"Sinn und Form", so die durchgängige Metapher auf der Jubiläumsveranstaltung in der Akademie der Künste, als Insel der Freiräume, die sich stets abgesetzt hat von den Vorgaben des Zeitgeistes, politischer Vereinnahmung oder gar staatlicher Zensur. 1949 von der damaligen "Berliner Akademie" gegründet, mit dem Schutzpatron Berthold Brecht als stabilem Bollwerk gegen den ideologischen Zugriff seitens der Staatsdoktrin der DDR, dabei zwar immer staats- aber nie linientreu. Die Zeitschrift, die heute mit einer Auflage von 3000 Exemplaren zweimonatlich erscheint, ist ein Stück deutscher Geistesgeschichte, oder vielmehr Deutscher Geschichte. Sie versteht sich bis heute als Bindeglied zwischen West- und Osteuropa. Daran erinnerten gestern Abend Gäste wie der Kölner Autor Jürgen Becker und der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach sowie der Dresdner Lyriker Volker Braun und der polnische Dichter Adam Zagajewski. Letzterer fasst die Tradition der Zeitschrift im aktuellen Heft in einem Gespräch mit dem nach 23 Jahren scheidenden Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt folgendermaßen zusammen:
"Sinn und Form repräsentiert einen Denkstil, der die falsche Trennung zwischen dem linken, liberalen, ironischen und nichtmetaphysischen Denken auf der einen Seite und dem religiösen, metaphysischen und politisch "verdächtigen" Denken auf der anderen Seite aufhebt. Sie repräsentiert quasi die Mitte. Das ist großartig."
Viel Lob von hoher Stelle, und auch ein wenig Eigenlob gab es also zum 65. Bestehen, und das ganz zu Recht. Allein die Namensliste der Erstveröffentlichungen in "Sinn und Form" von Heiner Müller bis Ernst Jünger, von Peter Handke bis Walter Jens, von Joachim Fest bis Eric Hobsbawm, spricht klare Worte über die geistige Freiheit, die sich "Sinn und Form" seit ihrer Gründung bewahrt hat. Martin Mosebach erinnerte sich während der Podiumsdiskussion, die das "Das Geheimnis der Dauer" aufspüren wollte, an sein erstes Treffen mit Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt auf der Frankfurter Buchmesse Anfang der 1990er-Jahre:
"Unvorstellbar! Das Bild, das ich mir von meinem Land gemacht hatte, stimmte nicht mehr so. Dann: keine Aktualität in der Zeitschrift – etwas Erstaunliches. Aber Gegenwart. Alles, was darin erschien, war unmittelbar bedeutend, anregend, aber keine Bedienung von Tagesdebatten. Schier unvorstellbar, dass es so etwas geben könnte, in Deutschland!"
Jürgen Becker, der sein erstes Heft von "Sinn und Form" 1953 zum Tod von Stalin in den Händen hielt, bezeichnete die Kommentare und Trauerbekundungen der DDR-Intelligenzija als "kalte Dusche". Dennoch sei Sinn und Form für ihn später das Schaufenster des Geisteslebens in der DDR gewesen. Ein Geistesleben, dass stets so große Distanz wie möglich und so viel Staatstreue wie notwendig einhielt. Der Gründungsredakteur, der Berliner Literaturwissenschaftler Peter Huchel, hatte 1949 eine publizistische Linie begründet, die vom SED-Apparat nie zensiert, sondern nur im Nachhinein begutachtet und kritisiert wurde. Dass "Sinn und Form" in gewisser Weise über den Dingen schwebte, beweist die skurrile Tatsache, dass das Heft 1988 kurz vor dem Verbot stand, und im Juli des Wendejahres, in dem Marion Tietze andeutungsreich schrieb "fühlst Du nicht, dass alles auf der Kippe steht", der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker persönlich kundtat, dass Sinn und Form "zu den weltweit beachteten Gütezeichen der sozialistischen Nationalkultur der Deutschen Demokratischen Republik" zähle. Der Philosoph Sebastian Kleinschmidt, der Pfarrerssohn aus Schwerin, Mitglied der SED und der Akademie der Wissenschaften, ab 1984 Redakteur und ab 1992 Chefredakteur der Zeitschrift, führte die Tradition des Inseldaseins von "Sinn und Form" weiter.
"Der Geist bewegt sich für uns in Antithesen, und dadurch kommt Bewegung hinein. Wenn der Geist sich nur im Konsens bewegt, dann sind die Antithesen verschwunden – die so genannte "alternativlose Politik" von heute. Dann wissen sie überhaupt nicht mehr, wie sie den Geist in Bewegung bringen können. Man könnte sagen, wenn man sich eine Zeitschrift wie "Sinn und Form" einmal als Person vorstellt, dann könnte die Person auf die Frage, wer sie sei, antworten: ich weiß nicht was ich bin, ich weiß nur, was ich suche."
Das letzte Heft unter Kleinschmidts Ägide führt denn auch in geradezu geistesanarchistischer Tradition Debatten über Georg Lukács und Carl Schmitt zusammen, unterhält sich höchst anregend über den Essay als literarische Gattung und lässt den neuen Chefredakteur Matthias Weichelt über das kindliche Staunen der Dichter in ihren Tagebüchern sinnieren. Und all das natürlich ohne Editorial: Hier soll der Leser selbst den roten Faden ausfindig machen. Auch hier scheint sie wieder auf, die Tradition der indirekten Einmischung, wenn Monika Rinck nach dem geheimnisvollen Eigentlichen hinter der Metapher fragt und damit gegen die Entzauberung der Welt anschreibt, wenn Volker Braun in seinem Gedichtzyklus "Wilderness" wie nebenbei die Trümmerplätze der Gegenwart, Boatpeople, elektronische Fußfesseln und die Bombardierung Bagdads begutachtet.
Und auch die Metapher der Insel findet Eingang, wenn Lutz Seiler in seiner Kurzgeschichte die erfolglose Arbeitslose auf einer Ostseeinsel beschreibt. Nach dem Ende der Teilung Europas, in Zeiten des Zeitungssterbens und des sich stetig beschleunigenden, zwitschernden Debattendurchlaufs und inmitten tiefer Umbrüche der Medienlandschaft, wo bleibt da der Platz für eine etwas abgehobene, mit zweifarbigem Umschlag asketisch wirkende Kulturzeitschrift? Der neue, 41-jährige Chefredakteur Matthias Weichelt gab auf dem anschließenden Empfang in der Akademie der Künste die Antwort:
"Die Zeitschrift hat dadurch ihren Platz, weil sie sich diesen ganzen Beschleunigungen und Veränderungen nicht anschließt, und eine Plattform ist für all diejenigen, die andere Dinge lesen wollen, als die, denen man täglich im Internet und in den Zeitungsfeuilletons begegnet. Man kann das Ganze natürlich als ein anachronistisches Unternehmen betrachten. Aber wir haben festgestellt, dass unsere Leserschaft nicht kleiner wird, sondern größer wird."
"Sinn und Form repräsentiert einen Denkstil, der die falsche Trennung zwischen dem linken, liberalen, ironischen und nichtmetaphysischen Denken auf der einen Seite und dem religiösen, metaphysischen und politisch "verdächtigen" Denken auf der anderen Seite aufhebt. Sie repräsentiert quasi die Mitte. Das ist großartig."
Viel Lob von hoher Stelle, und auch ein wenig Eigenlob gab es also zum 65. Bestehen, und das ganz zu Recht. Allein die Namensliste der Erstveröffentlichungen in "Sinn und Form" von Heiner Müller bis Ernst Jünger, von Peter Handke bis Walter Jens, von Joachim Fest bis Eric Hobsbawm, spricht klare Worte über die geistige Freiheit, die sich "Sinn und Form" seit ihrer Gründung bewahrt hat. Martin Mosebach erinnerte sich während der Podiumsdiskussion, die das "Das Geheimnis der Dauer" aufspüren wollte, an sein erstes Treffen mit Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt auf der Frankfurter Buchmesse Anfang der 1990er-Jahre:
"Unvorstellbar! Das Bild, das ich mir von meinem Land gemacht hatte, stimmte nicht mehr so. Dann: keine Aktualität in der Zeitschrift – etwas Erstaunliches. Aber Gegenwart. Alles, was darin erschien, war unmittelbar bedeutend, anregend, aber keine Bedienung von Tagesdebatten. Schier unvorstellbar, dass es so etwas geben könnte, in Deutschland!"
Jürgen Becker, der sein erstes Heft von "Sinn und Form" 1953 zum Tod von Stalin in den Händen hielt, bezeichnete die Kommentare und Trauerbekundungen der DDR-Intelligenzija als "kalte Dusche". Dennoch sei Sinn und Form für ihn später das Schaufenster des Geisteslebens in der DDR gewesen. Ein Geistesleben, dass stets so große Distanz wie möglich und so viel Staatstreue wie notwendig einhielt. Der Gründungsredakteur, der Berliner Literaturwissenschaftler Peter Huchel, hatte 1949 eine publizistische Linie begründet, die vom SED-Apparat nie zensiert, sondern nur im Nachhinein begutachtet und kritisiert wurde. Dass "Sinn und Form" in gewisser Weise über den Dingen schwebte, beweist die skurrile Tatsache, dass das Heft 1988 kurz vor dem Verbot stand, und im Juli des Wendejahres, in dem Marion Tietze andeutungsreich schrieb "fühlst Du nicht, dass alles auf der Kippe steht", der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker persönlich kundtat, dass Sinn und Form "zu den weltweit beachteten Gütezeichen der sozialistischen Nationalkultur der Deutschen Demokratischen Republik" zähle. Der Philosoph Sebastian Kleinschmidt, der Pfarrerssohn aus Schwerin, Mitglied der SED und der Akademie der Wissenschaften, ab 1984 Redakteur und ab 1992 Chefredakteur der Zeitschrift, führte die Tradition des Inseldaseins von "Sinn und Form" weiter.
"Der Geist bewegt sich für uns in Antithesen, und dadurch kommt Bewegung hinein. Wenn der Geist sich nur im Konsens bewegt, dann sind die Antithesen verschwunden – die so genannte "alternativlose Politik" von heute. Dann wissen sie überhaupt nicht mehr, wie sie den Geist in Bewegung bringen können. Man könnte sagen, wenn man sich eine Zeitschrift wie "Sinn und Form" einmal als Person vorstellt, dann könnte die Person auf die Frage, wer sie sei, antworten: ich weiß nicht was ich bin, ich weiß nur, was ich suche."
Das letzte Heft unter Kleinschmidts Ägide führt denn auch in geradezu geistesanarchistischer Tradition Debatten über Georg Lukács und Carl Schmitt zusammen, unterhält sich höchst anregend über den Essay als literarische Gattung und lässt den neuen Chefredakteur Matthias Weichelt über das kindliche Staunen der Dichter in ihren Tagebüchern sinnieren. Und all das natürlich ohne Editorial: Hier soll der Leser selbst den roten Faden ausfindig machen. Auch hier scheint sie wieder auf, die Tradition der indirekten Einmischung, wenn Monika Rinck nach dem geheimnisvollen Eigentlichen hinter der Metapher fragt und damit gegen die Entzauberung der Welt anschreibt, wenn Volker Braun in seinem Gedichtzyklus "Wilderness" wie nebenbei die Trümmerplätze der Gegenwart, Boatpeople, elektronische Fußfesseln und die Bombardierung Bagdads begutachtet.
Und auch die Metapher der Insel findet Eingang, wenn Lutz Seiler in seiner Kurzgeschichte die erfolglose Arbeitslose auf einer Ostseeinsel beschreibt. Nach dem Ende der Teilung Europas, in Zeiten des Zeitungssterbens und des sich stetig beschleunigenden, zwitschernden Debattendurchlaufs und inmitten tiefer Umbrüche der Medienlandschaft, wo bleibt da der Platz für eine etwas abgehobene, mit zweifarbigem Umschlag asketisch wirkende Kulturzeitschrift? Der neue, 41-jährige Chefredakteur Matthias Weichelt gab auf dem anschließenden Empfang in der Akademie der Künste die Antwort:
"Die Zeitschrift hat dadurch ihren Platz, weil sie sich diesen ganzen Beschleunigungen und Veränderungen nicht anschließt, und eine Plattform ist für all diejenigen, die andere Dinge lesen wollen, als die, denen man täglich im Internet und in den Zeitungsfeuilletons begegnet. Man kann das Ganze natürlich als ein anachronistisches Unternehmen betrachten. Aber wir haben festgestellt, dass unsere Leserschaft nicht kleiner wird, sondern größer wird."