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Resistenz aus dem Permafrost

Medizin. - In den 30er-Jahren gelang dem Schotten Alexander Fleming der große Wurf: Sein Penicillin wurde die Allzweckwaffe gegen Infektionskrankheiten. Seither sind Antibiotika unverzichtbar für die Mediziner. Kanadische Forscher haben jetzt entdeckt, dass Flemings Durchbruch für Bakterien ein ganz alter Hut war. In Mikrobengenom aus der Eiszeit fanden sie Resistenzgene gegen wichtige Medikamente, darunter auch gegen Vancomycin.

Von Michael Lange |
    Alexander Flemings Entdeckung war für Bakterien nichts neues.
    Alexander Flemings Entdeckung war für Bakterien nichts neues. (imago/United Archives International)
    Um uralte Bakterien zu finden, reisten Wissenschaftler der kanadischen McMaster-University in den Norden Kanadas nach Dawson City, nahe der Grenze zu Alaska. Denn dort im Permafrost-Boden lagern tiefgefrorene Bakterien aus einer Zeit, als noch Mammuts durch die Wälder und Steppen streiften. Der Mikrobiologe Gerry Wright von der McMaster University in Hamilton, Kanada, beschreibt die Bodenproben, mit denen seine Kollegen ins Labor kamen.

    "Das sah aus wie gefrorener Schlamm. Gelegentlich fanden wir darin versteinerte Überreste von Tieren, aber das interessierte uns nicht. Wir wollten die Erbmoleküle, die DNA, aus diesen Schlammproben gewinnen."

    Die aus dem Schlamm isolierten Erbmoleküle stammten von Bakterien, die vor 30.000 Jahren den Boden bevölkerten. Mit genetischen Sonden durchsuchten Gerry Wright und seine Mitarbeiter die Proben gezielt nach solchen Erbmolekülen, mit denen sich Bakterien vor den heute üblichen Antibiotika schützen. Und sie wurden fündig: Sie fanden Resistenzen gegen Beta-Lactam-Antibiotika, zu denen zum Beispiel das Penicillin gehört, aber auch gegen die viel verwendeten Tetrazykline, und sogar gegen Vancomycin. Dieses Antibiotikum wird heute in Krankenhäusern als eine Art Reserve-Antibiotikum verwendet, als letzte Hoffnung, wenn andere Antibiotika ihre Wirkung verloren haben.

    "Das ist interessant für uns, denn die Vancomycin-Resistenz erfordert einen komplizierten molekulargenetischen Resistenz-Mechanismus. Er besteht aus drei Genen, die man heute oft bei Bakterien in Kliniken, aber auch in der Umwelt findet. Drei Gene in Reihe."

    Um herauszufinden, ob dieses komplizierte Genkonstrukt nicht nur so aussah wie eine Antibiotika-Resistenz, sondern auch so wirkte, versuchte Gerry Wright, das 30 000 Jahre alte Erbmolekül wieder zum Leben zu erwecken. Dazu bedurfte es allerdings eines Tricks.

    "Wir sequenzierten das Gen. So konnten wir es künstlich Buchstabe für Buchstabe nachbauen. Dann haben wir das Gen in unseren Labor-Organismus E. coli eingebaut und das Gen dort wieder eingeschaltet und reaktiviert. Und E. coli produzierte daraufhin ein Resistenz-Protein: Eine exakte Kopie, die genau so aussah wie ein Protein vor 30.000 Jahren."

    Das Resistenzgen funktionierte, und zwar genau so wie Antibiotika-Resistenzen im 21. Jahrhundert. Die Urahnen unserer heutigen Bakterien kannten also schon eine ausgefeilte Abwehrstrategie gegen Medikamente, die der Mensch erst 30.000 Jahre Dafür gibt es nur eine Erklärung. Die Antibiotika waren damals bereits in der Welt. Aber nicht der Mensch hatte sie verbreitet. Wright:

    "Bakterien stellen Antibiotika aus unterschiedlichen Gründen her. Sie erhalten so Vorteile im Konkurrenzkampf mit anderen Bakterien. Sie erobern dank der Antibiotika mehr Raum zum Wachsen oder mehr Nahrung – einfach, indem sie ihre Nachbarn töten."

    Antibiotika sind in der Natur ein alter Hut, und deshalb auch die Resistenzen. Alles, was geniale Forscher erdacht haben oder erdenken werden, hat die Natur bereits Jahrtausende oder Jahrmillionen zuvor ausprobiert. Deshalb finden die Bakterien bei chemischen Angriffen aller Art immer wieder so schnell die passende Antwort.