Archiv


Reparieren macht glücklich

Was wäre, wenn wir – statt alte Dinge wegzuwerfen und neu zu kaufen – alles reparieren würden? Der Generaldirektor des Deutschen Museums in München Wolfgang Heckl sagt: Dann würden wir in einer besseren Welt leben. Deshalb legt er uns die Kultur der Reparatur wärmstens ans Herz.

Von Mirko Smiljanic |
    Praktiker kann nicht mehr profitieren, die Baummarktkette ist insolvent; alle anderen aber – OBI, Hornbach, Hagebau, Metten, toom und so weiter – sind sicherlich begeistert über Wolfgang Heckls Buch "Die Kultur der Reparatur", bestätigt er doch, was viele ahnten, aber nie auszusprechen wagten: Baumarktbesucher sind vielleicht doch die besseren Menschen? Wer innigen Umgang mit Schraubendreher und Feilen, Zangen und Hämmern hat, bringt sich mit der Welt besser in Einklang. Klingt pathetisch, und wenn Wolfgang Heckl kein so ausgemachtes bayerisches Mannsbild wäre, könnte man das sogar glauben. Doch der Physiker und Generaldirektor des Deutschen Museums in München ist Pragmatiker und sein Buch ein ernstes Plädoyer für den nachhaltigen Umgang mit der Welt. 10.000 Jahre war das Reparieren kaputter Gegenstände der Normalfall; sie wegzuwerfen, hat sich erst vor 40 Jahren etabliert. Dabei schaut Heckl beim Reparieren weit über den Horizont ökonomischer Vorteile hinaus.

    "Die Reparatur, behaupte ich, ist ja ein geistiger Prozess. Sie müssen auf der einen Seite herausfinden, was ist die Ursache eines Fehlers, wie gehe ich analytisch vor, wie mache ich mir eine Strategie zurecht, rentiert sich der Austausch, wo bekomme ich Austauschteile? Vor allem aber müssen Sie ein Gerät verstehen lernen, das ist auch ein pädagogischer Anspruch, dass Kinder und Jugendliche überhaupt nur die Welt verstehen lernen, wenn sie sich einen Reim darauf machen können, was die Welt und in diesem Fall auch die Gegenstände, die Konsumgüter, innen zusammenhält, sozusagen."

    Auf 200 Seiten, aufgeteilt in sechs Kapiteln, analysiert Heckl das Reparatur-Prinzip von seinen historischen Anfängen bis in die Moderne. Er weist darauf hin, dass Naturwissenschaft und Technik inklusive der Fähigkeit, Gegenstände zu reparieren, Grundlage jeder kulturellen Leistung ist. Dabei ahmt der Mensch nur nach, was die Natur vorgibt.

    "Wenn Sie daran denken, dass jede menschliche Zelle Wundheilungsmechanismen hat, keine Zelle überleben könnte, wenn nicht ständig Reparaturen am Erbgut durch Reparaturenzyme beispielsweise durchgeführt würden, wenn nicht schon zu Anbeginn des Kosmos vor 13 Milliarden Jahren Selbstorganisationskräfte die atomare Materie geformt haben und Planeten und Sterne und letztendlich auch hat Leben entstehen lassen, dann gäbe es uns nicht, dann gäbe es überhaupt nichts, was uns umgibt."

    Eine faszinierende Sicht auf die Grundprinzipien des Universums, deren Kraftlinien jedes Individuum erreichen und eine erstaunlich befreiende Wirkung entfalten können. Kunden in den Industrie- und zunehmend auch in den Schwellenländern rennen ja blind in Konsum-Hamsterrädern jeder technischen Innovation hinterher. Das ist teuer, vor allem aber ist es unbefriedigend. Der Ausstoß von Glückshormonen wie Serotonin und Dopamin sinkt ja schon wenige Tage nach dem Kauf eines neuen Smartphones oder einer neuen Waschmaschine. Wer der ständigen Jagd nach Neuem entkommen will, sagt Heckl, muss das Alte wieder wertschätzen und bei Bedarf reparieren. So wie der Autor: Rollläden hat er repariert, elektrische Zahnbürsten, Radios, wacklige Gartenstühle, Terrassenplatten, selbst an Computer wagt sich der Autodidakt.

    "Auf Youtube fand ich ein Video mit dem Titel 'MacBooc Air Disassembly' von Gavin Brown, das wirklich sehr zu empfehlen ist. Schritt für Schritt erklärt mir Gavin, wie ich das Gehäuse aufzuschrauben hatte. Innerhalb von knapp fünf Minuten erfuhr ich, welche Schrauben ich an der Abdeckplatte lösen musste, welche Schrauben länger sind. Es war eine brillante Eins-zu-eins-Anleitung, von einem Computerbastler ins Netz gestellt."

    "Die Kultur der Reparatur" ist ein praktisches Buch. Es macht Lust, etwas zu reparieren, es nimmt Anfängern die Scheu und Angst, etwas falsch zu machen. "The World in your hands: Packen wir’s an!" überschreibt Heckl ein Kapitel. Dass er ein begnadeter Bastler ist, nimmt ihm sofort jeder ab. Und dass er sich als Teil der neuen "Reparaturbewegung" fühlt, ebenso. Bundesweit treffen sich in "Repair Cafés" Menschen und reparieren vom Handy bis zum Stabmixer einfach alles. Die Kräfte dieser neuen Bewegung speisen sich aus mehreren Quellen. Ökonomische Gründe spielen eine Rolle, in hohem Maß aber auch soziale und emotionale. Reparieren beruhigt, Reparieren lässt sich gemeinsam mit anderen machen, Reparieren hat eine weibliche Seite, die nicht nur im Stopfen von Strümpfen sichtbar wird, außerdem passt Reparieren perfekt in eine sich anbahnende neue Wirtschaftsströmung.

    "Die Bewegung der Shared Economy – ein Begriff, der schon in den 80er-Jahren von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Martin Weitzmann geprägt wurde – bei der das Prinzip des Teilens auf alle denkbaren Güter des Lebens ausgedehnt wird, vom Werkzeug über zu klein gewordene Kinderkleidung bis hin zu Nahrungsmitteln, ist auf dem Vormarsch."

    Natürlich weiß auch Heckl, dass nicht jeder ein begnadeter Bastler ist, der beim Anblick von Lötkolben glänzende Augen bekommt. Das muss auch nicht sein, sagt er, "Reparieren" sei ja letztlich eine Metapher für ein ganzes Bündel unterschiedlicher Maßnahmen im Umgang mit der Welt: lokal kaufen gehört dazu, tauschen, aber auch Gegenstände professionell reparieren zu lassen. Und natürlich Gegenstände zu nutzen, solange es geht.

    "Sehen Sie, ich trage einen Anzug meines Großvaters aus den 20er-Jahren. Der wurde mal weiter gemacht, mal wieder enger gemacht, da ist auch schon vorgesehen gewesen, dass dieser Anzug, der meinen Großvater sicher ein halbes Monatseinkommen gekostet hat, dass der aber lange hält."

    "Die Kultur der Reparatur" von Wolfgang Heckl erschließt sich dem Leser erstaunlich locker. Praktische Hinweise rund um das Thema "Reparieren" dominieren, Heckls Ausflüge in Randgebiete wie "Wirtschaft" und "Umwelt" sind leicht zu verstehen – wobei der etwas schwächere Theorieteil durchaus Tiefgang hat. Für Schrauber ein Pflichtbuch, für (Noch)-Nichtschrauber erst recht!

    Literaturhinweis: Wolfgang Heckl: Die Kultur der Reparatur. Hanser Verlag, 208 Seiten, 17,90 Euro.