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Republik braucht anderes Verhältnis zur Hauptstadt

Die Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds, Adrienne Göhler, hat am Hauptstadtkulturfonds zurückgewiesen. Der Hauptstadtkulturfonds habe in der Vergangenheit Großartiges geschaffen, betonte die Kuratorin am Mittwoch im Deutschlandfunk. Durch den Fonds setze sich Berlin auch ins Verhältnis zu anderen Kulturen und Ländern und beschreibe mit seinen Projekten "ein Stück Avantgarde".

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich | 07.09.2005
    Burkhard Müller-Ullrich: Gewitter sind auch über der deutschen Hauptstadt angekündigt - allerdings im übertragenen Sinn und bezogen auf die Kulturförderung. Seitdem Merkels Mann für das Kulturelle, Norbert Lammert, den Hauptstadt-Kulturvertrag öffentlich kritisiert und die Frage aufgeworfen hat, ob die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder nicht besser zusammenzuführen seien, hagelt es Proteste. Ach ja, und den Hauptstadtkulturfonds, den Sie, Adrienne Göhler, leiten, den hat Lammert auch im Visier. Weshalb wir von Ihnen nicht erwarten, dass Sie seine Vorschlägen toll finden, oder?

    Adrienne Göhler: Ich finde es falsch. Ich habe ihm das auch in einer gemeinsamen Podiumsdiskussion nachgewiesen. Der Hauptstadtkulturfonds hat etwas ganz Großartiges geschaffen in dieser Republik. Dadurch, dass er einer der wichtigsten Kooperationsinstrumente geworden ist, ist nicht nur der Produktionsstandort Berlin wichtig geworden, sondern Berlin setzt sich ins Verhältnis zu anderen Kommunen, zu anderen Ländern. Wir haben mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds wunderbare Sachen erreicht, etwa dergestalt, dass Staatstheater mit freien Gruppen zusammenarbeiten. Wir haben eine Verflüssigung zwischen den Disziplinen hingekriegt, was, glaube ich, einfach ein Stück Avantgarde auch beschreibt. Dieses Instrument zu kappen heißt: Die Kraft, die Berlin hat - und die liegt in ihrer Internationalität, in ihrer kulturellen Verfasstheit - zu schwächen.

    Müller-Ullrich: Nun ist das Feld der Kultur ja eines der am wenigsten strittigen in all den Wahlkämpfen und Wahlkampfreden die man so hört; und sogar hören Sie von der CDU einiges Lob für alles, was schon getan wurde. Aber unter dem Druck des mangelnden Geldes muss nun wohl doch ein bisschen was umverlagert werden. Das ist ja nun einfach sozusagen eine äußere Gegebenheit?
    Göhler: Ich meine, wenn man sich einmal die Prozentzahlen, die Kultur im Gesamthaushalt ausmacht, anguckt, dann liegt es nicht zwingend auf der Straße, dass da innerhalb der Kultur umverteilt werden muss. Ich glaube, dass diese Republik ein anderes Verhältnis zu ihrer Hauptstadt braucht; ich glaube, dass dieses vollkommen im Argen liegt, und dass es ahistorisch ist, das schon an politischen Leichtsinn grenzt. Man kann nicht verkennen, dass Berlin das Produkt, die Teilung von Berlin, ein Produkt der politischen Umstände war, und dass etwa drei Staatsopern oder sieben Staatstheater auch Resultat einer politischen Teilung sind. Damit muss Kultur umgehen. Und zwar nicht im abschaffenden Sinn, sondern im weiter produktiv haltenden Sinne. Und da bin ich gar nicht damit einverstanden, und teile übrigens auch nicht die Meinung, dass alle das gleiche wollen in der Kultur. Bei der CDU blitzt ganz klar ein kulturnationales Gedankengut auf, was ich hochsuspekt finde und dem Wesen des Künstlerischen fremd. Denn das ist universell und international ausgerichtet. Also es gibt da eine ganze Menge Fragezeichen, sodass ich weit davon entfernt bin, besoffen zu sein vor Glück, dass Kultur nun in jedem Redebaustein vorkommt.

    Müller-Ullrich: Nun ist die Nation und auch die Republik ein bisschen größer als Berlin. Und es ist auch schwierig, den Leuten zwischen Wilhelmshaven und Friedrichshafen, zwischen Aachen und Leipzig zu vermitteln, dass die Hälfte aller Kulturausgaben des Bundes unbedingt in die Hauptstadt muss.

    Göhler: Ja, man muss sich vielleicht einmal über die gesamtstaatlichen Ausgaben unterhalten, die sich durchaus mit einem Föderalismus, der nicht in einer Form erstarrt ist, sondern der auch sich produktiv hält, nach neuen Wegen sucht. Da glaube ich, kommen wir dann zu solchen Fragen wie: Ist das jüdische Museum eine Berlin-typische Angelegenheit? Oder aber ist es ein Stück Gedächtnis für die gesamte Republik? Das gleiche ist mit dem Holocaust-Mahnmahl zu fragen, mit der Topographie des Terrors. Eine Hauptstadt muss sich natürlich auch hineinverhalten können in einen Föderalismus. Und ich glaube, da gibt es eine ganze Menge zu diskutieren; und ich fühle das überhaupt nicht gut aufgehoben im politischen Raum. Bei den KünstlerInnen indessen sehr viel besser, weil die problematisieren Hauptstadt, Teilung, Geschichtlichkeit, Bezogenheit auf die Republik, sehr viel stärker.

    Müller-Ullrich: Es gibt einen Vertrag, und Verträge sind natürlich zu halten. Auf der anderen Seite, wenn man nur einmal daran denkt, gewisse Sachen neu zu verhandeln, ist es natürlich ein schlechtes Argument, wenn man sich nur auf die festgefrorenen, vertraglich geregelten Zustände beruft.

    Göhler: Nein, ich glaube, dass man diesen Hauptstadtkulturfonds und sein Wirken, sein wirklich segensreiches Wirken für das, was ich die Verbreiterung des kulturellen Hinein in eine gesellschaftliche Relevanz nenne, das kann sich absolut sehen lassen und würde einfach jeder Diskussion standhalten.

    Müller-Ullrich: Berlin kann sich sehen lassen, solange die Euros fließen. Das war die Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds, Adrienne Göhler, der wir für dieses Gespräch danken.