"Moldau, Moldau" skandierten die Demonstranten am Wochenende in der Innenstadt von Chisinau. Aber sie stemmten nicht nur die aktuelle Staatsflagge in die Höhe, sondern daneben auch eine einheitlich rote Fahne, die nicht zufällig an die Flagge der Sowjetunion erinnerte.
Diesmal waren es nämlich die pro-russischen Sozialisten, die zum Protest in die Hauptstadt der Republik Moldau riefen. Sie machten ihrem Unmut über den Präsidenten und die Regierung Luft, die für eine Annäherung des Landes an die EU eintreten. Der Vorsitzende der Sozialisten Igor Dodon erklärte vor dem Parlamentsgebäude:
"Sechs Jahre lang haben sie euch im Stich gelassen, die Rentner genauso wie die Kinder. Heute zeigen wir, dass wir einig sind im Kampf gegen die Herrschenden. Sie zerstören unsere christlichen Werte, sie attackieren unsere orthodoxe Kirche. Sollen wir das noch länger ertragen? Nein - fort mit den Oligarchen!"
Bis Ende der Woche sollten die Regierung und Präsident Nicolae Timofti zurücktreten, forderte Dodon. Damit sprach der Oppositions-Politiker den Menschen aus dem Herzen. Eine der nach Schätzungen 30.000 Versammelten sagte:
"Ich bin hier, weil uns eine Milliarde gestohlen wurde. Und weil die Renten so niedrig sind."
Vor allem diese eine Milliarde US-Dollar hält die Republik seit vielen Monaten in Atem. Das Geld verschwand Ende des vergangenen Jahres von den Konten der drei größten Banken und wurde mutmaßlich über mehrere Scheinfirmen ins Ausland transferiert. Die Nationalbank schoss das Geld nach und rettete die Banken. Damit allerdings brachte sie den Staat an den Rande des finanziellen Zusammenbruchs. Die Inflation schnellte in die Höhe.
Wer das Geld erhalten hat, ist bis heute unklar. Viele Spuren führen zu den Oligarchen in der Regierungskoalition, vor allem zum Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei Vladimir Filat.
Der Staat Moldau sei inzwischen ein Selbstbedienungladen für Oligarchen, sagt die Journalistin Natalia Morari.
"Korruption hat es in der Republik Moldau immer gegeben. Aber in den vergangenen Jahren hat sie ein solches Ausmaß erreicht, dass schon Grundschüler in ihren Aufsätzen über sie schreiben. Der Transfer von einer Milliarde US-Dollar aus dem heimischen Bankenwesen ins Ausland ist mit der schweigenden Zustimmung aller staatlichen Strukturen geschehen."
Zwar trat schon im Juli der damalige Ministerpräsident Chiril Gaburici zurück und vor wenigen Tagen nahm auch der Chef der Nationalbank seinen Hut. Das Vertrauen der Menschen in die Regierung ist dadurch aber kaum gewachsen. Denn auch der neue Ministerpräsident Valeriu Strelet gilt als treuer Parteigänger von Oligarch Filat. Wer die Nationalbank leiten wird, ist noch unklar.
Ebenso offen ist, wer vom Vertrauensverlust der pro-westlichen Regierung profitieren wird. Bei den bisher größten Protesten in Chisinau vor drei Wochen - mit nach Schätzungen bis zu 60.000 Beteiligten - schwenkten viele Demonstranten EU-Fahnen. Die Organisatoren, die "Bürgerplattform Würde und Wahrheit", präsentieren sich ebenfalls als pro-europäisch. Doch die Proteste des vergangenen Wochenendes zeigten, dass auch die prorussische Opposition viele Menschen mobilisieren kann.
Der Sozialisten-Chef Igor Dodon würde die außenpolitische Ausrichtung des Landes am liebsten wieder umkehren.
"Wir glauben, dass der Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union vor einem Jahr große Probleme für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft gebracht hat. Vor so einem wichtigen Schritt hätte es eine Volksabstimmung geben müssen."
Deshalb werde er, wenn es zu Neuwahlen komme und seine Partei gewinne, das Assoziierungsabkommen annullieren, erklärt Dodon. Vielmehr solle Russland wieder strategischer Partner werden.
Die beiden konkurrierenden moldauischen Protestgruppen - die prorussische und die proeuropäische - haben inzwischen beide Zeltlager in der Innenstadt von Chisinau aufgebaut. Sie sind übereingekommen, sich gegenseitig nicht zu stören. Die ideologisch so unterschiedlichen Regierungsgegner müssen wohl noch eine Zeit lang miteinander auskommen. Denn Regierung und Präsident denken gar nicht daran zurückzutreten.