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Rettung Griechenlands "ist eine Geschichte von zwei Jahrzehnten"

Griechenland muss nicht nur wollen, es muss auch können, sagt Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft und spielt damit auf die veralteten Strukturen der griechischen Verwaltung an. Es gehe in den kommenden zwei Jahrzehnten um eine Modernisierung des gesamten griechischen Staatswesens - unter Aufsicht der Troika.

Gerd Breker sprach mit Michael Hüther |
    Gerd Breker: Schon das im Frühjahr 2010 vereinbarte erste Rettungspaket sollte durch eine Art Schocktherapie aus strengen Reformen Griechenland wieder auf die Beine helfen, sodass das Land bis zu diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum erziele. Hat nicht ganz funktioniert, stattdessen wächst seine öffentliche Verschuldung kontinuierlich, die Rezession hält im fünften Jahr in Folge an, Tausende kleine und mittlere Betriebe, sie gehen pleite und die Statistik verzeichnet in puncto Auswanderung einen Rekord für Griechenland der vergangenen 50 Jahre. Die Menschen in Griechenland, sie leiden und sind wütend, ihre Wut sucht noch nach den Schuldigen. Offen dabei ist, ob sie denn den Richtigen finden. Wenn die Finanzminister morgen zusammensitzen, dann können sie noch gar nicht über das zweite Hilfspaket entscheiden, denn Finanzminister Wolfgang Schäuble braucht zuerst die Entscheidung des Deutschen Bundestages. Und damit stellt sich erneut die Frage nach der Kanzlermehrheit. Gelingt es der Koalition, eine eigene Mehrheit für die Griechenlandhilfe auf die Beine zu stellen, oder ist Bundeskanzlerin Merkel auf die Unterstützung der Opposition angewiesen? – CDU-Generalsekretär Gröhe wollte gestern noch nicht darüber reden, was denn wäre, wenn auch das zweite Hilfspaket nicht ausreiche, aber so unwahrscheinlich ist diese Frage nicht. Griechenland könnte auf längere Zeit auf Hilfe angewiesen sein. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Michael Hüther, er ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Guten Tag, Herr Hüther.

    Michael Hüther: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Griechenland beugt sich offenbar dem Druck. Das zweite Hilfspaket, so sieht es aus, wird wohl fällig werden. Was machen wir eigentlich da? Werfen wir gutes Geld schlechtem hinterher?

    Hüther: Das ist nicht auszuschließen und man muss auch ehrlich über dieses Risiko sprechen, denn es ist ja auch in Ihrem Vorbericht deutlich geworden, wir haben es ja nicht nur mit einer Einwilligung Griechenlands zu tun, bestimmte Dinge dann auch umzusetzen oder zu machen, sondern mit der tatsächlichen Unfähigkeit in elementaren Verwaltungsstrukturen, solche Dinge dann auch wirksam werden zu lassen. Und insofern stehen wir hier eigentlich vor einem Prozess, der völlig anders ist als in Portugal, Spanien oder Italien, die ja auch von den Finanzmärkten kritisch beäugt wurden. Hier geht es um eine nachholende Modernisierung. Das Land hat diese Bürde zu tragen, aber es ist auch gleichzeitig eine Riesenchance, und es ist ja eigentlich politökonomisch, wie wir Ökonomen das immer betrachten, nicht ganz plausibel, dass die beiden Parteien – das ist ja auch berichtet worden -, die im Augenblick die Regierung tragen und die erkennbar bei der nächsten Wahl im Frühjahr deutlich an Stimmen verlieren werden, dass sie das durchgezogen haben. Offenkundig ist doch in der politischen Klasse der Wille auch sichtbar, dass man erkennt, worum es geht, und dass jede Alternative teurer ist.

    Breker: Allerdings, Herr Hüther, wer glaubt denn, wer kann denn glauben, dass Griechenland in absehbarer Zeit wieder auf die Beine kommt, wieder ein Wirtschaftswachstum generieren wird?

    Hüther: Also das ist nicht die Frage wirklich von absehbarer Zeit. Das muss man auch ehrlicherweise sagen und das ist auch lange genug nicht betont worden. Wenn Sie einfach mal erinnern: In Deutschland hat die Konsolidierung des Staatshaushalts in den 80er-Jahren fast ein Jahrzehnt benötigt. Und wenn wir hier sagen, wir haben es hier nicht nur mit Konsolidierung zu tun in Griechenland, sondern auch mit der Restrukturierung der Volkswirtschaft, dann ist das mit Sicherheit ein Zeitraum, den man ähnlich mit zwei Jahrzehnten beschreiben muss. Das ist nicht jetzt einfach frei gegriffen, sondern wir haben ja die Erfahrung des Umbaus in den neuen Ländern. Nun kann man sagen, es geht dort vielleicht ein bisschen schneller, aber es geht weit über ein Jahrzehnt hinaus und dafür muss ein verlässlicher Rahmen gegeben werden. Es macht keinen Sinn, dass wir alle zwölf Wochen von der Troika schauen, was da passiert, sondern es muss eine permanente Begleitung Griechenlands geben und da muss sich auch Griechenland öffnen, denn es ist ja in dem Zitat eben auch von Herrn Schäuble genannt worden, es hilft ja nichts, wenn sie es selbst nicht schaffen, dann sich auf den Stolz zurückzuziehen. Dann in der Tat haben wir mit Zitronen gehandelt.

    Breker: Und müssen wir nicht alsbald – wir reden jetzt über ein zweites Hilfspaket – dann über ein drittes reden und ein viertes möglicherweise?

    Hüther: Na ja, es ist ja jetzt im Augenblick so, dass gar nicht mehr allzu viel von Staatsanleihen sich in privaten Händen befindet. Was wir gemacht haben, ist, mit diesem stückweisen Aufkauf dann immer zu intervenieren, wenn die nächsten Tranchen anstehen, nicht wirklich überzeugend. Unser Vorschlag war, man hätte mit einem Schlag eigentlich die am Sekundärmarkt von Privaten angebotenen griechischen Staatsanleihen aufkaufen müssen. Man hätte dann einen Kurs gehabt von nicht mehr 100 Prozent, sondern 50 oder 55 oder vielleicht sogar weniger. Das heißt, die Privaten wären bereit gewesen, durch den Verkauf ihre Beteiligung mit einem solchen Schuldenschnitt, ohne dass es organisiert wird, vorzunehmen, das Geld in den EFSF zu packen, umzuschulden, langfristige Papiere dagegenzustellen, wie das in Lateinamerika in den 80er-Jahren mit den Brady-Bonds gemacht wurde, und auch das, der Vergleich mit Lateinamerika, macht noch mal deutlich, es ist eine Geschichte von zwei Jahrzehnten. Aber das muss eigentlich die Perspektive sein, Griechenland für eine solche Zeit mehr oder weniger vom Kapitalmarkt wegzunehmen, um dann auch die Zeit zu gewinnen, das im Kleinteiligen, beginnend bei der Verwaltung bis hin zum völlig vollständigen Handeln der Politik umzusetzen.

    Breker: Wäre es nicht preiswerter gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt, etwa vor zwei Jahren, Griechenland einfach pleitegehen zu lassen?

    Hüther: Ich glaube, es war durchaus berechtigt, vor zwei Jahren anders zu entscheiden, denn erstens war die gesamtwirtschaftliche Lage im Frühjahr 2010 noch sehr stark von der Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt und es steckte allen, nicht nur den Akteuren, auch den Beobachtern, in den Knochen, dass dieses schockartige Event im Herbst 2008, die Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman, diese Vertrauensimplosion ausgelöst hatte, nahezu den Stillstand der internationalen Arbeitsteilung und des Welthandels. Das wollte man nicht eingehen, denn man konnte die Durchwirkungen auf die Bankbilanzen nicht einschätzen. Wir sind heute zwei Jahre weiter und da kann man in der Tat fragen, haben sich nicht jetzt auch alle darauf eingestellt. Das ist sicherlich so, auch das ist ja angesprochen worden, auch in der öffentlichen Debatte, dass sich durch diese nun lange währende Diskussion alle Akteure darauf eingestellt haben. Nur man möge sich bitte klar machen: Es geht nicht nur um die Verschuldung des griechischen Staates, es geht auch um die Verschuldung der privaten Haushalte und der Unternehmen, die ja gleichermaßen nach 2001 enorm angestiegen ist und auch im Ausland zum Teil platziert ist. Also wir haben hier dann einen Ausfall von Forderungen der Gläubiger, der weit über das hinausgeht, was wir mit dem griechischen Staat verbinden, wenn wir hier einen Austritt organisieren, wenn wir irgendwie eine Drachme einführen, wie immer man das auch machen will. Es ist teuer!

    Breker: Aber, Herr Hüther, ein Dominoeffekt ist doch immer noch nicht auszuschließen. Es ist ja nicht nur Griechenland, es ist auch Portugal, es ist Spanien, Italien möglicherweise. Wir haben ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Müssen wir das nicht realistisch so sehen?

    Hüther: Die Dominoeffekte, die Sie ansprechen, muss man zur gegebenen Zeit jetzt noch würdigen. Ich glaube, dass die dann aus der Sicht privater Investoren verschwinden, wenn wir in Spanien und Italien die Bodenbildung auch der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sehen und damit einen Turnaround erkennen. Bisher ist es ja so, wenn ich mir die Zinssätze für italienische und spanische Staatsanleihen anschaue, dass die sich weitgehend normalisiert haben, auch für belgische und die irischen. Eine andere Situation ein bisschen in Portugal, aber Portugal hat ja nicht dieses Politik- und Verwaltungsproblem, wie wir das in Griechenland haben. Das ist aber eine Perspektive, die noch vor uns liegt. Derzeit glaube ich auch, wenn man einen Austritt machen will – deswegen bin ich auch kein Anhänger eines Austritts Griechenland; ich glaube, dass wir das anders hinkriegen -, dass der einfach noch diese Fragen aufruft, wie denn die anderen zurechtkommen, dass wir die Ruhe, die wir gerade seit der neuen Regierung in Spanien, der neuen Regierung in Italien auch bekommen haben, dann wieder infrage gestellt ist. Wir sind dort noch nicht so weit, dass erkennbar die gesamtwirtschaftliche Situation sozusagen den Turnaround schafft. Ich glaube, dass wir das im weiteren späteren Jahr sehen werden und auch im Übergang 2013, aber da brauchen wir noch ein bisschen Zeit, und das ist ja auch der Hintergrund der gegenwärtigen Überlegungen in der Politik, jetzt nicht einfach hier hasardeurhaft zu handeln, sondern klar zu sagen, es ist ein Sonderfall, aber den müssen wir auch isolieren.

    Breker: Nun hat Moody's heute wieder einige europäische Staaten herabgestuft, die Ratingagentur Moody's. Ist das ein Signal, aus dem wir was lernen, Herr Hüther?

    Hüther: Wir lernen eigentlich, dass die Ratingagenturen in der Regel der Entwicklung hinterherlaufen. Und wenn ich mir anschaue, was in vielen Ländern der Eurozone begonnen wurde – nehmen wir auch jetzt zuletzt Österreich -, dann sind das Konsolidierungsprogramme, die ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit haben, ein hohes Maß an Ernsthaftigkeit und die auch zeigen, dass man die finanzpolitische Basis neu definieren will, letztlich ja verbunden mit der Aussicht auf die Schuldenbremse. Insofern ist das für mich jetzt kein sonderlich neues Datum oder eine neue Information, sondern es geht einfach darum zu schauen, sind die Länder dabei, und insofern kann man Moody's neues Rating oder das Downgrading bei den Ratings einiger europäischer Länder auch als Ermahnung verstehen, jetzt konsequent dabei zu bleiben, die Disziplin aufzubringen, die ja auch natürlich die jeweiligen Gesellschaften entsprechend fordert, gar keine Frage, aber diese Disziplin aufzubringen, um dann auch ins Ziel zu kommen, und wenn sich gleichzeitig zeigt, dass wir im Kern Europas wirtschaftlich stark bleiben – das ist die deutsche Volkswirtschaft, auch die österreichische, also der mitteleuropäische Raum -, dann haben wir damit auch einen Anker, der die Erholung auch in anderen Bereichen Europas wieder mit bewegen kann.

    Breker: Die Position des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, im Deutschlandfunk. Danke, Herr Hüther.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.