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Repressionen statt Aussöhnung

Vier Jahre ist es her, dass Thailands demokratischer gewählter Ministerpräsident Thaksin Shinawatra aus dem Amt geputscht wurde. Immer wieder kam es seither zu Unruhen. Zuletzt wurden im Frühjahr Massenproteste niedergeschlagen und die Rothemden ihrer Führung beraubt. Seither herrscht eine scheinbare Ruhe im Land.

Von Daniel Becker |
    Auf den ersten Blick wirkt das Dorfrestaurant unauffällig. Es liegt an einer Schnellstraße im Norden Thailands: Eine einfache Holzkonstruktion mit Tischen und Stühlen aus Plastik, nach zwei Seiten hin offen, das Dach ist mit Stroh gedeckt. Doch ein großes Plakat, das im Inneren an einem der Wände hängt, deutet darauf hin, dass die Örtlichkeit mehr ist, als ein einfaches Lokal für die Leute aus den benachbarten Dörfern. Das Plakat zeigt die, zum Teil drastischen Bilder getöteter Menschen. Alle mit Schussverletzungen. Es sind Fotos von Demonstranten, Fotos von sogenannten Rothemden, die im April und Mai bei Protesten gegen die Regierung in Bangkok getötet wurden.

    Das unauffällige Restaurant ist ein versteckter Treffpunkt von Thailands oppositioneller Rothemden-Bewegung. Deren Anhänger sind seit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste durch die Armee nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Sie sind trotzdem im Geheimen aktiv, doch sie müssen vorsichtig sein.

    Denn bis heute, vier Monate nach der Niederschlagung, gelten in sieben Provinzen des Landes einschließlich der Hauptstadt Bangkok Notstandsgesetze. Versammlungen von mehr als fünf Personen etwa sind in der Hauptstadt und in den betroffenen Provinzen verboten und können zu einer sofortigen Festnahme führen. Deswegen auch treffen sich die örtlichen Mitglieder der Rothemden-Bewegung hier im Verborgenen. Ihr lokaler Anführer, er ist Ende 30, hellblaues Hemd, korrekt gezogener Seitenscheitel, kein Hitzkopf, eher ein entspannt wirkender Managertyp, erklärt, wie sich für ihn die Lage im Land darstellt:

    "Die Armee beobachtet uns, sie verfolgt, was wir unternehmen. In unserer Gruppe gibt es viele Diskussionen. Wir sprechen über das, was wir in der Vergangenheit getan haben, besprechen, was die Regierung tut. Dann arbeiten wir Pläne aus und überlegen, wie wir es schaffen, beim nächsten Mal die Stärkeren zu sein. Es geht uns nur um den Sieg! Wir werden nicht aufgeben. Wir werden so lange kämpfen, bis wir eine wahre Demokratie haben, bis die Elite in diesem Land keine Macht mehr hat."

    Thailand heute, vier Jahre nach dem Putsch, der den demokratisch gewählten Premierminister Thaksin Shinawatra seines Amtes beraubte. Von einer Normalität ist das Land noch immer weit entfernt. Besagte Elite, Thailands Oberschicht, ist zurück an der Macht. Es sind Kreise rund um das Königshaus, schwerreiche Mitglieder von Armee und Bürokratie sowie einflussreiche Familienclans. Sie scheuen sich nicht, ihren Reichtum zur Schau zu stellen, brüskieren damit die vielen, die wenig haben, die Einkommensdisparität in Thailand ist eine der höchsten der Welt.

    "Trotz allem, was passiert ist, kann man bei den Menschen und im ganzen Land vielfach die Entschlossenheit erkennen, einen Weg zu finden, der das Land nach vorne bringt, der den Bedürfnissen aller dient."

    Nach seinem Sieg über die Demonstranten, die Rothemden, im Mai dieses Jahres wendet sich der von der Armee gestützte Premierminister Abhisit Vejjajiva an die Öffentlichkeit. 91 Menschen waren während der Unruhen getötet worden, die meisten von ihnen unbewaffnete Zivilisten, Premier Vejjajiva spricht jetzt von einer Aussöhnung und einer notwendigen Stabilisierung des Landes.

    Mehrere Kommissionen wurden seitdem ins Leben gerufen, um die Gründe für die sozialen Zerwürfnisse in Thailand zu ermitteln und um den Ursachen für die Gewaltausbrüche auf die Spur zu kommen. Doch niemand glaubt, dass im gegenwärtigen politischen Klima irgendjemand zur Rechenschaft gezogen wird.

    Denn: Eine Aussöhnung soll ohne die Regierungsgegner stattfinden. Selbst die Medien der Opposition bekommen einen Maulkorb verpasst, sie werden verboten, offiziell wird das Medienreform genannt. Der Zugang zu mehreren Zehntausend Webseiten wird von der Regierung blockiert. Die Hauptanführer der Proteste befinden sich in Haft. Ihnen soll der Prozess gemacht werden. Seit Kurzem patrouillieren in Bangkok auch wieder Soldaten an über 400 öffentlichen Orten. Thailand wirkt wie ein Land, das belagert wird.

    Der deutsche Politologe Michael Nelson, der als Gastdozent an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok arbeitet, sieht die Entwicklungen kritisch.

    "Die Regierung hat ja während der Proteste, anstatt sie als Proteste zu sehen, dargestellt als eine Verschwörung zum Sturz der Monarchie. Was in Thailand Hochverrat bedeutet und das Schlimmste ist, was Sie überhaupt jemand vorwerfen können und was mit lebenslänglicher Haft bis hin zur Todesstrafe geahndet wird. Das heißt auch, dass die Regierung mit diesen Leuten natürlich keinesfalls Versöhnung im Schilde führt. Diese Leute sind für sie Verbrecher, die man dem langen Arm des Gesetzes zuführen und aburteilen muss."

    Auch in Thailands Öffentlichkeit wird mehr und mehr Kritik laut. Daran, dass in einem Teil des Landes noch immer Notstandsgesetze herrschen. Die sind, nach internationalen Normen, nur kurzzeitig und in Extremsituationen gestattet, in dem Falle, dass die normale Gesetzgebung nicht reicht, um Recht und Ordnung sicherzustellen. Doch Regierung und Armee halten an den Notstandsgesetzen fest, führen an, dass sie das Land vor weiteren Protesten und zusätzlicher Destabilisierung bewahren müssen.

    Der Politologe Andrew Walker, Thailand-Experte und Dozent an der Australian National University in Canberra bezweifelt, dass die Regierung etwas aus den Entwicklungen gelernt hat. In einem Videopodcast seiner Universität äußert er sich so:

    "Wir sind in einen Prozess eingetreten, der sich Aussöhnung nennt. Aber es scheint eine Aussöhnung zu sein, bei der Angst vor den Anderen geschürt wird und die mit allen Arten von Repressionen gegen die Rothemden-Bewegung einhergeht. Ich denke, es gibt keine aufrichtigen Bemühungen um mehr Offenheit und mehr Demokratie. Die Regierung hat die Leute nicht ernst genommen, als sie an die Wahlurnen gegangen sind. Als sie dann nach Bangkok kamen und protestierten, hat die Regierung auch das nicht akzeptiert. Sie akzeptiert einfach nicht, dass es ein aufrichtiges politisches Verlangen bei den Menschen gibt."

    Zurück im Untergrund-Treffpunkt der Rothemden im Norden des Landes. Die Sorge vor einer erneuten Konfrontation zwischen Regierung und Opposition scheint begründet. Der lokale Anführer erklärt nüchtern, was die Gruppe plant, um einen Regierungswechsel herbeizuführen:

    "Wir haben eine Strategie, um beim nächsten Kampf zu gewinnen. Wir werden erst die Menschen in den Städten auffordern, sich zu erheben. Dann wenden wir uns an die Menschen auf dem Land. Und als Letztes werden wir die Truppen auffordern, sich uns anschließen und mit uns zu kämpfen."