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Retrospektive in New York
Warhol im Überfluss

Das New Yorker Whitney Museum zeigt die riesige "Warhol-Retrospektive aller Warhol-Retrospektiven": Fast 350 Exponate aus dem Werk des Künstlers. Präsentiert wird allerdings vor allem viel und das nah beieinander - die Ausstellung zementiert den Mythos Warhol, anstatt ihn zu hinterfragen.

Von Sacha Verna |
    Besucher schauen sich in der US-Retrospektive zum Werk des Künstlers im New Yorker Whitney Museum Andy Warhols Kunstwerk "Marilyn Diptych" an.
    Besucher schauen sich in der US-Retrospektive zum Werk des Künstlers im New Yorker Whitney Museum Andy Warhols Kunstwerk "Marilyn Diptych" an. (Christina Horsten / dpa )
    Zuerst einige Hinweise, die das Bewältigen dieser über 350 Exponate umfassenden Ausstellung strategisch erleichtern: Die beste Kulisse für Selfies bietet der Raum mit der gelb-rosa Kuhtapete und den Blumenbildern. Die Campbell Dosensuppen und die Brillo Seifenpulver-Boxen befinden sich ebenso wie die Porträts von Marilyn Monroe und ihresgleichen in erfreulicher Nähe voneinander. Denn die Schau ist chronologisch organisiert, und Andy Warhols bekannteste Werk-Serien sind alle zwischen 1962 und 1968 entstanden.
    Davor und danach gilt es Distanzen zurückzulegen, von Warhols Anfängen als Werbegrafiker im New York der 1950er Jahre bis zum weniger geschätzten Spätwerk der 1980er Jahre, als Warhol auf viele seiner Motive und Techniken von einst zurückgriff und daneben mit jungen Hotshots der New Yorker Kunstszene zusammenarbeitete, darunter Jean-Michel Basquiat und Keith Haring. Der Marathon geht in die Füsse. Die kann man in dem Bereich ausruhen, der dem filmischen Oevre von Warhol vorbehalten ist. Die Sessel sind bequem, und das Programm reicht von Kurzvideos mit Mitgliedern der Warhol Factory über Warhols diverse Fernsehsendungen bis zu Epen wie "Empire", acht Stunden und eine einzige Einstellung, die das Empire State Building bei Nacht zeigt.
    Nichts Neues oder Verblüffendes
    "It still amazes me on some level that Warhol was able to achieve this mythic status, this global status, even to today. That people still know and think about Andy Warhol."
    In gewisser Weise ist Donna De Salvo noch immer erstaunt über den mythischen Status, den Andy Warhol auf der ganzen Welt geniesst. Sie hat organisiert, was das Whitney Museum als Retrospektive aller Retrospektiven angekündigt hat und das auch als solche wahrgenommen wird.
    Trotz De Salvos Erstaunen setzt die Ausstellung die Monumentalität dieses Künstlers voraus. Präsentiert wird nämlich nichts Neues oder Verblüffendes, sondern einfach mehr und alles zusammen. Mehr Coca-Cola- und Unfallbilder, mehr Originalton. Die unbedarften Zeichnungen der 1940er Jahre und die nicht viel eindrücklicheren Schädel-Skizzen der 1970er Jahre. Die erste Ausgabe von Warhols Magazin "Interview" und das Plattencover von der Band Velvet Underground mit Warhols Banane drauf. Nirgendwo wird der Mythos Warhol erklärt oder gar hinterfragt. Das Werk selber ist, gerade in solcher Masse, das schlechteste Argument für die titanische Grösse dieses Künstlers.
    Warhol auf Salzstreuern, Teeservice und Socken
    Nicht einmal das Angebot im Museumsshop überrascht. Der Laden ist wie zu erwarten ganz auf Warhol eingestellt. Warhol-Sujets auf Salzstreuern, Teeservice und Socken, auf Skateboards, Kissen und Dominosteinen. An van Goghs Sonnenblumen auf Duschvorhängen und Smartphone-Hüllen à la Mondrian hat man sich zwar auch längst gewöhnt. Im Fall von Warhol wirkt das Merchandising aber zum ersten Mal geradezu folgerichtig. Nur beim T-Shirt mit Warhols Version von da Vincis "Mona Lisa" macht man kurz schlapp. Für so viel meta ist man nach so viel Warhol einfach zu matt.