Es ist eine absurde Verhandlung. Eine junge Staatsanwältin, kaum 30 Jahre alt, mahnt die Angeklagte, eine 70-jährige verrentete Erzieherin, an, ein gutes Vorbild zu sein. Die Rentnerin Irmela Mensah-Schramm ist angeklagt, weil sie rassistische, antisemitische und andere menschenverachtende Aufkleber im öffentlichen Raum abkratzt und eben solche Schmierereien entweder übersprüht oder deren Sinn verändert. Das Gericht verwarnte sie mit einer Geldstrafe in Höhe von 1.800 Euro, die aber ein Jahr lang auf Bewährung vorbehalten wird. Gerichtssprecherin Lisa Jani, selbst Richterin, war offenbar selbst von der Hartnäckigkeit der Staatsanwältin überrascht.
"Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten im Schlussantrag mitgegeben, sie möge sich eine andere Art der Meinungskundgebung auswählen. Dieses, was sie jetzt betreibe, hätte keine Vorbildfunktion inne. Und mein persönlicher Eindruck war, dass sich das Gericht damit etwas schwergetan hat und das Verfahren am liebsten eingestellt hätte. Aber das geht eben nicht ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft."
"Ich gehe dafür ins Gefängnis, wenn es sein muss"
Die Aktivistin Mensah-Schramm hat nicht mit einer Strafe gerechnet, denn sie wurde bisher für ihre Arbeit neunmal ausgezeichnet, unter anderen mit der Bundesverdienstmedaille und dem Göttinger Friedenspreis. Sie will weiter kämpferisch bleiben, sagt sie.
"Es gibt zwei Möglichkeiten: die Ordnungskräfte so lange zu nerven, bis sie tätig werden. Wenn sie nicht tätig werden, dann mache ich das wieder, übermale ich es. Und ich habe gesagt, ich gehe dafür ins Gefängnis, wenn es sein muss. Dieser Staat muss seiner Verpflichtung nachkommen. Und das tut er nicht."
Die Rentnerin vermutet, dass sie von sogenannten "besorgten Bürgern" angezeigt wurde.
Denn sie hatte in einem Fußgängertunnel in dem bürgerlichen Berliner Bezirk Zehlendorf den Spruch "Merkel muss weg" umgewandelt in "Merke! Hass weg". Der Richter sah in der Art der Verfremdung den Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllt. Denn, so die Begründung, ein Buchstabe und ein Herz, das einen Punkt unter einem Ausrufungszeichen darstellt, wären viel größer als der ursprüngliche schwarze Schriftzug gewesen. Außerdem habe die Rentnerin die auffällige Farbe Pink verwendet.
Ceranfeld-Schaber, Nagellackentferner und eine Dose Farbspray
Ihre Arbeitsutensilien trägt die grauhaarige Frau immer in einem weißen Stoffbeutel immer mit sich: einen Ceranfeld-Schaber, einen Nagellackentferner und eine Dose Farbspray.
"Nagellackentferner ist ziemlich aufgebraucht. Farbspray ist jetzt auch fast leer. Der Ceranfeld-Schaber ist ganz geblieben. Aber ich darf laut Polizei und laut Berliner Justiz die Aufkleber nicht entfernen. Das wäre Sachbeschädigung – ich hab's schriftlich -, weil die Parteien nicht verboten wären."
Auf ihren weißen Stoffbeutel hat sie selbst einen Spruch geschrieben: "Wer von Asylflut redet, hat Ebbe im Gehirn". Seit 30 Jahren engagiert sie sich gegen Rassismus, sagt die 70-Jährige, denn als Kind der Nachkriegsgeneration sei es ihre Verantwortung, nicht wegzusehen.
"Ich bin Jahrgang 45. Das, was vorher passiert ist, das lässt sich ohnehin nie wiedergutmachen. Aber ich lebe jetzt in einer Zeit; es liegt an mir als ein Mensch der Zivilgesellschaft, dass ich etwas tue, dass ich nicht still halte."
Besonders, weil die Behörden die rassistischen und menschenverachtenden Sprüche und Aufkleber in der Öffentlichkeit dulden würden, sagt Mensah-Schramm.
"Es passiert nichts. Als ich in Britz-Süd mal die Polizei gerufen hatte, als da stand 'Moslems vergasen', da fragt mich der Polizist: 'Ist das Ihr Hobby?'"
Pädagogische Arbeit: Inhalte rassistischer Sprüche verändern
Es ist nicht ihr Hobby, aber sie hat sich diese Arbeit zur Lebensaufgabe gemacht. Sie reist durch das gesamte Bundesgebiet, um Schmierereien zu verändern und Aufkleber abzukratzen. Von all dem macht sie Fotos und stellt sie aus. Sie hat bereits 20.000 Fotos und etwa 75.000 Aufkleber in ihrer Sammlung. Sie verwendet dieses Material für Projekte mit Schulklassen. Sie zeigt ihnen ihre Arbeit und verändert mit ihnen gemeinsam die Inhalte rassistischer Sprüche. Mittlerweile wurde sie von ausländischen Organisationen eingeladen und in vielen Ländern ihre Arbeit vorgestellt.