehme an, Sie sind informiert über dieses Gespräch, vielleicht sogar dabei. Wie bewerten Sie diese Einladung der Kanzlerin, diese Gesprächsbereitschaft, ist das ein gutes Zeichen für Sie?
    Hofmann: Nun, wir sind mit allen Parteien der Großen Koalition seit Längerem im Gespräch über die Frage der Rente. Und das Gespräch, das Sie jetzt ansprechen, ist eines, das schon längst terminiert war auf Arbeitsebene. Insoweit finde ich es sinnvoll und richtig, in so einem wesentlichen Thema wie der Rentenpolitik Gespräche zu führen, weil wir brauchen Entscheidungen. Und gerade der jetzt vorgelegte Bericht des Bundesarbeitsministeriums über die Rentenentwicklung nach 2030 macht deutlich, wir brauchen solche Entscheidungen dringend.
    Zagatta: Ist dieses Gespräch jetzt – so klingt es bei uns heute Morgen zumindest in den Nachrichten – ein Zugehen auf die Gewerkschaft oder eher Routine, wie ich es Ihren Worten vielleicht entnehme?
    Hofmann: Es ist ein notwendiger Dialog, der aber schon länger begonnen hat und der fortzuführen ist. Wie gesagt, den führen wir mit allen Parteien, auch natürlich selbstverständlich mit der CDU, in dem Fall mit dem CDU-Präsidium.
    Zagatta: Wird das ein Gespräch mit der Kanzlerin, werden Sie dabei sein?
    Hofmann: Aus heutiger Sicht kann ich Ihnen die Zusammensetzung dieser Gesprächsrunde nicht bestätigen. Und ob ich dabei sein kann, hängt auch noch von anderen Terminfragen ab.
    Zagatta: Aus den Reihen der Union verlautet jetzt ja zumindest, dass man darüber nachdenke, die Rente wegen Erwerbsminderung und für Geringverdiener, dass man da darüber nachdenke, da einiges zu tun, für Geringverdiener, die viele Jahre eingezahlt haben. Geht das in die richtige Richtung?
    Hofmann: Ich glaube, die rentenpolitischen Herausforderungen haben viele Dimensionen. Das Thema Erwerbsminderungsrente ist ein ganz dramatisches, 1,8 Millionen Erwerbsminderungsrentner, die oft in der Altersarmut verbleiben, weil Erwerbsminderungsrenten einfach zu gering angesetzt sind. Wir haben das Thema der Anrechnung von Beitragszeiten von Menschen, die eben trotz Erwerbstätigkeit, trotz Einzahlung in die Rentenversicherung nicht über die Grundsicherung hinauskommen und sich fragen, warum habe ich jetzt doch teilweise über Jahrzehnte eingezahlt. Und es geht insgesamt natürlich um die Frage, wie entwickelt sich das Rentenniveau weiter, haben wir weiter ein Absinken des Nettorentenniveaus oder kommen wir nicht zu einer Stabilität und langfristig auch wieder zu einer Anhebung. Das heißt, Rentenpolitik hat viele Facetten, viele Herausforderungen. Und bei allen haben wir eine Chance, dass wir die Perspektive auf Lebensqualität im Alter auch heute den Menschen noch geben können, respektive, wie müssen die Weichen gestellt werden, dass es so geht?
    Zagatta: Ja, Herr Hofmann, aber das, was wir jetzt da aus den Reihen der Union zumindest angedeutet hören, das klingt ja so, als ob man über eine Untergrenze, über eine Art Mindestrente jetzt doch nachdenkt. Sehen Sie da Bewegung, deckt sich das denn in etwa schon mit Ihren Vorstellungen – also sind das neue Töne?
    Debatte über rentenpolitische Konzepte ist zu begrüßen
    Hofmann: Es ist auf jeden Fall mal zu begrüßen, dass jetzt doch über rentenpolitische Konzepte debattiert wird. Ob das unseren Vorstellungen entspricht, dazu müsste ich zunächst mal Näheres wissen. Ich glaube, es ist ganz wichtig – Rente wird ein zentrales Thema auch des vor uns stehenden Bundestagswahlkampfs sein –, es ist wichtig, die Debatte jetzt sachlich zu führen und zu überlegen, wo sind Anknüpfungspunkte, wo braucht es auch weiterer gesellschaftlicher Debatten, etwa bei der Frage, wie viel Beiträge sind Menschen bereit, für eine sichere Rente zu zahlen. Und wo ist dringender Handlungsbedarf gegeben, weil schlicht und einfach ansonsten Altersarmut unmittelbar droht.
    Zagatta: Wenn ich Ihre Position richtig verstehe, dann wollen die Gewerkschaften, dann will der DGB und auch die IG Metall das Rentenniveau mittelfristig nicht auf diese 43 Prozent des letzten Einkommens fallen lassen, die eigentlich geplant sind, sondern es bei etwa den derzeitigen knapp 48 Prozent halten. Das würde teuer werden.
    Hofmann: Wir wollen das Rentenniveau stabilisieren. Im Moment bei einer guten Arbeitsmarkt- und Einkommenslage ist das auch gar keine große Herausforderung –, wir müssen aber notwendigerweise ein bisschen vorsorgen für die Kohorten, die jetzt als Babyboomer in die Rente gehen. Deswegen ist unsere Auffassung, wir müssen jetzt die Überschüsse der Rentenversicherung dazu nutzen, einen Demografiefonds aufzubauen, der diese Jahre abfedert. Und es wird notwendigerweise auch die Debatte stärker zu führen sein, dass die Rentenversicherung befreit wird von versicherungsfremden Leistungen, die heute noch in Milliardenhöhe von ihr erbracht werden, wo letztendlich sozialpolitische Aufgabe und steuerfinanziert sein müssten.
    Zagatta: Aber dennoch wird man nicht daran vorbeikommen – ich glaube, das sieht auch Ihr Konzept vor –, dann den Beitragssatz, also wenn man das so stabilisieren will, wie Sie das, glaube ich, vorhaben, den Beitragssatz von jetzt 18,7 dann sogar auf 25 oder 26 Prozent zu steigern. Das sind ja enorme Kosten. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Mitglieder, dass die das gutheißen?
    Hofmann: Das ist genau der Punkt, den ich vorher angesprochen habe. Ich glaube, wir brauchen jetzt erst mal eine gesellschaftliche Debatte, was sind die Menschen bereit, auch für ihre Altersvorsorge in der gesetzlichen Rente an Beitragshöhe zu akzeptieren. Und die IG Metall will diese Diskussion gerne führen, zusammen mit unseren Beschäftigen in unserer Branche, zusammen mit der Öffentlichkeit. Weil ich glaube, es ist oft unübersehbar, dass wir in der Frage der Stabilisierung der gesetzlichen Rente was tun müssen, soll sie ihre Legitimität auch in Zukunft beweisen. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn Menschen 45 Jahre einbezahlt haben, dass sie bei durchaus einem normalen Verdienst nur knapp über der Grundsicherung der Rente landen. Und deswegen braucht es eine Debatte, wie viel Beitragshöhe sind wir bereit für welches Rentenniveau auch zu zahlen. Ich möchte mich ja gar nicht jetzt mal festlegen, sondern jetzt den Diskurs darüber zu beginnen, ist notwendig. Und ich denke, die politischen Parteien werden sich auch in Richtung Bundestagswahl dort festlegen wollen, festlegen müssen, in welche Richtung sie wollen.
    Zagatta: Dennoch hat das Ganze ja auch irgendwie mit Mathematik zu tun, die Rechnung muss aufgehen. Jetzt sagen alle Experten, und das sagt jetzt auch die Union, man muss die Rente – man wird eigentlich kaum daran vorbeikommen dann aufgrund der demografischen Entwicklung auch –, man muss die Rente wohl zukünftig an die Lebenserwartung anpassen, was auf eine längere Lebensarbeitszeit dann hinauslaufen würde. Kommt man daran überhaupt noch vorbei? Da waren Sie ja bisher dagegen.
    Arbeitsbedingungen schaffen, dass das gesetzliches Rentenalter erreicht wird
    Hofmann: Es ist ja eine hypothetische Frage. Es geht ja heute nicht darum, den Zeitanteil der Erwerbsarbeit in der Lebenszeit zu verlängern. Wir haben heute ja das Problem, dass Menschen es nicht schaffen, selbst das gesetzliche Rentenalter zu erreichen, weil Arbeitsleben und Arbeitsbedingungen dazu führen, dass Menschen einfach früher aussteigen müssen.
    Zagatta: Das ist aber ganz unterschiedlich, manche wollen ja länger arbeiten und dürfen nicht.
    Hofmann: Genau, deswegen haben wir auch flexible Übergänge. Und da finden Sie die IG Metall sehr gut positioniert, indem wir sagen, wir haben keine Probleme damit, wenn Menschen länger arbeiten wollen, freiwillig, weiter sozialversichert, weiter unter normalen Arbeitsbedingungen. Wir stellen nur fest, die große Mehrzahl der Menschen will das nicht.
    Zagatta: Aber es sieht ja dennoch so aus, dass immer weniger Beitragszahler da immer für mehr Rentner jetzt erst mal die nächsten Jahrzehnte aufkommen müssen. Kommt man da an eine Art Rente mit 70 – die OECD sagt das ja und andere Experten sagen das auch –, kommt man daran noch vorbei, wenn man die Beiträge nicht ganz, ganz gewaltig erhöhen will?
    Hofmann: Also ich glaube, wir müssen zunächst mal schauen, wie kriegen wir überhaupt noch mehr Menschen in die Erwerbstätigkeit rein und vor allem in die Erwerbstätigkeit mit Löhnen, die auch anschließend eine Rente ermöglichen ...
    Zagatta: Aber Herr Hofmann, wenn ich da kurz einwenden darf, die Erwerbstätigkeit, das läuft doch sehr gut, also da sind doch wohl im letzten Jahr, wenn ich das richtig sehe, ich glaube 500.000 neue Jobs geschaffen worden.
    Hofmann: Ja, aber Sie müssen auf die Qualität der Jobs schauen. Das Arbeitsvolumen, das dahintersteckt, hat sich nur bedingt erhöht. Wir haben viel im Bereich von Niedriglohnarbeit Jobs geschaffen, oft mit Teilzeitbeschäftigung, oft allein auf Stundenbasis. Wenn Sie die Vollzeitbeschäftigung und deren Entwicklung anschauen, sieht es deutlich moderater aus. Und genau das ist ein Punkt, wo ich glaube, dass wir auf dem Arbeitsmarkt durchaus noch was beitragen können zur Stabilisierung. Genauso bei der Frage, wie können wir es noch stärker unterstützen, dass Menschen eine ununterbrochene Erwerbsbiografie während ihres Arbeitslebens haben. Wie können wir Zeiten von Kindern, von Pflege, von Fortbildung so gestalten, dass keine Unterbrechungen von Erwerbsbiografien stattfinden. All das zahlt negativ auf das Rentenkonto ein. Und deswegen glaube ich, bevor wir in eine Debatte kommen über die Verlängerung der Arbeitszeit, lassen Sie uns doch erst mal darüber reden, wie die Menschen während ihrer Lebensarbeitszeit auch sinnvoller und sicherer Beschäftigung nachkommen können.
    Zagatta: Herr Hofmann, ein schwieriges Thema, das uns wahrscheinlich noch lange, lange erhalten bleibt, auch über den nächsten Dienstag, über dieses Gespräch wahrscheinlich dann hinaus. Ich bedanke mich! Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.