
30 Jahre gab's schon keinen "Faust" mehr am Münchner Residenztheater, und das hier ist überhaupt Martin Kusejs erster Versuch, den Faust ins Hier und Heute auf die Staatstheaterbühne zu stellen. Ein Kraftakt auch für den Kraftmenschen Kusej.
Na gut, Goethe hat 60 Jahre gebraucht, bis er seinen Faust zu Ende geschrieben und fertig hatte. Martin Kusej nur ein paar Monate, aber auch er hat bis zuletzt am Text und an seiner Inszenierung herumgedoktert. Er hatte die Dramaturgin Angela Obst und Albert Ostermaier als Textbearbeiter dabei, wollte den Faust "als einen von uns" verstehen, hat mit dem Hexeneinmaleins den Zweiten Teil in den Ersten gemischt - und es gewaltig krachen lassen. Und was ist dabei herausgekommen? Immerhin, der gesprochene Text an sich ist Original:
"Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war. Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar. Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht den alten Rang, den Raum ihr streitig macht. Und doch gelingt' s ihm nicht, da es, so viel es strebt, verhaftet an den Körpern klebt. Von Körpern strömt' s, die Körper macht es schön, und mit den Körpern wird's zugrunde gehen."
Es zischt, es knallt, es brennt
Und wie. Donner, Blitz und Schwefel - oder, wie es auf der "Hinweistafel" im Foyer für das angegraute "tout Munich"-Premierenpublikum warnend steht - "Schüsse, Explosionen und Stroboskoplicht werden eingesetzt". Es zischt, es knallt, es brennt, wenn nicht das fahle Licht auf das immer schwarz-düstere Geschehen und Rauchschwaden scheint. Die Bühne ist die Hölle und bleibt die Hölle. Ein riesiges Eisen-Stahl-Konstrukt beherrscht sie. Wie in einer Industriebrache steht dieser einstöckige Monsterbau auf einer Drehbühne mit vier Ansichten, immer rotierend. Oben wie ein Gefängnishof, mal Fight Club mit hohem Gitterzaun, in dem Faust sich verheddert und - statt Auerbachs Keller - die Höllendisco tobt.
Unten schwere Rollgaragentore, nur eine weißgekalkte Maueröffnung zeigt den Raum, in dem die Unschuld wohnt, das gar nicht so "rein" geratene Gretchen, das hier, wie alle anderen Protagonisten auch, blutverschmiert endet. Klar, der Pakt zwischen Faust und dem Teufel auch:
"Was willst du böser Geist von mir? Erz? Marmor? Pergament? Papier? Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben? Ich gebe jede Wahl dir frei. Du unterzeichnest mit einem Tröpfchen Blut!"
Der Regisseur schickt seinen Faust als verschwitzten, untersetzten, fettigen, auch noch in grauem Anzug und weißem Oberhemd unansehnlichen Kerl durch die dekadent spätkapitalistische Welt der unersättlichen Gier, die bestimmt ist von Sex, Drogen und Techno-Stakkato.
In seine Inszenierung packt Kusej alles rein, was an overkill-Erscheinungen diese Welt bestimmt, Waffenhändler, Manager, die mit Geldscheinen um sich schmeißen, Terroristen, Zuhälter des Lebens. Zu überflüssiger Letzt bekommt dann auch noch ein Kind vom Teufel
einen Sprengstoffgürtel umgelegt, mit dem es sich in die Luft sprengt.
Bibiana Beglau rettet die Inszenierung
Es ist schon - bei aller Komplexität - ziemlich harter Tobak, den Kusej in seinen Bildern serviert. Nackte Leichenberge, viel Blut, dauernd Krieg, vor allem geschlechtlich, samt ausgedehnter Schamhaarfellatio zwischen Hexe und Mephisto, wobei der angekettete Faust - Sadomaso - das Ergebnis schlucken muss. Rumms. Gott ist in Kusejs "Faust" ja sowieso einfach mal weg. Dafür rettet ihn, oder vielmehr seine Inszenierung, Mephisto, gespielt von der hinreißenden Bibiana Beglau. Während Werner Wölbern eher ein schwacher statt schwächelnder Faust ist und Andrea Wenzl als Gretchen merkwürdig diffus bleibt, erweist sich die teuflisch agierende Mephista wieder mal als großartige Kusej-Versteherin. Ihre androgyne Erscheinung, im schwarzen Hosenanzug auf High Heels, ihre Stimme voller Agonie, Ironie und bösartigerSchläue, ihre unglaubliche Bühnenpräsenz und herb-erotische Ausstrahlung erweisen dem Goethe'schen Faust die Reverenz an Tiefe und verzwickter Zerrissenheit, für die allein es sich lohnt, die Aufführung anzuschauen. Ansonsten bleibt es ein Höllenspektakel, aber eben nur:ein Spektakel.