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Retro-Romantiker Drangsal
"Ich hatte immer schon eine feminine Ader"

Eurythmics, The Cure, Joy Division - stets werden die besten 80er-Jahre-Bands zum Vergleich herangezogen, wenn von Drangsal die Rede ist. Er sei deswegen aber keinem böse, sagte Max Gruber alias Drangsal im DLF-Corsogespräch. Die Musik sei Teil seiner Kindheit gewesen und er habe sie deswegen verinnerlicht.

Max Gruber alias Drangsal im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
    Bernd Lechler: Drangsal, Max Gruber - der Musik Express schrieb über Ihre Musik: "Eine Mischung aus Eurythmics und The Cure". Wie seltsam oder wie nervig ist es, sein Debüt rauszubringen und dann ständig mit 30 Jahre altem Zeug verglichen zu werden?
    Max Gruber: Ich finde es nicht so nervig. Es ehrt mich, und es schmeichelt mir auch, obgleich ich kein großer The Cure-Fan bin. Ich mag Eurythmics mehr. Die Leute brauchen natürlich aber trotzdem immer eine Referenz, deswegen bin ich keinem böse, wenn er daran denkt.
    Lechler: Aber sie sind ja Anfang der 90er geboren...
    Gruber: ...’93...
    Lechler: ...das heißt, waren damals noch nicht da, um davon beeinflusst zu werden. Angeblich hat Ihr Vater Kassetten im Auto gehabt. Sind Sie tatsächlich mit fünf schon darauf angesprungen, war das schon die Initialzündung?
    Gruber: Die Initialzündung war eine andere. Ich war mit fünf dieser Musik schon ausgesetzt, das ist richtig, und ich habe sie deswegen verinnerlicht, es ist irgendwie ein Teil meiner Kindheit. Ich habe mich aber zu der Zeit für andere Musik interessiert. Das fing bei mir an mit Beastie Boys, Korn, The Prodigy und Marylin Manson. Musik musste immer eine sehr große visuelle Komponente haben und musste immer vor allem dumpf provokativ sein, dass ich sie spannend fand. Und erst später dann, nämlich mit den Smiths, das war so die Initialzündung, das war so der Türöffner in dieses ganze 80er-Jahre-Ding. Da habe ich dann wieder zurückgegriffen auf die Sachen, die mein Vater früher schon gehört hat und gemerkt: 'Mensch, der B 52's-Song, den habe ich ja damals schon im Auto gehört!' Auch mit Tuxedo Moon oder DAF - mein Vater hat immer den "Mussolini" gehört, hoch und runter, meine Mutter kann ein Lied davon singen.
    Lechler: Marylin Manson, der sogenannte Schockrocker - auch lackierte Fingernägel gehabt, damals?
    Gruber: Absolut! Und ellenlanges Haar, bis zur Brust schwarz gefärbt, eine schwarz-weiß karierte Hose an, grüne Schuhe und ein Rob-Zombie-T-Shirt, so bin ich in die Schule gegangen.
    "Ich war schon immer zu laut mit meinen Gefühlen"
    Lechler: Wie war Herxheim bei Landau in der Pfalz als Standort, wenn man gemerkt hat, man will eigentlich anders sein als die anderen.
    Gruber: Ganz gut, weil es deswegen so leicht war, aufzufallen, es gab ja keinen der das getan hat. Natürlich wurde mein Auftritt immer auch belächelt, und die Leute fanden das nicht gut, weil sie es mit ihrem eigenen Lebensstil nicht vereinbaren konnten, aber ich war nicht verschrien oder aussätzig. Ich hatte immer schon eine feminine Ader, ich gestikuliere viel... das finde ich auch überhaupt nicht schlimm, aber da bildet man natürlich eine Zielscheibe für die Dorfprolls, und, klar, da wurden Rucksäcke in den Mülleimer geworfen. Aber statt sich weiter zu verkriechen, dachte ich: 'Nein, ich muss mir das nicht geben', und habe dann einfach zurückgefeuert. Und ich glaube, dass das der Grund ist, warum ich überhaupt ein Selbstbewusstsein entwickeln konnte und mit so einer Selbstverständlichkeit an Dinge, die ich machen will, herangehe. Das war irgendwie gut, das war wie ein Drill. 'Okay, du magst nicht, wie ich bin und wie ich mich anziehe? Gut, dann werde ich mich halt noch krasser anziehen.' Das war gut. Ich glaube, das hat mir viel gebracht, diese Schulzeit.
    Lechler: Es gibt in Landau, habe ich gesehen, ein Begräbnisinstitut, das "Drangsal" heißt. Das war aber nicht die Inspiration für den Bandnamen, oder?
    Gruber: Das war tatsächlich der Anstoß. Ich habe da zum ersten Mal das Wort gehört. Ich wusste natürlich, dass es das Verb "drangsalieren" gibt, und habe dann nachgeguckt: 'Drangsal, ist das auch ein Nomen?' Ja, es ist "die Drangsal", und ich finde, selbst der Artikel wirkt etwas deplatziert, wenn man es das erste Mal hört, und gerade deswegen finde ich es so schön. Und das Wort habe ich immer so im Gedächtnis behalten, und ich habe es mir auch hier auf den rechten Arm tätowieren lassen. Es hat irgendetwas in mir ausgelöst emotional. Und deswegen der Bandname.
    Lechler: In den Songtexten werden allzu leidenschaftslose Tänzer von der Tanzfläche geballert, und es fliegt auch mal schwarzer Schleim, und es gibt SM-Sex, und das Leben tut weh und ist eine Drangsal. Wie privat ist das alles? Und warum schreiben Sie das?
    Gruber: Unfassbar privat. Ich war schon immer zu laut mit meinen Gefühlen, ich habe schon immer zu schnell gesagt, was ich wirklich denke, und somit Leute vor den Kopf gestoßen. Und mir ist aufgefallen, dass Musik eben die beste Möglichkeit ist, also das beste Sprachrohr für die dunkelsten Emotionen, die man irgendwie in sich trägt. Um es mit einfachen Worten zu sagen: Wenn ich mich auf die Straße stelle und sage: 'Ich hasse Clubkultur, und die jungen Tänzer, die ich hasse, auf die ich aber auch eifersüchtig bin, die gehören echt erschossen' - dann erklärt man mich für verrückt. Wenn ich es im Kontext eines Popsongs, der vielleicht sogar noch eingängig ist, mache, dann ist das okay.
    Lechler: Was ist denn an der Clubkultur so verkehrt?
    Gruber: Ich bin natürlich ein großer Fan des Deutschlands der 80er Jahre, musikalisch. Es ist viel passiert, es war eine Zeit des Aufbruchs - die Neue Deutsche Welle, die Einstürzenden Neubauten und so weiter und so fort. Gemündet ist das alles in den 90ern in Techno! Eine Musik, die ich repetitiv und stumpf finde. Ich finde, in Clubs gehen und sich so fühlen, als sei man Teil einer Counterculture, obwohl alles, was man macht, das schlichte Konsumieren der Musik als solches sowie das Konsumieren von Drogen - gegen die ich übrigens militant abgeneigt bin - ist... ich finde es verschwenderisch, wenn man einfach nur so in das Wochenende hineinlebt. Ich bin ein "Drinni", ich gehe nicht viel raus. Über Sachen, die mich faszinieren, versuche ich mehr herauszufinden, und ich versuche, schöne Musik zu machen. Und deswegen habe ich so eine Abneigung dagegen, das hat für mich nie Sinn ergeben, das macht mich ehrlich sauer.
    Lechler: Das letzte Stück auf dem Album heißt "Wolpertinger". "Let me be like you, but the thoughts in my head, oh, they won’t let me go." Sind das Sie?
    Gruber: Das bin auf jeden Fall ich. Ich glaube, der "Wolpertinger" ist auch der Songtitel, der am bezeichnendsten ist für mich. Auch in Bezug auf die Musik als solche: Bin ich eine eigenständige, vollwertige Persönlichkeit, oder bin ich nur die Summe meiner Einflüsse? Wie ein Wolpertinger kein eigenes Tier ist, sondern einfach nur aus anderen Tieren zusammengesetzt ist. Und ist das wirklich so schlimm? Oder ist das vielleicht sogar okay? Ich glaube, der "Wolpertinger" beschreibt das ganz gut. Lustiger weise eines der ältesten Stücke, da war ich 17 oder so, als ich das geschrieben habe.
    "Wir wollten einen gefallenen Stern porträtieren"
    Lechler: Die Songs haben etwas Brachiales, in der Tat, etwas sehr Direktes und eine sehr echte Energie, wie ich finde. Gleichzeitig wirkt vieles Drumherum sehr kalkuliert, oder zumindest wohlüberlegt. Zum Beispiel Jenny Elvers im Musikvideo zur Single "Allan Align". Wer ist darauf gekommen und warum?
    Gruber: Maximilian Wiedenhofer, der Regisseur, und ich zusammen. Es wäre zu einfach gewesen, bei irgendeiner Agentur irgendein schönes Mädel anzufragen, das ungefähr in dem Alter ist, in dem ich jetzt auch bin, und mit der dann das Video zu drehen. Das hätte den Leuten bestimmt besser gefallen. Alleine, dass so jemand wie Jenny Elvers im Musikvideo eines Independent-Künstlers ist, eines Newcomers, wo sie überhaupt nichts zu suchen hat, das nervt die Leute, und das stößt sie vor den Kopf. Ich habe alle Reaktionen gekriegt, von 'komplett beschissen' bis 'genial'. Wir wollten einen gefallenen Stern porträtieren, und wir wollten jemanden, den man so nicht erwartet. Wir haben gefragt, wir hielten es auch für eine völlig verrückte Schnapsidee, sie hat zugesagt, sie war unfassbar nett, unfassbar intelligent - und wir wussten auch nicht, dass sie ins Dschungelcamp geht! Jenny Elvers war drei Jahre aus dem öffentlichen Auge mehr oder minder verschwunden. Dann drehen wir das Video, und die Termine stehen ja immer vorher schon fest: Wann ist der Dreh, wann kommt es raus. Und genau zwischen diesen zwei Terminen ging Jenny Elvers eben ins Dschungelcamp. Also, es war tatsächlich gar nicht so hartes Kalkül. Leider. Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich hätte von Anfang an geplant, dass es so passiert. Aber hey, mein Musikvideo wurde auf RTL gespielt, und ich musste nichts dafür tun. Welcher Künstler kann das ohne Mühen schaffen, dass er plötzlich auf "Promiflash" und "Klatsch-und-Tratsch" stattfindet?
    Lechler: Und die Promo-Fotos hat ausgerechnet Jim Rakete gemacht - großer Fotograf, aber natürlich auch eine 80er-Ikone. Der Produzent und Manager war von Spliff und Nina Hagen und Nena... welche Geschichten haben sie von ihm abgefragt?
    Gruber: Alle. Lustiger weise. Ich habe ihn mir auch ganz bewusst ausgesucht, und es war mir ein inneres Blumenpflücken, dass es mir erlaubt wurde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich saß auf einem Stuhl aus dem alten originalen SO36, meine Füße lagen auf einem Flightcase von Tangerine Dream, das man ihm überlassen hat, ich bin also völlig ausgerastet. Der sah mich, und das erste, was er gesagt hat, war: 'Du fühlst dich deplatziert und leer, wie ein Raumschiff im Straßenverkehr.' Ich so: 'Wie bitte?!' Und dann meinte er: 'Na, das hat Wolf Wondratschek geschrieben, der würde dir bestimmt gefallen.' Jetzt hab ich mir Bücher von Wolf Wondratschek gekauft und find’s auch ganz genial. Also, das war eines der schönsten Erlebnisse meines bisherigen Lebens, mit Jim Rakete das zu machen. Der war wirklich toll.
    "Ich glaube, dass Hype immer nur bedeutet: ganz viel in ganz kurzer Zeit"
    Lechler: Und jetzt herrscht gerade echt ein Hype um Drangsal, muss man sagen, im Vorfeld dieser Albumveröffentlichung. Alle sagen, Sie sind das nächste große Ding - macht das Stress?
    Gruber: Nein, es fühlt sich schön an. Weil man ja so lange dran gearbeitet hat. Und es steckt natürlich auch immer eine Maschinerie hinter so einem Hype, es wird viel Promotion gemacht. Ich versuche, mir das nicht zu Kopf steigen zu lassen, denn genauso schnell, wie es aufkommt, kann es auch wieder so ein bisschen implodieren. Und ich glaube, dass Hype immer nur bedeutet: ganz viel in ganz kurzer Zeit. Und nach was man sich als Künstler oder Musiker ja sehnt, ist eine Langlebigkeit.
    Lechler: Bei welcher Gelegenheit haben Sie denn gemerkt: Holla, hier geht ja wirklich was - die Leute scheinen das gut gebrauchen zu können gerade, was ich mache.
    Gruber: Das kam ganz langsam, also die ersten paar Konzerte, die wir gespielt haben, da war die Resonanz viel positiver, als ich mir das erträumt habe. Und gerade dann, als plötzlich Labels anfingen, Interesse zu zeigen, da war mir klar, da passiert was.
    Aber um ehrlich zu sein, war mir das immer klar. Ich finde, die Musik ist zu gut, um einfach unterzugehen. Und ich glaube, ich bin ein zu energischer und störrischer Charakter, um so ein Ziel, wenn es beim ersten Anlauf nicht funktioniert, einfach links liegenzulassen und aufzugeben. Mir war schon klar: Irgendwann wird irgendwas passieren. Und es musste, glaube ich, eher der richtige Zeitpunkt kommen. Die Musik war schon lange da.
    Lechler: Drangsal, vielen Dank fürs Corsogespräch.
    Gruber: Dankeschön, dass ich mitmachen durfte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.