"Preise sind mir nicht wichtig. Also mich persönlich interessiert das nicht."
Vielleicht hat sich Ijad Madisch aber auch nur daran gewöhnt, sie zu erhalten. Erst vor Kurzem hat er den deutschen Gründerpreis für sein Start-up "ResearchGate" entgegen genommen. Ein soziales Netzwerk wie Facebook für Forscher, nur eben ganz anders: "Die Leute, die hier arbeiten die sind auf einer Mission. Was Open Source in der Informatik geschafft hat, wollen sie sozusagen auf die Wissenschaftswelt übertragen."
Das erklärte Ziel ist mehr Transparenz. Wenn es nach Ijad Madisch und seinem Team geht, soll der wissenschaftliche Austausch ohne Grenzen und frei zugänglich sein.
Um das zu erreichen, vereint ResearchGate Zutaten virtueller Netzwerke mit Elementen aus der offline Wissenschaftswelt. Jeder Nutzer hat eine Profilseite, kann anderen Mitgliedern folgen oder deren Publikationen herunterladen. In Foren können Fragen gestellt, Arbeitsergebnisse diskutiert oder Veröffentlichungen besprochen werden. Eine gute Sache, finden ResearchGate-Nutzer:
"Ich finde ResearchGate praktisch weil ich relativ einfach an Literatur komme, zu der ich sonst keinen Zugang hätte."
"Ich glaube das ist ein gutes Tool für Wissenschaftskommunikation."
"Ich finde das total praktisch, um einfach up to date zu bleiben, was in meinem wissenschaftlichen Netzwerk so passiert."
Fünf Millionen Mitglieder
Seit der offiziellen Gründung vor sechs Jahren ist ResearchGate auf fünf Millionen Mitglieder gewachsen. Namhafte Geldgeber wie Bill Gates oder Facebook-Finanzier Accel Partners investieren in das Unternehmen. Unter Ökonomen gilt das Netzwerk mittlerweile als die online Plattform im Wissenschaftsbereich mit den besten Chancen, sich dauerhaft zu etablieren.
Zum Erfolgsrezept gehört - da ist sich ResearchGate Gründer Ijad Madisch sicher - Unabhängigkeit: "Zum Beispiel Nature hat Nature Networks aufgebaut. Das Ding gibt's glaube ich jetzt gar nicht mehr. Science hat versucht, ein Netzwerk aufzubauen. Hat auch nicht geklappt. Das funktioniert deswegen nicht, weil die immer getrieben waren von dem Mutterunternehmen. Das heißt, dass es auch einen Konflikt gibt nicht zu sagen 'Oh, wir wollen Open Science voran treiben, weil die Leute sollen ja sonst noch unsere Artikel kaufen'."
Kaufen muss man bei ResearchGate nichts. Über 60 Prozent aller in den letzten vier Jahren erschienen Artikel werden von den Autoren über ihre Profilseite, kostenlos zur Verfügung gestellt. Das ist ganz im Sinne von "Open Science", also offen zugänglicher Wissenschaft, aber überhaupt nicht im Interesse der Verlage.
Weniger Konfliktbeladen ist da der offene Austausch im Forum für Fragen und Antworten. Ist es nötig Plastikmaterial vor einer PCR zu autoklavieren? Welcher statische Test ist der richtige? Von den etwa 100 Fragen, die jede Woche gestellt werden, erhalten 90 Prozent innerhalb von zwei Tagen eine Antwort.
"Das deutet aber nicht unbedingt darauf hin, dass das nun wirklich schon in der Wissenschaft verankert wäre", sagt Rene König. Er arbeitet am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalysen an der Universität Karlsruhe. Nach seiner Beobachtung nutzen nur wenige Wissenschaftler das Potenzial des Netzwerkes voll aus.
"Es ist schon davon auszugehen, dass da viele Karteileichen unterwegs sind. Das heißt, dass Leute nur ein Profil dort haben, aber sonst eben weiterhin nicht sehr aktiv sind."
Irritierendes Eigenleben
Nach Angaben von ResearchGate sind lediglich ein Drittel aller Nutzer mindestens einmal im Monat in ihrem Account eingeloggt. Von den restlichen zwei Dritteln ist so mancher irritiert von dem Eigenleben, das ein Profil unter Standardeinstellungen entwickelt, auch wenn der Nutzer inaktiv ist.
"Ich habe noch keinen besonderen Nutzen darin entdeckt. Für mich ist es im Moment eher nervig so viele Mails zu kriegen mit Inhalten, die mir nicht so viel bringen."
"Was mich persönlich stört ist, dass meine Co-Autoren automatische Einladungen von ResearchGate bekommen, die so klingen als wären sie persönlich geschrieben, hab ich aber gar nicht."
"Ich finde besonders interessant, dass ich dort schon ein angelegtes Profil habe - obwohl ich dort nicht Mitglied bin - und das macht mir ein bisschen Besorgnis."
Auch wenn die Praxis nicht jedem gefällt, rechtlich gesehen sind vorangelegte Profile kein Problem. ResearchGate trägt lediglich zusammen, was an anderen Orten im Internet schon veröffentlicht ist. Allerdings muss man in den Zeiten der NSA-Affäre kein Verschwörungstheoretiker sein, um in sozialen Netzwerken nicht gerade denn Quell des Datenschutzes zu sehen. ResearchGate will da die rühmliche Ausnahme sein: "Das ist ja das Spannende eigentlich an der Wissenschaftswelt, dass man mit einem System, so wie wir das haben, Geld verdienen kann, ohne irgendwelche komischen Dinge mit den Daten der Wissenschaftler zu machen."
Eine "bessere Wissenschaft"
Langfristig tragen soll sich das Unternehmen über Services wie Stellenanzeigen und einen Marktplatz für Laborartikel. Ob dieser Finanzierungsplan, aufgeht muss die Zukunft zeigen. Wenn nicht, sieht Medienforscher Rene König für die Sicherheit der Nutzerdaten keine Garantie.
"Selbst wenn jetzt ein aktueller Betreiber mir versichert, eure Daten sind sicher und wir werden da jetzt kein Geld draus machen, oder zumindest nicht auf unseriöse Weise, bedeutet das ja nicht, dass das Unternehmen dann ja vielleicht doch in ein, zwei Jahren verkauft wird und dann weiß ich nicht, was damit passiert."
Bedenken, die Ijad Madisch nicht teilt. Der ehemalige Wissenschaftler glaubt fest, nicht nur an eine langfristige Perspektive für ResearchGate, sondern auch daran, dass das Netzwerk die Wissenschaft weiterbringt. Und dann fällt ihm doch noch ein Grund ein, warum Preise und Auszeichnungen wichtig sind.
"Dass das auch langsam verstanden wird, dass was wir tun nicht nur ein Thema der Wissenschaftler ist, sondern das die gesamte Gesellschaft angeht, wenn wir bessere Wissenschaft betreiben. Das ist, glaube ich, der schöne Part daran."