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Retro-Welle mit Atari & Co
"Interesse an der Zukunft mit den Mitteln der Vergangenheit"

Sie kommen wieder: die alten Marken der Elektronikbranche, Konsolen, Spiele der 90er mit Pixelgrafik. Aktuell rollt im Games-Bereich eine Retro-Welle, die sich an bekannten Namen und vertrauten Handlings orientiert. Das sei aber nicht nur Nostalgie, sagte Spieleexperte Christian Schiffer im Dlf.

Christian Schiffer im Gespräch mit Anja Buchmann |
    Der Computer-Klassiker ATARI 800 XL
    Die Retro-Welle hat die Elektronik- und Spielebranche erreicht (imago/Steinach)
    Anja Buchmann: In der Musik tobt sie ja immer wieder, mit unterschiedlichen Bezügen, jetzt hat sie auch die Elektronik- und Spielebranche erreicht: Die Retro-Welle. Und: Auch wenn Sie in den 80ern und 90ern nichts mit Atari- oder Nintendo-Spielen am Hut hatten, kennen Sie diese Töne, oder? Schon im Weihnachtsgeschäft des vergangenen Jahres hat Nintendo eine neue Version der Konsole NES aus den frühen 90er-Jahren veröffentlicht. Der Trend zu alten Markennamen scheint sich zu lohnen. Inzwischen hat Nintendo angekündigt, auch die Mini-Version herauszubringen. Und andere Anbieter ziehen ebenfalls nach: z.B. mit dem Atari, der im Herbst auf den Markt kommen soll. Mein Kollege Christian Schiffer weiß mehr. Schönen guten Tag!
    Christian Schiffer: Guten Tag.
    Buchmann: Herr Schiffer, fehlen den Unternehmen die Ideen für etwas Neues oder woher kommt der Wille zum Retro-Trend?
    Schiffer: Naja, ich glaube, dass es hier ein bisschen anders ist als bei der Musik. Bei der Musik gab es ja damals - vor fünf Jahren, glaube ich, war das - dieses Buch "Retromania" von Simon Reynolds, wo er konstatiert hat, dass die Musik quasi das Interesse an der Zukunft verloren hätte. Und das würde ich hier tatsächlich nicht sagen. Denn wenn wir uns zum Beispiel das Unternehmen Nintendo anschauen, dann muss man sagen: Ja, die haben ja jetzt gerade eine neue Konsole herausgebracht, die Nintendo Switch. Und die ist durchaus innovativ und auch sehr erfolgreich.
    Ich glaube, dass hier tatsächlich, bei den Computerspielen, es ein bisschen anders ist. Man muss dann vielleicht auch noch den Fall Atari ein bisschen davon abgrenzen. Denn Atari, das Unternehmen, das wir heute als Atari kennen, das hat eigentlich nichts mehr zu tun mit dem Computerspielpionier Atari der 80er-Jahre, der späten 70er-Jahre. Und deswegen würde ich sagen: Die zwei Unternehmen machen das eigentlich deswegen, weil Retro einfach zieht. Und diesen insgesamten Retro-Boom, den wir in der Pop-Kultur erleben, den machen sich eben Unternehmen, unter anderem eben auch Computerspiel-Unternehmen, zu Nutze.
    "Das schöne Gefühl, sich wieder eine Sehnenscheidenentzündung zu holen"
    Buchmann: Abgesehen davon, dass ich glaube, dass auch die Musik nicht nur in der Retromania versunken ist - aber das nur am Rande - was haben die Geräte denn dann mit ihren Vorgängern zu tun?
    Schiffer: Eigentlich ein ganze Menge, muss man sagen. Also das NES-Mini zum Beispiel, das hat 30 Nintendo-Klassiker, da sind auch die Controller identisch. Also wenn man zum Beispiel wie ich das schöne Gefühl nachvollziehen möchte, sich wieder eine Sehnenscheidenentzündung zu holen, so wie das damals war mit irgendwie zwölf Jahren oder elf Jahren, dann kann man das da tatsächlich schön nacherleben. Dann muss man bei der Atari-Konsole sagen: Da ist es halt noch nicht so ganz sicher, was das überhaupt werden soll. Ob das so eine TV-Box wird, wo man Spiele streamen kann, oder ob das tatsächlich eine vollwertige Konsole wird, dazu weiß man zu wenig. Man hat bisher nur ein paar Bilder gesehen. Und wie gesagt: Atari ist halt eine Firma, die heute vielleicht aus ein paar Dutzend Leuten besteht, die vor allem eigentlich den Namen Atari verwalten. Aber dass dieser Name Atari eben dann immer noch zieht, das zeigt eben das Interesse, das da ist an dieser Konsole, über die man eigentlich noch nichts weiß.
    "Etwas Schönes, weil es dann nicht nur Nostalgie ist"
    Buchmann: Gibt es einen solchen Retro-Trend auch bei Spielen? Also zum Beispiel Adventure-Spiele, habe ich gehört, wie "Monkey Island" sollen angesagt sein.
    Schiffer: Ach irgendwie… diesen Retro-Trend bei Computerspielen, den gibt es eigentlich immer. Das ist eigentlich ziemlich interessant, dass ausgerechnet so eine Kulturform, die ja immer nach vorne strebt, wo es ja immer um technische Innovationen geht, dass die sehr oft Rückbezüge auf Vergangenes zulässt.
    Buchmann: Ja, eigentlich ein Widerspruch in sich.
    Schiffer: Ja, eigentlich ein Widerspruch in sich - vielleicht aber auch gar nicht mal so. Vielleicht ist dann da auch die Sehnsucht nach dem Alten dann eben auch da. Vielleicht ist es auch so, dass natürlich, dadurch dass sich alles so schnell verändert, man dann vielleicht auch Spiele spielen will, in denen man sich auskennt, ja? Die eben so sind wie früher, als Spiele noch schwerer waren, ja? Da geht es dann vielleicht auch um Distinktionsgewinn zu den ganzen neuen Spielen, die die jungen Leute spielen, die ja viel zu leicht sind und so weiter. Interessant ist, dass in den Computerspielen oft das Alte aufgegriffen wird, aber dann auch verbunden wird mit etwas Neuem.
    Also dass man zum Beispiel so etwas wie Pixel-Grafik hat. Sie hatten "Monkey Island" erlebt, ja. Dann hat man die Pixel-Grafik, da fühlt man sich wohl. Aber trotzdem wird diese Pixel-Grafik dann verbunden mit zum Beispiel einem neuen Interface oder mit modernen Komfort-Funktionen, dass man nicht 100.000 mal klicken muss, um eine Sache zu tun. Und dann finde ich, ist Retro dann wieder etwas Schönes, weil es dann nicht nur Nostalgie ist, sondern weil es dann tatsächlich etwas ist, dass etwas Vergangenes zwar gut war, dass man da erkennt, was daran gut war, und das quasi in die Moderne überführt. Und das ist dann genau das Gegenteil von dem, was Reynolds damals behauptet hat: Das ist dann quasi wieder Interesse an der Zukunft, auch mit den Mitteln der Vergangenheit.
    Buchmann: Das Alte und das Neue. Christian Schiffer über Retro-Trends in der Elektronik-Branche. Vielen Dank dafür!
    Schiffer: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.