Michael Köhler: "Kunst auf Lager", die Erschließung von Depotbeständen, die der Besucher von Museen sonst nicht zu sehen bekommt, das ist eine Serie, in der wir ungewöhnliche Sammlungen, Häuser, Archive und Depots vorstellen. Heute ist die Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle dran und dort betreut Restauratorin Barbara Sommermeyer viele Werke, unter anderem die Rauminstallation "Chor der Heuschrecken" von Rebecca Horn. Die ist gute 20 Jahre erst alt, die Installation, und Rebecca Horn ist eine international gefragte deutsche Künstlerin, die kinetische Objekte macht, gern auch mit organischen Materialien arbeitet, Federn, Wolle etwa. Und das sind naturgemäß vergängliche, alternde Materialien. Das stellt Restauratoren vor neue Aufgaben, nämlich das schnelle Altern der neuesten Kunst. Wie tun Sie das, wie restaurieren Sie das, habe ich Barbara Sommermeyer gefragt? Was ist das für ein Werk?
Barbara Sommermeyer: Ja. Die Arbeit von Rebecca Horn ist im Prinzip eine Installation, bei der zirka 35 Schreibmaschinen an der Decke hängen, kopfüber, und diese an fünf Metallträgern befestigt sind und durch verschiedene elektronische und elektrische Teile sich sowohl die Schreibmaschinen als auch die Tasten bewegen. Das heißt, man hört einige Töne und Klänge, und es bewegt sich aber auch alles, was da an der Decke hängt.
Köhler: Das ist typisch für sie, dass es immer so poetisch Federn oder irgendwas, so kreisrunde Bewegungen macht, oder ein Stab auf- und abklackert. Aber das ist da auch?
Sommermeyer: Genau. Einen Stab gibt es auch noch, eine Art Blindenstock, der das Ganze im vorderen Bereich auf dem Boden - - Quasi als wenn ein Blinder dirigieren würde, bewegt sich dieser Blindenstock dann zu diesen Bewegungen und Klängen.
"Wir müssen uns dem Kunstwerk unterordnen"
Köhler: Das ist das, was man im weitesten Sinne kinetische Kunst auch nennt?
Sommermeyer: Im Prinzip ist es natürlich so: Um die Funktion, um die Intention des Kunstwerkes zu zeigen, muss es sich bewegen. Insofern, ja, ist das auch gleich schon das Problem gewesen, weswegen wir es restaurieren wollten und mussten. Es gab einige Funktionsstörungen bei der Arbeit. Es ist eine sehr komplexe Arbeit. Das ist auch das, was zeitgenössische Kunst so schwierig macht, das, was man vielleicht sonst denken würde, das muss ja noch nicht restauriert werden. Je komplexer es ist desto anfälliger ist es natürlich, desto weniger greifen Standards in der Behandlung, desto mehr Fragen müssen geklärt werden, welche Spuren sind jetzt individuell wichtig und welche nicht und welche gehören zur Intention.
Im Prinzip ist es so, dass man auf jeden Fall mit sehr vielen Fachleuten zusammenarbeiten muss. Ich habe natürlich eine klassische Ausbildung der Restaurierung im Bereich Skulptur und Gemälde gemacht. Das ist aber nicht unbedingt selbstverständlich. Man kann aus verschiedenen Bereichen eines Restaurierungsstudiums in diese Bereiche hineinkommen, weil einfach alle Materialien vorhanden sind. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachleuten, die ist einfach immer wieder erforderlich und da baut man auch eine Zusammenarbeit auf, weil auch das Thema Restaurierung nicht unbedingt das gleiche bedeutet wie im handwerklichen Sinne was zu reparieren. Und bei solchen Materialien ist natürlich naheliegend, dass man denkt, das muss man doch eigentlich nur reparieren, und da gibt es große Unterschiede.
Wir als Restauratoren müssen auch besonders darauf achten, dass wir die Intention des Kunstwerkes erhalten und dass sich nichts verändert, nichts verbessert. Wir müssen uns dem Werk unterordnen, im Gegensatz zum Handwerker oder auch der Künstlerin, die natürlich auch schon weitergewandert ist. Wenn wir die jetzt fragen, dann ist erst mal unklar, ob sie überhaupt sich noch da reinversetzen kann, was sie damals gedacht und gemacht und gewollt hat.
Köhler: Ich glaube, das ist wichtig, was sie gerade sagen. Sie machen es also nicht so wie mein hoch verehrter Schwiegervater, der Feinmechanikermeister ist, und wenn es ein Bauteil nicht mehr gibt, weil es von 1970 ist, dann ersetzt er das einfach durch ein Ähnliches, das er selber herstellt. Das würden Sie nie tun, oder?
Sommermeyer: Das kommt auf die Situation an, oder auf den Kontext. Es ist auf jeden Fall wichtig, den ästhetischen Kontext zu bewahren. Das heißt, wenn jetzt gebrauchte Schreibmaschinen da sind, dann dürfen die jetzt nicht plötzlich sauber gemacht werden, weil man meint, jetzt ist hier ein Fingerabdruck drauf. Man darf sie nicht sozusagen verschönern, verbessern.
Köhler: Wie weit sind Sie mit dem Restaurierungsfortschritt gegenwärtig, denn wir sprechen ja in der Serie "Kunst auf Lager" über ein Bündnis zur Erschließung und Sicherung von Depotstücken, damit sie dann auch irgendwann wieder in die Ausstellung können. Wie weit sind Sie?
Sommermeyer: Das Werk ist seit 2009 im Restaurierungsatelier. Im Vorfeld, bevor wir uns entschieden haben, das vielleicht abzubauen, haben wir schon einige Maßnahmen unternommen und haben einen elektronischen Fallplan erstellt, Funktionsweisen dokumentiert, Bewegungsteile gereinigt, Motoren bevorratet, Ersatzteile bestellt und solche Dinge gemacht. Jetzt sind wir letztendlich in der Lage, auch an die Rückseite der Arbeit zu schauen, offenen Fragen bei den elektronischen Fehlfunktionen nachzugehen und jetzt auch Kontakt zu erfahrenen Feinmechanikern oder auch Schreibmaschinenliebhabern zu knüpfen. Es gibt auch viele Diskussionen, die wir führen müssen über die Grenzen der Austauschbarkeit der Originalteile, und damit wollen wir jetzt im Februar dann beginnen.
Köhler: ... , sagt Barbara Sommermeyer von der Hamburger Kunsthalle in unserer Serie "Kunst auf Lager", und die Wüstenroth-Stiftung macht das ganze Restaurierungsprojekt möglich, ohne die ginge so was nicht.
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