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Rettung in letzter Minute

Als der amerikanische Journalist Varian Fry kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nach Berlin kam, da schockierte ihn, wie brutal die Nazis gegen die Juden vorgingen. Deshalb schloss er sich der Fluchthilfeorganisation "Emergency Rescue Committee" an, um in Frankreich gefährdete Intellektuelle mit US-Visa zu versorgen und außer Landes zu bringen. Fry gelang es, viele Menschen zu retten, darunter Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und Hannah Arendt. Am Sonntag erinnert eine Ausstellung in der Akademie der Künste an den Menschenretter.

Von Michael Schornstheimer |
    Varian Fry war ein junger, eleganter Mann von Anfang Dreißig, als er in Marseille eintraf und Quartier im Luxus-Hotel Esplandide bezog. Im Gepäck hatte er neben den notwendigen Devisen vor allem Visa und Bürgschaften, die sogenannten Affidavits. Etwa zur gleichen Zeit saß ein abgerissener, deutscher Journalist in einem billigen Café und schrieb Abschiedsbriefe. Die Flucht war für Hans Sahl zu Ende. Er sah keinen Ausweg mehr und genau das schrieb er seinen Angehörigen nach Dresden und Berlin.
    "Da kam Walter Mehring, der Kleine, und sagte, im Hotel Esplandide ist ein Amerikaner abgestiegen mit einer Liste von Menschen, Intellektuellen, die er retten soll, und Geld, Du stehst auf der Liste, ruf ihn an. Und ich ging zum Telefon, "may I talk to Mister Fry". Und ich sagte "my name ist Hans Sahl". Und er sagte, Hans Sahl, I was looking for you everywehre, please come over right away, I am looking desparetly for you. Ich dachte, ich werde verrückt. Ich ging zum Hotel Esplandide, fuhr rauf, machte die Tür auf, da steht ein junger Mann in Hemdsärmeln, nimmt mich am Arm, legt seinen Arm um mich und sagte, I am so happy to have found you."

    Die Flüchtlinge in Südfrankreich mussten ständig fürchten, an die deutschen Behörden ausgeliefert zu werden. Und selbst wenn sie das begehrte Visum für die USA endlich besaßen, blieben sie weiter in Lebensgefahr. Denn Spanien und Portugal gewährten den Visa-Inhabern zwar den freien Transit. Nicht aber Frankreich, erzählt Albert O. Hirschman, der mit Mitte Zwanzig von Varian Fry angeheuert wurde:

    "Frankreich gab kein Exit-Visa damals und da musste man Wege finden, dass man aus Frankreich herauskommen konnte, um eben Spanien legal zu betreten. Und das war eine meiner Aufgabe, diese Wege über die Berge zu finden und zu organisieren und eine so Reihe von ziemlich illegalen Aktivitäten, in die ich da hineinkam, durch die Arbeit für das Komitee. Und dann hat die französische Polizei nach mir gefahndet, und dann musste ich auch dieselben Wege benutzen."

    Die Ausstellung erzählt die Geschichte von Varian Fry und seinen Helfern mit zahlreichen Fotos, Briefen und Dokumenten. Sie sind auf Ausstellungswände montiert, die - bedrückend eng gestellt - bis ins Foyer der Akademie der Künste wachsen und schließlich in einer Art Sackgasse münden. Endstadion ohne Rück- und Ausweg.

    Zu den Geretteten gehörten Hermann und Toni Kesten. Heinrich Mann und seine Lebensgefährtin Nelly Kröger. Leonhard Frank und Walter Mehring. Und zwischen ihren Fotos, Erinnerungen und Papieren taucht immer wieder Varian Fry als Retter auf. Exakte Zahlen gibt es nicht, doch wahrscheinlich waren es bis zu zweitausend Menschen, die auf diese Weise vorm sicheren Tod bewahrt wurden. Auch Hans Sahl arbeitete bis zu seiner Ausreise in dieser "GmbH zur Rettung bedrohter Menschen" mit. Wie auch der spätere Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Albert O. Hirschman, der hochbetagt bei Princeton lebt.

    Albert Otto Hirschman war damals mit seinen 25 Jahren zu jung und unbekannt, um selbst auf ein US-Visum hoffen zu können. Doch er hatte Glück. In Paris hatte er zuvor einen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler kennen gelernt, der ihn nicht vergaß:

    "Einer meiner Aufgaben für Fry war, den Konsul regelmäßig zu besuchen, und der hat mir eines Tages gesagt, ich habe hier ein Visum für einen gewissen Albert Hirschmann, kennen Sie den? Da habe ich dann gesagt, ja das bin ich. Bis zum dem Punkt, kannte er mich unter dem Namen Albert Herman, da musste ich also irgendwelche Beweise vorbringen. Damals gab es Kuriere, die zwischen der besetzten und unbesetzten Zone pendelten, ich hatte meine Geburtsurkunde in einem Koffer im Hotel gelassen, und da habe ich einen der Kuriere beauftragt, mir meine Geburtsurkunde zu bringen. Und das hat geklappt."