Als im November 2015 aus China die Meldung kam, Forscher hätten dort Stämme eines Darmbakteriums gefunden, die das Resistenzgen mcr-1 in sich tragen, waren Experten besorgt. Denn mit mcr-1 können diese Keime das Reserveantibiotikum Colistin ausschalten. Zu einem echten Problem werde es, wenn das Gen in multiresistente Erreger gelange, also Bakterien, die schon gegen andere Antibiotika resistent sind, sagt Linda Falgenhauer.
"Wenn solche Bakterien ein mobiles Element erhalten, was diese Colistinresistenz trägt, dann werden sie natürlich noch resistenter und sind schlechter behandelbar."
Die Forscherin und ihre Kollegen vom Institut für medizinische Mikrobiologie der Universität Gießen wollten wissen, ob mcr-1 auch in Deutschland schon vorkommt. Darum haben sie mehr als 4000 multiresistente Bakterien untersucht, die Institute zwischen 2010 und 2016 in ganz Deutschland gesammelt hatten.
"Was wir von unseren Proben sagen können, das wir schon 2010 die MCR-1 produzierenden Isolate gefunden haben. Also schon noch früher als in China gefunden. "
Wie häufig das Resistenzgen in den Isolaten auftauchte, hing stark davon ab, ob die Bakterien aus Menschen oder Tieren stammten.
"In unserer ersten Studie haben wir gesehen, dass wir im Menschen eine sehr geringe Prozentzahl sehen, nämlich nur 0,45 Prozent, und bei Tieren hatten wir 2,33 Prozent, also aus Nutztieren, und in Lebensmitteln hatten wir 6,4 Prozent Isolate gefunden."
Verbreitung durch die Landwirtschaft
Diese Unterschiede lassen sich dadurch erklären, dass Colistin bei Menschen nur sehr selten, in der Viehzucht und -mast aber viel häufiger verwendet wird. Und je regelmäßiger ein Medikament eingesetzt wird, desto größer ist die Gefahr, dass Resistenzen entstehen. Das Problem: Das Resistenzgen verbreitet sich von der Landwirtschaft ausgehend immer weiter, sagt Can Imirzalioglu, ebenfalls Mikrobiologe an der Universität Gießen:
"Die Daten, die wir bisher haben, die deuten am ehesten darauf hin, dass es eine Ausbreitung von dem Tier ausgehend über Lebensmittelprodukte Richtung Mensch gegeben hat, das wird auch dadurch unterstützt, dass der Selektionsdruck, der durch eine Antibiotikatherapie hervorgerufen werden kann, in der Tierpopulation höher ist, da Colestin dort doch relativ häufig eingesetzt wird."
Dass sich das Resistenzgen ausbreiten kann, liegt daran, dass die Forscher es auf sogenannten Plasmiden gefunden haben. Dieses ringförmige Erbmaterial können Bakterien über Artgrenzen hinweg austauschen oder sogar aus den Überresten abgestorbener Keime übernehmen. Für gesunde Menschen sind resistente Erreger meist harmlos. Erst wenn sie offene Wunden besiedeln oder Menschen mit schwachem Immunsystem infizieren, werden sie zu einem echten Problem.
"Das ist generell ein Risiko, das wir haben, dass wir über die Nahrung zum Beispiel auch resistente Erreger oder Resistenzen an sich aufnehmen können, das muss jetzt den Einzelnen, der davon betroffen ist, nicht unbedingt krank machen. Also wir können dann zu einem Reservoir werden, weil wir im Darm zum Beispiel mit diesen Erregern besiedelt werden und dann besteht die Gefahr, dass wir diese Erreger weiter übertragen können."
Gegenmaßnahmen sind dringend notwendig
Um das Ausmaß des Problems allerdings wirklich einschätzen zu können, müssten die Forscher wissen, wie weit das Resistenzgen mcr-1 überhaupt verbreitet ist, also auch in Bakterienstämmen, die noch nicht mehrfach resistent sind. Solche Bakterien fehlen in den Sammlungen von Krankenhäusern und Forschungsinstituten, und damit die Daten.
"Da kann man von einer wirklich großen Dunkelziffer ausgehen, und das macht uns noch so ein bisschen Sorge, weil man da wirklich noch keine so richtige Idee hat, zumindest nicht in der Humanmedizin."
Antibiotika nur wenn absolut notwendig
Doch auch ohne genaue Daten kann man schon jetzt sagen: Es sind dringend Gegenmaßnahmen notwendig. Can Imirzalioglu:
"Die Entwicklung, wie sie jetzt derzeitig ist, wird sich natürlich dadurch auch nicht vollständig umkehren lassen, man sollte aber versuchen, dieses große Reservoir, was man für solche Resistenzen hat, in dem Fall die Nutztiere, die dann auch zu Lebensmitteln verarbeitet werden, möglichst frei von solchen Resistenzen zu halten."
Dafür sei es geboten, Antibiotika wirklich nur dann in der Tierzucht einzusetzen, wenn es absolut notwendig ist.