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Retrospektive mit Witz und Ironie

Das Kunstmuseum Bonn zeigt eine Retrospektive der deutschen Künstlerin Rosemarie Trockel. Zu sehen gibt es zahlreiche Werkideen, die sie in Zeichnungen, Collagen und Buchentwürfen mit ihrer eigenen Ironie festgehalten hat. Und die zeigen: Rosemarie Trockel ist ein bundesdeutsches Kind.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Um die Ausstellung, über die wir nun sprechen, oder jedenfalls um die Künstlerin hat es schon im Vorfeld viel Wirbel gegeben. Rosemarie Trockel, eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart, sollte nämlich eigentlich in der vom Staat finanzierten Bundeskunsthalle in Bonn eine große Retrospektive haben. Die wurde aber kurzfristig abgesagt, offiziell wegen logistischer Probleme, tatsächlich aber wohl, so verschiedene Magazine und Tageszeitungen, auch mit Blick auf die Zuschauerzahlen, denn der Bund setzt in seinem Haus nun deutlich mehr auf zeitgeschichtliche archäologische Ausstellungen und auf Kunst der klassischen Moderne.

    Rosemarie Trockel ist nun trotzdem in Bonn zu sehen, schräg gegenüber allerdings: im Städtischen Kunstmuseum. Christiane Vielhaber, Sie waren dort, sind jetzt hier im Studio. Bevor wir auf die Kunst und auf die Künstlerin selbst kommen, ist das denn jetzt die Ausstellung, die ursprünglich mal abgesagt worden war?

    Christiane Vielhaber: Nein, absolut nicht. Es sind nur Papierarbeiten, nur Zeichnungen, nur Collagen, die eine oder andere, ich sage jetzt mal, Skulptur oder ein Objekt. Nein, das ist es nicht. Aber es gibt eine Arbeit in dieser Ausstellung von Rosemarie Trockel, mit der man das jetzt hier beantworten könnte: Das Fehlen eines Werks heißt nicht, dass keines da ist.

    Koldehoff: Was ist das für eine Arbeit?

    Vielhaber: Das ist eine aus der Gruppe, die für mich die schönste war, die schwierigste war und wo ich die meiste Zeit verbracht habe. Sie gehört zu der Gruppe der Buchentwürfe, kleine Bücher, die meistens so Oktavheft groß. Wir sehen fast immer nur die Titel davon. Manchmal sind es Fotografien, dann sehen sie zum Beispiel diesen bräsigen Franz-Josef Strauß, der hängt da so in so einem Bürosessel und telefoniert, und dann Untertitel von dir "Toll, dass du nicht kommst". Und dann denkt man auch, mit wem telefoniert er jetzt. Also die Sachen sind so wahnsinnig anspielungsreich und wenn sie nicht ein bundesdeutsches Kind der Rosemarie-Trockel-Zeit sind, dann haben sie manchmal Schwierigkeiten. Zum Beispiel: Was machen sie mit einem Kopf, einem wunderbar gezeichneten Kopf, eine sehr prägnante Nase eines jungen Mannes, die Haare, die Frisur so ein bisschen wie Napoleon und die Lippen (damals spritzte man noch nicht auf) – das ist für mich ganz klar BB gewesen.

    Koldehoff: Brigitte Bardot?

    Vielhaber: Das ist Brigitte Bardot und Bertolt Brecht in einer Figur. Die tauchen mehrfach auf, weil offenbar Brigitte Bardot für Rosemarie Trockel in ihrer Jugend so ein Idol gewesen ist. Auf der anderen Seite dann der etwas dröge, trockene Bertolt Brecht, und sie dichtet den beiden überall in dieser Ausstellung mal wieder eine Liebesgeschichte an, sie küssen sich, und das ist witzig. Nur es ist nur dann witzig, wenn man weiß, wer gemeint ist.

    Koldehoff: Sie kennen die Künstlerin seit vielen Jahren, Sie haben viele Ausstellungen mit ihrer Kunst gesehen. Können Sie uns denn jetzt die berühmte Schublade aufmachen, in die sie reinpasst?

    Vielhaber: Die Schublade? – Ich würde sagen, diese Ausstellung ist für mich, was damals die Gerhard-Richter-Atlas-Ausstellung im Museum Ludwig war, wo sie durch die Fotografien gehen und denken, Mensch, das kenne ich doch von dem Bild, das kenne ich von der Skulptur. Und im Grunde genommen ist dieses eine Retrospektive, wo alle Ideen, die sie verwirklicht oder nicht verwirklicht hat, zeichnerisch vorformuliert wurden. Insofern ist das die ganze auch geistreiche Rosemarie Trockel, so was Witziges. Stellen Sie sich vor, auch wieder das eines von diesen kleinen Büchern: Da ist ein schreckliches Gemälde und dann steht dadrunter, "Wenn Sie auch in so kurzer Zeit so toll malen wollen, dann melden sie sich bei mir und Kippenberger an, in Zukunft auch in deutscher Sprache Fernkurs", und das ist einfach, wie gesagt, man muss sehen, dass Rosemarie Trockel – und dann habe ich noch gedacht, das ist wie bei Beuys -, da denkt man, mein Gott, ich kann diese Strickbilder und so, kann ich alles, weiß ich nicht, wo ich es hintun soll, wie bei Beuys Fett und so, aber dann kommt ja immer, "aber ein toller Zeichner war er". Und bei Rosemarie Trockel sieht man jetzt hier, dass sie wahnsinnig ironisch sein kann, dass sie wahnsinnig toll freizeichnen kann, dass sie aber eben auch Sachen aus der Werbung abzeichnet, dass sie denken, die hätte auch Designerin werden können, also so perfekt.

    Koldehoff: Also keinesfalls nur "Arbeitsmaterialien", Vorentwürfe, die da ausgestellt werden, Ideen, Skizzen? Das sind schon eigenständige Werke?

    Vielhaber: Ja! Zum Beispiel auch so eine Collage, da haben sie im oberen Teil die Kopie von so einer Holzmaserung, also so ein Fake, und dann hat sie unten einen Reißverschluss drangemacht, und an diesem Reißverschluss ist richtig drangenäht der untere Teil eines Herrensaccos. Und das hat natürlich wieder was mit ihrer Strickkunst zu tun. Es gibt auch eine Arbeit, wo dann steht, "Um ja nicht falsch verstanden zu werden, was natürlich Auswirkung auf die Zukunft hätte: Ich stricke alles selbst". Und wenn man sie kennt, weiß man, sie hat nicht einmal gehäkelt, sie hat noch nicht mal eine Strickliesel benutzt. Also man braucht Hinterwissen, man braucht Zeitgenossenschaft und man braucht eigentlich auch ein bisschen Intelligenz und Spaß an einem hintersinnigen Humor, um diese Ausstellung richtig genießen zu können.

    Koldehoff: Die Strickbilder, die Sie jetzt mehrfach angesprochen haben, die waren ja so was wie ein ironischer Kommentar auf die brav strickenden Hausfrauen und klöppelnden und Macramé arbeitenden. Es gibt die großen Emaille-Tafeln mit Kochfeldern drauf, die einfach an die Wand gehängt wurden. Ist das denn nur Ironie, oder ist da auch Kritik mit drin?

    Vielhaber: Ich denke, das ist schon sehr ironisch. Wenn sie zum Beispiel – das ist eine hinreißende Zeichnung, und wenn man sich in der Kunstgeschichte auskennt, Sie würden das sofort erkennen: Es ist Balzac, die große Skulptur von Rodin, und dann steht dadrunter – die ist nur anskizziert mit wenigen -, "Ich bin der Mann meiner Frau". Und dann könnte man jetzt denken, Balzac hat ja so einen Umhang an, also ist das vielleicht so ein Hauskleid, ist das so ein Kittel. Also es ist keine Kritik an dem Macho-Gehabe, überhaupt nicht, sondern es ist auch häufig eine ernste Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und mit den Schwierigkeiten damit. Wenn sie zum Beispiel bei einer Skulptur … Man denkt, das ist jetzt ein erleuchteter Bischofstab, und dann ist es einfach die Verhütungsspirale einer Frau.

    Koldehoff: Und offensichtlich – das hat man Ihren Erzählungen angemerkt und wieder ist es schade, dass die Hörer Sie nur hören und nicht auch sehen können dabei – ein großes Sehvergnügen. – Rosemarie Trockel in Bonn. Christiane Vielhaber hat für uns berichtet. Vielen Dank.