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Retro-Soul aus Großbritannien
"Ich will auf jeden Fall viele Menschen erreichen"

Michael Kiwanuka ist Ende 20 und macht Retro-Soul. Kommerzieller Erfolg und künstlerischer Anspruch schließen sich für den jungen Briten nicht aus - sofern sie sich die Waage halten. Im Corsogespräch erzählt Kiwanuka von seinem Verhältnis zu Kunst und Kommerz und von den Aufnahmen an seinem zweiten Album "Love & Hate".

Michael Kiwanuka im Corsogespräch mit Kerstin Poppendieck |
    Michael Kiwanuka auf der Bühne mit Gitarre auf einem Festival in London
    Der britische Sänger Michael Kiwanuka auf einem Festival in London (imago / Landmark Media)
    Kerstin Poppendieck: Michael Kiwanuka, gerade wenn das Debütalbum so erfolgreich war wie bei Ihnen, machen sich Musiker beim zweiten Album oft einen enormen Druck. Haben Sie den auch gespürt?
    Michael Kiwanuka: Na klar gibt es viel Druck. Ich glaube, deshalb habe ich mir auch Zeit gelassen. Die Presse würde mich garantiert verreißen, wenn das zweite Album nicht gut wird. Und noch weiß ich ja auch gar nicht, ob es den Leuten gefällt. Aber wenn es einfach nur das Gleiche wäre wie auf dem ersten Album, ich glaube, dann schreiben die Leute dich schnell ab. Also wollte ich was machen, dass etwas anders klingt, aber ohne meine Persönlichkeit zu ändern. Ich wollte neue Themen, über die ich singe. Und ich wollte mit neuen Sounds experimentieren. Und es dauert einfach eine Weile, all das zu finden. Das war meine Art, mit dem Druck umzugehen. Ich hab mir gesagt: Lass dir einfach Zeit und lerne erst mal neue Dinge dazu.
    Poppendieck: Nach diesem überraschenden Erfolg des ersten Albums "Home again", brauchten Sie erstmal eine Pause, weil Ihnen der Trubel zu viel wurde. Selbst über das Aufhören mit der Musik haben Sie nachgedacht, heißt es. Als dann aber doch die Entscheidung fiel, ein neues Album aufzunehmen, haben Sie sich sehr schwer getan. Wie sind Sie denn an das zweite Album rangegangen?
    "Ich wollte mich von den alten Mustern befreien"
    Kiwanuka: Als ich angefangen habe, war meine Arbeitsweise erst mal dieselbe wie beim ersten Album. Ich habe zu Hause mehrere Songs geschrieben. Danach bin ich ins Studio gegangen, habe mich da mit einigen Musikern getroffen, und wir haben ungefähr 16 Lieder aufgenommen. Das klang schon anders, aber es war noch nicht das, wonach ich gesucht hatte. Das war dann der Punkt, an dem ich meine Arbeitsweise geändert habe. Ich hab angefangen, mit anderen Produzenten zusammen zu arbeiten und mit Menschen, von denen ich mir erhofft hatte, dass sie mich in eine andere Richtung lenken würden - und mir auch ein bisschen in den Hintern treten. Von da an passierte wirklich etwas ganz Neues. Viele der Songs habe ich im Studio geschrieben, mit anderen Leuten zusammen. Manchmal hatte ich erst nur ein paar Akkorde und habe einfach vor mich hingesungen. Beim ersten Album stand der Text immer als Erstes. Diesmal kam der Text oft erst ganz zum Schluss. Ich wollte mich von den alten Mustern befreien. Das war gut.
    Poppendieck: Sie haben gerade schon gesagt, dass Sie dieses Mal auch mit Produzenten zusammengearbeitet haben. Unter anderem mit einem der erfolgreichsten Produzenten momentan.
    Kiwanuka: Ich habe mit Danger Mouse zusammen gearbeitet. Der hat schon für Adele und die Red Hot Chili Peppers produziert. Für mich war es das erste Mal, dass ich mit so einem Super-Produzenten im Studio war. Gemeinsam haben wir einige Sachen in LA aufgenommen. Allein das war toll, weil ich noch nie außerhalb von England aufgenommen habe. Und ich brauchte tatsächlich Hilfe, weil ich mit diesem Album nicht weiter kam und auf der Stelle trat. Ich hab mich für Danger Mouse entschieden, weil er zwar kommerziell erfolgreich ist, dabei aber nicht sein Gesicht verliert. Ich will mit diesem Album möglichst viele Menschen erreichen. Aber dafür will ich nicht den einfachen Weg gehen: also eine tolle Stimme, eingängige Musik und fertig. Denn dann wollen die Leute eigentlich nur das Lied hören und nicht dich. Danger Mouse hat mir viele Tipps gegeben und mir beim Schreiben der Texte und beim Komponieren geholfen - sogar bei meiner Art zu singen. Er hat mich wirklich sehr beeinflusst.
    "Ich bin eigentlich ein ganz fröhlicher Typ"
    Poppendieck: Die Texte Ihrer Songs sind oft sehr traurig. Im dem Titel "I´ll never love" singen Sie davon, dass Sie niemals lieben werden, in "Falling", dass Sie hoffnungslos verloren sind. Wieso diese traurigen Texte?
    Kiwanuka: Es gibt doch generell viele Lieder mit traurigen Texten, oder? Mir fällt es einfach leichter, solche Texte zu schreiben. Das ist wie ein innerer Reinigungsprozess. Ich bin eigentlich ein ganz fröhlicher Typ. Aber traurige Dinge inspirieren mich zu meinen Liedern. Aber ansonsten geht es mir gut.
    Poppendieck: Die erste Single, die es auf dem Album zu hören gab, war "Black man in a white world". Wie der Titel schon sagt, geht es um einen Schwarzen, der in einer von Weißen dominierten Welt lebt, um die Zerrissenheit, die fehlende Zugehörigkeit. Ist dieses Lied Ihre persönliche Geschichte oder ist es eher eine Reaktion auf das was aktuell in Sachen Rassismus in Europa und den USA passiert? Denn der Text des Liedes ist ja doch ziemlich provokant.
    Kiwanuka: Klar weiß ich, dass man sich auch vom Text provoziert fühlen kann, und ich habe mich auch während der Aufnahmen gefragt, ob das ein Problem sein könnte. Also: Könnten Menschen deshalb das Album nicht mögen, könnten sie sich ausgeschlossen fühlen? Aber dann habe ich mir gesagt: warum? Ich erzähle ja keine Lügen in dem Text. In dem Lied geht es einfach um mich. Wie ich mich gefühlt habe, als ich in London aufgewachsen bin. Wie ich versucht habe, reinzupassen und mich anzupassen. Das macht doch jeder, also seinen Platz im Leben zu suchen. Deshalb dachte ich auch nicht, dass es etwas Schlimmes wäre, darüber zu singen. Musik ist doch Unterhaltung und Kunst gleichzeitig. Es bringt einen dazu, sich Gedanken zu machen. Und vielleicht können sich auch andere Leute mit dem Song identifizieren, egal welche Hautfarbe sie haben. Wir alle wollen doch dazu gehören. Darum geht es in diesem Lied.
    Poppendieck: Sie sind ja in London geboren und aufgewachsen, Ihre Mutter kommt aber aus Uganda. Welche Erfahrungen haben Sie denn gemacht? Wie war es, als Schwarzer in London aufzuwachsen?
    Kiwanuka: In England ging es mir immer gut, aber trotzdem habe ich schon immer gespürt, dass ich anders bin. Schon allein mein Nachname ist anders. Und wenn man 10 Jahre alt ist, will man einfach nur wie jeder andere sein. Da wünscht man sich einen einfachen Namen und will einfach nur reinpassen. Wenn man dann aber älter wird, stellt man irgendwann fest, dass das eigentlich ganz gut so ist, wie es ist. Darüber singe ich auch in meinen Songs. Wie es ist, sich nicht zugehörig zu fühlen. Ich bin weder ein echter Ugander noch ein echter Engländer. Das ist nicht falsch, aber ich musste damit erst mal meinen Frieden machen.
    "Kultur hatte damals noch einen höheren Stellenwert"
    Poppendieck: Was auffällt, wenn man sich die CD ansieht, ist die Länge der Songs. Gleich der erste ist gut zehn Minuten lang, dann gibt es zwei Songs, die sieben Minuten lang sind. Das ist ja heutzutage doch eher ungewöhnlich. War das eine bewusste Entscheidung, die Titel so lang werden zu lassen?
    Kiwanuka: Alles im Leben ist heute so schnell. Musik ist zu einem Wegwerfartikel verkommen. Deshalb dachte ich, es wäre doch schön, etwas zu machen, das genau das Gegenteil davon ist. Geduld, sich Zeit nehmen. Vielleicht sagen manche, meine Songs sind zu lang, aber wenn jemand sich das ganze Album anhört, dann hoffe ich, dass er sich in die Musik hineinfallen lassen kann und gar nicht merkt, dass mache Songs zehn Minuten lang sind. Das wünsche ich mir. Ich finde, wir hetzen viel zu sehr durch unser Leben. In der Zeit, als ich an diesem Album gearbeitet habe, hab ich viele Soul-Platten gehört, und die waren genau so. Als diese Sachen rauskamen, haben sich Leute noch Zeit genommen, Alben zu hören. Kultur hatte damals noch einen höheren Stellenwert. Aber sie hatten ja auch nicht all diese Ablenkungsdinge wie wir heute. Wir skippen doch nur noch durch ein Album. Während eines Konzertes telefonieren Leute oder spielen mit ihrem Handy rum. Ich wünschte, ich hätte diese alte Zeit erlebt. Ich hoffe, ich kann wenigstens ein paar Leute dazu bringen, sich hinzusetzen und sich Zeit für mein Album zu nehmen. Selbst wenn es ihnen gar nicht so gefällt, sollen sie sich wenigstens mal hinsetzen.
    Poppendieck: Entschleunigung und Achtsamkeit sind ja heutzutage große Schlagworte. Das setzen Sie also in Musik um. Mehr Mut zur Länge und zum guten, alten Album also?
    Kiwanuka: Auf jeden Fall. Mir macht es auch viel mehr Spaß, ein richtiges Stück zu komponieren und nicht nur Musik für den Augenblick zu produzieren. Das Internet hat so vieles verändert. Ich glaube, man muss Leute fast dazu zwingen, anders Musik zu konsumieren. Und dafür muss man eben auch andere Musik komponieren. Ich wünsche mir, dass Menschen abends nach Hause kommen, eine Platte auflegen, sich hinsetzen und sich in der Musik verlieren. So wie man es ja auch mit Filmen macht. Man geht ins Kino, und wenn es ein guter Film ist, taucht man für zwei Stunden in diese Welt auf der Leinwand ab. So war es früher auch mit Musik. Und ich bin überzeugt davon, dass es wieder so werden kann. Man muss sich einfach bemühen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.