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Retro-futuristischer Pop aus Frankreich

Seine Großmutter war eine preisgekrönte Dichterin, sein Vater ist ein bekannter Chansonnier und mit seiner Mutter hat er sein neuestes Video gedreht. Matthieu Chédid ist das Künstlersein wohl in die Wiege gelegt - jedenfalls gilt er mittlerweile als einer der erfolgreichsten Popmusiker Frankreichs.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    "Im Song 'Le film' singe ich darüber, dass alles vergänglich ist, und man aufhören sollte, sich zu viele Gedanken zu machen. Der Erfolg, das ist ein Geschenk des Lebens. Und außerdem ist er wie ein Echo: Man hat das Gefühl, dass die Leute die Dinge verstehen, die man ausdrückt. Verstanden zu werden ist immer etwas sehr Erfüllendes. Das Wichtigste dabei ist, ehrlich zu sein und sich eine gewisse Freiheit zu bewahren. Und was ist die Gefahr des Erfolgs? Die Angst, ihn zu verlieren. Und ich glaube, diese Angst habe ich nicht. Ich tue das, was ich will und was mir Spaß macht. Und so werde ich geradezu vom Erfolg verfolgt."

    Zugegeben, hier scheint feine französische Eitelkeit durch. Dabei legt Matthieu Chédid im Alltag eine geradezu plakative Schüchternheit an den Tag. Er hat mit Amadou&Mariame, Vanessa Paradis, Brigitte Fontaine und Johnny Halliday zusammengearbeitet, Songs und Alben für sie geschrieben oder produziert. Mit bereits zehn Auszeichnungen bei der Victoire de la Musique, dem Grammy Frankreichs, dürfte er außerdem der unangefochtene Champion sein.

    Fast alles, was Matthieu in die Hand nimmt, wird zum Erfolg, die Kritiker lieben ihn und sein Publikum erst recht, vor allem seine exaltierten Bühnenshows. Im März konnte man das erstmals in Deutschland ziemlich eindrucksvoll in der Münchner Muffathalle erleben, als 1500 begeisterte Fans ihn hymnisch feierten.

    "Das kann ich einfach am besten. Natürlich mag ich es auch, Platten aufzunehmen. Aber im Konzert kann ich mich am besten ausdrücken. Ich bin eben Musiker und Instrumentalist, und auch ein bisschen eine Rampensau. Sonst bin ich eher ja ein ruhiger Typ, aber auf der Bühne kehre ich dann alles nach außen. Da fühle ich mich ganz bei mir. Ich glaube, es gelingt mir ganz gut, über meine Musik, die Texte und meine Verkleidung und die Ausstattung, Dinge auszudrücken, sodass das bei den Leuten ankommt."

    Den Künstlernamen M - eine Anlehnung an das Verb "lieben" - hat er sich zugelegt, um Distanz zu seinem Vater, dem bekannten Chansonnier Louis Chédid, zu schaffen. Mit dessen Musiktradition hat er wenig am Hut, M spielt seine Songs auf Rockbühnen, und nicht in den kleinen Theatern der Varieté Francaise. M’s Fantasie bei der Kostümierung oder auch bei der Gestaltung seiner Frisur - zuletzt als Riesentolle in Form eines M - sind dabei keine Grenzen gesetzt.

    Dass M sich trotz seiner Erfolge als Komponist, Produzent, Filmmusiker und Solokünstler tatsächlich nicht ganz ernst nimmt, zeigt unter anderem das Video zur Single "Baia", das er übrigens selbst gedreht hat. Während er mit seinen Mitmusikern auf absurden Weltraumfahrzeugen aus Pappmaschee durch die Dimensionen und die Geschichte prescht, fliegt auch seine Mutter als psychedelische Weltraumfee durchs Bild. Dazu ein stampfender Song zwischen arabischen Lautenklängen und mexikanischem Fiesta-Sound.

    Auf seinem Album "Il" spielt M mit Rock, Funk, Soul, Elektropop, Swing und Ethno-Beat, seine Songs sind eingängig, ohne simpel zu sein. Beispielhaft dafür ist unter anderem die Single "Mojo", eine Hommage an die Zeit der französischen Ye-Ye-Epoche mit einem funky-rockigen Groove und einer guten Portion moderner Elektropunk. Es ist das, was M als "Retro-Futurismus" bezeichnet.

    "Die meisten meiner Instrumente kommen aus den 60er Jahren. Mit den heutigen technischen Mitteln kann ich diesen Sound neu aufarbeiten. Es braucht beides, und das gilt auch für die Liveshows: Retro-Futurismus. Wir treten als Trio auf, wie die legendären Rocktrios der 60er Jahre. Ich habe mit einem meiner Musiker ein Instrument entwickelt, die Bastare, eine Mischung aus Gitarre und Bass, die aber auch noch Pads hat, mit denen man Samples und Sounds abspielen kann. Wir wollen nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft sein, sondern diese beiden Energien zusammenführen."

    M jongliert in seinen Songs, die er selbst schreibt, einspielt und produziert, ebenso mit Stilen wie mit Stimmungen. Er baut gerne mal nach einer Elektropunk-Nummer einen sphärischen Chorsatz mit Delay-Gitarre ein und kombiniert tiefste Melancholie mit überdrehter Exaltiertheit. Grenzen werden auf dem Album "Il" gerne ignoriert oder gleich ganz eingerissen. Dabei geht zum Glück die Orientierung nie ganz verloren, M bleibt M.


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