Nur ein sehr kleiner Teil der retournierten Neuware werde vernichtet, sagte Furchheim im Dlf. Das mache bei den vielen gekauften Waren dennoch hohe Zahlen aus. Zum Teil würden hygienische Gründe - etwa bei angebrochene Cremes - das bedingen, zum Teil seien Beschädigungen der Grund. Die Händler würden bereits einen sehr großen Aufwand betreiben, retournierte Waren wieder in den Verkauf zu geben.
"Fehlanreize im Steuersystem"
Durch Fehlanreize im Steuersystem würde das Spenden als Alternative zum Vernichten benachteiligt. So werde Ware, die vernichtet werde, steuerlich mit null bewertet, hier würde keine Umsatzsteuer anfallen. Bei Spenden müsste aber die Umsatzsteuer bezahlt werden.
"Für jemanden, der rein wirtschaftlich denkt, ist das Vernichten günstiger", so Gero Furchheim. Sein Verband fordert deshalb, dass gespendete Ware von der Umsatzsteuer befreit wird. Es werde aber in Zukunft immer Waren geben, die weiterhin aus guten Gründen vernichtet würden, betonte Furchheim.
Das Interview in voller Länge:
Stephanie Rohde: Kommt das Paket vor Weihnachten an oder kommt es nicht an? Diese Frage treibt ja gerade viele um, und kaum jemand fragt sich: Geht das Paket nach Weihnachten eigentlich wieder zurück, und wenn ja, was passiert dann mit der Ware? Vielleicht wird sie verbrannt. Das klingt irre, passiert aber millionenfach – das hat Greenpeace berechnet. Offenbar verbrennen Onlinehändler wie Amazon zurückgeschickte Waren und sogar Neuwaren, das hat der NDR gerade recherchiert.
Die Bundesregierung will dieses Verbrennen von Waren jetzt erschweren. Sie will eine Obhutspflicht einführen, das heißt, Onlinehändler sollen gesetzlich verpflichtet werden, den Transport und die Aufbewahrung der Waren so zu gestalten, dass die Produkte nutzbar bleiben. Außerdem soll es mehr Transparenz geben und Vernichtung soll zur Ultima Ratio werden.
Am Telefon ist jetzt Gero Furchheim, er ist Präsident des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel. Guten Morgen!
Gero Furchheim: Guten Morgen!
"Unternehmen tun viel dafür, dass gar nicht retourniert wird"
Rohde: Warum muss die Politik den Onlinehändlern überhaupt sagen, dass man keine Neuware vernichtet?
Furchheim: Eine sehr gute Frage, weil die Praxis im Onlinehandel ist, dass schon jetzt die Unternehmen viel dafür tun, dass nach Möglichkeit Ware überhaupt gar nicht retourniert wird, beispielsweise mit guten Beschreibungen, mit vernünftiger Verpackung, dass keine Verpackungsschäden entstehen, und die dann einen sehr großen Aufwand betreibt, Ware, die zurückkommt, auch wieder zu inspizieren, beispielsweise Versandhändler für Kleidung, die haben auch Reinigungsstraßen, dass Ware gereinigt wird.
Wir als Händler haben ein Interesse dran, dass die Ware als erstklassige Ware wieder in den Verkehr kommt. Wir haben überhaupt gar kein Interesse daran, dass es vernichtet wird. Und wenn das, was viele Händler jetzt schon machen, dass sie nämlich vernünftig mit der Ware umgehen, zu einem neuen Gesetz wird, dann müssen wir sehr genau schauen, dass dort nicht wieder hinterher ein Bürokratiemonster draus wird.
"Fehlanreize im Steuersystem"
Rohde: Ja, dennoch wird ja vier Prozent der Ware vernichtet. Warum?
Furchheim: Ja, also vier Prozent, und bei den großen Mengen, die wir im E-Commerce haben, sind das eben starke Zahlen, hohe Zahlen. Wenn man sich aber von den versandten Waren es insgesamt anschaut, dann ist die Vernichtung im Promillebereich, weil wir ja vier Prozent der retournierten Waren haben. Es werden etwa ein Sechstel der Waren laut Studien der Universität Bamberg-Werden zurückgeschickt.
Die Gründe, die dann halt für die Vernichtung sprechen, sind vor allem, dass die Entsorgung aufgrund von technischen Gegebenheiten nicht möglich ist, weil Ware beispielsweise beschädigt worden ist. Es gibt dann teilweise Verpflichtungen aufgrund von Hygienebestimmungen, also keiner möchte, dass eine Creme beispielsweise, die einmal auf war, wieder in den Versand kommt. Und es gibt auch einen Punkt, und der tut uns besonders weh, dass die Alternative zum Vernichten, nämlich das Spenden, durch Fehlanreize im Steuersystem noch (nicht, Anm. d. Red.) gefördert wird, und da möchten wir, dass etwas geändert wird.
Furchheim fordert Umsatzsteuerbefreiung für gespendete Ware
Rohde: Also die Grünen haben ja zum Beispiel vorgeschlagen, dass man spendet oder verschenkt an Sozialkaufhäuser. Da sagen Sie aber, das ist teurer als vernichten. Wie kann das sein?
Furchheim: Ja, das fragt man sich wirklich, wie kann das sein? Wir haben einen Vorschlag gemacht mit dem Kölner Unternehmen INNATURA, die halt eine Plattform darstellt, die eben gemeinnützigen Zwecken solche Waren zur Verfügung stellt, und zusammen mit der Steuerberatungskanzlei EY. Zurzeit ist es so, dass Ware, die vernichtet wird, steuerlich mit null bewertet wird, das heißt, dafür keine Umsatzsteuer bezahlt werden muss, wenn ich Ware aber an einen gemeinnützigen Zweck spende, ich die Umsatzsteuer bezahlen muss. Und da ist für jemand, der rein wirtschaftlich denkt, das Vernichten günstiger. Wir fordern, dass für gemeinnützige Zwecke die Ware auch auf null Euro abgeschrieben werden kann und damit ein Fehlanreiz im Steuersystem beendet wird.
Rohde: Also dass es eine Umsatzsteuerbefreiung gibt, das fordern Sie?
Furchheim: Richtig, dass keine Umsatzsteuer bezahlt werden muss für gespendete Ware, um einfach einen Anreiz zu geben, dass mehr Ware dann halt auch für einen sinnvollen Zweck weitergegeben werden kann. Was wir zudem aber auch sagen, ist: Es ist richtig, dass wir als E-Commerce-Branche uns dieser Herausforderung stellen, dass wir dort versuchen, Warenvernichtung zu reduzieren.
Das gilt aber im gleichen Maße auch für Hersteller und auch für stationäre Handelsgeschäfte, weil in allen Produktionsstufen zurzeit auch Überhänge da sind. Es ist übrigens so, dass der E-Commerce oft vielmehr ein Bestandteil der Lösung ist, weil wir nämlich bedarfsorientiert disponieren. Wir müssen nicht Kollektionen in alle Schaufenster der Innenstädte stellen. Das heißt, gerade in der Verwertung, im Vermeiden von Retouren wird oft auch gerade der Verkauf über den E-Commerce empfohlen. Wir haben insgesamt ein Interesse dran, dass wir auch nachhaltig dort wirtschaften.
"Anreize schaffen, dass vernünftig mit Ware umgegangen wird"
Rohde: Ja, aber wie nachhaltig ist das denn, wenn man am Ende sieht, dass der Lagerplatz wertvoller ist als die Ware selbst, die da drin liegt, und es deshalb sich lohnt, die Ware zu vernichten?
Furchheim: Also dass es sich lohnt, Ware zu vernichten, ist eine steuerliche Rahmenbedingung, und da glauben wir, dass halt tatsächlich ein Irrsinn ist, der beendet werden muss. Es sollten Anreize dafür geschaffen werden, dass eben vernünftig mit Ware umgegangen wird, aber viele meiner Mitgliedsfirmen, die machen das ohnehin schon aus eigenem Antrieb.
Es gibt beispielsweise detaillierte Zahlen, die die Otto-Gruppe veröffentlicht, die sagt, dass sie fast keine Ware verschrottet. Selbst ein Unternehmen wie Amazon, das auch bei uns im Verband organisiert ist, hat wichtige Beiträge, dass sie schon seit vielen Jahren sich an den Spenden mit beteiligen. Und ich selbst bin Unternehmer in der Möbelbranche und ich kann sagen, bei uns wird fast gar nichts weggeschmissen, wenn, dann wirklich, weil es beschädigt ist und weil das halt nicht mehr auf den Markt gehört.
"Bei den Normierungen für Konfektionsgrößen Klarheit schaffen"
Rohde: Aber genau von Amazon wurde jetzt ja gerade dokumentiert, dass dort sehr viel Ware weggeschmissen wird. Warum sagen Sie dann nicht, wir sollten das verbieten, dass Ware vernichtet wird? Wäre doch konsequent.
Furchheim: Ja. Also wir müssen sehen, dass der E-Commerce halt mittlerweile sehr viel Bedeutung hat. Also jeder achte Euro im Einzelhandel geht in den E-Commerce. Und wenn wir dann im Promillebereich Vernichtungen haben, sind das trotzdem noch große Mengen.
Rohde: Wissen Sie eigentlich wie viel? Also Greenpeace hat da vorgerechnet, dass das Millionen von Artikeln sind. Wissen Sie da mehr?
Furchheim: Also wir haben gerade, damit man mehr erfährt, auch als Verband uns mit der Forschung beschäftigt, wir haben Untersuchungen gerade der Universität Bamberg mit unterstützt, indem wir halt Ansprechpartner haben, und wir glauben, dass es gesamtgesellschaftlich eine Aufgabe ist, der wir uns auch stellen, dass wir mehr darüber erfahren und dass wir mehr dafür tun, dass Retouren vermieden werden und Vernichtung vermieden wird.
Die Studie sagt übrigens als wichtigste Empfehlung, dass wir bei den Normierungen von Größen für Konfektionsgrößen, dass wir da mehr Klarheit schaffen müssen, um einfach auch Retouren und unnötige Warenversendung zu vermeiden. Das sind Dinge, die wir viel, viel sinnvoller finden, als die Gesetzeskeule herauszuholen.
"Es wird auch in Zukunft immer gewisse Vernichtung geben"
Rohde: Na ja, aber man könnte doch ganz klar sagen, wir verbieten das, und dann gäbe es gar kein Problem mehr, oder?
Furchheim: Das wäre ein sehr spannender Wechsel, weil beispielsweise der Gesetzgeber über viele Jahre hinweg es ja sogar uns auferlegt hat, dass Retouren kostenlos sein müssen. Das heißt, der Gesetzgeber hat über lange Zeit die Konsumenten dazu erzogen, dass sie erwarten, dass als Verbraucherrecht eben kostenlos zurückgeschickt werden kann. Jetzt ist es ein ziemlich rasanter Wechsel.
Wir glauben, die Aufgabe ist sinnvoller bei Unternehmen, die ohnehin ein eigenes Interesse haben, Retouren und Vernichtung zu vermeiden. Steuerliche Fehlanreize müssen beseitigt werden, eine Obhutspflicht, die ohne große Bürokratie ausgeht, damit sind wir durchaus einverstanden. Wir haben aber vor allem als Branche einen ganz großen Eigenantrieb, selber dort einen Beitrag zu leisten, weil wir selber Eltern sind, wir haben Kinder, wir wollen unseren Planeten erhalten, und wir schaffen mit vielfältigen Angeboten auch den Beitrag dazu, dass vernünftig eingekauft werden kann.
Rohde: Wenn es kein Verbot geben wird, so sieht es ja gerade aus, wie wollen Sie denn dann sicherstellen, dass keine Ware vernichtet wird? Also wie können Sie allen vertrauen, dass sie sich daran halten und das nicht tun?
Furchheim: Also es wird auch in Zukunft immer gewisse Vernichtung geben. Ware, die beschädigt ist, wird beispielsweise auch von gemeinnützigen Organisationen gar nicht gern genommen, sie wollen neuwertige Ware.
Rohde: Nein, aber es geht ja um Neuware, die vernichtet wird tatsächlich, die noch nicht mal weggeschickt wurde.
Furchheim: Ja, aber bei den vier Prozent, die halt in der Studie immer wieder zitiert werden, ist der größte Anteil tatsächlich beschädigte Ware, und es gibt auch Waren beispielsweise, die aufgrund von hygienischen Gründen nicht wieder in den Warenkreislauf reingehen sollen. Also ein gewisser Prozentsatz wird immer beschädigt sein. Es gibt auch Markenrechte, dass, wenn beispielsweise ein Markeninhaber sagt, hier, da gibt es ein Plagiat, dann wird er darauf bestehen, dass diese Ware vernichtet wird, und das ist dann tatsächlich das Gut, was auch zu respektieren ist. Wenn es aufgrund von Produktsicherheit eine Ware gibt, die gesperrt wird, dann ist es in unser allem Intereresse, dass die vernichtet wird.
Wir leisten Beiträge dafür, dass dieser Anteil so gering wie möglich ist, dass Ware gespendet wird, statt vernichtet zu werden, dass Fehlanreize ausgemerzt werden. Und wir sind Unternehmer, die selbst eine eigene Verantwortung haben, die beispielsweise Beiträge dafür leisten, dass gute Verpackungen sortiert werden, geschaffen werden, dass wenig Transportschäden sind und so weiter. Damit leisten wir gute Beiträge.
"Wir sind Bestandteil der Lösung"
Rohde: Das heißt aber, wenn die Regierung jetzt im kommenden Jahr wie geplant diese Obhutspflicht einführt, dann sagen Sie, wir werden weiterhin Ware auch vernichten?
Furchheim: Also wir sagen vor allem erst mal, wenn eine Obhutspflicht eingeführt wird, dann sind wir da mit dabei, das so zu gestalten, dass es gute Impulse gibt. So lange es nicht ein Bürokratiewahnsinn wird, unterstützen wir das, weil es im Endeffekt das ist, was wir heute schon in der gesamten Branche machen, nämlich Ware, die zurückkommt, zu inspizieren, aufzubereiten, zu verkaufen.
Und wir sind Bestandteil der Lösung, weil wir gerade halt auch spezialisiert sind, beispielsweise Überbestände auch aus dem stationären Handel über besondere Portale zu verkaufen, dass sie eben für einen günstigeren Preis auch genutzt werden können. Also wir engagieren uns dafür, dass so wenig wie möglich weggeworfen wird. Gewisse Mengen wird es aber auch weiter geben aufgrund von guten Grünen. Die schlechten Gründe wie beispielsweise Steueranreize, die wollen wir beseitigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.