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Rettung des Aramäischen
Sprechen wie Jesus

In der Antike war Aramäisch die wichtigste Sprache im Nahen Osten. Heute sind es nur noch einige hunderttausend Menschen, die diese alte Sprache beherrschen. Die Initiative einiger Christen in Israel, das Aramäische zu retten, gefällt allerdings nicht jedem.

Von Lissy Kaufmann |
    Ein Lederstück, das in aramäischer Sprache beschrieben wurde - mit dem Vaterunser
    Das Vaterunser auf Aramäisch (Deutschlandradio / Lissy Kaufmann)
    "Shlomo", sagt Shadi Khalloul und begrüßt damit seine Bekannte Nivin Elias, die er an diesem Abend besucht. Shlomo ist Aramäisch und heißt "Hallo". Shadi und Nivin sind Christen und leben hier in Gusch Chalav, einem Dorf in Galiläa im Norden Israels, nur ein paar Kilometer entfernt von der Grenze zum Libanon.
    Lange Zeit war Aramäisch hier nur Liturgiesprache. Im Alltag wurde Arabisch gesprochen. Bis Shadi Khalloul den Plan schmiedete, die Sprache der Vorfahren wieder aufleben zu lassen:
    "Wir sind Christen der syrisch-maronitischen Kirche. Maroniten sind Aramäer. Sie sind direkte Nachfahren jener Christen, die hier Jesus gefolgt sind. Heute nennt man uns Ostchristen. Und da habe ich mich gefragt, warum wir Aramäisch vernachlässigen. Es ist die Sprache Jesu, unserer Vorfahren und unserer Kirche. Wir können stolz darauf sein und sollten das nicht verstecken."
    Vor gut zehn Jahren begann er deshalb mit anderen Christen in Gusch Halav, Aramäisch zu lernen: Erst unterrichte sie der Priester der Gemeinde, später ein Priester aus der Türkei, der für einige Wochen anreiste. Shadi setzte durch, dass heute in der staatlichen Dorfschule Aramäisch gelehrt wird.
    Aramäisch war die Lingua franca
    Und: Er unterrichtet selbst ein dutzend Erwachsene im Dorf. Eine seiner Schülerinnen ist die 34-jährige Nivin: "Aramäisch ist hier ja nie ganz verschwunden. Aber erst, als Shadi damit begonnen hat, uns zu unterrichten, fühlten wir uns dieser alten Sprache noch stärker verbunden. Wir wollen sie verstehen. Andere hatten Zweifel: Wieso soll ich diese Sprache sprechen? Was soll ich mich jetzt nochmal hinsetzen und lernen? Dann gebe ich die Antwort: Weil es die Sprache ist, in der Jesus gesprochen hat."
    Und in der Nivin und die anderen maronitischen Christen in Gusch Chalav heute singen.
    Doch hat Jesus wirklich Aramäisch gesprochen? Der Sprachenforscher Steven Fassberg von der Hebräischen Universität in Jerusalem beschäftigt sich mit alten semitischen Sprachen. Er sagt: "Zweifellos muss Jesus Aramäisch gesprochen haben, wie jeder andere zur damaligen Zeit. Aber als Jude aus dem Norden konnte Jesus sicherlich auch Hebräisch, denn das wurde in jener Gegend noch bis ins Jahr 200 gesprochen. Und in den großen Städten sprach man damals auch Griechisch. Es ist die Zeit des Hellenismus. Aber ganz sicher hat Jesus Hebräisch und Aramäisch gesprochen."
    Der Sprachforscher Stefen Fassberg von der Hebräischen Universität in Jerusalem
    "Jesus sprach mit Sicherheit Aramäisch", sagt Sprachforscher Steven Fassberg (Deutschlandradio / Lissy Kaufmann)
    Aramäisch entwickelte sich im 6. Jahrhundert vor Christus zur Lingua franca der Region - also gegen Ende des Neubabylonischen Reiches. Später wurde Aramäisch vom Arabischen verdrängt. Doch einige christliche und jüdische Dörfer in der Region blieben dem Aramäischen treu.
    Eine der ältesten Sprachen der Welt
    Steven Fassberg: "Diese Menschen blieben dem Aramäisch immer verbunden, es war die Tradition ihrer Vorfahren, sowohl der Christen als auch der Juden. Und weil sie so abgeschieden lebten, konnten sie die Sprache bewahren. Es gibt in Syrien drei Dörfer, das größte davon heißt Maalula und ist 50 Kilometer nordwestlich von Damaskus. Das ist eine Insel von Christen inmitten einer muslimischen Welt. Und sie sprechen weiterhin Aramäisch. Warum in Maalula? Weil das ein sehr abgelegenes Dorf ist."
    Aramäisch zählt heute tatsächlich zu einer der ältesten noch gesprochenen Sprachen. Einige hunderttausend Menschen gibt es, die es noch sprechen, schätzt Fassberg. Doch es werden immer weniger - als Folge von Krieg und Vertreibung.
    Viele Christen des Nahen Ostens sind in den vergangenen Jahrzehnten vor allem nach Europa gegangen. Dort, so schätzt Fassberg, lebt heute die größte Aramäisch sprechende Gemeinde der Welt, allen voran in Schweden, aber auch in Deutschland. Doch ob die nachfolgenden Generationen die Sprache weiterführen werden?
    Sprache ist auch politisch
    Der Mönch Dayroyo Boulus ist 29 Jahre alt und singt nicht nur auf Aramäisch, er spricht es auch fließend. Als Mönch der syrisch-orthodoxen Kirche ein Muss. Doch ihm reicht das nicht. Er will Aramäisch wieder bekannt machen, auch außerhalb der Mauern des Markusklosters in der Jerusalemer Altstadt.
    Er schreibt das Vaterunser auf Aramäisch auf Lederstücke und verschenkt es - an andere Kirchen, Pilger und Besucher. Echtes Schafsleder sei das, sagt er, aus Hebron. Zwei bis drei dieser Lederstücke beschreibt er am Tag.
    Der aramäische Mönch Dayroyo Boulos in der Kirche seines Klosters in Israel
    Der syrisch-orthodoxe Mönch Dayroyo Boulos in Jerusalem spricht fließend Aramäisch (Deutschlandradio/Lissy Kaufmann)
    Er freut sich, dass auch andere Aramäisch wieder aufleben lassen wollen, etwa die Maroniten in Gusch Chalav: "Unsere Kirche findet es gut, wir brauchen Menschen, die Aramäisch wieder aufleben lassen, nicht nur in Gebeten und als Sprache hier im Kloster. Aber es gibt auch Christen hier, die finden das gar nicht gut. Sie sagen: Wir sind Araber, wir sind Palästinenser, das ist nicht unsere Sprache! Wir aber sagen: Wir sind aramäisch, wir sprechen noch immer in der Sprache Jesu und wir wollen unsere Sprache wieder aufleben lassen."
    Sagt der junge Mönch mit dem langen schwarzen Bart und der bestickten Kopfbedeckung. Er weiß: Sprache ist Identität, und gerade im Nahen Osten ist sie damit auch höchst politisch und heikel.
    Aramäische Identität
    So ist Dayoroyo Boulus in Bethlehem aufgewachsen und laut Ausweis Palästinenser. Er selbst definiert sich aber als syrisch-aramäischer Christ.
    Auch den maronitischen Christen im galiläischen Dorf Gusch Chalav geht es um Identität, erklärt Shadi Khalloul. Sie wollen nicht länger als Araber bezeichnet werden: "Wir sehen es als einen Fehler an, dass der Staat Israel uns nach seiner Gründung als Araber registriert hat. Wir sind Aramäer! Und 2014 hat der Staat diesen Fehler behoben und unserem Antrag stattgegeben. Seitdem sind wir als Aramäer anerkannt."
    Shadis nächstes Ziel ist es, ein neues aramäisches Dorf zu errichten, in dem nicht mehr Arabisch, sondern nur noch Aramäisch gesprochen wird. Das wäre dann eines der letzten aramäischen Dörfer weltweit.