"Liebe Wenden, dank für die vielen Spenden! Von Bäumen, Brot und Händen, besonders den Gorleben-Frauen, die den Kranz so hübsch gewunden. Und den Bauern, bei denen wir das Holz gefunden."
Wendland, im Mai 1980: Auf einem öden, von den Behörden brandgerodeten Waldstück zwischen den Ortschaften Trebel und Gorleben war ein Dorf aus Holz und Feldsteinen, Lehm und Stroh entstanden. Ursprünglich wollte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hier, an der Tiefbohrstelle 1007, den Salzstock unter Gorleben erkunden - um den Atommüll der Bundesrepublik dort zu lagern, für immer. Jetzt waren Wohnhütten und kommunale Einrichtungen für mehr als 1.000 Menschen entstanden, ein Badehaus, eine Großküche, eine Schwitzhütte im indianischen Stil, aus Zweigen und Ästen, Gärten, eine Klinik und ein Friseur. Das Baumaterial war von Bauern aus der Umgebung gespendet worden.
Die "Republik Freies Wendland" war mehr als ein bloßes Hüttendorf von Bohrlochbesetzern, die die Erkundung des Salzstocks behindern wollten. Die Bewohner verstanden sich als Laboratorium für eine neue, utopische Gesellschaft. Es gab ein Passamt, an dem jeder, der dies wollte, einen sogenannten Wendenpass bekam, gegen eine Gebühr von zehn Mark.
"Der Inhaber dieses Passes ist Bürger der ‚Republik Freies Wendland' und gibt somit zu verstehen, dass ein Staat, der die Unversehrtheit seiner Menschen nicht gewährleistet, der die natürlichen Ausgewogenheiten zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren und Mineralien nicht erhalten kann, der an dem tödlichen Missverständnis festhält, dass innere und äußere Sicherheit durch Waffen und Uniformen hergestellt werden kann, dass ein solcher Staat nicht länger der Seine ist."
Schlagbäume an den Grenzen
An den Grenzen des neu geschaffenen Staates zu seinem einzigen Nachbarland, der Bundesrepublik Deutschland, standen Schlagbäume. Das Dorf wurde zum Anziehungspunkt für Sympathisanten der Atomkraftgegner, bis weit ins bürgerliche Milieu hinein. Unter ihnen auch der damalige Chef der Jusos, Gerhard Schröder. Seine sozialdemokratischen Parteifreunde Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel dagegen unterstützten den niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht, der die Siedlung räumen wollte. Ein juristischer Vorwand war schnell gefunden: Die Besetzer hatten nicht nur, wie es hieß, gegen das Waldgesetz, das Seuchengesetz und die Bauordnung verstoßen. Sie hatten es ebenfalls versäumt, sich ordnungsgemäß bei der Gemeinde Trebel anzumelden. Nach 33 Tagen, im Morgengrauen des 4. Juni 1980 riegelten Tausende von Polizeibeamten den gesamten Landkreis Lüchow-Dannenberg ab, das Dorf wurde umstellt. Aus Hubschraubern und Polizeilautsprechern wurde den Besetzern die Räumungsverfügung verlesen.
"Achtung, hier spricht die Polizei. Meine Damen und Herren, ich darf Sie freundlich auffordern, den Platz in Richtung auf die Durchlassstelle freiwillig zu verlassen."
Als die Räumung begann, waren die Gesichter der Polizisten mit dunkler Tarnfarbe bemalt, wie die von Soldaten in Vietnamkriegsfilmen. Kurz darauf rollten Bulldozer und Raupen auf das Dorf zu. Unter den Dorfbewohnern brach Panik aus. Diejenigen, die den Überblick behielten, versuchten die anderen aus Lautsprecherwagen zu beruhigen.
"Leute, habt keine Angst! Das da drüben, diese Wolke, das ist nur Staub. Das ist kein Gas, das ist nur Staub. Die Bullen selbst haben auch keine Gasmasken auf."
Polizisten gingen mit ungewöhnlicher Härte vor
In den Wochen zuvor hatte die Springerpresse immer wieder vor der Gefährlichkeit der Siedler im wendländischen Forst gewarnt, von einem drogensüchtigen, verdreckten und promiskuitiven Mob berichtet, der sich darauf vorbereitete, Polizeibeamte in Brand zu setzen. Die Polizisten gingen daraufhin mit ungewöhnlicher Härte vor, auch gegen die, die keinen Widerstand leisteten - dem NDR-Reporter, der die Räumung aus sicherer Entfernung beobachtete, war die Empörung anzuhören.
"Das war zunächst einmal so, dass Beamte auf die Demonstranten zugingen, sie wegzogen aus einem Innenbereich des Dorfes heraus, dann muss einigen Beamten die Nerven durchgegangen sein, sie schlugen wahllos, ich habe das in drei Fällen beobachten können, auf Demonstranten ein, die nichts anderes taten, als auf dem Erdboden zu sitzen."
Nach wenigen Stunden war das Dorf geräumt. Der Streit um die Eignung des Salzstocks von Gorleben ist bis heute nicht beigelegt. 2009 kamen Hinweise ans Licht, dass die Bundesregierung in den 70er- und 80er-Jahren die Ergebnisse der Probebohrungen manipuliert hatte, um den strahlenden Müll dort für immer verklappen zu können. Ein sicheres Endlager für Atommüll gibt es in Deutschland bis heute nicht.